Protocol of the Session on February 22, 2018

Um es gleich vorwegzunehmen: Im Beschluss des Europäischen Parlaments zum Europäischen Jahr des Kulturerbes vom 17. Mai 2017 steht unter Punkt 5:

„Das Kulturerbe ist unter kulturellen, ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die europäische Gesellschaft von großem Wert. Daher ist seine nachhaltige Pflege von strategischer Bedeu

(Regina Poersch)

tung im 21. Jahrhundert... Der Beitrag des Kulturerbes im Hinblick auf seine Wertschöpfung, auf Qualifikationen und Arbeitsplätze sowie auf die Lebensqualität wird unterschätzt.“

Das Jahr 2018 wurde von der Europäischen Kommission zum Europäischen Jahr des Kulturerbes erklärt, weil es symbolische und historische Bedeutung hat. Dafür hat das Europäische Parlament ein Budget von 8 Millionen € aus bestehenden Fonds zur Verfügung gestellt.

Mit diesem Jahr des Kulturerbes werden drei wesentliche Ziele verfolgt: Das Bewusstsein für die europäische Geschichte soll geschärft werden und das Europäische Kulturerbe erhalten bleiben. Das ist in dieser Zeit wichtiger denn je; wir haben es in den vorherigen Beiträgen gehört. Die gemeinsame kulturelle Identität der Europäer soll sichtbarer und lebendiger gemacht werden, und uns Bürgerinnen und Bürgern Europas sollen neue Möglichkeiten des Kulturtourismus angeboten werden.

Dabei stellen sich zwei Fragen: Wie kann es heute überhaupt gelingen, das Bewusstsein für die soziale und wirtschaftliche Bedeutung des Kulturerbes zu schärfen? Wie können Europas kultureller Reichtum und die kulturelle Vielfalt gewürdigt werden?

Die Antwort ist klar: Wir müssen das Kulturerbe heute definieren und über ganz unterschiedliche Kanäle - analog, digital - generationenübergreifend erlebbar machen. Dazu sind wir in Schleswig-Holstein auf einem guten Weg. Ich möchte vier Beispiele nennen.

Fast die Hälfte der auf der Liste des UNESCOWelterbes eingetragenen Stätten befindet sich in Europa, einige liegen in Schleswig-Holstein. Sie ziehen unzählige Touristen an.

Die Initiativen zur Verleihung eines „Europäischen Kulturerbe-Siegels“ oder gar die Bewerbung um eine ,,Kulturhauptstadt Europas“ sind ehrgeizig. Auch hierfür haben wir in Schleswig-Holstein Potenzial.

Der Europarat hat 31 Kulturrouten zertifiziert, die mehr als 50 Länder innerhalb und außerhalb Europas durchqueren und wegen ihres geschichtlichen und künstlerischen Interesses von besonderer Bedeutung sind. 21 dieser Routen laufen durch Deutschland, einige auch durch Schleswig-Holstein.

Der Schleswig-Holsteinische Heimatbund holt in der nächsten Woche im Rahmen des KulturerbeJahres 2018 Märchen aus anderen Kulturkreisen

Europas in den hohen Norden. An der Stelle stehen die Büchereien als Orte, die diese Schätze tragen.

Frau Abgeordnete, Ihre Zeit lässt leider keine weiteren Beispiele mehr zu.

Danke schön, Herr Landtagspräsident. Erlauben Sie mir einen abschließenden Satz. - Es ist mir ein großes Herzensanliegen, dass wir uns in dieser Jamaika-Regierung für die Identität unseres Landes nachhaltig einsetzen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Marlies Fritzen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Zeiten der Krisen, in Zeiten des erstarkenden Nationalismus und Chauvinismus, in Zeiten der Kriege und vermehrt auch wieder Stellvertreterkriege, in Zeiten des Hasses und des religiösen Fanatismus, der Fake News, der Lügen und des Misstrauens, in Zeiten wie diesen also, reden wir über Kultur und unser Erbe. Macht das Sinn? Haben wir nichts Wichtigeres zu tun? - Nein, meine Damen und Herren, wir haben genau dieses zu tun. Es macht Sinn; deshalb sage ich den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion Dankeschön für diesen Antrag und danke für den Bericht, den die Ministerin hier vorgetragen hat.

Ich freue mich, dass das Land sich - mit zugegebenermaßen tatsächlich sehr bescheidenen Mitteln, aber immerhin doch - an dem Jahr des kulturellen Erbes finanziell beteiligt. Ich freue mich, dass es jetzt schon diverse Projekte in Schleswig-Holstein gibt - Anette Röttger und die Ministerin haben sie aufgezählt -, die sich auf den Weg machen, mit eigenen Aspekten aus Schleswig-Holstein heraus Akzente zu setzen.

Natürlich geht es bei diesem Europäischen Jahr des kulturellen Erbes auch um den Erhalt unserer Denkmale. Es geht um die Bewahrung von Kunstwerken, und es geht um die Erinnerung an Tradition. Es geht um Wertschöpfung und Tourismus, die sich

(Anette Röttger)

daraus entwickeln lassen; aber ich finde noch viel wichtiger: Es geht auch um Identitäten, um Gründe und Begründungen für das Heute und um Positionen für morgen. Dass Europa 2018 zum Kulturerbejahr ausruft, passt genau in diese Zeit des Populismus und der Verunsicherung. Die Erinnerung an unser gemeinsames Erbe, an gemeinsame Werte ist 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nötiger denn je.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es ist nicht sehr verwunderlich, dass Lübeck heute schon ein paar Mal genannt worden ist; ich tue das auch. „Concordia domi foris pax“ lautet die Inschrift auf dem Lübecker Holstentor. Drinnen Eintracht, draußen Frieden - das ist das Motto der Hansestadt und der Hanse. Schon in der Hanse, dem Bündnis, das zum schrankenlosen Handel und zur Mehrung des Wohlstandes gegründet wurde, war klar: ohne Frieden kein Wohlstand, ohne gemeinsame Verständigung kein Erfolg. - Auch das ist unser kulturelles Erbe.

Die Europäische Union steht vor schweren Herausforderungen - einige sind schon angesprochen worden -, und ich meine, sie steht auch vor schweren Entscheidungen. Schauen wir auf unser gemeinsames Erbe, können und müssen wir fragen, was die verbindenden Werte sind, was die EU im Innersten zusammenhält und wie eine im Innern gefestigte EU nach außen friedenserhaltend wirken kann. Dabei geht es nicht, sich abzugrenzen und gegen andere Kulturen zu formieren. Abschottung hat am Ende noch nie funktioniert.

In der Erkenntnis der eigenen Geschichte und des eigenen kulturellen Erbes liegt der Schlüssel zur Identifikation. Mit einer klaren Selbstverortung kann auch ein Gegenüber gesehen und respektiert werden. Darin liegen auch der Wert der Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe und die Chance auf eine Rückbesinnung und Neuverordnung. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Stephan Holowaty das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!

„Zu verstehen, dass Europa ein gemeinsames Kulturerbe besitzt, hilft uns, die gesamte Schönheit und die tiefer gehende Bedeutung des europäischen Projekts zu begreifen, aber gleichzeitig auch dessen Komplexität und Fragilität.“

Das sagt der europäische Denkmalschutzverband EUROPA NOSTRA zum Europäischen Jahr des Kulturerbes. Ich denke, diese Beschreibung trifft es sehr gut. Europa ist keine fest gefügte kulturelle Einheit. Das ist es nie gewesen. Das sehen wir übrigens gerade hier in Schleswig-Holstein, wo wir viel Engagement darauf verwenden, die individuellen kulturellen Merkmale unserer nationalen Minderheiten zu bewahren und zu stärken.

(Beifall FDP und CDU)

Aber Europa beruht auf einer gemeinsamen Geschichte. Europa beruht auf dem jahrhunderte-, ja, jahrtausendelangen Austausch und der Interaktion von verschiedenartigen Kulturen, auch wenn das, wie wir alle wissen, meistens und oftmals nicht ganz friedlich war. Dies gibt uns aber auch eine gemeinsame Basis, eine gemeinsame Grundlage und viele gemeinsame Ideen, die sich von West nach Ost, von Nord nach Süd durch ganz Europa bewegen und alle Teile Europas miteinander verbunden haben. Deshalb müssen auch heute immer wieder neue Brücken gebaut werden. Deshalb geht es auch mit dem Europäischen Jahr des Kulturerbes und bei der Frage der europäischen Kultur nicht um eine Nivellierung oder eine Angleichung von Kulturen, sondern eben darum, die Komplexität und Fragilität zu verstehen. Darum ist übrigens der Begriff von „nationalen Leitkulturen“ so unpassend für einen Kontinent, der seit eh und je vom Austausch der Kulturen lebt und nur durch diesen Austausch so geworden ist, wie er heute tatsächlich dasteht.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Machen wir uns bitte nichts vor: Europa steht vor sehr großen Herausforderungen und Problemen. Abschottung und Nationalismus sind die falsche Antwort. Abschottung und Nationalismus sind die Fiktion von Leitkultur, die besser sei als andere. Das sind die Rezepte, die Europa in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden bereits mehrfach in ultimative Katastrophen befördert haben. Genau das sollten wir nicht weiter betreiben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Das Europäische Jahr des Kulturerbes wird, so hoffe ich, einen Beitrag dazu leisten, dass wieder mehr

(Marlies Fritzen)

Menschen verstehen, wie eng Europa tatsächlich zusammengehört, wie sich Europa gegenseitig bereichert und wie wichtig Europa - das ist vielleicht der entscheidende Punkt - für die gemeinsamen Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte überall ist.

(Beifall FDP und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Europa ist ein Friedens- und Freiheitsprojekt. Das Verständnis der unterschiedlichen Kulturen und ihre Interaktion sind ganz wichtige Bausteine dafür.

Frau Ministerin Prien, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihren ausführlichen Bericht. Ich wünsche mir sehr und hoffe sehr - es ist auch unsere Aufgabe, das ins Land hinauszutragen -, dass möglichst viele Menschen die Gelegenheit nutzen, an den Veranstaltungen teilzunehmen und wieder einen Eindruck von der gemeinsamen europäischen kulturellen Basis und Verantwortung zu bekommen. Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: Sehr gut!)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Identität, Heimat, Kultur - dieser schöne Dreiklang war gestern hier in diesem Hohen Haus zu hören. Vielen Dank dafür, Herr Kollege Plambeck - der ist jetzt gerade nicht da -, denn Identität, Heimat und Kultur, das ist das Bindegewebe für jede Gemeinschaft.

Verfassungsrang erhielt die Kulturpolitik im Rahmen des Vertrages von Lissabon. Es ist das Ziel der Europäischen Union, dadurch einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen in ihren Mitgliedstaaten zu leisten. Das gemeinsame europäische Kulturerbe steht dabei ebenso im Blickfeld wie die einzelnen nationalen und auch regionalen kulturellen Identitäten. Beide Bereiche sind eng miteinander verflochten und dürfen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Sie dürfen auch nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Es kann daher nicht das Ziel des Europäischen Jahres des Kulturerbes sein, die ganz unterschiedlichen nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten zu ver

drängen. Vor einer politischen Instrumentalisierung muss deshalb gewarnt werden. Wir als AfD-Fraktion widersprechen daher ausdrücklich dem Vorsitzenden des Nationalen Programmbeirats für das Kulturerbejahr, Matthias Wemhoff, dem es darum gehe - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -, „die Idee nationaler Leitkulturen infrage zu stellen und den Nationalismen etwas entgegenzuhalten.“

(Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [AfD])

Hier stellt sich die Frage: Wer definiert, was Nationalismen sind? Die EU-Kommission? Besteht hier nicht die Gefahr, dass kulturelle Eigenarten und das Streben nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung einzelner Regionen vonseiten der EU-Behörden ignoriert, disqualifiziert oder sogar bekämpft werden?

(Beifall AfD)