Protocol of the Session on March 19, 2015

Es gibt in keinem europäischen Mitgliedstaat empirische Belege dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung zu einer höheren Aufklärungsrate führt, obwohl sie in vielen EU-Staaten jahrelang praktiziert worden ist. Sowohl in Bulgarien als auch in den Niederlanden wurde die Speicherung von Telefonund Internetdaten gerichtlich verboten, da die Privatsphäre der Bürger durch das umfassende Sammeln von Daten nicht verletzt werden dürfe.

Deshalb gern noch einmal zum Mitschreiben: Die Vorratsdatenspeicherung bringt nichts, sie ist ein massiver Angriff auf die Privatsphäre.

(Beifall PIRATEN, FDP und SSW)

Insgesamt erinnert die Diskussion auf Bundesebene ein bisschen an einen Spielplatz. Andere europäische Länder haben ein Spielzeug, mit dem die Deutschen, gerade die Sicherheitsexperten der CSU und jetzt anscheinend auch die von der SPD, gern spielen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das bringt nichts.

(Torge Schmidt)

Es ist ja nicht so, dass nur der Schleswig-Holsteinische Landtag und die PIRATEN die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, laut einer Emnid-Umfrage lehnen sogar 79 % der Bevölkerung sie ab.

(Beifall PIRATEN)

Nur 17 % haben nichts dagegen. Wenn ich diese Zahlen sehe, muss ich unweigerlich an das Argument denken: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. 79 % der Deutschen haben sicherlich nichts zu verbergen, dass sie die Vorratsdatenspeicherung dennoch ablehnen, spricht für sich.

(Beifall PIRATEN - Zuruf Wolfgang Ku- bicki [FDP])

Herr Dr. Bernstein, eines sei Ihnen zum Abschluss gesagt, Technik scheint ja nicht Ihre Stärke zu sein. Das Problem der Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur ein juristisches, sondern auch ein technisches. Es gab einmal einen schönen Vortrag mit der Überschrift: Für jedes technische Problem gibt es eine juristische Lösung. Ich glaube, dieser Satz trifft nicht zu.

Ich bin wirklich gespannt, wie Sie technisch eine Vorratsdatenspeicherung schaffen wollen, die nur im Entferntesten den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs entspricht. Das werden Sie nicht hinkriegen. Daher sollten Sie dieses Märchen endlich beerdigen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall PIRATEN, FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie auch der Kollege Kubicki eben zitiert hat, hat Herr Gabriel gesagt: Ich bin der Überzeugung, wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung. Wir vom SSW sagen: Kein Mensch braucht das, niemand braucht so etwas.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE, FDP und PIRATEN)

Ich rede dabei nicht nur über die Kombination anlasslos und massenhaft. Auch anlassbezogen massenhaft Daten abgreifen zu wollen, ist nicht akzeptabel.

(Beifall SSW, PIRATEN und Rasmus An- dresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denjenigen, die sich darüber gern juristisch Gedanken machen wollen - das können Sie gern tun, das werde auch ich gleich tun -, sage ich: Es geht vor allen Dingen auch darum, dass dieses Mittel überhaupt nichts bringt, sondern nur massiv in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift.

(Beifall Uli König [PIRATEN])

Bevor man so etwas tut, sollte man sich genau überlegen, was man da tut.

Wir glauben nicht, dass eine flächendeckende Überwachung eingeführt werden sollte. Wir haben das im Übrigen schon einmal in Staaten gehabt, auch in Staaten auf deutschem Boden mit den technischen Mitteln, die man zur Verfügung hatte. Mir graut davor, wenn die DDR dieses Mittel gehabt hätte. Das wäre eine Katastrophe für die Menschen gewesen.

Ich glaube nicht, dass es gut ist, dass wir uns darüber überhaupt Gedanken machen müssen. Leute, die verdächtigt werden, kriminelle Handlungen vorgenommen zu haben oder vornehmen zu wollen, kann man schon heute überwachen. Da kann man schon heute Daten abgreifen, da kann man schon heute die Telefon- und Kommunikationswege komplett abhören und abgreifen. Es ist nicht so, dass Vorratsdatenspeicherung mehr Sicherheit generiert, sondern die Sicherheit, die wir brauchen, bekommt man auch mit den bisher zulässigen Mitteln hin.

(Beifall Torge Schmidt [PIRATEN])

Vor dem Hintergrund ist es nicht richtig, solch einen massiven Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger vorzunehmen.

(Beifall SSW, FDP, PIRATEN und verein- zelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss sich das einmal vorstellen. Es geht im Prinzip darum, dass 81 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland unter Generalverdacht gestellt werden. Von der Zugspitze bis zur dänischen Grenze, von den Niederlanden bis nach Polen wird jeder Bürger dieses Landes bei einer solchen Maßnahme unter Verdacht gestellt. Das ist unter rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zu akzeptieren.

(Beifall SSW, PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Torge Schmidt)

Meine Damen und Herren, welche sogenannten Erfolge hat die Vorratsdatenspeicherung denn gehabt? - Gar keine. Überall dort, wo wir große Anschläge hatten - nehmen wir den 11. September, nehmen wir das Beispiel der zehn Morde der NSULeute -, ist mit solchen Maßnahmen in keiner Art und Weise ein Datensatz gefunden worden, der dazu hätte beitragen können, die Verbrechen zu verhindern.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Deshalb noch einmal: Dieses Mittel funktioniert nicht. Über ein Mittel zu diskutieren, das nicht funktioniert, und damit die Rechte der Bürger und Bürgerinnen einzuschränken, ist schon ziemlich haarsträubend.

(Beifall PIRATEN)

Es gibt Untersuchungen, ob man bei Internetkriminalität zum Beispiel in der Lage wäre, zu mehr Aufklärung zu kommen, wenn man Daten abgreifen würde. Das ist ja ein klassischer Bereich, bei dem man sich in der Theorie vorstellen könnte, auch als Nichttechniker, dass das bestimmt funktioniert. Derzeit liegt die Aufklärungsquote bei 55 %. Nach Untersuchungen ist es so, wenn man dieses Mittel flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik Deutschland anwenden würde, würde man bei 55,006 % landen, also 0,006 % mehr Erfolg haben. Ob das rechtfertigt, so in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen, ist nicht nur zweifelhaft, sondern das ist definitiv nicht gerechtfertigt.

(Beifall SSW, PIRATEN und Burkhard Pe- ters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wer Lust hat, kann sich gern einmal eine Studie vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht aus dem Jahr 2012 angucken, in der es um die Vorratsdatenspeicherung geht. Die Conclusio - um einmal dieses schöne Wort zu benutzen, wobei Anke immer „Konklusion“ sagt -, ist, dass Vorratsdatenspeicherung für keinerlei Veränderung bei den Aufklärungsquoten sorgt. Es passiert nichts, das ist untersucht worden, in verschiedenen Kriminalitätsarten, in verschiedenen Deliktformen - es passiert nichts.

Deshalb ist es wichtig, sich immer vor Augen zu halten, dass wir auf Freiheit verzichten, wenn wir so etwas zulassen. Der Verzicht auf Freiheit kann nicht gleichzeitig Grundlage dafür sein, dass wir die Freiheit erhalten können. Das funktioniert nicht, das ist ein Widerspruch in sich.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Wenn wir das zulassen, dann kapituliert die Freiheit vor der Unfreiheit, und dagegen werden wir uns immer wehren.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte an das anknüpfen, was der Kollege Harms eben gesagt hat, und Herr Bernstein sagen: Man kann sich die Aufklärungsquoten in Schleswig-Holstein seit dem Ende der Vorratsdatenspeicherung anschauen. Die Aufklärungsquote bei der Computerkriminalität ist von 45 % in 2009 auf 52 % in 2014 gestiegen, beim Besitz von kinderpornografischem Material waren es 2009 mit Vorratsdatenspeicherung 90 %, 2014 ohne Vorratsdatenspeicherung 97 %. Was die Verbreitung angeht: mit Vorratsdatenspeicherung 2009 63,4 %, ohne Vorratsdatenspeicherung 89,1 %. Wenn Sie das mit anderen Delikten aus der Offline-Welt vergleichen, stellen Sie fest, dass diese Quoten extrem hoch sind. Eine Aufklärungsquote von 97 % findet sich sonst nur bei Delikten wie Mord mit einem erheblichen Ermittlungsaufwand. Das ist ein Hinweis darauf, dass dieser simple Vergleich nicht gezogen werden kann. Das ist das erste, was ich gern sagen wollte.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Das zweite: Herr Kollege Schmidt, Ihre Polemik geht an der Sache vorbei. Sie könnten sich so viel Mühe geben, Dinge zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Das erwarte ich von Ihnen. Redet man von einer geeigneten Datenspeicherung - das ist das, was ich getan habe -, gibt es zwei Dinge, die ich Ihnen als Beispiel nennen könnte: erstens das QuickFreeze-Verfahren. Ich sage noch einmal: Das ist ein Vorschlag von der FDP, für den Frau LeutheusserSchnarrenberger geworben hat. Das ist natürlich eine Datenspeicherung, aber eine, die anlassbezogen ist und den Ansatz hat, dass es einen Richtervorbehalt gibt. Es ist unklar, ob sie geeignet ist, Ermittlungsergebnisse zu liefern. Darüber streiten die Fachleute. Aber es ist jedenfalls eine Methode.

(Lars Harms)

Eine zweite Methode gibt es schon jetzt in der Strafprozessordnung, nämlich die Funkzellenabfrage. Es ist möglich, dass massenhaft und anlassbezogen nach richterlicher Entscheidung Funkzellen abgefragt werden können. Das geschieht auch. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: In Bad Segeberg ist es im Zuge einer Suche nach einer Serie von Brandstiftungen, die gefährlich für Leib und Leben sind, gelungen, auf diese Art und Weise den Täter zu ermitteln. Das ist etwas anderes. Herr Kollege Kubicki, es ist mir schon klar, dass es in der Sache etwas anderes ist. Aber es ist eine Datenspeicherung. Das war das Wort, das ich verwandt habe. Es ist eine Datenspeicherung, die verfassungskonform ist und die zu Ermittlungszwecken angewandt wird. Sie hat sicherlich auch ein paar Nebenwirkungen. In Bad Segeberg ist nicht nur der Täter gefunden worden, sondern es gab auch noch 200 Ehemänner, die ihren Frauen erklären mussten, was sie nachts im Industriegebiet gemacht haben. Das ist ein Teil, der vielleicht unangenehm für die Betroffenen war, aber wo man eine Abwägung von Bürgerrechten und Datensammlung vornehmen und die Auswirkungen auszuhalten hat. Das geschieht nach richterlicher Anordnung.

Mein Punkt ist der - auf den habe ich mich bezogen -, dass, je stärker der Eingriff in die Bürgerrechte ist, desto höher die verfassungsmäßige Hürde sein muss. Darüber reden wir. Ich habe großes Vertrauen, das Heiko Maas einen Vorschlag machen wird, der dem Verfassungsrahmen entspricht, aber trotzdem nicht sagt: Wir kümmern uns einfach nicht darum.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen, aber es gibt zwei Personen, die mit Ihnen sprechen wollen.

Herr Präsident, ich wollte nur noch zwei Worte sagen. Ich verzichte aber auf sie und bin bereit, Fragen zu beantworten.

Zunächst möchte der Herr Abgeordnete Kubicki mit Ihnen sprechen. Darf er etwas sagen? - Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage an den Abgeordneten Dr. Stegner; ich möchte nichts sagen. Die Frage lautet - Sie haben darauf

hingewiesen -: Ist Ihnen der Unterschied zwischen Kommunikationsdaten und Ortungsdaten bekannt und dass bei einer Funkzellenabfrage -