Protocol of the Session on October 11, 2017

Doch so spannend das Thema Grundeinkommen auch ist, es ist ein langfristiges Vorhaben, und es hilft den Menschen, die heute vor Problemen stehen, herzlich wenig. Deshalb ist für uns die Frage, wie wir die Bürgerinnen und Bürger hier und jetzt vor Armut schützen, noch weit wichtiger. Oder anders gesagt: Wir brauchen nicht nur Antworten für diejenigen, deren Arbeitsplätze durch eine fortschreitende Digitalisierung bedroht sind, sondern auch für Alleinerziehende oder für Menschen, die beispielsweise Angehörige pflegen. Aber auch Langzeitarbeitslosen oder den viel zu vielen Geringverdienern im Land können wir noch deutlich bessere Angebote machen, wenn es um ihre Wie

dereingliederung oder um ihre soziale Sicherung geht.

Hier liegt also noch viel Arbeit vor uns. Wir müssen uns zum Beispiel gemeinsam mit den Tarifpartnern und der Wirtschaft für eine noch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen, und wir müssen weiter daran arbeiten, die Barrieren für flexiblere Arbeitszeiten auszubauen.

Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsangebote sind wir dazu auf einem sehr guten Weg, den wir natürlich weitergehen müssen.

Außerdem sollten wir uns nicht zuletzt in Berlin dafür einsetzen, dass Einkommensverluste durch Erwerbsunterbrechungen oder Arbeitszeitverkürzungen ausgeglichen werden, vor allem natürlich dann, wenn diese Unterbrechungen durch wichtige Aufgaben wie Kindererziehung, Pflege oder Weiterbildung entstehen. Denn diese Dinge führen viel zu oft zu Nachteilen im Arbeitsleben und später bei der Rente.

Ich denke, ein sogenanntes Zukunftslabor soziale Sicherung kann durchaus dazu beitragen, Antworten auf einige Herausforderungen zu geben. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und freue mich auch auf die Beratung über den Antrag des SSW, den ich gern in den Ausschuss überweisen möchte. - Jo tak.

(Beifall SSW, vereinzelt CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat nun der Kollege Heiner Dunckel für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Bohn, ich habe das Glück oder das Problem, dass ich mich beruflich viele Jahre unter anderem mit dem Thema BGE, also mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, beschäftigt habe. Sie sollten auch wissen, dass es eine breite Diskussion in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in den linken Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, gibt, die kritische Stimmen zu dem Thema BGE formuliert haben. Insofern wundert es mich schon, dass Sie relativ unkritisch einfach gesagt haben: Wir sind für das BGE. Denn es gibt auch da sehr kritische Diskussionen. Insofern bin ich der Kollegin Rathje-Hoffmann dankbar, dass sie diese kritischen Punkte, die ja nicht nur Straubhaar, sondern auch viele andere for

(Flemming Meyer)

mulieren, noch einmal thematisiert hat, weil man sie in der Tat, denke ich, in besonderem Maße berücksichtigen muss.

An dieser Stelle frage ich mich natürlich ein bisschen, ob Sie wirklich in einer gemeinsamen Koalition sind oder nicht. Bei diesem Punkt kann ich das nicht so richtig feststellen.

(Beifall SPD)

Deshalb hat es mich ein bisschen beunruhigt, dass es für dieses Zukunftslabor offensichtlich schon eine Art Vorfestlegung gibt. Das ist etwas, was mich durchaus beunruhigt.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Dann wis- sen Sie ja mehr als wir!)

- Es hört sich einfach so an. Das muss man ja so thematisieren. - Deswegen hoffe ich sehr, dass auch die - für uns wesentlich im parlamentarischen Kontext - kritischen Stimmen in den Wissenschaften und Gewerkschaften thematisiert, zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden. Das halte ich für das Wenigste, was man erwarten kann.

(Beifall SPD)

Ich erteile nun dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg, für die Landesregierung das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das eine tun ohne das andere zu lassen: Dass wir uns selbstverständlich mit der Gegenwart beschäftigen, das erleben spätestens auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition jedes Mal im Schleswig-Holsteinischen Landtag und in den Fachausschüssen. Aber dass sich eine Koalition mit einem so breiten Spannungsbogen die Fragen der Zukunftssicherung so ins Pflichtenheft geschrieben hat, das ist, so würde ich sagen, schon etwas ganz besonderes. Wir dürfen wirklich stolz darauf sein, dass uns das in dieser Form gelungen ist.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich bei meinem ehemaligen Kollegen, dem Landesvorsitzenden Arfst Wagner von den Grünen, bedanken, der hier mit ein Impulsgeber dafür war. Es war mitnich

ten geplant, und es wird mitnichten der Fall sein, dass es irgendeine Vorfestlegung auf irgendeine Absicherung geben wird. Denn der Charme einer solchen offenen Auseinandersetzung, zu der wir im Übrigen die Opposition genauso einladen wie die Sozialverbände und Arbeitsmarkt- und Zukunftsforscher, besteht darin, sich eben nicht in einer Art Schaufensterdebatte hier die verschiedenen Ideologien, wie es bedauerlicherweise bei einem Beitrag wieder der Fall gewesen ist, um die Ohren zu hauen, sondern wirklich zu schauen, wie sich diese Gesellschaft denn weiterentwickelt, welche Herausforderungen der Arbeitsmarkt 4.0 bringt und was die Digitalisierung für die Gesellschaft bedeutet. Ja, das ist eine fantastische Chance für viele, aber was bedeutet das im Zweifel für den Kurierfahrer? Was bedeutet das für die Bewertung von Arbeitszeiten, aber auch arbeitsfreien Zeiten in Zukunft? Wie wollen wir in Zukunft für genau diese digitale Welt, in die wir hineinwachsen, ob es uns passt oder nicht, ein passgenaues, zukunftsfähiges soziales Sicherungssystem auf den Weg bringen? Dies wollen wir miteinander offen diskutieren. Dass es hier einen wirklich destruktiven Beitrag der Sozialdemokratie gibt, kann ich beim besten Willen nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und AfD)

Ich will mich ausdrücklich damit auseinandersetzen, dass herkömmliche Sicherungssysteme möglicherweise keine Antwort mehr auf die Herausforderungen geben, die wir in der Zukunft haben. Es geht um die gleichrangige Diskussion, ob das die Weiterentwicklung umlagefinanzierter sozialer Sicherungssysteme ist, ob es ein bedingungsloses oder ein nicht bedingungsloses Grundeinkommen wie beispielsweise in Finnland ist - das finnische Modell ist ein nicht bedingungsloses Grundeinkommen - oder ob das ein Bürgergeld, ob ein liberales oder ein anderes Bürgergeld, sein soll.

Wir wollen all diese Absicherungsvarianten inklusive der Lebenskonten, wie sie gerade in Frankreich sehr engagiert diskutiert werden, mit Praktikern, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit den Sozialverbänden, mit der Opposition, Herr Oppositionsführer, miteinander diskutieren, um die Ergebnisse dann nach Berlin zu tragen, weil wir sagen: „Wir Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner - jedenfalls die Koalitionspartner und, wenn ich es richtig verstanden habe, genauso der SSW - haben hier vorgearbeitet und erwarten, dass sich eine neue Bundesregierung dieser zentra

(Dr. Heiner Dunckel)

len Herausforderung genauso stellt, wie wir es in Schleswig-Holstein tun!

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich hatte jedenfalls gehofft, dass man das zumindest an dieser Stelle hinbekommt, weil es um die ganz zentrale Frage geht, in welcher zukünftigen Gesellschaft wir eigentlich leben wollen, welche Rolle ehrliche soziale Teilhabe am Leben für alle Menschen in einer sich rasant verändernden Gesellschaft spielt. Es ist doch die Veränderung, die den Menschen solche Angst macht. Ich habe gedacht, dass man das jenseits von Ideologien und parteipolitischen Grenzen auch einmal im Schleswig-Holsteinischen Landtag debattieren kann. Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass das offensichtlich das bedaure ich wirklich zutiefst - so nicht der Fall gewesen ist. Wir werden uns davon nicht abhalten lassen. Wir werden genau die Frage, wie wir Gesellschaft wieder mehr dazu bekommen, dass sie sich mitgenommen und auch von der Politik ernst genommen fühlt, aufnehmen und das versuchen.

Ich denke, hier gibt es den ersten richtigen Startschuss. Auf der administrativen Ebene haben wir sozusagen alles vorbereitet, sprich, eine interministerielle Arbeitsgruppe wurde gegründet. Dann werden wir uns über die entsprechenden fachlichen Fragen auch mit den Fachfrauen und Fachmännern unterhalten. - Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, AfD und SSW)

Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag hat nun der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands braucht vom Sozialminister dieses Landes keine Belehrungen, was soziale Sicherungssysteme angeht. Es ist auch nicht destruktiv - Sie reden von Schaufensterdebatten -, wenn hier im Parlament debattiert wird. Ich finde, in einer Situation, in der Menschen teilweise nicht mehr ordentliche Sozialbeiträge bekommen, darüber zu reden, was aus der Zukunft von Gesundheit, Pflege, Arbeit und Rente wird, verlangt deutlich mehr Seriosität als solche Vorhaltungen.

(Beifall SPD)

Es ist übrigens auch kein Versuchslabor, sondern es ist das reale Leben, über das wir hier miteinander reden. Menschen bauen übrigens - darauf hat Frau Rathje-Hoffmann hingewiesen - auf die sozialen Sicherungssysteme. Heute bezahlt eine Krankenschwester dafür Steuern, dass sie Menschen unterstützt, die nicht arbeiten können. Soll sie möglicherweise am Ende Steuern für Leute bezahlen, die nicht arbeiten wollen? - Das kann doch keine ernsthafte Lösung sein.

Wir teilen weder die karitative Sicht nach dem Motto: „Man muss denen etwas geben“, noch teilen wir die Sicht, die insbesondere Liberale vertreten, man müsse kapitalgedeckte Systeme haben, sondern wir wollen solidarische Systeme haben. So muss es sein. Das fußt auf guter, ordentlich bezahlter Arbeit.

Um die, die dann nicht zurechtkommen, muss man sich in der Tat kümmern. Aber das Bürgergeld, von dem Sie alle hier reden, bleibt, auch wenn es einen wunderschönen Namen hat, eine Sozialtransferentscheidung, die Parlamentsmehrheiten treffen, die übrigens nicht immer progressiv sein müssen. Die Hoffnung, dass am Ende alle mehr bekommen, ist, denke ich, überaus unbegründet. Am Ende ist es wahrscheinlich weniger.

Übrigens - das hat Frau Rathje-Hoffmann gesagt, ich will das noch einmal wiederholen; ich stimme ihr ja nicht immer zu, aber in diesem Punkt schon -: Wenn man das einmal gemacht hat, dann sind die sozialen Sicherungssysteme kaputt, und zwar für immer. Das kann sich kein Mensch leisten. Deswegen halte ich schon den Titel eines Labors für einen sehr schwierigen Begriff. Wir reden hier über das reale Leben von Millionen von Menschen, die davon abhängig sind, dass sie soziale und solidarische Sicherungssysteme haben.

Herr Kollege Garg, eines will ich Ihnen noch einmal sagen: Sie halten uns vor, wir seien destruktiv, lassen aber unseren Antrag zur Bürgerversicherung einfach ruhen und betreiben ihn nicht weiter,

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

oder halten dem Kollegen Baasch, der vom sozialen Arbeitsmarkt gesprochen und gesagt hat -

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

- Reden Sie über Dinge, von denen Sie etwas verstehen, Herr Kollege Vogt!

(Zurufe FDP)

(Minister Dr. Heiner Garg)

Aber dass Sie zum Beispiel nicht über den sozialen Arbeitsmarkt reden wollen und es destruktiv nennen, wenn ein Sozialdemokrat das hier vorträgt, zeigt, wo die Gefahren liegen,

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist doch arm- selig!)

wenn man das privatisiert und wenn man das outsourct. Outsourcen ist schon der richtige Begriff, wenn wir das hier im Parlament nicht miteinander diskutieren. Hier im Parlament sollen wir über soziale Sicherungssysteme reden, aber nicht in irgendwelchen Kammern,

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

zumal wir bei Ihnen merken, dass Sie zum Beispiel Leute in Beiräten, wenn Sie die selbst zu bestellen haben, gezielt ausschalten und ausschließen. Arbeitnehmerinteressen spielen dann gar keine Rolle.

Langer Rede kurzer Sinn: Die sozialen Sicherungssysteme haben sicher ihre Probleme. Aber es sind Systeme, die für Generationen von Menschen von Bedeutung sind. Wenn wir diese kaputt machen, wenn wir das nicht in Seriosität miteinander diskutieren, ist das im Übrigen am Ende eine Frage der Demokratie, und die Populisten, die dort drüben sitzen, profitieren davon,