Protocol of the Session on September 5, 2018

(Lars Harms)

weit bewegt sich also bereits etwas. Es wäre doch eine Schande, wenn wir die Leute, die wir hier ausbilden, wenn sie gut sind, die Lust haben, unsere Gesellschaft mit uns gemeinsam zu entwickeln, später einfach wieder abschieben. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, für diese Menschen einen Spurwechsel zu ermöglichen.

Was also müssen wir tun? Wir können hier natürlich resolutionieren; das tun wir ja auch. Wir werden heute auch einen entsprechenden Beschluss fassen. Wir sind der Auffassung, dass der Antrag der SPD-Fraktion der weitgehendste ist und man dem zustimmen kann. Ob wir diesen Beschluss dann mit „Abschiebestopp“ überschreiben oder ihn anders nennen, ist dabei unerheblich. Aber ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass wir jemanden, der hier eine dreijährige Ausbildung beendet, nicht einfach vom Hof jagen können, sondern ihn hierbehalten wollen.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist das Signal, das wir mithilfe des SPDAntrags geben wollen, natürlich das richtige Signal. Aus diesem Grunde werden wir diesem Antrag zustimmen. Sollte dieser Antrag aber nicht eine Mehrheit bekommen - das mag ja sein -, würden wir selbstverständlich auch dem Koalitionsantrag zustimmen, weil er zumindest einen Spurwechsel beinhaltet. Obwohl er also nicht der weitgehendste Antrag ist, bedeutet er immerhin einen Spurwechsel. Wer weiß, was sich daraus noch entwickeln wird. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem ersten Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Serpil Midyatli von der SPD.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt viele Argumente gehört, warum gut integrierte geflüchtete Menschen in Deutschland bleiben sollen. Leider habe ich jedoch keinen Weg von Ihnen aufgezeigt bekommen, wie das auch für diejenigen realisiert werden soll, die aktuell von der Abschiebung bedroht sind. Genau darum nämlich geht es in unserem Antrag.

(Beifall SPD)

Es geht nicht, verehrte Kollegin Touré, um eine Bleiberechtsregelung - über die wir bereits im letzten Plenum diskutiert haben - für Menschen, die mindestens vier, sechs oder acht Jahre in Deutschland leben, um diese Bleiberegelung in Anspruch nehmen zu können. Über diese Menschen reden wir jetzt gar nicht, sondern wir reden heute über die Menschen, die seit anderthalb oder zwei Jahren hier sind, die von der Abschiebung akut bedroht sind.

Der Staatssekretär Geerdts ist mittlerweile genervt von all den Anfragen hierzu, die ich selbstverständlich an das Innenministerium weiterleite. Dabei geht es um jemanden, der seine Ausbildung nicht beginnen darf, weil er abgeschoben werden soll. Oder es geht um eine Familie, die bereits in Arbeit ist oder eine Ausbildung beginnen möchte, der aber die Arbeitserlaubnis entzogen werden soll, weil sie abgeschoben werden soll. All diese Menschen sind jetzt konkret von Abschiebung bedroht. Mit diesen Menschen befasst sich unser Antrag.

Sowohl ich als auch meine Fraktion haben sehr wohlwollend aufgenommen, dass Sie, Herr Ministerpräsident - so habe ich Sie jedenfalls verstanden -, sich dafür einsetzen wollen, dass so schnell wie möglich eine Regelung herbeigeführt wird.

Nun reden wir seit 2005 über ein Einwanderungsgesetz. Das aber kommt und kommt und kommt nicht. Und wenn es dann kommt, enthält es 1.000 Regelungen,

(Zuruf Barbara Ostmeier [CDU])

die dann auch sehr streng sein müssen. Herr Rossa, ich habe Ihnen genau zugehört. Es wird also noch viel Diskussionsbedarf geben, wenn eines Tages wirklich ein sehr strenges Einwanderungsgesetz mit einer Punkteregelung kommt, die Sie von Kanada abgeguckt haben. Die Kanadier überarbeiten übrigens gerade ihr Einwanderungsgesetz, weil es nicht zielführend ist; man geht dort weg von dem Punktesystem.

Jetzt aber, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es darum, den Menschen zu helfen, die aktuell in Ausbildung sind oder die mit ihrer Ausbildung beginnen sollen. Es gibt diese Fälle in SchleswigHolstein; es gibt auch mehrere Anträge bei der Härtefallkommission, und ich erwarte in dieser Woche eine Entscheidung darüber. Viele von Ihnen können sich an das Mentee-Programm der AWO erinnern. Meine beiden Mentees im AWO-Programm sind gerade von der Abschiebung bedroht, obwohl der Vater hier arbeitet. Auch die Mutter hätte jetzt eine Ausbildung starten können. Diese Familie soll jetzt abgeschoben werden, weil es für sie keine Bleibe

(Lars Harms)

rechtsregelung gibt. Es geht also um ganz konkrete Fälle.

Deswegen bittet Sie die SPD-Fraktion, dass Sie, bis es zu einer Regelung kommt, hier ein Abschiebemoratorium einrichten, um zu schauen, ob die Menschen, die bereits gut integriert sind, hierbleiben können.

Was das Argument betrifft, wir würden dann alle Türen und Tore aufmachen für Menschen, die auf anderem Wege hierherkommen werden, kann ich nur sagen: Wenn man sich einmal die Zahlen anschaut, stellt man fest, die Menschen aus dem Balkan dürfen jetzt Arbeitsmigration über Visa bekommen. Diese Menschen sind früher über das Asylsystem zu uns gekommen. Für diese Menschen also haben wir bereits eine Regelung geschaffen. Es liegen schon jetzt mehr als 100.000 Arbeits- und Migrationsvisen für Menschen aus dem Balkan vor. Wenn man diesen Menschen also eine Möglichkeit gibt, über einen anderen Weg nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten - selbstverständlich sozialversicherungspflichtig zu arbeiten -, dann werden diese Menschen diesen Weg auch nutzen und keinen anderen; sie werden also nicht den Weg über Asyl wählen.

Bitte, stimmen Sie unserem Antrag zu! - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Volker Schnurrbusch von der AfD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Rossa, vielen Dank für Ihre Worte. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die AfD bereits seit ihrem Bestehen, seit dem Jahre 2013 ein Einwanderungsgesetz nach dem Punktesystem nach kanadischem Vorbild fordert. Wir sind damals als „EinThema-Partei“ beschimpft worden, als Anti-EuroPartei, als Anti-Europäer und so weiter. Heute werden wir zwar anders beschimpft, aber wir haben auch damals schon deutlich mehr zu bieten gehabt. Ein Beleg dafür ist dieses Einwanderungsgesetz nach dem Punktesystem.

Ich möchte Ihren Blick aber auf die unselige Debatte um den „Spurwechsel“ richten, den wir als Partei der Rechtsstaatlichkeit kategorisch ablehnen. Ein

Aspekt gerät dabei nämlich leider viel zu oft aus dem Blick, nämlich die Konsequenzen für die Herkunftsländer der vermeintlichen Fachkräfte.

(Unruhe)

- Beruhigen Sie sich, Herr Hölck; hier geht es um Fachkräfte.

Dort, in den Herkunftsländern, richtet diese Politik der Integration per Express und um jeden Preis nämlich erheblichen Schaden an. Denn wenn die hier Gestrandeten wirklich Fachkräfte sein sollten das gilt es zu überprüfen, wie ja auch Sie sagten -, dann fehlen diese Fachkräfte in ihrer Heimat.

Ich hatte in diesem Sommer selber die Gelegenheit, Syrien zu besuchen. Ich war nicht nur in Damaskus, sondern auch in Aleppo, in Homs, in Duma. Überall dort schweigen die Waffen. Die Lage ist ruhig. In 80 % des Landes wird wieder aufgebaut.

Der Endkampf um Idlib beginnt gerade. Dort dürften die islamistischen Terrorgruppen von IS, AlKaida und wie sie alle heißen bald auch besiegt sein.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Wollen Sie lieber die Extremisten an der Regierung haben, Herr Habersaat? Wollen Sie lieber, dass Erdogan die Islamisten fördert? - Dann wird auch in Idlib ebenso wie im Rest des Landes der Wiederaufbau beginnen. Darum geht es hier: Der Wiederaufbau ist entscheidend; entscheidend ist nicht, wer an der Regierung ist.

Ich hatte die Gelegenheit, mit vielen Bürgern vor Ort zu sprechen, mit Handwerkern, mit Ladenbesitzern, mit Lehrern, mit Studenten, mit ehemaligen Kämpfern gegen Assad, Herr Habersaat, und mit Kämpfern für Assad. Denn man macht sich als Journalist immer ein ganzes Bild. Das sollten Sie sich einmal zu Herzen nehmen.

(Beifall AfD)

Und ausnahmslos alle haben mir gesagt, wie wichtig sie es finden, dass ihre Landsleute in die Heimat zurückkommen, um den Aufbau wieder in die Hand zu nehmen. Es ist absolut unverständlich für mich und meine Kolleginnen und Kollegen, wenn man dort alte Menschen sieht, Frauen und sehr viele Kinder, die dort in den Ruinen leben, ihre Wohnungen wieder herrichten, kleine Läden wieder aufmachen, und hier sieht man junge, arbeitsfähige Männer, die nichts tun oder nicht arbeiten, warum auch immer. Das lassen wir einmal dahingestellt.

(Serpil Midyatli)

Deswegen sagen wir: Spurwechsel? Nein danke. Schicken wir diese arbeitsfähigen Männer und Frauen zurück nach Syrien. Dort haben sie ihre Wurzeln, dort werden sie gebraucht. Unseren Fachkräftebedarf können wir auch anders lösen, nämlich zum Beispiel mit einem Einwanderungsgesetz, das die berufliche Qualifikation in den Vordergrund stellt, bei dem es ein Punktesystem gibt und bei dem nichts mit dem Asylrecht vermischt wird. Das halten wir für unzulässig, und deshalb lehnen wir auch den Jamaika-Antrag ab. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in dieser Diskussion noch einen weiteren Aspekt einbringen, der etwas mit dem demografischen Wandel und der Problematik für den Arbeitsmarkt zu tun hat.

Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat regelmäßig und mehrfach gezeigt, dass zum Aufrechterhalten unserer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Zuwanderung von 200.000 bis 300.000 Menschen jährlich erforderlich ist. Insofern sind wir gut beraten, alle diejenigen Menschen - Lars Harms hat auf diese Zahlen hingewiesen -, die fähig und willig sind, in unserem Land Arbeit und Ausbildung aufzunehmen, zu halten, weil wir sie dringend brauchen. Warum wir das brauchen, möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten an einem Zitat von Jutta Allmendinger deutlich machen, die nicht nur als Soziologin, sondern auch als Präsidentin des WZB bekannt ist. Sie hat das schon im Jahr 2010 mehrfach wiederholt und Folgendes formuliert:

„Wir brauchen Einwanderung. Und wir sollten nicht zu arrogant sein zu glauben, dass wir die gut Gebildeten, die wir brauchen, auch bekommen.“

Das ist ein Verweis auf die Diskussion von eben, sie führt nämlich fort:

„Warum sollte ein hoch qualifizierter Ausländer in ein Land gehen, in dem er sich ständig dafür rechtfertigen muss, dass er hier ist?

(Zuruf SPD: Ja!)

Es ist keineswegs ausgemacht, dass die Menschen nach der Öffnung der europäischen Arbeitsmärkte zu uns strömen.“

Wenn wir sie also schon haben, dann sollten wir uns darum kümmern, dass sie hierbleiben und ihre Arbeit aufnehmen können. - Schönen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat die Abgeordnete Barbara Ostmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Serpil! Du kannst mir glauben, dass wir in der Jamaika-Koalition intensiv auch über euren Antrag diskutiert haben. Und menschlich, glaube ich, kann ich das sehr sehr gut nachvollziehen, was du hier geschildert hast. Es geht vielen von uns so, dass uns die Einzelschicksale sehr am Herzen liegen und wir hier Lösungen finden müssen.