Protocol of the Session on November 15, 2017

der, dass etwas schiefgeht, dass Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen übersehen werden.

Die soziale Gesetzgebung in Deutschland erzeugt ein sehr dichtes Netz, gestützt von Gesetzen, Vorschriften, Verwaltungsvorgaben. Es braucht auch Menschen, die die Regeln interpretieren und anwenden, aber immer wieder fallen Menschen mit ihren individuellen Problemen durch das Raster; auch dann, wenn es eigentlich eine Rechtsvorschrift für ihren Fall gäbe. Die Berichte der Bürgerbeauftragten zeigen einige solcher Fälle auf.

Der Staat muss organisieren, dass die Verwaltung Zeit für die Würdigung des Einzelfalls hat und die Vorschriften anwenden kann. Dies ist auch die gerechtfertigte Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger an den Sozialstaat. Deswegen muss unser Ziel sein, dass so wenige Menschen wie möglich überhaupt auf die Hilfe des Staates angewiesen sein müssen. Falls dies doch der Fall sein sollte, muss unser Ziel sein, dass diese dann natürlich nicht durch das komplizierte bürokratische Raster fallen.

Allerdings hat - sinnbildlich - auch das dichteste Netz im Endeffekt eine Maschenweite. So kommt es, dass trotz detaillierter Gesetzgebung, Einbeziehung von Ausnahmetatbeständen und Härtefällen die Realität nicht immer ganz abgefangen werden kann. Ein Beispiel ist trotz Krankenversicherungspflicht so mancher Selbstständige, der durch finanzielle Schieflage seine Beiträge nicht zahlen kann und bei dem auch eine Ratenzahlung fehlschlägt.

Der Tätigkeitsbericht spart, wenn ich das anmerken darf, auch nicht an Anregungen und Vorschlägen für politische oder gesetzliche Änderungen. Ein paar möchte ich hier exemplarisch aufgreifen: Im Bericht wird die Abschaffung der Zwangsverrentung bei SGB-II-Bezug gefordert. Das sehe ich als Freier Demokrat genauso. Ich spreche mich für den flexiblen Renteneintritt aus. Vor allem sollte sich die ARGE nicht sozusagen frühzeitig der Person und ihrer Verantwortung für diese entledigen und diese auf die Rentenversicherungszahler umwälzen. Es wird die Vereinfachung der Regelungen für Auszubildenden-BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe gefordert. Wir stehen jeder Entbürokratisierung aufgeschlossen gegenüber. Erst recht stehen wir einer breiteren Gewährung dieser Mittel offen gegenüber.

In dem Bericht heißt es: Es soll die Mitgliedschaft in der GKV gestärkt und der Zugang hierein erleichtert werden. Ja, aber bitte auch bei der PKV. Ziel muss es sein, dass die Versicherten eine echte

Wahlfreiheit bei den Sozialversicherungssystemen haben.

Die Anrechenbarkeit von Altersvorsorgeleistungen und Vermögen auf die Grundsicherung im Alter soll laut Bericht überprüft werden. An dieser Baustelle sind wir dran. Wer Altersvorsorge betrieben hat, muss mehr haben als jemand, der das nicht getan hat. Altersvorsorge muss sich immer lohnen.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und AfD)

Das sind Themen, die hier in Kiel, zum Teil aber vor allem in Berlin entschieden werden müssen. Zum Teil haben wir in dieser noch jungen Legislaturperiode zu dem einen oder anderen Thema diskutiert. Es wird in den kommenden Monaten hier im Plenarsaal definitiv noch weitere Diskussionen hierzu geben.

Abschließen möchte ich mit einem ausdrücklichen Dank für die geleistete Arbeit an Sie, liebe Frau Samiah El Samadoni, und vor allem auch an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieser Tätigkeitsbericht ist ein Stück weit auch eine Orientierungshilfe, wo Parlament und Verwaltung noch einmal genauer hinschauen sollten. Gerade für mich als neuen Abgeordneten waren die klaren und prägnanten Darstellungen wirklich sehr aufschlussreich. Vielen Dank dafür. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bornhöft. - Wir kommen zur AfD-Fraktion. Das Wort hat Herr Kollege Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Liebe Frau El Samadoni, Sie und Ihre Mitarbeiter haben auch im vergangenen Jahr eine ganze Menge zu tun gehabt: 3.000 „Fälle“, bei denen sich Menschen von Behörden zu Recht oder zu Unrecht, aber in jedem Fall ungerecht behandelt gefühlt haben. Im Bericht wird an vielen Stellen angedeutet, worin die meisten Eingaben ihre Ursache haben: lange Bearbeitungszeiten, fehlende Transparenz, manchmal auch schlicht unvollständige oder falsche Auskünfte, oft auch einfach fehlende Verständlichkeit.

Bei der Bürgerbeauftragten dürfte sich die übergroße Zahl der Petenten hingegen gut verstanden wissen. Hierfür spricht nicht nur der übergroße An

(Dennys Bornhöft)

teil der Eingaben, die im Sinne der Petenten bearbeitet werden konnten. Dies geht auch aus Ihrer klaren und gut nachvollziehbaren Sprache hervor. Es wird deutlich, mit wie viel Einfühlungsvermögen sich Frau El Samadoni und ihre Mitarbeiter den Anliegen der Petenten widmen. Sie werden hier nicht als anonyme Bittsteller einer weiteren Behörde behandelt, sondern als Mitbürger, denen soziale Gerechtigkeit zusteht.

Diese Einstellung kommt immer wieder klar zum Vorschein, und im Namen der AfD-Fraktion möchte ich mich hierfür ganz herzlich bei Ihnen und bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken.

Wie bei so vielen Dingen gibt es aber auch noch eine andere Seite der Medaille der Arbeit der Bürgerbeauftragten, denn dass die Anzahl der Eingaben seit rund zehn Jahren auf einem recht hohen Niveau von über 3.000 verharrt, belegt gleichzeitig, dass der Service beziehungsweise die Aufklärung in den Jobcentern und Sozialämtern vor Ort verbessert werden muss. Dass gerade die Sozialgesetzgebung sehr komplex ist und dass dies für viele Bürger nicht immer leicht nachvollziehbar ist, ist die eine Seite. Dass berechtigte Leistungen quasi vorenthalten beziehungsweise die Bürger über Ansprüche nicht hinreichend informiert werden, ist die andere Seite. Die Zahl derjenigen, die ohne die Arbeit der Bürgerbeauftragten vor das Sozialgericht ziehen würden, ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Die Zahl derjenigen Bürger aber, die aus Unwissenheit heraus ihnen zustehende Leistungen nicht beantragen, dürfte - und diese Mutmaßung muss hier erlaubt sein - wahrscheinlich noch viel höher sein.

Ein mögliches Gegenmittel aus Sicht der AfD: Die Kompetenz der Behördenmitarbeiter vor Ort muss weiter gestärkt werden; denn nur wer gut geschult und nicht überfordert ist, kann im Sinne der Klienten handeln.

Meine Damen und Herren, es ist schon mehrfach angeklungen, dass der Bericht der Bürgerbeauftragten auch immer Aufforderung an die Politik sein soll und auch ist. Ohne ein Handlungsfeld gegen andere auszuspielen, möchte ich an dieser Stelle zwei Themen hervorheben, die uns als AfD besonders wichtig sind. So sagt der Bericht ausdrücklich, dass die finanzielle Belastung von Eltern durch Beiträge für die Kitas in Schleswig-Holstein im Bundesvergleich überdurchschnittlich hoch sei. Dementsprechend passt es einfach dazu, dass die Anzahl der Eingaben dazu auch binnen Jahresfrist von 20 auf 35 gestiegen ist. Das Thema beitragsfreier Kindergartenplatz bleibt also aktuell.

Auch das Beispiel Altersarmut wurde schon genannt. Hier geht der Bericht ja auf den Widerspruch ein, wonach bei älteren und vollerwerbsverminderten Personen, die eine Grundsicherung beziehen, nach gegenwärtiger Rechtslage kein Unterschied gemacht wird, ob sich die Betroffenen beizeiten selbst um eine Absicherung gekümmert haben oder nicht. Anders formuliert: Bei Grundsicherungsempfängern, die über Jahre hinweg selbst Rentenansprüche erworben haben, die also zum Beispiel geriestert haben, wird diese Lebensleistung finanziell in keiner Weise gewürdigt. Das ist unfair, und das wäre durch die Einführung eines Grundfreibetrags zu ändern.

Auch die anderen Bereiche, die Aufgaben im Bereich der sozialen Sicherungssysteme bleiben, sind eine Herausforderung.

Lassen Sie mich aber mit einem ganz anderen Gedanken schließen, der mir wichtig ist. Frau El Samadoni ist ja nicht nur die Landesbeauftragte für soziale Angelegenheiten, sondern auch noch Landespolizeibeauftragte, fährt also zweigleisig. Sie ist Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, und außerdem baut sie quasi nebenbei gerade eine Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche in Heimen auf.

Liebe Frau El Samadoni, noch einmal verbunden mit einem Dankeschön für Ihre Arbeit: Bitte schlagen Sie gegebenenfalls - und das wird unterstellt rechtzeitig Alarm! Wir brauchen Ihre Dienststelle tatsächlich noch für einige Jahre in diesem Land. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort hat nun für die Abgeordneten des SSW der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für mich und meine Partei steht es völlig außer Frage, und ich habe es ja schon des Öfteren gesagt, möchte es aber gern noch einmal betonen, wie wertvoll die Arbeit von Frau El Samadoni und ihrem Team in unseren Augen ist.

(Beifall SSW, SPD und FDP)

Allein im Jahr 2016 sind hier 3.323 neue Eingaben eingegangen. Sofern diese Eingaben zulässig waren, konnte dem weit überwiegenden Teil schnell und umfassend abgeholfen werden.

(Dr. Frank Brodehl)

Hinter dieser Zahl von 3.323 Eingaben stehen Menschen, die die unterschiedlichsten Probleme haben. Sie suchen Rat, weil sie im Umgang mit der Sozialverwaltung nicht mehr weiterwissen oder weil sie zum Beispiel aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden. Durch die Beratung und Begleitung von Frau El Samadoni und ihrem Team kommen viele von ihnen zu ihrem Recht, und zwar nicht erst nach einem langen und nicht selten kräftezehrenden Verfahren, sondern häufig eben deutlich niederschwelliger. Das ist für jede Einzelne und jeden Einzelnen ein Gewinn. Für diesen Einsatz sind wir grundsätzlich sehr dankbar.

Doch nicht nur Fehlentscheidungen in vielen Einzelfällen konnten korrigiert werden. Am Beispiel der Schulbegleitung wird noch ein weiterer Mehrwert der Beauftragtenarbeit deutlich. Die Schulbegleitung macht für viele Kinder mit Behinderung den Schulbesuch erst möglich. Bekanntlich wurde aber vielen Familien ihr individueller Anspruch auf diese wichtige sozialrechtliche Leistung verwehrt. Die Frage der Abgrenzung zwischen Schule und Eingliederungshilfe und damit eben auch die Frage der Finanzierung wurden leider viel zu oft auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen.

Man kann sich zwar leicht vorstellen, dass es Eltern von Kindern mit Handicap nicht immer einfach haben. Aber wie muss es denn sein, wenn Behörden auch noch auf stur schalten, um nicht bezahlen zu müssen? Fingerspitzengefühl Fehlanzeige!

(Beifall SSW)

Doch auch diese Betroffenen haben durch die Arbeit der Beauftragten wertvolle Unterstützung bekommen. Und eben noch mehr als das: Denn nach meiner Einschätzung hat diese Unterstützung auch zu einer entsprechenden Rechtsprechung beigetragen oder eben zur Korrektur, wie sie das Landessozialgericht im Januar 2017 vorgenommen hat. Im Ergebnis haben damit Eltern mit schulpflichtigen Kindern mit Behinderung in Zukunft Rechtssicherheit. Und das freut den SSW sehr.

Wer sich den vorliegenden Bericht etwas genauer anschaut, kann kaum übersehen, dass die Probleme und Lösungen in diesem Arbeitsbereich sehr vielfältig sind. Dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle will ich hier gar nicht vorgreifen. Aber neben der Tätigkeit als Bürgerbeauftragte ist Frau El Samadoni bekanntlich auch als Ombudsfrau der Kinder- und Jugendhilfe und als Polizeibeauftragte tätig.

Die Erfahrung zeigt, dass es auch hier viele Probleme gibt. Die Arbeit wird mit diesen zusätzlichen

Aufgaben gewiss nicht weniger. Das sollte man aus Sicht des SSW auch bei zukünftigen Haushaltsberatungen nicht vergessen.

Grundsätzlich macht leider auch dieser Bericht wieder deutlich, dass die seit Jahren bestehenden Schwierigkeiten in der Sozialgesetzgebung bei Weitem nicht gelöst sind. Das gilt auch für die Grundsicherung, aber auch für Rente, Sozialhilfe oder Krankenversicherung.

Die Bürgerbeauftragte hilft eben nicht nur all jenen, die sich im Dickicht der Sozialgesetze verirrt haben, sondern sie legt auch immer wieder öffentlich den Finger in die Wunde. Damit gibt sie auch den Schwächsten in unserer Gesellschaft eine Stimme. Sie liefert eben auch immer wieder wertvolle Anregungen und Vorschläge. Für diesen Einsatz und für die äußerst gute Zusammenarbeit bedanke ich mich auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Vielen Dank. - Die Landesregierung hat uns mitgeteilt, dass sie bei diesem Tagesordnungspunkt auf Redezeit verzichtet.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht in der Drucksache 19/141 in alle Ausschüsse zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Damit ist der Bericht einstimmig in die Ausschüsse überwiesen worden.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8:

Finanzielle Unterstützung für Schülerinnen und Schüler der Inseln und Halligen

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/268

Unterstützung für Schülerinnen und Schüler der Inseln und Halligen

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/345

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das