Wir sprechen auch über eine ganz wichtige ethische Frage, nämlich über die Priorisierung bei der Verteilung des Impfstoffes. Das muss jetzt zügig geklärt werden, der Minister hat es ausgeführt. Für mich steht außer Frage, dass vor allem die besonders verletzlichen Gruppen Vorrang haben müssen. Ich glaube, da gibt es auch einen breiten Konsens. Hinzukommen müssen vor allem medizinisches und pflegerisches Personal, aber absehbar auch andere Menschen, die aus meiner Sicht in der Gesellschaft an der Front stehen. Das sind zum Beispiel Polizisten und Feuerwehrleute. Auch die müssen sinnvoll eingereiht werden. Das sollte man an dieser Stelle auch deutlich machen. Das ist nicht so einfach angesichts der Millionen auch älterer Menschen, die wir in Deutschland haben. Aber ich glaube, es muss trotzdem beachtet werden, dass das sinnvoll eingereiht wird.
Eine besondere logistische Herausforderung - der Minister hat es angedeutet - ist die Impfung der sehr vielen Menschen, die zu Hause gepflegt werden, die also nicht ins Impfzentrum kommen können und die nicht im Pflegeheim geimpft werden können. Das hat natürlich mit der notwendigen Kühlung des Impfstoffes zu tun. Übrigens gibt es auch da schon gute Nachrichten. Der BioNTechGründer hat auch gesagt, dass sie schon an einer zweiten Generation arbeiten, die aber erst in einigen Monaten verfügbar sein wird, wo man die Kühlung nicht braucht. Das würde natürlich viele logistische Herausforderungen deutlich kleiner machen.
Es deutet bisher alles darauf hin, dass Nebenwirkungen sehr überschaubar sein werden. 100-prozentige Garantien kann aber niemand geben. Deshalb wird man alles genau beobachten müssen. Ich finde es auch wichtig, dass in den Impfzentren stets eine Aufklärung stattfinden wird. Eine spannende Frage wird dabei zum Beispiel auch die Dauer der Immunität sein, was natürlich für notwendige Nachimpfungen entscheidend ist. Da ist die Frage:
Abschließend möchte ich sagen: Wichtig ist mir auch, dass die Impfstoffe international angemessen verteilt werden. Im vereinten Europa und einer globalvernetzten Welt darf es keinen Impfnationalismus - so nenne ich es einmal - geben. Das ist natürlich schwierig, aber ich glaube, man muss damit umgehen, dass es fair verteilt wird. Wir können meiner Meinung nach auch ein bisschen stolz darauf sein, dass der erste bei uns wohl zugelassene Impfstoff in Deutschland entwickelt wurde - das ist eine gute Nachricht -, übrigens von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Da sei nur am Rande erwähnt, aber auch das sollte man an der Stelle einmal beachten, weil viele Debatten in andere Richtungen gehen. Auch das sollte man bemerken und anerkennen.
Wir sollten das Impfen weiterhin konzentriert vorbereiten, offen und respektvoll darüber kommunizieren und dabei auch keine unnötige Zeit verlieren, dann werden wir diese Krise hoffentlich bald hinter uns lassen. Lassen Sie uns auch an der Stelle zusammenhalten, dann wird das ein gutes Ende nehmen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung für die Einrichtung dezentraler Impfzentren in Schleswig-Holstein halte ich für überzeugend. Die Wege werden auf diese Weise verkürzt, und die Impfung kann vor Ort stattfinden. In Flensburg ist man zum Beispiel schon ganz gut davor. Das Gelände in Mürwik wird derzeitig entsprechend ertüchtigt. Die Stadt Flensburg hat der Ratsversammlung die Arbeitsweise des Flensburger Impfzentrums erläutert. Danach ist geplant, an sieben Tagen der Woche entlang von vier Linien circa 300 Menschen täglich zu impfen, sodass nach einem halben Jahr und der zweiten Impfung schätzungsweise 27.000 Personen über einen effektiven Impfschutz verfügen. Erst dann können wir auch in Flensburg etwas aufatmen und allmählich daran denken, das gewohnte Leben wiederaufzunehmen.
Während die technische Vorbereitung der Impflinien, der Abläufe und der Logistik weitestgehend im Zeitplan liegen, gibt es mit Stand heute noch keine abschließende Empfehlung der Impfkommission. Bei der Covid-19-Impfung ist die gerechte Verteilung der Impfstoffe aber zum anderen besonders wichtig. Zum einen sind die Impfstoffmengen begrenzt, aber eben auch die Infrastruktur. Darum müssen wir nachvollziehbare Kriterien entwickeln, die zur bestmöglichen Vermeidung von schweren Erkrankungen und Todesfällen beitragen: In welcher Bevölkerungsgruppe ist der Nutzen der Impfung am höchsten? Wie können alters- und berufsspezifische Risiken abgewogen werden? Und zuletzt die Frage: Welche Risikogruppen zeigen einen schweren Verlauf von Covid-19 und müssen deswegen vorrangig geimpft werden? Diesen ethischen Fragen müssen wir uns auch als Politik stellen.
Ich verhehle nicht, dass ich die Menschen in Altenund Pflegeheimen sowie die dort Beschäftigten zuerst geimpft sehen möchte, weil nur so die soziale Isolierung in den Heimen endlich aufgehoben werden kann. Menschen mit vielen Kontakten, zum Beispiel in Krankenhäusern oder aber auch im Rettungsdienst oder in Kitas, sollten ebenfalls vorrangig geimpft und damit geschützt werden. Die Ständige Impfkommission wird gemeinsam mit anderen Institutionen alle Daten bewerten und darauf basierende Empfehlungen sehr kurzfristig vorlegen. Derzeit liegt ein Entwurf vor, der noch in Abstimmung beziehungsweise im Stellungnahmeverfahren ist. Wir können aber wohl noch in diesem Jahr mit einer entsprechenden Priorisierung rechnen.
Warum ist das so wichtig? - Wir dürfen bei aller Euphorie über die blitzschnelle Entwicklung des Impfstoffes nicht vergessen, dass in den letzten Jahren eine ernstzunehmende Impfskepsis gewachsen ist. Viele Eltern lassen sich von ominösen Warnungen verunsichern und verweigern die Impfung ihrer Kinder auch gegen Röteln, Masern und Mumps. Sie wollen diesen die angeblich schlimmen Impffolgen ersparen. Was sie aber tatschlich tun, ist, das Aufflammen eigentlich ausgerotteter Krankheiten zu schüren.
(Beifall Lars Harms [SSW], Birte Pauls [SPD], Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dennys Bornhöft [FDP])
Die Impfstoffproduzenten BioNTech und Pfizer geben zwar an, dass sie bei ihren Tests praktisch keine ernsten Nebenwirkungen bis auf Müdigkeit und Kopfschmerzen feststellen konnten, die Langzeitfolgen sind aber angesichts der kurzen Zeit noch unerforscht. Die Forschungen stehen erst noch an, und zwar weltweit an immerhin 150 Orten. Allerdings können auch heute schon erste Rückschlüsse aus Forschungen in der Vergangenheit gezogen werden.
Bis dahin müssen die Menschen vertrauen, und die allermeisten Menschen machen das. Das ist gut so. Auch ich vertraue. Genau das könnte aber auch zur Herausforderung werden. Ich gehe davon aus, dass wir an den Impfzentren Demonstrationen von Menschen zu erwarten haben, die auch in Zeiten von Abstandsgebot und Kontaktbeschränkung gegen die Maßnahmen demonstriert haben. Das haben sie in vielen Orten getan - Menschen, die sich in den letzten Monaten in noch nie gesehener Weise unglaublich schnell radikalisiert haben. Ein einziger Klick in die sozialen Medien, und man trifft auf eine Person, die gegen Corona wettert und hinter der Krankheit eine globale Verschwörung vermutet.
Wie gehen wir mit diesen Personen um? - Wir werden die Impfzentren schützen müssen. Wir werden die Impflinge und das Gesundheitspersonal schützen müssen. Die Publizistin Katharina Nocun hat am Wochenende noch einmal auf das Gewaltpotenzial der verschwörungsideologischen Milieus hingewiesen. Wir müssen das ernst nehmen und einen effektiven Schutz organisieren. Am besten denken wir das auch von Anfang an mit, bevor die ersten Demos stattfinden. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für den Bericht zur Impfstrategie. Es ist aus meiner Sicht eine stellenweise doch eher theoretische Betrachtung, denn die zu erwartende Praxis stößt an zwei Stellen auf die Wirklichkeit.
Zum einen sind zum erwarteten Impfstoff noch wirklich viele Fragen offen. Das haben auch Vorredner hier schon angesprochen. Viele Fragen sind
unbeantwortet. Das wird ein Problem werden. Auch wenn die Zulassungen im Schnellverfahren nach und nach Wirklichkeit werden - wie aktuell in Russland oder auch in Großbritannien; zu erwarten auch in der EU -, so kann doch derzeit niemand mit Sicherheit sagen, ob und wie ein beispielsweise auf mRNA-Basis erstellter Impfstoff wirklich wirken wird, wie lange er wirksam bleibt und welche Folgen diese Impfung haben kann.
Erste Studien werden in der Öffentlichkeit mit 90 % bis 95 % Wirkung vorgestellt. Dabei wird außer Acht gelassen, dass diese Studien den Wirkungsgrad anders berechnen, als die veröffentlichten Daten die Bevölkerung vermuten lassen. Infektionsraten werden vermutlich zu vermindern sein, Krankheitsverläufe möglicherweise nicht. - Auch hier viele Fragen offen.
Eine Immunisierung wird für die Dauer von drei bis sechs Monaten erwartet, so beispielsweise die Angabe für den Moderna-Impfstoff. Andere sprechen von bis zu einem Jahr; wir hörten vorhin: fünf Jahre. Auch diese Frage wird nicht beantwortet. Es stellt sich dann die Folgefrage: Was folgt nach dem Ende der Immunisierung?
Da ist sie dann, die Erkenntnis, dass man zwar Entwicklung und Forschung parallel betreiben und so erheblich beschleunigen kann - das war in der Tat eine wirklich respektable Leistung, die die Unternehmen erbracht haben -, aber sie können eben nicht die Ergebnisse von dringend erforderlichen Langzeitstudien verkürzen. Die Auskunft über frühe oder späte Folgen einer Impfung sind hier zu klären und haben hier zu erfolgen. Deshalb stelle ich mich hier auch sehr, sehr kritisch zu dieser ganzen Frage der Impfung.
Denn es besteht - das ist ja nicht nur meine Befürchtung - auch aus wissenschaftlichen Kreisen die Befürchtung, dass hier das größte Humanexperiment der modernen Geschichte betrieben wird. Das ist die Titelzeile eines Fachmagazins.
Nein, ich möchte jetzt gern meinen Beitrag weiter fortsetzen. - Die Fachzeitung „Der Arzneimittelbrief“ kritisiert ganz konkret - hier zitiere ich mit Ihrer Erlaubnis -:
„Durch die Verkürzung üblicher Beobachtungszeiträume erhöht sich das Risiko, dass Nebenwirkungen während der klinischen Prüfung unerkannt bleiben.“
„Auch wird ein sehr wichtiger Wirksamkeitsendpunkt der Impfstoffe, die ,sterile Immunität‘, in den laufenden Studien kaum berücksichtigt. Würde durch eine Impfung eine anhaltende sterile Immunität erreicht – die ideale Wirkung einer Impfung -, könnten Infektionsketten unterbrochen werden. Die bisher publizierten Ergebnisse der laufenden Impfstudien lassen das aber kaum erwarten.“
Dann sind wir damit tatsächlich auch schon beim zweiten Aspekt der Wirklichkeit. Denn die Menschen sehen das, und sie vertrauen dem Impfstoff aktuell noch nicht. Das ist ein wirkliches Problem.
Die Akzeptanz eines Impfstoffes lässt sich eben nicht herstellen, wenn man einen Impfstoff, seine Wirksamkeit und die Folgen für die Gesundheit nicht wirklich kennt. Wir würden uns ja wünschen, dass es einen Impfstoff gibt, der uns von dieser Coronapandemie erlöst.
Frau Dr. Bohn, Sie haben vorhin die Waagschale genannt. Sie wissen nicht, was Sie in die eine Seite der Waagschale werfen. Sie haben auf der anderen Seite Folgewirkungen von Corona, von Covid-19Erkrankungen, aber Sie wissen nicht, was in der anderen Waagschale ist.
„Also, wir gehen alle davon aus, dass im nächsten Jahr Impfstoffe zugelassen werden. Wir wissen nicht genau, wie die wirken, wie gut die wirken, was die bewirken, aber ich bin sehr optimistisch, dass es Impfstoffe gibt.“
Ja. - Meine Damen und Herren, diesen Optimismus teile ich leider nicht. - Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Unter einer Strategie versteht man gemeinhin eine umfassende längerfristige Maßnahmenkombination zur Erreichung bestimmter Ziele. Das, was soeben als Umsetzung der Impfstrategie vorgetragen worden ist, wird dieser Definition nicht gerecht. Denn es kann ja wohl nicht darum gehen, vorranging Informationen über Formalien zu bekommen, wenn andere Fragen nur ansatzweise oder nicht einmal ansatzweise berührt werden. Und zwar geht es um die Fragen, welches Ziel denn genau durch die Massenimpfung erreicht werden soll, zweitens, ob die Impfungen sicher und wirksam sind, und drittens um die Frage: Wie wird sichergestellt, dass aus dem Impfangebot nicht quasi eine Impfpflicht, also ein Impfzwang, wird?