Protocol of the Session on June 29, 2017

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Vielen Dank, Herr Innenminister. - Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat jetzt für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Dr. Axel Bernstein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können in diesen Tagen in fast jede beliebige Nachrichtensendung hineinschauen, um festzustellen, dass es überall auf der Welt - auch hier bei uns - Feinde der Demokratie und unserer offenen Gesellschaft gibt. Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, dass demokratische Strukturen dauerhaft erhalten bleiben, und es ist schon gar keine Selbstverständlichkeit, dass sich demokratische Strukturen in der Welt ausbreiten. Deshalb ist es nach wie vor richtig und unabdingbar, dass Deutschland und seine Bundesländer wehrhafte Demokratien sind. Gerade wir hier in Deutschland wissen um den Wert von Demokratie und Freiheit und werden sie schützen und erhalten.

An dieser Stelle gilt mein ausdrücklicher Dank dem Verfassungsschutz des Landes Schleswig-Holstein und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesem Sinne einen unverzichtbaren Dienst für unsere Gesellschaft leisten.

Die Herausforderungen zur Stärkung unserer Demokratie werden für uns alle leider eher größer als kleiner. Das gilt auch und besonders für unseren Verfassungsschutz. Es war deshalb richtig, auf die aktuelle Lage mit einer personellen Verstärkung des Verfassungsschutzes zu reagieren. Und es ist deshalb auch richtig und wichtig, dass sich die Partner der Jamaika-Koalition darauf verständigt haben, diesen Weg zum Schutz unserer offenen Gesellschaft bedarfsgerecht und konsequent weiterzugehen.

Der vorliegende Verfassungsschutzbericht 2016 macht deutlich, dass die Bedrohung sowohl von rechts als auch von links und durch religiös motivierte Extremisten zunimmt. Besonders besorgniserregend ist die steigende Zahl politisch und religi

(Minister Hans-Joachim Grote)

ös motivierter Gewalttaten. Wir sind entschlossen, jeder Form der Agitation gegen unsere Demokratie und insbesondere jeder Gewalttat unmissverständlich entgegenzuwirken.

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Den- nys Bornhöft [FDP])

Wir alle haben den aktuellen Verfassungsschutzbericht lesen können. Herr Minister, Sie haben dazu weitere Ausführungen gemacht. Ich sehe deshalb davon ab, auf einzelne Zahlen im Detail einzugehen.

Vielmehr möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf einen besonderen Aspekt hinzuweisen, der mir in der Vergangenheit zu wenig Beachtung gefunden hat. Dabei geht es um die Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in unserem Land. Der Bericht macht deutlich, dass auch wir in Schleswig-Holstein Ziel ausländischer Spionage sind. Dabei geht es zum einen um Wirtschaftsspionage. Auch kleine und mittlere Unternehmen können im Fokus ausländischer Spione stehen. Das Ausspähen von Knowhow richtet volkswirtschaftlichen Schaden an und gefährdet letztendlich Arbeitsplätze in SchleswigHolstein. Dabei geht es sowohl um Informationsbeschaffung durch Agenten als auch um Spionage über das Netz. Beiden Gefahren muss unser Mittelstand entgegentreten, und er muss sie zunächst einmal umfänglich erkennen.

Mir ist es wichtig, auch an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen und dafür zu werben, dass unser Verfassungsschutz ein kompetenter Partner für die heimische Wirtschaft ist und ihr dabei helfen kann, sich vor Ausspähung zu schützen.

Ein besonderes Augenmerk verdient für mich auch der Bereich der gezielten Desinformation durch ausländische Mächte - namentlich wird im Verfassungsschutzbericht hier Russland genannt. Gerade auch im Vorfeld der Bundestagswahlen ist mit weiteren Aktionen zu rechnen. Auch das sind Angriffe auf unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft. Deshalb ist es richtig, solchen Angriffen auf allen Ebenen entschlossen zu begegnen.

Dazu ist auch ein Austausch der Informationen zwischen unseren Sicherheitsorganen wichtig und verbesserungswürdig. Der Koalitionsvertrag sagt deshalb auch an dieser Stelle etwas sehr Wichtiges:

„Der Verfassungsschutz bleibt eine wichtige Säule unserer Sicherheitsarchitektur. Wir werden uns auf der Ebene des Bundes weiter dafür einsetzen, dass die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und

der Länder verbessert wird. Defizite beim Datenaustausch müssen unter Wahrung aller rechtlichen Vorgaben abgebaut werden.“

Meinen Dank an den Verfassungsschutz möchte ich um den Aufruf an uns alle ergänzen, aufmerksam, wachsam und kritisch zu sein, wenn es darum geht, Feinde unserer Freiheit zu erkennen und unsere Freiheit zu verteidigen, ganz unabhängig davon, aus welcher Richtung und Ecke sie bedroht werden. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, FDP, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat jetzt zu ihrer ersten Rede im Schleswig-Holsteinischen Landtag die Kollegin Wagner-Bockey.

(Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen, dass unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt ist. Unser Grundgesetz garantiert Menschenrechte, es garantiert Freiheit und Pluralität. Diese Werte sind keine Geschenke. Wir müssen täglich darum ringen und sie verteidigen. Sie können nur gelebt werden, wenn wir als Gesellschaft diese Werte tragen und es einen breiten Konsens darüber gibt.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bevor ich mich konkret dem Verfassungsschutzbericht 2016 zuwende, möchte ich deutlich machen, dass es in meinen Augen zwei unterschiedliche Formen von Bedrohung für unsere freiheitliche Gesellschaft gibt.

Die eine Bedrohung entsteht in der Mitte unserer Gesellschaft. Bei vielen Menschen hat sich ein Gefühl von Desinteresse, Machtlosigkeit und Überforderung in einer komplexen Lebenswelt breitgemacht. Wer so fühlt, sehnt sich nach einfachen Lösungen, und gleichzeitig - das ist ausgesprochen gefährlich - wird populistische Hetze plötzlich gesellschaftsfähig und bietet einen einfachen Orientierungsrahmen. - Das dürfen wir so nicht hinnehmen.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Dr. Axel Bernstein)

Die andere Bedrohung findet sich am Rande unserer Gesellschaft, im Bereich des politischen Extremismus. Das leitet natürlich direkt über zum Verfassungsschutzbericht.

Dem Verfassungsschutz kommt im Vorfeld der Gefahrenermittlung eine wichtige Rolle zu. Er nimmt im Idealfall frühzeitig Tendenzen wahr, die für die Einschätzung von staatsgefährdenden Problemlagen wichtig sind. Hier möchte ich den Punkt anführen, dass es trotz geringer Fallzahlen eine richtige Entscheidung war, die Reichsbürger und die Identitäre Bewegung zu beobachten. Denn nur durch die Beobachtung stellt man fest, wenn sich Dinge verändern. Darauf wies der Innenminister noch einmal gesondert hin.

Man darf die Reichsbürger und die Identitäre Bewegung nicht als individuelle Spinner abtun, auch wenn sie derzeit offensichtlich keine festen Netzwerkstrukturen aufgebaut haben. Die Waffenaffinität der Reichsbürger und ihre Überlappungen mit der rechtsextremistischen Szene geben Anlass zu berechtigter Sorge.

Meine Damen und Herren, der Staat darf auf keinem Auge blind sein. Der vorgelegte Verfassungsschutzbericht dokumentiert die Wachsamkeit des Staates auf den verschiedensten Feldern des Extremismus. Das ist wichtig, denn nur wenn ich eine Gefahr kenne, kann ich ihr auch begegnen. Verfassungsschutzberichte sind ein guter Gradmesser für Konflikte und Entwicklungen in der Gesellschaft. In einem ersten Schritt geht es also darum, unterschiedliche Bedrohungsszenarien festzustellen, und in einem zweiten Schritt darum, die Gefährlichkeit für das Sicherheitsgefüge der Bundesrepublik zu bewerten. Das alles tut der Verfassungsschutzbericht, und wir als Politiker ergänzen das in unserer Kontrollfunktion.

Im Zuge des bald stattfindenden G-20-Gipfels lohnt ein Blick auf den Linksextremismus. Herr Grote führte das bereits an. Auch ich gehe nicht näher auf die Zahl der Straftaten ein. Sie ist in allen Bereichen des Extremismus gestiegen. Das soll an dieser Stelle genügen.

Linksextremismus ist ein Phänomen, das uns schon seit Jahrzehnten begleitet. Es bietet schon Anlass zur Sorge, dass es auch immer mehr zu Personenschäden kommt, die zumindest billigend in Kauf genommen werden. Rechtsextremisten und extremistische Islamisten sind hier schon einen Schritt weiter: Ihr Ziel ist es, Opfer in der Zivilgesellschaft zu produzieren.

Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist erneut angewachsen und die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten deutlich angestiegen. Hier werden ganz zielgerichtet vor allem Flüchtlinge angegangen, die bewusst als Opfer von Gewalt ausgesucht werden. Der Hass und die menschenverachtenden Entgleisungen der Rechten vergiften unsere Gesellschaft und spalten das Land, Gruppen werden ausgegrenzt, beschimpft und diffamiert.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, das ist nicht hinnehmbar.

Der nächste Punkt ist der islamistische Extremismus, und der hat viele Gesichert. Nicht jeder politische Salafist wird zum Terroristen, aber natürlich erhöht jeder Anstieg von extremistischem Personenpotenzial auch die Terrorgefahr. Wir als gesamte westliche Welt gehören zum Feindbild der sogenannten Gotteskrieger. Wir haben das in Deutschland im letzten Jahr auch schmerzlich erfahren.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es nicht nur Rückkehrer und Homegrown Terrorists mit migrantischem Hintergrund gibt - es wird gern dieser Eindruck erweckt -, sondern es gibt ein erhebliches Potenzial an deutschen Konvertiten, die sich radikalisiert haben. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen: Wie kommt das eigentlich?

Ich habe mich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, warum sich junge Menschen mehr oder weniger plötzlich radikalisieren. Einheitlich - sowohl für den Bereich des Islamismus als auch für den Bereich des Rechtsradikalismus - kann man sagen: Es sind häufig schwierige Familiengeschichten, es sind Diskriminierungserfahrungen in der Gesellschaft und anhaltende Frustrationserlebnisse.

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. Danke.

Ja. - Das ist etwas, worauf wir als Gesellschaft reagieren müssen, und zwar mit Präventionsmaßnahmen.

Zeitglich zeigt der Verfassungsschutzbericht deutlich, dass die Bedrohungen aus unterschiedlichen Richtungen ansteigen. Deswegen brauchen wir einen wehrhaften Staat, eine gut aufgestellte Polizei

(Kathrin Wagner-Bockey)

und einen gut aufgestellten Verfassungsschutz. Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Vielen Dank. - Ich erteile dem Kollegen Burkhard Peters für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Innenminister Grote, vielen Dank für die Darstellung des Berichts. Im linken Spektrum ist zumindest 2016 nicht viel Neues passiert: Stagnation auf relativ niedrigem Niveau, wenig Anschlussfähigkeit für linksradikales Denken. Das marxistisch-leninistische Dogma stirbt aus - und zwar im biologischen Sinne. Aber auch die undogmatische Linke stagnierte 2016 inhaltlich und zahlenmäßig. Wie es sich 2017 im Zusammenhang mit G 20 in Hamburg darstellt, ist in der Tat noch genau zu beobachten.

Dramatisch sind dagegen die Feststellungen des Berichts zum gewaltbereiten Salafismus: Es muss nach der militärischen Niederlage des IS in Syrien und im Irak befürchtet werden, dass überlebende Kämpfer in die westlichen Staaten einsickern und den verlorenen Krieg hier mit Terrortaten fortsetzen.

(Unruhe)

Das ist besonders bedrohlich, weil diese Kämpfer durch den Krieg in grauenhafter Weise brutalisiert und verroht sind, sodass man ihnen in ihrem Hass und ihrer Frustration schreckliche Taten zutrauen muss. Eine hohe abstrakte Gefahr für unser Land ist nicht zu bestreiten. Auch hier finden zum Beispiel große international bekannte Open-Air-Konzerte statt, ich erinnere an Wacken Open Air. Was dort passiert, ist für solche Salafisten die reine Sünde. Deswegen ist dort extreme Aufmerksamkeit angesagt.

Eine erschreckende Dynamik zeigt der Bericht ebenfalls im Bereich des Rechtsradikalismus. Ich zitiere: