Protocol of the Session on September 26, 2018

(Lebhafter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch ein Nachtrag zum Anfang der Sitzung: Die Abgeordnete Redmann hat nach § 47 Absatz 2 Geschäftsordnung mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme der heutigen Sitzung verhindert ist. Die Abgeordnete Dr. Bohn hat ebenfalls nach § 47 der Geschäftsordnung mitgeteilt, dass sie an der heutigen -

(Birte Pauls [SPD]: Die sitzt da! - Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erst heute Nachmittag!)

- Der Satz war ja noch nicht zu Ende, Frau Abgeordnete.

(Heiterkeit)

Sie hat mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme an der heutigen Nachmittagssitzung verhindert ist.

(Vereinzelter Beifall und Heiterkeit)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht

Antrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/944 (neu) 2. Fassung

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Ich dachte, wir wären schon weiter. Inklusion als Aufgabe unserer Schulen wurde von einem FDP-Bildungsminister in das Schulgesetz hineingeschrieben. Inklusion war ein erklärter Schwerpunkt der Arbeit der Küstenkoalition in der letzten Legislaturperiode. Inklusion war Thema hier bei einem Runden Tisch im Plenarsaal. Frau Klahn wird sich erinnern, sie fand es damals nicht gut, dass das „Runder Tisch“ hieß. Damals haben wir mit allen Menschen, die sich in Schleswig-Holstein um das Thema Inklusion kümmern, ein gutes und zukunftsweisendes Gespräch geführt. Inklusion war danach ein regelmäßiges Thema beim Runden Tisch Inklusion, der - das darf ich an dieser Stelle vielleicht einmal beklagen - das letzte Mal im Frühjahr 2017 getagt hat.

(Zurufe SPD: Oh!)

Der letzte Minister, der der Auffassung war, Inklusion bedürfe keiner zusätzlichen Ressourcen, war übrigens auch Ekkehard Klug. Ich glaube allerdings, dass er zu dieser Erkenntnis ein bisschen von Finanzminister Wiegard und Ministerpräsident Carstensen gezwungen wurde. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode noch einen Streit über Instrumente - ich erinnere an die Stichworte Schulbegleitung, Schulassistenz -, aber nicht mehr über die Ziele.

Ein Studium des CDU-Wahlprogramms hätte allerdings Argwohn wecken können. Denn da gab es kein Bekenntnis zur Inklusion, da gab es Bedenken und Einschränkungen. Wer das Wirken von Frau Prien in der Hamburger Bürgerschaft beobachtet

(Minister Hans-Joachim Grote)

hat, konnte sehen, wie oft sie der Versuchung erlegen ist, mit dem Thema Inklusion gegen die Regierung anzutreten. Im Landtagswahlkampf war das genauso: Da war von Unverantwortlichkeit der Umsetzung der Inklusion im Land und dergleichen die Rede.

Sie werden vielleicht feststellen, dass genau das nicht das ist, was wir tun. Genau dieser Versuchung von Opposition erliegen wir nicht. Es wäre leicht, im Themenfeld Inklusion Familien aufzuschrecken, Menschen zu verunsichern, also mit hilfebedürftigen Menschen Politik zu machen. Das machen wir nicht. Wir wollen ein Bekenntnis zur Inklusion. Frau von Kalben, es wäre doch viel leichter, auf all die Mängel an den Schulen hinzuweisen und zu sagen: Da tut die Regierung nichts! Aber wir sagen im Gegenteil: Der Weg ist der richtige! Der Koalitionsvertrag, den Sie unterschrieben haben, besagt ja auch: Inklusive Bildung bleibt ein wichtiges Ziel der Landespolitik. - Das ist gut, da haben Sie uns an Ihrer Seite, bei der Konzentration auf Qualität allemal auch. Es ist nun einmal so: Seit die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben ist, müssen wir eigentlich nicht mehr über das Ziel sprechen, sondern nur noch über den Weg.

(Beifall SPD, Jette Waldinger-Thiering [SSW] und Peer Knöfler [CDU])

Allerdings wird das immer mal wieder infrage gestellt. Eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Inklusion ist kein Selbstzweck“ ist dafür aus meiner Sicht genauso ein Beispiel wie unsere FördeRunde am gestrigen Abend, wo im Offenen Kanal die Kollegen von AfD und FDP gemeinsam vertreten haben, Inklusion sei eben kein Menschenrecht.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Das stimmt doch gar nicht! Was erzählen Sie hier, das ist eine Unverschämtheit! - Weitere Zurufe - Zuruf SPD: Die Pressenmitteilung!)

Unsere Unterstützung für den zweiten Teil des Satzes aus dieser Pressemitteilung - „Inklusive Bildung ist kein Selbstzweck, die Qualität muss stimmen“ - haben Sie. Für diesen zweiten Teil haben Sie unsere volle Unterstützung.

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

- Herr Koch, wenn Sie sagen, Inklusion sei kein Selbstzweck, stellt sich die Frage: Was ist es denn dann? Ist es ein Mittel zum Zweck, zu welchem Zweck denn?

(Tobias Koch [CDU]: Das war der gleiche Satz!)

Der Satz lautet:

„Inklusion ist kein Selbstzweck, die Qualität muss stimmen“.

Das ist der gleiche Satz.

(Zuruf Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber ein Selbstzweck ist aus unserer Sicht jedes Menschenrecht. Selbstverständlich ist jedes Menschenrecht ein Selbstzweck, was denn sonst!

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Wir werden möglicherweise gleich wieder hören, dass die CDU zum Thema Inklusion vor allem über ihre Besuche in Förderzentren berichtet. Wir werden möglicherweise den Kollegen von ganz rechts hören, der über Einschränkungen dieses Menschenrechts spricht. Aus unserer Sicht ist es nun einmal so: Wir müssen im Jahr 2018 nicht mehr die Inklusion begründen, sondern die Exklusion. Für diese Exklusion kann es im Einzelfall Gründe geben - aus der Perspektive des Kindes betrachtet. Deshalb hat auch niemand in diesem Haus jemals beispielsweise gesagt: Wir wollen alle Förderzentren in Schleswig-Holstein schließen. Das ist ja häufig auch so eine Art Pappkameradendiskussion, die wir hier führen. Aber wir wünschen uns - gerade von unserer Ministerin - ein klares Bekenntnis zur Inklusion, ohne Nebensätze und Fußnoten. Frau Prien, Sie haben in der Causa Seehofer eine bewundernswerte Klarheit an den Tag gelegt. Diese Klarheit wünschen wir uns von allen hier auch zum Thema Inklusion. Dann machen wir gemeinsam weiter. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Anette Röttger.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schülerinnen und Schüler oben auf der Tribüne! Liebe Gäste! Als ich diesen Antrag gelesen habe, stellten sich mir gleich drei Fragen. Die erste Frage ist natürlich: Was veranlasst die SPD zu diesem Antrag? Der Anlass ist ein Halbsatz, wohlgemerkt ein Halbsatz aus einer Pressemitteilung unserer Bildungsministerin Karin Prien vom 3. September 2018. Der vollständige

(Martin Habersaat)

Satz lautete sinngemäß: Inklusion ist kein Selbstzweck, auf die Qualität kommt es an.

(Vereinzelter Beifall CDU und FDP)

Wer diese Pressemeldung ganz gelesen hat, hat auch ihre gesamte Botschaft verstanden. Die liegt eindeutig in der Betonung des zweiten Satzteiles: Auf die Qualität kommt es an.

Die zweite Frage, die sich mir stellt: Gibt es einen berechtigten Grund der Antragsteller, unserer Bildungsministerin mit einem solchen Halbsatz eine Grundsatzposition des Landtags abzusprechen? Ich sage ganz klar: Nein, die gibt es nicht. Inklusion ist nicht neu. Der Prozess ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Das sieht auch unsere Bildungsministerin genauso. Da ist es doch weder hilfreich noch zielführend, das Thema auf diese Weise schlechtzureden. Inklusion im Bildungsbereich bedeutet, dass behinderte und nicht behinderte Kinder in einer Regelschule gemeinsam lernen. Basis dafür ist die UN-Konvention über Rechte von Menschen mit einer Behinderung, die Inklusion 2006 zu einem Menschenrecht erklärt hat und 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist.

Als eines der ersten Bundesländer hat sich Schleswig-Holstein bereits seit 1990 um die Inklusion von Schülerinnen und Schülern im schulischen Alltag gekümmert. Schleswig-Holstein gilt mit einer Inklusionsquote von rund 70 % sogar als Vorreiter. Die verbleibenden 30 % übernehmen die Förderzentren. Das ist gut so, aber noch kein Maßstab für Qualität.

Seit 2010 steht die inklusive Beschulung bei uns im Schulgesetz.

Die dritte Frage, die sich mir stellt: Haben wir die aktuellen Herausforderungen zur Inklusion falsch eingeschätzt? - Auch hier ein klares Nein. Gespräche mit Betroffenen und der Blick in die Praxis sind dafür sehr hilfreich. Ich bin beeindruckt und dankbar für die vielen Akteure, die sich inzwischen vor Ort um Inklusion in der Schule kümmern. Sie haben multiprofessionelle Teams entwickeln können und kümmern sich tagtäglich mit viel Engagement, mit Geduld und Ausdauer um die bestmögliche Förderung von Kindern und Jugendlichen. Als Ergebnis kann ich von einem Jamaika-Fachtag zum Thema Inklusion vor Ort in Lübeck zusammengefasst sagen: Mehr Qualität in der Inklusion erfordert mehr Prävention, mehr Platz, mehr Personal und mehr Professionalität. Genau diese Punkte finden sich im Koalitionsvertrag der Jamaika-Koalition unter der Überschrift „Inklusion qualitativ stärken“

wieder. Denn inklusive Bildung bleibt weiter ein wichtiges Ziel unserer Landespolitik.

Der Landesrechnungshof hatte mit dem Bericht zur Inklusion an Schulen im Oktober 2017 enorme Defizite in der Inklusion ausgemacht. Das hohe Tempo bei der Einführung von Inklusionsunterricht müsse gedrosselt werden, und anstatt die Inklusionsquote weiter zu erhöhen, seien zunächst die gravierenden Mängel bei den Rahmenbedingungen zu beheben. Genau daran arbeitet derzeit das zuständige Ministerium unter Leitung der von Ihnen kritisierten Bildungsministerin Karin Prien. Wir brauchen doch nicht nur eine quantitative Übersicht der Angebote, sondern auch einen qualitativen Sachstand über die Umsetzung in den einzelnen Regionen des Landes zu allen Förderschwerpunkten. Denn wir wollen in dieser Legislaturperiode die Qualität der Inklusion verbessern.

(Beifall CDU)

Frau Abgeordnete Röttger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Habersaat?

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Sind Sie bereit anzuerkennen, dass der Maßstab Qualität vor Quantität bereits seit vielen Jahren Konsens der Mehrheit dieses Hauses ist?