Protocol of the Session on September 5, 2018

Viel schwieriger wird es sein, die genannten Belastungsfaktoren zu senken. Genannt wurden vor allem Termin- und Leistungsdruck mit 63 % und zusätzliche Aufgaben mit 62 %.

(Anita Klahn)

Meine Damen und Herren, von wem gehen Terminund Leistungsdruck eigentlich aus? Woraus resultieren zusätzliche Aufgaben? - Quasi in Ergänzung zur Erhebung der Studie - die Zahlen haben wir schon gehört - greife ich zur Beantwortung auf die berufliche Rückschau einer vor Kurzem pensionierten Lehrerin zurück. Sie können das im „Hamburger Abendblatt“ vom 30. Juli 2018 nachlesen. Im Wesentlichen beschreibt die Pädagogin vier Felder, die sie immer wieder Kraft gekostet haben, die sie immer wieder herausgefordert haben: Schülerschaft, Elternschaft, Schulstruktur und Politik/Gesellschaft.

Ich beginne mit Letzterem. Vielen engagierten Kollegen fehlen Anerkennung und Respekt für ihre geleistete Arbeit. Hier dürfen wir vonseiten der Politik keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass wir unsere Kinder bei den Lehrern in absolut professionellen und kompetenten Händen wissen. Die Autorität der Lehrer muss seitens der Politik weiter gestärkt werden, mehr gestärkt werden als bisher. Ich denke, darüber gibt es in diesem Haus sicherlich einen Konsens.

Zur Schulstruktur beschreibt die Pädagogin, wie viel Kraft sie die Schulstruktur in den letzten zehn, zwanzig Jahren gekostet hat. Kontinuität ist seit dem Jahr 2009 weitgehend eine Fehlanzeige, stattdessen erfolgten viele Reformen, die oftmals auch noch den Charakter von Experimenten hatten.

Kommen wir nun zu den Eltern, die sich - so die Pädagogin - gewandelt haben. Ich meine ja, dass sich die Eltern gar nicht gewandelt haben, sondern habe selber gespürt, dass sie sich heutzutage mehr Sorgen machen als früher, ob ihr Kind genug lernt, ob es gut aufgehoben ist. Das ist zunächst einmal absolut legitim.

Ich lese Ihnen in diesem Zusammenhang einen Brief vor, der mich in den Sommerferien erreichte. Die Absenderin schreibt über ihre Grundschulerfahrung ihrer immerhin sechs Kinder - ich zitiere -: Es wird zusehends die Unterrichtsgestaltung an die Schwächeren angepasst. Auch meine jetzige Grundschultochter muss ich selbstständig auf die Anforderungen des Gymnasiums vorbereiten. Für berufstätige Eltern ist das nicht mehr zu leisten.

Wir könnten jetzt natürlich über die Anspruchshaltung der Mutter sprechen - darüber kann man diskutieren -, oder wir könnten zugeben, dass die Mutter tatsächlich einen wunden Punkt anspricht, und zwar den der Problematik zu heterogener Klassen, in denen das eher unauffällige Kind allzu oft übersehen wird, natürlich nicht, weil der Lehrer es

möchte, sondern weil sich der Lehrer nun mal nicht teilen kann. Gleichzeitig aber spürt er den Erwartungsdruck der Eltern.

Damit zu den Schülern. Hier spricht die Pädagogin von geringerer Konzentrationsfähigkeit als früher und von großen Disziplinschwierigkeiten. Beides bindet natürlich enorm viel Kraft und Aufmerksamkeit und ist in der Realität nach meinem Dafürhalten nur zu schaffen, wenn die Schere nicht zu weit auseinandergeht, sprich: wenn die Klassen nicht zu heterogen werden.

Man glaubte übrigens lange, dass man der wachsenden Heterogenität von Lerngruppen besonders gut dadurch begegnen könnte, dass man alles noch heterogener macht. Dass daraus aber entsprechend zusätzliche Anforderungen, Aufgaben und Termine für die Lehrkräfte resultieren, ist in meiner 20-jährigen Erfahrung viel zu wenig beachtet worden.

Mit Sicherheit bringen hier ein Bildungsbonus und eine Multiprofessionalisierung von Schule Entlastungen für die Lehrer. Gleichzeitig - ich weiß gar nicht mehr, wer eben den Begriff von der rosaroten Brille in den Mund nahm, die man absetzen müsse bin ich davon überzeugt, dass wir auch darüber nachdenken müssen, dass diese Schere der Heterogenität nicht immer weiter auseinandergeht, sondern vielleicht sogar weiter geschlossen werden kann. Das würde allerdings auch bedeuten, dass wir über Individualisierung, über Inklusion, über Integration, über den Erziehungsauftrag von Schule und auch über die Auswirkungen der Abschaffung des qualifizierten Schulsystems oder der Abschaffung der Vorschule ergebnisoffen diskutieren sollten.

Meine Damen und Herren, Sie sehen aus dem Bericht, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Ein Teil der Herausforderungen - Stichwort Lärm - sollte umgehend angegangen werden. Auf anderen Feldern wird es notwendig sein, Belastungsfaktoren, die hausgemacht sind, klar zu identifizieren und dann die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die weitere Analyse und das weitere Vorgehen des Ministeriums werden dabei helfen, diese Faktoren auszumachen - und das zum Wohle unserer Kinder und auch unserer Lehrer; denn das ist die Hauptsache. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Besucherinnen

(Dr. Frank Brodehl)

und Besucher des Kulturvereins Jarplund. - Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Beifall)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Jette Waldinger-Thiering das Wort.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für den uns vorliegenden Bericht über die Arbeitsfähigkeit und Gesundheit aus Sicht der Lehrkräfte bedanken. Schade ist natürlich die nicht allzu hohe Rücklaufqoute, die bei 30 % liegt. Aber dafür liefert der Bericht selber sinnige Erklärungen. In der Vorweihnachtszeit haben die Lehrkräfte ohnehin genug zu tun, und da bringt wohl nicht jeder die Geduld auf, den Link zur Befragung händisch einzugeben. Nur so viel zum Fortschritt der Digitalisierung in der Schule.

Es ist nun so: Die neuen Erkenntnisse sind nicht wirklich neu. Nur knapp über die Hälfte unserer Lehrkräfte gibt selbst an, eine „sehr gute“ oder „gute“ Arbeitsfähigkeit zu haben. 79 % sehen sich bei „guter“ bis „ausgezeichneter“ Gesundheit. 72 % sind im Allgemeinen mit ihrer Arbeit zufrieden. Und immer noch sehen sich zu viele gezwungen, zur Arbeit zu gehen, obwohl sie krankheitsbedingt besser zu Hause geblieben wären.

Die häufigsten Belastungsfaktoren - davon haben wir schon viel gehört - bleiben Lärm, der Terminund der Leistungsdruck sowie zusätzliche Aufgaben, die die Lehrkräfte zu erfüllen haben. Hier muss gehandelt werden. Aber auch das wussten wir ja schon vorher.

Natürlich sind auch Lehrerinnen und Lehrer nicht davor gefeit, dass sie die Schwierigkeiten im Beruf mit nach Hause nehmen, sodass das Privat- und Familienleben durch den Beruf beeinträchtigt wird. Es ist völlig verständlich, dass die Probleme, die im Schulalltag auftauchen, auch zu Hause noch nachwirken. Es hinzubekommen, im Feierabend eine richtige Distanz zu finden, ist vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben, die man für seine eigene Gesundheit lernen muss.

Erfreulich ist immerhin, dass 90 % der Lehrkräfte angegeben haben, dass sie sich gegenseitig unterstützen und dass sie ein gutes Gemeinschaftsgefühl im Kollegium haben. Aber das ist ein Punkt, den sich das Land - so gern man das vielleicht täte nicht auf die eigene Fahne schreiben kann. Da haben wir Glück, dass wir engagierte, soziale und em

pathische Lehrkräfte an unseren Schulen haben, die sich gegenseitig unterstützen.

Auch aus dieser Statuserhebung wird wieder deutlich, dass die Zusatzbelastungen neben dem Unterrichten einfach nicht zu unterschätzen sind. Das wird eben auch dann zum Problem, wenn wir unsere Schulleitungsstellen zu besetzen haben. Es kann ja nicht sein, dass das Land die vakanten Stellen anbieten muss wie saures Bier. Wenn diese Stellen teilweise zwei- oder sogar dreifach ausgeschrieben werden müssen, bevor sie mit der einen Bewerbung, die es gab, besetzt werden können, müssen wir dringend mehr Anreize schaffen. Es werden zu viele Schulen kommissarisch geführt.

Genauso wenig darf es sein, dass Schulleitungen einer derart steigenden Arbeitsbelastung ausgesetzt sind, dass sie nur noch die Möglichkeit haben, Überlastungsanzeigen beim Ministerium einzureichen, wie es im April öffentlich wurde. Die Ankündigung, Schulleitungen besser zu bezahlen, kann deswegen nur folgerichtig sein. Vielmehr muss aber noch dafür gesorgt werden, dass die Leitungszeit erhöht wird, damit die zusätzlichen Aufgaben angemessen bewältigt werden können. Das ist ein Punkt, der ganz klar zeigt - das haben alle Vorredner gesagt -: Die ganzen Aufgaben, die auf die Lehrerinnen und Lehrer und auf die Schulleitungen einprasseln, sollten dazu führen, dass die Schulleitungen mehr Leitungszeit bekommen, damit all das Organisatorische auch ordentlich geregelt werden kann. Dann müssen sich die Lehrer nicht weiter damit auseinandersetzen, sondern sie bekommen klar definierte Aufgaben. Das wäre ein Punkt - den kannten wir allerdings auch vorher schon -, an dem wir ansetzen können.

Die Schulleitungen haben einfach einen großen Mehraufwand, den sie stemmen müssen. Außerdem wissen wir, dass die Belastungen an unseren Schulen mit besonderen Herausforderungen nach wie vor besonders hoch sind. Hier werden weitere Mittel für multiprofessionelle Teams gebraucht.

Ich habe nichts gegen ein wissenschaftlich basiertes Konzept zur Verbesserung des Gesundheitsmanagements an Schulen. Noch weniger habe ich etwas dagegen, dieses gründlich im Ausschuss zu diskutieren und zu vertiefen. Aber wenn wir ehrlich sind, sind die Ursachen der Erkrankungen und Belastungen von Lehrkräften mittlerweile hinlänglich bekannt. Da kann noch ein und noch ein und noch ein Bericht einfach wie eine Hinhaltetaktik wirken, wenn er denn keine neuen Erkenntnisse bringt.

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

Ich möchte noch auf die Frau Ministerin in Bezug auf ihre letzten Argumente beziehungsweise Verfahrensweisen eingehen, wonach sie beziehungsweise die Landesregierung Nägel mit Köpfen machen. Sie sprachen davon, mit wem Sie das weiter diskutieren wollen. Mir fehlt dabei die Nennung der Gewerkschaft; denn die Gewerkschaft ist ja auch dafür da, dass sie mit den Lehrkräften diskutiert beziehungsweise deren Belange voranbringt. Insofern wäre es gut, wenn Sie auch die GEW einladen würden. Denn die Leitungszeit der Schulleitungen sowie die Koordinierungsstunden für Lehrerinnen und Lehrer sind ganz wichtige Punkte, bei denen es sich lohnt, ganz viel Druck aus dem Kessel zu nehmen. Insofern bleibt noch viel zu tun.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und auf hoffentlich bald neue Erkenntnisse, die dann auch tatsächlich einmal umgesetzt werden.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Heiner Dunckel. - Gleich, Herr Habersaat.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, auch von mir ein herzliches Dankeschön für Ihren ausführlichen und interessanten Bericht sowie für die Studie. Wir können wirklich festhalten: Es gibt eine Reihe von positiven Merkmalen, insbesondere was die Ressourcen anbetrifft.

Dennoch: Die gesundheitliche Situation - Kai Vogel hat darauf hingewiesen - der Lehrerinnen und Lehrer ist beunruhigend. Wenn wir die Daten und Ergebnisse nämlich ein bisschen anders lesen - Kai Vogel hat es anhand der Arbeitsfähigkeit deutlich gemacht -, dann berichtet eben nur noch die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer von einer einigermaßen akzeptablen Arbeitsfähigkeit.

Noch dramatischer wird es, wenn wir das ein bisschen anders lesen, beim Leistungsdruck. Wenn Sie nämlich diejenigen, die nur über ein bisschen Leistungsdruck klagen, in die Kategorie derjenigen einrechnen, die über großen Leistungsdruck klagen, dann heißt das, dass praktisch alle Lehrerinnen und Lehrer über Leistungsdruck klagen.

In Klammern gesagt: Leistungsdruck ist insofern außerordentlich bedeutsam, weil Leistungsdruck eine der zentralen Ursachen für psychosomatische

Beschwerden bis hin zu koronaren Herzerkrankungen ist. Das heißt, es ist nicht nur irgendein Merkmal, sondern ein besonders dramatisches für die Gesundheit.

Wenn ich die Studie richtig lese, dann sind als Ursachen zwei Faktoren genannt: Führung und Arbeitsbelastung. Das sind zwei strukturelle Belastungen.

Das bringt mich noch zu einem weiteren Punkt, nämlich - Sie haben das in „Schule aktuell“ 2018 im Frühjahr gelesen - es wird von vielen Maßnahmen gesprochen, die eher personelle Maßnahmen sind. Ich glaube, wir müssten das Arbeitsschutzgesetz - darauf möchte ich hinweisen - als ein verpflichtendes sehen. Da bin ich nicht nur bei den Gewerkschaften, da bin ich auch bei den Betriebsräten, Personalräten, die nach dem Arbeitsschutzgesetz beteiligt werden müssen. Das ist nicht nur eine Frage, ob sie es wollen oder nicht. Daran möchte ich erinnern. Das Arbeitsschutzgesetz sagt ganz deutlich, vorrangig strukturelle Maßnahmen bei der Ursache dieser Belastungen anzusetzen.

Das möchte ich gern noch einmal betonen. Es geht nicht um personelle Maßnahmen, sondern es geht zunächst einmal vorrangig um strukturelle Maßnahmen, um den Abbau der Belastungen, um Verminderung des Zeitraumes, um Verminderung der Störungen. Da ist der Lärm nur eine - zugegeben wichtige - Maßnahme. Insofern möchte ich in der Tat auch diese strukturellen Maßnahmen anmahnen. Wir vermeiden damit auch, so zu tun, als ob die Belastung ein Problem der Lehrer sei, quasi nur ein personelles Problem, das ich als Lehrer habe. Nein, wesentlich sind die strukturellen Ursachen. - Schönen Dank.

(Beifall SPD)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Loose und Frau Klahn können die Ellbogenchecks nicht lassen bei diesem Thema.

(Zurufe Tobias Loose [CDU] und Anita Klahn [FDP])

Nun erzählen Sie hier, Frau Klahn, es seien bildungspolitische Reformen gewesen, die für mehr Stress gesorgt haben.

(Jette Waldinger-Thiering)

(Anita Klahn [FDP]: Das weiß ich, ja!)

- Ja, das ist so. Das sind dann aber alle bildungspolitischen Reformen, und das ist auch die Rückkehr zu G 9 in dieser Legislaturperiode.