Protocol of the Session on July 4, 2018

(Beifall FDP - Claus Schaffer [AfD]: Das merken wir uns!)

- Ja, wenn Sie etwas sagen möchten, dann können Sie mir eine Frage stellen. Darüber bin ich dann sehr glücklich.

Herr Kollege Rossa, der Aufforderung kommt der Abgeordnete Dolgner wahrscheinlich mit großer Freude nach. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?

Also: Sie meinen, dass solche Grundrechte wie Versammlungsfreiheit oder Meinungsfreiheit in unseren Verfassungen in Deutschland überflüssig sind, weil sie ja in anderen Ländern viel stärker gefährdet sind? Das ist doch die Logik.

(Zurufe)

- Das ist überhaupt kein Unfug. Wenn man sagt, man muss ein Grundrecht nicht in eine Verfassung reinschreiben, weil es anderswo stärker gefährdet ist, dann ist das genau die Logik.

(Claus Schaffer [AfD]: Das war genau die Argumentation vom Kinderschutzbund!)

- War das die Frage? - Dann beantworte ich die gern. Herr Dolgner, das Niveau Ihrer Frage enttäuscht mich ein bisschen, das muss ich ehrlich sagen.

(Beifall FDP)

Wir haben eine Sozialbindung des Eigentums. Wir haben uns in Artikel 20 zu einem sozialen Rechtsstaat bekannt.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

- Darf ich jetzt in Ruhe ausreden? Das wäre gut. Sie können gern eine Frage stellen, aber bei vereinzelten Problemen immer die große Keule herauszuholen, das funktioniert nicht, meine Damen und Herren von der Opposition.

Es gibt gewisse Grundrechte, die historisch bedingt geschaffen worden sind. Ich werde mit Sicherheit nicht das Versammlungsrecht infrage stellen. Ich werde im weiteren Verlauf meiner heutigen Rede darlegen, warum wir ein Grundrecht auf Wohnen in dieser Verfassung nicht brauchen, nämlich weil wir ein entsprechend gravierendes Problem und Bedürfnis in der Form, wie Sie es hier beschreiben, nicht haben.

Herr Kollege Rossa, ich gehe davon aus, dass Herr Dolgner sich gerade zu einer weiteren Zwischenfrage gemeldet hat.

Eine Frage ist es nicht, sondern tatsächlich eine Intervention: Ich stelle fest, dass Sie mir auf meine Frage nach Ihrer Argumentationslogik, in anderen Ländern ist ein Problem schwerwiegender, deshalb braucht man es nicht in eine Verfassung zu schreiben, nicht geantwortet haben.

- Das ist nicht meine Argumentationslogik, Herr Dolgner. Ich habe versucht, Ihnen verständlich zu machen, warum wir uns in unserer Verfassung auf bestimmte Grundrechte geeinigt haben, die wir als zentral und wichtig für unsere Gesellschaft erachten. Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass das Thema Wohnen über die Verfassung und über die Sie begleitenden Gesetze hinreichend geregelt ist in diesem Land und dass aus diesem Grund hier kein Bedürfnis für eine entsprechende Regelung besteht.

Für die Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit besteht aber auch in diesem Land ein entsprechendes Bedürfnis. Deswegen sind solche Grundrechte selbstverständlich in unserer Verfassung verankert. Noch einmal: Ich werde diese auch nicht infrage stellen.

(Unruhe SPD)

- Ich bin noch nicht fertig.

(Zuruf SPD)

- Nein, nein. - Sie haben in vielen Landesverfassungen das Recht auf Wohnen verankert. Jetzt bitte ich Sie, einfach mal in die Praxis zu gucken, welche Wirkung diese Rechte dort haben. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt, weshalb ich differenziere. Deswegen gibt es diese Logik nicht, die Sie versuchen, mir unterzuschieben,. Diese Rechte in den Landesverfassungen sind wirkungslos. Sie sind nicht einklagbar, und sie haben nicht eine Wohnung in Deutschland für wohnungsbedürftige Menschen geschaffen. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall FDP und CDU)

Die von Ihnen beschriebene Wohnraumkrise, die vielleicht eine Verfassungsänderung rechtfertigen könnte, haben wir weder in Schleswig-Holstein noch in anderen Bereichen dieses Landes. Das macht auch der Bericht der Landesregierung deutlich.

Ja, wir haben einen Mehrbedarf von 15.000 Wohnungen pro Jahr, die gebaut werden müssen. Allerdings - das ist gerade für die Frage eines Verfassungsrechtes von entscheidender Bedeutung - benötigen wir im geförderten sozialen Bereich lediglich 1.600 neue Wohnungen pro Jahr. Auch das ergibt sich aus dem Bericht des Innenministers. Der Handlungsbedarf wird ja von uns nicht in Abrede gestellt, Herr Dolgner. Dass die Regierung für solche Baumaßnahmen auch Geld in die Hand nehmen muss, weil sozialer Wohnungsbau ohne staatliche Förderung nicht funktioniert, ist eine Selbstverständlichkeit. Eine Verfassungsänderung brauchen wir an der Stelle nicht.

Ich finde die Überdramatisierung, mit der von Ihrer Seite und auch von anderen Oppositionsparteien über die Wohnraumproblematik in Schleswig-Holstein debattiert wird, ehrlich gesagt ärgerlich. Sie machen damit Politik auf dem Rücken der Menschen, die tatsächlich unsere Hilfe brauchen, und Sie machen sie zum Gegenstand einer politischen Debatte, die eine Schaufensterdebatte ist.

(Jan Marcus Rossa)

(Beifall FDP)

Wohnungs- und Obdachlosen helfen aber keine verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Schon heute bestehen zahlreiche gesetzliche Regelungen, die sicherstellen, dass jedem in Not geratenen Menschen in diesem Land eine Wohnung oder Unterkunft zur Verfügung gestellt werden muss. Auch dafür brauche ich keine Verfassungsregelung.

(Unruhe SPD)

- Kann ich Ihnen helfen, Herr Dolgner?

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen!)

- Gut. - Ein ganz entscheidendes Problem ist - das ergibt sich auch aus Studien, wenn Sie sich in der Fachliteratur umsehen -, dass diese Menschen die Hilfe, die ihnen der Staat aufgrund seiner Gesetze gewähren muss, aus welchen Gründen auch immer häufig nicht in Anspruch nehmen. Hier müssen wir ansetzen, wenn wir Obdachlosen und Wohnungslosen helfen wollen, auf dass sie die Hilfe in Anspruch nehmen, die ihnen der Staat zur Verfügung stellen und gewähren will.

Ich finde es daher auch unwürdig, wenn die SPD den Eindruck zu erwecken versucht, dass die Menschen in diesem Land nur dann Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum haben, wenn der Staat Immobilienspekulanten oder - wie Sie sich eben ausgedrückt haben - Miethaien mit restriktiven Maßnahmen Einhalt gebieten will, indem er regulierend in den Wohnungsmarkt eingreifen soll. Es ist ein fataler Irrglaube, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir auf Missstände mit einer Generalverurteilung erfolgreich reagieren. Das ist respektlos gegenüber solchen Vermietern, die sich gegenüber ihren Mieterinnen und Mietern stets rechtskonform verhalten haben. Das ist der Regelfall - und nicht der Miethai.

(Lachen Wolfgang Baasch [SPD])

Das Recht auf Wohnen in die Landesverfassung aufzunehmen, ist kein neuer Gedanke. Er ist beinahe so alt wie die Bundesrepublik Deutschland. Genauso alt ist aber auch die Erkenntnis, die Sie hier leugnen, dass die Wirkung einer solchen verfassungsrechtlichen Regelung auf dem Wohnungsmarkt eben nicht spürbar ist. Die Maßnahme, die Sie fordern, ist schlicht wirkungslos. Dann sollten wir es aber unterlassen, unsere Verfassung für Feigenblätter und Placebos zu missbrauchen. Das entwertet unsere Verfassung und macht sie nicht stärker. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vereinten Nationen haben das Recht auf Wohnung rechtlich verankert, wonach der Staat eine Grundversorgung zugänglich machen muss, und dies unabhängig vom Einkommen, wobei kein Mensch weiß, was diese Grundversorgung ist und wen sie betreffen wird. Schleswig-Holstein hat dieses Ziel trotzdem umgesetzt, und zwar mit einem Programm für die soziale Wohnraumförderung. Daran kann man sehen, dass konkrete Maßnahmen eher einer Umsetzung solcher Ziele dienen.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf die Wohnungslosen hinweisen, die in dem Programm soziale Wohnraumförderung besondere Berücksichtigung finden. Die Wohnungslosen sind nämlich die schwächste Mietergruppe, die sich auf dem derzeitig sehr angespannten Markt für bezahlbaren Wohnraum mit weitem Abstand hinten anstellen muss. Sie haben aber ein Anrecht auf eine moderne Wohnung - wie auch Alleinerziehende oder Familien. Dabei rede ich nicht von irgendeiner Wohnung, sondern von qualitativem, vernünftigem Wohnraum.

Dieses Thema haben wir auch schon in der letzten Landtagstagung besprochen, als das von uns eingebrachte Wohnraumschutzgesetz beraten wurde. Bereits hier zeigt sich, dass konkrete Maßnahmen einer erneuten Verfassungsdebatte vorzuziehen sind. Diese Erkenntnis habe ich auch durch die Arbeit in der Verfassungskommission in der letzten Wahlperiode gewonnen. Dort haben wir im Jahr 2014 ausführlich über einen Vorschlag der PIRATEN debattiert, dem Recht auf Wohnraum Verfassungsrang einzuräumen. So verlockend ein Grundrecht oder Staatsziel klingt, so wenig ist damit in der Wirklichkeit zu bewegen. Schafft man ein Staatsziel, so ist dessen Umsetzung unverbindlich, schafft man ein Grundrecht, so muss der Staat Zugriff auf allen Wohnraum haben. Das eine ist unbefriedigend, das andere ist illusorisch. Darum hat sich damals die Verfassungskommission gegen den Antrag ausgesprochen.

Dem Recht auf angemessenen Wohnraum Verfassungsrang einzuräumen, suggeriert vielleicht eine

(Jan Marcus Rossa)

Kehrtwende, faktisch wird damit aber keine einzige Wohnung geschaffen.

(Beifall Jan Marcus Rossa [FDP])

Was soll denn in der Praxis aus diesem Recht resultieren? Dürfen Menschen, die eine ungenutzte Wohnung sehen, diese besetzen?

(Jan Marcus Rossa [FDP]: Ja!)

So ist das in Spanien derzeit der Fall; mit den entsprechenden Nebenwirkungen. Dieser Möglichkeit will die spanische Regierung jetzt einen Riegel vorschieben. Diesen Weg sollten wir gar nicht erst beschreiten.

Noch eine ungeklärte Frage: Wie sieht es mit der regionalen Verteilung aus? Einer Studentin aus Flensburg ist sicherlich nicht damit geholfen, wenn man ihr eine Wohnung in Heide anbietet. Sowohl der Hamburger Rand als auch Kiel und Flensburg haben andere Probleme als ländliche Regionen Schleswig-Holsteins. Wir müssen die regionalen Angebotslücken, vor allem das nach wie vor ungelöste Mietwohnungsproblem auf der Insel Sylt, mit möglichst passgenauen Maßnahmen verbessern. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Nur konkrete Maßnahmen, das heißt Wohnungsbau, können die Nachfrage nach Wohnungen befriedigen.

Dabei muss es nicht zwangsläufig immer ein Neubau sein, sondern es kann auch die Instandsetzung vernachlässigter Häuser oder die Erleichterung des Ausbaus von Dachgeschosswohnungen sein. In vielen dörflichen Ortskernen stehen Häuser leer, weil sie erheblichen Renovierungsbedarf haben oder weil sie nicht altersgerecht gebaut sind. Hier kann die Landesregierung mit Förderprogrammen Bauherren unterstützen, Wohnraum zu schaffen und zu erweitern. Wir brauchen Mieterschutz - ganz wichtig - durch das von uns eingebrachte Wohnraumschutzgesetz.