Protocol of the Session on September 6, 2018

Sie alle müssen an einem Strang ziehen. Grundlage muss immer eine aktuelle, sektorenübergreifende Planung sein, auf der Basis aktueller Zahlen und unter Einbeziehung der vorherzusehenden Entwicklung. Alle Beteiligten müssen gemeinsam die Rahmenbedingungen gestalten, regional landesweit und auf Bundesebene. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich - und die FDP-Fraktion - schließt sich ausdrücklich dem Dank an Gesundheitsminister Heiner Garg und sein Team für den Bericht an, danke aber auch dafür, dass wir den Bericht heute hören konnten.

(Beifall Jörg Hansen [FDP])

Kinder sind die Zukunft einer jeden Gesellschaft, somit auch der Gesellschaft von Schleswig-Holstein. Neben den Eltern, die eine große Verantwortung haben, hat auch die öffentliche Hand ein Stück weit Verantwortung, dass es unseren Kindern auf ihrem Weg gut geht und sie bestmöglich begleitet werden. Hierzu gehört auch eine umfassende medizinische Versorgung.

Die Chance eines Kindes, sich körperlich und seelisch gesund zu entwickeln, hängt zum einen von Zuwendung und Betreuung, aber eben auch von der Gesundheitsförderung und von der Vorbeugung von Krankheiten ab. Im Kindes- und Jugendalter bilden sich wesentliche gesundheitsrelevante Verhaltensweisen heraus, die dann auch das Erwachsenenalter bestimmen. Viele Gesundheitsstörungen in den ersten Lebensjahren werden zu Risikofaktoren für schwerwiegende Erkrankungen im späteren Leben. Deswegen muss die Gesundheit eines Kindes regelmäßig begutachtet werden.

Einen sehr wichtigen Beitrag hierzu leisten die verschiedenen Vorsorgeuntersuchungen, bei denen ein Arzt oder eine Ärztin die altersgemäße Entwicklung eines Kindes überprüft und dokumentiert. Denn nur weil ein Kind optisch gesund erscheint, heißt das noch lange nicht, dass es wirklich vollumfänglich gesund ist. Deswegen ist diese Aufgabe so wichtig.

(Beifall Jörg Hansen [FDP])

Damit die gesundheitliche Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein auch in Zukunft gesichert ist, brauchen wir eine hochwertige, bedarfsgerechte und vor allem auch gut erreichbare medizinische Versorgung. Es wurde erwähnt, dass es hier und da zwar genug Ärzte gibt, aber

(Aminata Touré)

Probleme bezüglich der Terminvergabe bestehen, vor allem im Hamburger Rand. Das muss man im Auge haben. Es wurde hier auch erwähnt, dass das im Fokus des Ministeriums und der Akteure ist.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung wird ein Viertel aller praktizierenden Kinder- und Jugendärzte in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand gehen. In Schleswig-Holstein ist es ungefähr ein Fünftel, bei dem das in den nächsten Jahren droht. Nachrückende Mediziner sieht man vor allem erst einmal prinzipiell in den Großstädten; auf dem Land, aber auch in Kleinstädten ist es leider etwas schwieriger, Nachfolger zu finden.

Minister Garg hat die Begriffe Ärzteschwemme und Budgetierung erwähnt, die Anfang der 90erJahre von der Bundesregierung angeführt wurden. Da sieht man wieder einmal, dass der Großvater aller Regierungsprobleme, Horst Seehofer, der auch einmal Bundesgesundheitsminister gewesen ist, den einen oder anderen Pflock eingeschlagen hat, von dem wir heute noch negativ tangiert werden. In seiner derzeitigen Funktion scheint es auch nicht besser zu sein.

(Unruhe)

Ein weiterer Aspekt ist, wenn Ärztinnen und Ärzte planen, Kinder zu bekommen. Leider ist es in Deutschland statistisch noch so, dass es bei den Geschlechtern eine große Differenz gibt, was die Inanspruchnahme von Teilzeitmodellen betrifft. Frauen sind weiterhin die überwiegenden Nutzerinnen von Teilzeitmodellen, um Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können. Das ist an sich positiv, aber hier gibt es Druck auf die Versorgung. Warum? Weil wir - was an sich gut ist - immer mehr Ärztinnen haben und es vor allem in dem Bereich der Kinder- und Jugendärzte mehr Frauen gibt. Wenn dort mehr in Teilzeit gearbeitet wird, bedeutet das, dass wir zwar eine höhere Kopfzahl an Ärzten haben, die aber nicht Vollzeit zur Verfügung stehen. Das muss man berücksichtigen und mehr dafür werben, dass Teilzeit und Elternzeit mehr von Männern in Anspruch genommen wird.

Bezüglich des zukünftigen Bedarfs noch ein Hinweis des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte: Dieser hat im letzten Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass chronische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auf dem Vormarsch sind. Chronische Erkrankungen, die behandelt werden müssen, werden immer mehr. Dazu gehören zum Beispiel Magen- und Darmerkrankungen, Asthma, Diabetes oder auch Migräne. Um solche Erkrankungen, die aufwendig behandelt werden müssen,

auch in Zukunft gewissenhaft behandeln zu können, werden wir vermutlich noch mehr Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin brauchen als heutzutage.

Wir alle wollen eine hochwertige, bedarfsgerechte und gut erreichbare medizinische Versorgung in Schleswig-Holstein. Ich freue mich - das wurde heute klar -, dass KVSH, Ärztekammer, Landesregierung, aber auch die meisten Fraktionen in diesem Hause genau das im Fokus haben, und freue mich - es wird sicherlich noch einmal eine Debatte dazu geben -, dass wir da überwiegend am gleichen Strang ziehen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Auch von uns aus ein Dankeschön an Minister Garg für den Bericht, vor allem in der Kürze der Zeit. Sehr viele Zahlen, sehr genau recherchiert, das könnte nicht besser sein. Aber auch ein Dank an die SPD-Fraktion; Ihre Initiative ist wichtig, denn wenn Presse, wenn NDR, wenn Fernsehen über den Kinder- und Jugendärztemangel berichten, wenn uns Briefe von Eltern erreichen, die nicht fassen können, wie lange sie auf einen Termin warten müssen, dann ist es mit Sicherheit Grund genug, dass sich Politik, also hier und heute auch dieses Hohe Haus, mit der Problemlage befasst.

(Unruhe)

Ich kann von hier aus heute nicht abschätzen, ob das rechtzeitig genug geschieht, aber dass man keinesfalls passiv bleiben darf, ergibt sich schon daraus, dass niemand von uns riskieren möchte, dass ähnliche Versäumnisse eintreten wie bei den Landärzten.

Die Ursachen und Gründe für die derzeitige Situation sind zum größten Teil von meinen Vorrednern schon genannt worden; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Allerdings - das klang im letzten Redebeitrag an - sind sie auch nicht ganz überraschend. Blättert man einmal in den Protokollen und Veröffentlichungen des Berufsverbands der Kinderund Jugendärzte aus den letzten Kalenderjahren,

(Dennys Bornhöft)

findet man eindeutige Aussagen und Warnungen. Eine zitiere ich einmal -

(Anhaltende Unruhe)

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. - Könnten wir vielleicht die letzten Minuten etwas konzentrierter sein? - Danke.

Danke sehr. - Ich zitiere den Berufsverband aus dem Jahr 2017:

„Die Mehrbelastung der Kinder- und Jugendärzte wird von der Politik vollkommen ignoriert … Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, eine wieder steigende Geburtenrate und Flüchtlingskinder verschärfen die Situation in den Praxen.“

Auch die anderen Gründe - mehr Vorsorgeuntersuchungen, qualifizierte Krankschreibungen, Atteste für Kindergarten und Schule, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht, die bevorstehende Ruhestandswelle, überproportional häufiger Besuch von kranken Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund, steigende Zahl chronischer Erkrankungen -, all das äußerte der Verband auch schon 2017.

Aus dem Bericht des Ministeriums habe ich nicht hinreichend heraushören können, ob und wie Politik die Forderungen des Verbands erreicht haben. Für mich ist noch nicht klar, wie sehr die Verantwortlichen mit dem Verband ins Gespräch gekommen sind und - wenn ja - welche konkreten Maßnahmen möglicherweise schon eingeleitet worden sind.

Über die Datenlage und Bedarfsplanung wurde ebenfalls schon berichtet. Auf dem Papier scheint alles zu stimmen, es gibt rechnerisch genügend Kinderärzte. Gleichzeitig spiegelt die Statistik die gefühlte Realität nicht wider, zumindest nicht die Realität in den unterschiedlichen Regionen; das Stichwort Hamburger Umland ist schon gefallen.

Das führt uns zu der Frage, ob nicht nur die Datenlage, sondern ob darüber hinaus auch die derzeit angewandten Berechnungsmethoden unzeitgemäß sind und modernisiert werden sollten. Ich möchte das hier als Frage stellen.

Meine Damen und Herren, Sie kennen den alten Spruch von Kurt Schumacher: „Politik fängt mit der Betrachtung der Wirklichkeit an“. Wenn Politik Abhilfe schaffen soll oder - besser - wenn Politik

präventiv wirken soll, gehört die Berechnungsmethode der Datenlage auf den Prüfstand, und dann gehört das Thema aus meiner Sicht auch noch einmal in den Sozialausschuss, was ich hiermit beantragen möchte.

Eines zeichnet sich für mich nach den Redebeiträgen und dem Bericht des Ministeriums noch klarer ab als vor der heutigen Plenarsitzung: Es gilt, perspektivisch keine Zeit mehr zu verlieren, gerade weil wir es mit einer ganz vielschichtigen Problematik zu tun haben. Ein Zustand, dass Eltern mit ihren Kindern nicht mehr zum Kinderarzt gehen, weil sie um Termine betteln müssen, darf auf keinen Fall eintreten. Kinder brauchen Kinderärzte, und wir sollten alle daran arbeiten, dass es davon auch morgen noch genügend gibt. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich möchte mich bei dem Minister und seinem Team für den ausführlichen Bericht bedanken. Ich muss zugeben, dass mich die Zukunft der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen beunruhigt. Wenn in manchen Regionen von Aufnahmestopps und monatelangen Wartezeiten die Rede ist, ist das schlimm genug, wenn aber der Verband der Kinder- und Jugendärzte dazu klar vorhersagt, dass innerhalb der kommenden fünf Jahre ein Viertel der von ihnen vertretenen Mediziner in Rente geht, ist das alarmierend.

Grundsätzlich beschäftigt uns der Ärztemangel regelmäßig, und trotzdem weist die SPD hier auf eine drohende Lücke in der Versorgung hin. Aus Sicht des SSW sollten wir uns deshalb dringend intensiver mit diesem Problem beschäftigen. Aus dem Bericht ging ja auch klar hervor, dass man schon ein Augenmerk darauf hat.

Schon im Antrag sind wesentliche Faktoren aufgelistet, die zu Engpässen bei ärztlichen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen führen. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss ich eines klar sagen: Wir setzen weder hinter den Nutzen vermehrter Vorsorgeuntersuchungen noch hinter die zunehmende Inanspruchnahme anderer medizinischer Leistungen ein Fragezeichen.

(Dr. Frank Brodehl)

(Vereinzelter Beifall SSW und SPD)

Alle Kinder und Jugendlichen im Land haben selbstverständlich den Anspruch auf eine hochwertige medizinische Versorgung - unabhängig von der Region, in der sie leben. Es ist zuallererst die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkassen, dies zu organisieren und langfristig sicherzustellen.

Es ist nicht nur Fakt, dass mehr Vorsorgeuntersuchungen stattfinden und allgemein mehr medizinische Leistungen in Anspruch genommen werden, sondern es ist auch klar, dass diese Untersuchungen, die Krankheitsbilder und ihre Behandlungen oft anspruchsvoller als früher sind. Wir wissen, dass der Bedarf vor allem dadurch steigt, dass erfreulicherweise einfach mehr Kinder geboren werden.

Eigentlich ist das meiste davon nicht neu. Diese Dinge müssten in der Versorgungsplanung berücksichtigt werden. Doch leider stehen wir hier vor ähnlichen Problemen wie zum Beispiel bei den Landärzten. Es fehlen Anreize, um diesen Beruf zu ergreifen. Für angehende Mediziner sind andere Fachbereiche deutlich attraktiver - zum Teil auch aus finanziellen Gründen.

Laut Bedarfsplanung haben wir bei Kinder- und Jugendärzten keine Unterversorgung. In der Realität sieht es an manchen Stellen im Land gefühlt anders aus. Mir ist bewusst, dass wir uns die fehlenden Mediziner nicht einfach schnitzen können. Ich denke aber schon, dass die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen diese Versorgungslücke noch ernster nehmen und gegensteuern könnten. Spätestens nach der Reform der Bedarfsplanung auf Bundesebene wird es hier Möglichkeiten geben, die man auch nutzen muss.

(Beifall SSW und SPD)

Natürlich stehen auch wir Landespolitiker in der Verantwortung. Ich denke zwar, dass detailliertere Daten zur tatsächlichen Versorgungslage nicht schaden könnten. Wenn aber ein erheblicher Teil der Ärzteschaft zeitnah in Rente geht, muss dringend die Basis für Nachwuchs verbreitert werden.