Derartig weitreichende Lizenzen, wie die für Ihre unabhängige Demonstrationsbeobachtung, können Regierungen in einem Rechtsstaat ohne Gesetz einfach nicht erteilen.
So ganz nebenbei führen Sie mit der unabhängigen Demonstrationsbeobachtung in das Versammlungsrecht neben den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern auf der einen Seite und der Versammlungsbehörde, respektive der Polizei, auf der anderen Seite noch einen weiteren mit Rechten und Befugnissen dritten Akteur ein. Dass dieser Akteur dazu ohne Rechtsgrundlage Bild- und Tonaufnahmen von allen Beteiligten machen darf, also auch noch unmittelbar in die ebenfalls geschützten Persönlichkeitsrechte der Dokumentationsbetroffenen eingreifen darf, kommt noch hinzu.
Meine Damen und Herren, die Figur der unabhängigen Demonstrationsbeobachtung ist ja nicht ganz neu. Darauf haben Sie selber auch hingewiesen. Schon im Entwurf der grünen Landtagsfraktion zu einem schleswig-holsteinischen Versammlungsgesetz in der 17. Wahlperiode taucht die unabhängige Demonstrationsbeobachtung auf. Auch - darauf haben Sie ebenfalls hingewiesen - im Koaliti
onsvertrag der Küstenkoalition wird die Demobeobachtung im Zusammenhang mit einem neuen Versammlungsfreiheitsgesetz erwähnt.
Sie können mir glauben, Herr Dr. Breyer, wir Grünen haben uns über eine saubere gesetzliche Verankerung einer solchen neutralen Beobachtungs- und Dokumentationsstelle im Versammlungsrecht intensiv Gedanken gemacht und dazu auch viele Expertinnen und Experten befragt. Schon die Frage, wer es denn machen soll, kann nicht befriedigend gelöst werden. Was qualifiziert ihn oder sie für den Job? Kann er oder sie sich selbst zu einer neutralen Beobachtungsinstanz berufen? Oder sollen sich die Interessentinnen und Interessenten akkreditieren lassen? Gegebenenfalls bei wem? Das hat die Humanistische Union im Anhörungsverfahren zum Versammlungsgesetz in der 17. Wahlperiode übrigens selbst deutlich kritisiert.
Wer gewährleistet, dass die ausgesuchten Personen tatsächlich unabhängig sind? Wollen Sie, dass Nazis die Antifa-Proteste kontrollieren und umgekehrt, um sich gegenseitig zu neutralisieren? Müssen die Demobeobachter vorher einen Gesinnungstest absolvieren? Wollen Sie eine unbegrenzte Anzahl von Demonstrationsbeobachterinnen und -beobachtern? Das sind Fragen über Fragen!
Sie geben auf diese Fragen in Ihrem Antrag - auch im neuen - nicht eine einzige Antwort. Dass Sie das Ganze dann auch noch auf der Ebene einer Regierungsanweisung für ein ganz singuläres Ereignis geregelt haben wollen, damit schießen Sie dann aber tatsächlich den Vogel ab.
Im Übrigen, liebe PIRATEN, gibt es eine Demonstrationsbeobachtung gerade in Lübeck schon seit vielen Jahren. Ich selbst habe - bekleidet mit einer gelben Warnweste mit der Aufschrift „Demonstrationsbeobachtung“ - zusammen mit einigen anderen von der Humanistischen Union anlässlich der NaziAufmärsche in Lübeck mehrfach den Demonstrationsbeobachter gegeben. Im Rahmen der Kooperationsbereitschaft und des Konfliktmanagements der Landespolizei wurden wir wohlwollend geduldet und konnten lediglich allein durch unsere Anwesenheit konfliktmildernd wirken.
(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Oh ha! Auf die Nazis?)
Ich gehe davon aus, dass auf dieser Ebene auch am 14. und 15. April 2015 während der G-7-Demonstration in Lübeck wieder eine Demonstrationsbeobachtung stattfinden wird.
Sollten Sie eine zündende Idee für eine tragfähige gesetzliche Lösung haben, lassen Sie sie uns bitte wissen. So wie in dem jetzt vorliegenden Antrag geht es aber auf jeden Fall nicht. - Vielen Dank.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Stegner kommt mit einer roten Warnweste als Supervisor! - Heiterkeit)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welche Vorstellungen hinter dem von den PIRATEN vorgelegten Antrag stehen, kann man in der Tat besonders gut erkennen, wenn man die Begründung in der alten Antragsfassung durchliest. Da wird davon gesprochen, dass man eine neutrale Dokumentationsinstanz brauche, deren Aufgabe es sein solle, „rechtswidrige Übergriffe von Polizei und Demonstranten“ zu dokumentieren. Woran ich mich hier störe, ist die darin enthaltene Unterstellung, als seien sozusagen diese beiden Seiten gleichermaßen für rechtswidrige Verstöße, für Übergriffe verantwortlich und als benötige man quasi eine neutrale dritte Instanz, die das alles - durch wen berufen, selbst berufen, oder durch wen auch immer ernannt - dokumentieren soll.
Nun wissen wir spätestens - spätestens! - seit den Vorgängen in Frankfurt am vergangenen Mittwoch, dass die Realität doch eine ganz andere ist. Man kann jetzt auf „SPIEGEL ONLINE“ nachlesen, dass dort etwa 4.000 Gewalttäter ganz gezielt unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit organisiert und vorbereitet nicht nur Krawall gemacht, sondern auch Gewalttaten beabsichtigt und durchgeführt haben. Das ist die traurige Realität.
Wer ist überhaupt autorisiert, über die Einhaltung von Recht und Gesetz zu wachen? - Ja, wenn jemand dazu befugt ist, dann doch die staatlichen Organe,
die von einer in demokratischer Wahl zustande gekommenen Regierung von Amts wegen dazu berufen sind. Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall auch einmal vonseiten staatlicher Organe rechtswidrig vorgegangen wird, aber wir haben das Vertrauen, dass dies dann auch in der erforderlichen Art und Weise geahndet und unterbunden wird.
Der Antrag der PIRATEN stellt aber die Polizei quasi auf eine Stufe mit den Gewalttätern, die unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit ihr Spiel betreiben.
Im Übrigen darf ich noch abschließend darauf hinweisen, dass es eine ganz interessante Neuinformation gibt. Bei der Frankfurter Blockupy-Demo waren offensichtlich auch mehrere rechtsextremistische Organisationen beteiligt. Es gab jedenfalls im Internet Aufrufe unter der Rubrik „Nationalisten gegen Kapitalismus“. Da haben sich im Grunde also - wie in der Endphase der Weimarer Republik Linksextremisten und Rechtsextremisten zur gemeinsamen Aktion gegen einen demokratischen Staat, gegen eine demokratische Grundordnung, zusammengefunden. Ich finde das schon in höchstem Maß bedenkenswert. Karl Kraus hat das einmal so formuliert: Lechts und Rinks kann man leicht verwechseln.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PIRATEN zielt auf etwas ab, was schon im Rahmen der Beratungen zum Versammlungsgesetz eine Rolle gespielt hat und dann mehr oder weniger verworfen wurde. Im ersten Aufschlag hört es sich in der Tat gut an, nach unabhängigen Demonstrationsbeobachtern zu rufen. Allerdings schon bei dem Begriff stoßen wir auf die erste große Schwierigkeit. Wer ist denn bitte schön unabhängig? Ist es der Veranstalter selber - also in unserem Fall die G 7 -, sind es einzelne Gruppen von Gegendemonstranten, und wenn ja, welche Gruppe von Demonstranten bekommt dann einen solchen offiziellen Status? Sind es eher linke Gruppen, sind es Globalisierungsgegner, sind es TTIP-Gegner, oder sind es rechte Gruppen? Oder haben etwa nur religiös motivierte Gruppen einen Anspruch, Demonstrationsbeobachter zu sein?
Meine Damen und Herren, Sie sehen schon, keiner kann diese Frage wirklich beantworten. Diese Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Gruppen gibt es nämlich nicht.
Deswegen hört sich der Antrag der PIRATEN schön an, aber wenn es um eine praktikable Umsetzung geht, dann kommen wir um die Beantwortung dieser komplizierten Frage nicht herum.
Genau diese Frage, meine Damen und Herren, lässt der Antrag der PIRATEN außer Acht, wahrscheinlich, weil sich hier genau das große Hindernis befindet. Politik kann aber nicht nur fordern, sondern muss auch die Antworten gleich mitliefern. Hier bleiben die PIRATEN etwas schuldig.
Aber gehen wir einmal davon aus, dass tatsächlich eine völlig unabhängige, von eigenen Interessen und Vorstellungen völlig unbeeinflusste Personengruppe vom Himmel fällt. Was dann? Sie soll erhebliche Rechtsverletzungen dokumentieren können, also quasi mit Bild- und Tonaufnahmen auf Verbrecherjagd gehen. Ich gehe davon aus, dass die PIRATEN dabei nicht nur an mögliche Verfehlungen der Polizei - sofern es solche überhaupt gibt denken, sondern alle Teilnehmer einer Demo unter unabhängige Beobachtung stellen wollen. Da sonst eigentlich regelmäßig durch die PIRATEN jede Beobachtung im öffentlichen Raum als Teufelswerk gebrandmarkt wird, geht man hier über den Grundrechtsanspruch der informationellen Selbstbestimmung doch relativ schlank hinweg. Wenn es der eigenen Ideologie dient, sind solche Grundrechtseingriffe durch letztendlich privatrechtlich organisierte Beobachter auf einmal in Ordnung. Für mich sind sie es noch lange nicht.
Auch das Gewaltmonopol des Staates wird hier auf einmal eingeschränkt. Nicht mehr die Polizei geht auf Verbrecherjagd, sondern nun sollen auch Private Bild- und Tonaufnahmen zur Verbrechensbekämpfung machen dürfen. Mir schaudert es da ein wenig bei einem solchen Staatsverständnis. Ich glaube immer noch, dass wir bei der bewährten Praxis, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt, bleiben sollten. Deshalb sollte es nur der Polizei als einzige wirklich unabhängige Stelle erlaubt sein, offizielle Bild- und Tonaufnahmen zu machen. Denn diese Bild- und Tonaufnahmen sollen laut Antrag der PIRATEN zur Dokumentation von erheblichen Straftaten genutzt werden. Das ist der eigentliche Auftrag, und das ist das eigentliche Auf
Gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Der völlig unabhängige und neutrale Beobachter ist vom Himmel gefallen, und er hat eine dieser im Antrag genannten erheblichen Straftaten dokumentiert. Dann soll es ausgeschlossen sein, dass diese Aufnahmen beschlagnahmt werden.
Spätestens jetzt wird einem rechtsstaatlich angst und bange. Die PIRATEN gehen anscheinend nicht davon aus und wollen dieses auch gar nicht festlegen lassen, dass der Demonstrationsbeobachter diese erhebliche Straftat der Polizei automatisch meldet. Für mich wäre das nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch eine Verpflichtung. Aber dass dann ausdrücklich im Antrag geschrieben wird, dass die Polizei diese Beweismittel gerade nicht erhalten können soll, wenn die Herausgabe verweigert wird, lässt einen erst einmal nur schlucken.
Im Fall einer Straftat soll es möglich sein, dass der Polizei Beweismittel vorenthalten werden - und das auch noch ohne Rechtsgrundlage, meine Damen und Herren. Wenn jemand körperlich zu Schaden kommt, wenn verfassungsfeindliche Parolen gerufen werden, wenn verfassungsfeindliche Symbole gezeigt werden und wenn Eigentum völlig mutwillig zerstört wird, dann soll ein Demonstrationsbeobachter einfach so der Polizei den Zugriff auf seine Bild- und Tonaufnahmen, die er ja auftragsgemäß offiziell anfertigt, für sich behalten dürfen. Für mich ist das Willkür und eines Rechtsstaates nicht würdig.
Sie sehen, dass das Thema viel schwieriger ist, als es der Antrag der PIRATEN suggerieren soll. Schon die Auswahl einer unabhängigen Institution ist nahezu unmöglich, und letztendlich sollten Grundrechtseingriffe ohnehin nur in einer Rechtsgüterabwägung erfolgen. Der Antrag der PIRATEN will sogar, dass in Grundrechte eingegriffen wird, ohne überhaupt eine rechtliche Grundlage dafür zu haben, das ist schon ein ziemlich großer Hammer. Wer sich hier beeinträchtigt fühlt, der kann sich in unserem Staat an eine wirklich unabhängige Institution in Deutschland wenden, nämlich glücklicherweise an die Gerichte, die eigentlich dafür da sind.
Wir glauben an den Rechtsstaat und haben Vertrauen in unsere Polizei und in unsere Juristen, und wir wollen, dass das Gewaltmonopol weiterhin ausschließlich beim Staat liegt und nicht bei irgend
Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Peters und ich hatten bereits mehrfach Gelegenheit, im Rahmen des Versammlungsrechts, über das wir in Altenholz und anderswo diskutiert haben, über die Frage zu debattieren, was und wie denn angeblich neutrale Beobachter von Demonstrationen analysieren sollen. Wir haben, ich jedenfalls etwas früher als der Kollege Peters, festgestellt, dass es so einfach mit der Behauptung, man könne neutrale Demonstrationsbeobachter finden und diese in das System einfügen, schlicht und ergreifend nicht geht.
Herr Kollege Dr. Breyer, ich werde nun versuchen, kurz zu erklären, worin unsere und meine persönlichen großen Bedenken bestehen.
Wir verschieben die Achse, indem wir den Eindruck erwecken, dadurch, dass wir angeblich neutrale Demonstrationsbeobachter einführen, stünden mögliche strafrechtlich relevante Taten von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auf der gleichen Ebene wie mögliche strafrechtlich relevante Taten von Demonstrationsteilnehmern. Das ist mitnichten der Fall.
Die deutsche Rechtsordnung sieht vor - das wissen auch Sie, und dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen -, dass selbst Taten, die von Polizeibeamten bei Demonstrationen ausgeübt werden, strafrechtlich verfolgt werden. Übrigens sind auch schon Einkesselungen, so hat es das Verwaltungsgericht Hamburg entschieden, von Gerichten als rechtswidrig erkannt worden und haben zu Schadenersatzzahlungen an die davon Betroffenen geführt. Das ist der Rechtsstaat, und an dem wollen wir festhalten.