Deswegen betreiben Sie jetzt Begriffsklauberei. Ob die Sache jetzt förmlich Winterabschiebestopp heißt oder ob es de facto einer war, das ist ja nicht der Kern der Diskussion.
Sondern der Kern der Diskussion ist, dass sich die Dinge verändert haben und Menschen jetzt in Schwierigkeiten und Not geraten. Darauf hat Frau Midyatli hingewiesen. Das kritisieren wir, nichts anderes.
- Gut, dann möchte ich gerne auf diese Bemerkung antworten. Dann sind wir uns aber darin einig, dass Frau Touré in dieser Podiumsdiskussion nicht die Unwahrheit gesagt hat. Wenn ich das so verstehen darf, wäre es fair, das zumindest Frau Touré gegenüber auch deutlich zu machen. Wenn Sie das nur als Wortklauberei bezeichnen, ob es einen generellen Winterabschiebestopp oder eine Einzelfallregelung gibt, dann werden wir gleich in einer alternativen Abstimmung über Wortklauberei abstimmen.
Ich bin mit Ihnen in einer Sache völlig einig - und ich glaube, das sieht auch Jamaika so, das wird auch der Innenminister noch mal mitnehmen -, dass wir gucken müssen: Ist in Einzelfällen noch mehr nötig? Müssen wir noch mehr Aufklärung machen? Müssen wir noch mehr Aufklärung bei den Ausländerbehörden machen? - Wenn das das Ziel dieser Debatte ist, dann ist es fein.
Ich will das mit der Frau Touré ungern sozusagen im Umweg machen, das können wir auch direkt tun; aber wenn Sie die Veranstaltung ansprechen, würde ich sagen: Meine Kritik bestand darin, dass Frau Touré in der Veranstaltung gesagt hat, es habe sich eigentlich nichts verändert. Das habe ich in der Tat als unwahr bezeichnet.
(Klaus Schlie [CDU]: Stehen Sie doch ein- mal zu Ihrem Wort! - Weitere Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn ich glaube, es hat sich etwas verändert. Dass sich etwas verändert hat, zeigt unsere Diskussion heute. Genau das ist der Punkt, über den wir geredet haben.
- Ja, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie das nicht entschuldigen können. Das ist okay. Das hatten wir, glaube ich, gestern bei einem anderen Punkt auch, wo es um irgendwelche Zahlen ging. Ich war, wie gesagt, Zuhörerin bei einer ansonsten sehr tollen Diskussion, die hier stattfand. Vielleicht ist ja dann auch die Wortklauberei, wie Sie es nennen, in der Sache nicht mehr nötig.
Ich möchte nur ganz deutlich sagen, dass ich mich auch deshalb noch einmal zu Wort gemeldet habe, weil ich es mir als Fraktionsvorsitzende verbitte, wenn man einer Abgeordneten in meinem Team unterstellt, sie würde die Unwahrheit sagen. - Danke.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich würde sehr gern noch einmal auf das eigentliche Thema zurückkommen: Winterabschiebestopp - ja oder nein? Ich möchte gern unser Abstimmungsverhalten kurz erläutern, weil unterschiedliche Anträge vorliegen. Anscheinend sollen sie ja alternativ abgestimmt werden.
Was den SPD-Antrag angeht, der ja eine pauschale Aussetzung für alle Betroffenen fordert: Da sind wir uns nicht ganz einig, weil wir glauben, man sollte nur die Leute vom Winterabschiebestopp profitieren lassen, die auch in Regionen abgeschoben werden, wo ein harter Winter herrscht. Das ist nicht überall der Fall. Vor diesem Hintergrund sagen wir, dass man den Antrag eigentlich noch ein bisschen anders formulieren müsste. Entsprechend würden wir uns bei diesem Antrag enthalten. Einen pauschalen Abschiebestopp finden wir immer noch richtig. Das konnten wir in der letzten Koalition nicht immer durchsetzen, das ist richtig. Aber es ist immer noch unsere politische Haltung, dass das für diejenigen richtig wäre, die in Länder abgeschoben werden sollen, wo eben ein harter Winter herrscht.
Dann gibt es den Vorschlag der Koalition, der vorliegt. Da ist es klar, da ist es eine Einzelfallregelung. Es ist die Regelung, die wir auch in der Vergangenheit, in den letzten zwei Jahren der Küstenkoalition, hatten. Die hat uns nicht immer zufriedengestellt, weil wir eben gerade für einen pauschalen Abschiebestopp eintreten. Vor dem Hintergrund werden wir uns dort enthalten. Es ist gut, dass es diese Regelung gibt, aber sie könnte besser sein. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass - auch wenn die Fälle möglicherweise mehr werden - Ausländerbehörden in der Bewertung dieser Einzelfälle natürlich unterschiedlich vorgehen. Wir würden uns wünschen, ein einheitliches Vorgehen zu haben. Insofern hat der Kollege Kalinka recht. Ich plädiere für ein einheitliches, das den Menschen hilft, erst einmal bis April 2018 hierzubleiben. Das ist derzeit nicht gegeben. Ich finde, dass das rechtsstaatlich okay ist, aber schöner wäre es, wenn wir eine einheitliche Rechtsprechung in diesem Bereich hätten. Dass ein Syrer in Kreis Y abgeschoben wird, in Kreis Z aber nicht, ist für mich in keiner Weise zufriedenstellend.
Vor dem Hintergrund möchte ich zumindest - weil ich weiß, dass die Rechtslage so, wie sie im Moment ist, auch bleiben wird - an den Innenminister appellieren und ihn bitten, dafür Sorge zu tragen, dass die Rechtsprechung in diesem Bereich so einheitlich und - so sage ich einmal - menschenfreundlich wie möglich ist. Ich glaube, dass man das hier möglicherweise noch erreichen kann. Das will ich zumindest versuchen.
Wir werden uns bei beiden Anträgen enthalten, aber wünschen uns, dass eine einheitliche Rechtsprechung zugunsten der Betroffenen angewandt wird. Wir brechen uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir die Leute bis April hierbehalten, das wirft die Welt nicht aus der Bahn, das kann man machen, und das sollte man machen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch immer wieder faszinierend festzustellen, wie der Kollege Stegner mit der Geschichte umgeht, auch der Geschichte der Sozialdemokratie in diesem Lande.
Herr Kollege Stegner, ich bin wahrscheinlich einer der wenigen neben dem Kollegen Lehnert, der Sie als Innenminister in Schleswig-Holstein erlebt hat. Dass Sie damals ein Linker gewesen seien, das kann man mitnichten behaupten. Im Gegenteil: Sie haben Otto Schily rechts überholt. Das haben wir im Parlament mehrfach kritisiert und auch gesagt: Mit Ihren Polizeigesetzen verstoßen Sie gegen geltendes Recht und die Verfassung, was im Zweifel auch bestätigt worden ist.
Dass Sie jetzt als sechster stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD versuchen, einige Wendungen, die jetzt laufen -
Das ist auch völlig egal. Aber dass Sie Ihre eigenen Wendungen und Wendungen der Sozialdemokratie jetzt versuchen zu kaschieren, finde ich auch schon einen Hammer. Erklären Sie doch einmal, Herr Dr. Stegner, warum die Küstenkoalition maßgeblich auf Ihr Betreiben hin von dem pauschalen Abschiebestopp zu einer Einzelfallbewertung übergegangen ist. Das muss doch einen Grund gehabt haben. Wenn Sie sagen, es habe sich gar nichts geändert und es sollte sich gar nichts ändern, dann brauchten Sie auch keine Neuregelung. Es ist doch erklärungsbedürftig, dass Sie jetzt sagen, dass diese Neuregelung, die faktisch nichts verändern sollte, der wir jetzt folgen, allerdings mit einem anderen Impetus, nämlich möglichst die Spielräume, die Sie beschrieben haben, zu nutzen - das war immer Konsens zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, uns und Ihnen -, etwas Böses sein soll, nur weil jetzt von Oktober bis Dezember mehrere Anrufe bei Frau Midyatli eingegangen sind und noch immer eingehen, die früher übrigens auch immer stattgefunden haben, weil alle Menschen, die davon betroffen sind, jeden Strohhalm nutzen wollen, um zu vermeiden, dass sie Deutschland verlassen müssen. - Das müssen Sie trotzdem erklären.
Die zweite Geschichte ist die: Der Eindruck, den Sie hier dauernd erwecken, hier würden unsere Behörden willkürlich handeln, was gelegentlich vorkommen kann, aber jedenfalls die Rechtsprechung sei in Deutschland nicht mehr Rechtsprechung und auch nicht mehr verfassungsgemäß, diesen Eindruck zu erwecken, halte ich für ziemlich bedenklich.
Denn ich will Ihnen sagen, dass Sie damit Wasser auf die Mühlen derjenigen gießen, die ihrerseits den Eindruck zu erwecken versuchen, in unserem Staat ginge nichts mehr mit rechten Dingen zu, sondern es sei willkürlich. Sie betreiben im Moment argumentativ das Geschäft von ganz rechts außen.
Darüber müssen Sie nachdenken. Sie betreiben argumentativ das Geschäft von ganz rechts außen nach der Devise: Es gilt nicht mehr Recht und Gesetz, sondern es gilt politische Willkür - ob Ihnen das passt oder nicht. Herr Kollege Dr. Stegner, ich bin gespannt, wie Sie jetzt erklären, dass die Sozialdemokraten beispielsweise dem Stopp des Flüchtlingsnachzugs zugestimmt haben, dem Stopp des
Nachzugs von Frauen und Kindern aus Kriegsgebieten, die nach Deutschland kommen sollten, weil ihre Männer hier bereits ansässig waren. Ich bin sicher - und das gebe ich Ihnen schriftlich -, dass Sie an erster Stelle, die Sozialdemokratie, auch bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen mit der Union dem weiteren Stopp des Flüchtlingsnachzugs zustimmen werden. Dann schauen wir einmal, wie Sie mit Ihren ganzen großen Worten und Ankündigungen einer humanen Flüchtlingspolitik noch gehört werden wollen.
Ihre Bemerkung mit rechts außen ist unverschämt, auf die will ich nicht eingehen. Aber ich will etwas zu dem Thema Familiennachzug sagen. Es ist die FDP und nicht die SPD, die gefordert hat, die Praxis mit der Aussetzung des Familiennachzugs zu verlängern. Die FDP ist das gewesen. Sie müssen sich dafür rechtfertigen und nicht wir. Ich finde, dass es mit dem christlichen Menschenbild und den Vorgaben in der Verfassung, Ehe und Familien zu schützen, nicht vereinbar ist, wenn man auf Dauer Ehepartner oder minderjährige Kinder in Kriegsgebieten lässt, weil wir glauben, wir könnten das nicht mehr verkraften. Das ist meine Überzeugung. Das ist übrigens auch die Überzeugung der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein.
Herr Dr. Stegner, in den letzten zwei Jahren haben Sie dazu beigetragen, dass es so ist. Wahrscheinlich
haben Sie das Programm der FDP nicht gelesen und auch die Sondierungsgespräche nicht ordentlich verfolgt. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, zunächst eine tragfähige Rechtsgrundlage zu schaffen und bis dahin über eine Härtefallkommission, wie wir das in Schleswig-Holstein auch haben, einen Familiennachzug für diejenigen zu ermöglichen, auf die es besonders ankommt. Aber ohne eine tragfähige Rechtsgrundlage einfach zu sagen, wir holen Menschen in unser Land, halte ich in der Tat für sehr bedenklich.
Im Übrigen, Herr Dr. Stegner: Je schneller wir ein Einwanderungsgesetz bekommen, auch mit Spurwechsel, dass Leute, die hier ausgebildet sind, auch hierbleiben können und nicht ausgewiesen werden müssen, je schneller das gekommen wäre, desto schneller hätten wir den kompletten Familiennachzug organisieren können. Das müssen Sie doch vielleicht auch zur Kenntnis nehmen.