Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben der Behandlung dieses Dringlichkeitsantrags von FDP und PIRATEN heute Morgen gern zugestimmt.
- Das ist richtig. Vielen Dank für den Hinweis. Nicht, dass es jedes Mal dringlich wäre, über eine Meinungsänderung des Kollegen Stegner zu diskutieren. Richtig ist, dass Meinungsänderungen des Kollegen Stegner in vielen Punkten dringlich wären.
Nichtsdestoweniger nehmen wir den Anlass gern auf, das Thema Mindestspeicherfristen zu diskutieren, wobei mir klar ist, dass wir an dieser Stelle aller Voraussicht nach die gewohnte Gefechtslage CDU gegen alle im Schleswig-Holsteinischen Landtag - hören werden. Das ist aber ein schönes Beispiel dafür, dass Mehrheit zu haben etwas anderes ist als recht zu haben. Denn bei dem Thema Mindestspeicherfristen haben wir nahezu alle Experten an unserer Seite, die etwas von innerer Sicherheit und Verbrechensbekämpfung -
(Beifall CDU - Lachen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Wer soll das sein?)
- Lieber Kollege König, hören Sie den Satz zu Ende an, bevor Sie sich amüsieren. - Wir haben nahezu alle Experten an unserer Seite, die etwas von innerer Sicherheit und Verbrechensbekämpfung verstehen. Ich werde die lange Liste nicht komplett vortragen, sondern möchte nur einige Beispiele nennen, etwa unseren früheren Innenminister Herrn Breitner
oder unseren früheren Justizminister Herrn Döring, der ja durchaus über Parteigrenzen hinweg geschätzt wird, oder Herrn Ziercke, den ehemaligen
BKA-Präsidenten, und die Landespolizei Schleswig-Holstein. Nahezu alle Innenminister der deutschen Bundesländer, ich kenne, ehrlich gesagt, nur eine Ausnahme, den Bundesvorsitzenden der SPD seit Neuestem, und im Übrigen auch den Deutschen Richterbund, der zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommt als der Kollege Kubicki.
Mir ist klar, dass es relativ müßig ist, zu versuchen, Sie in der Sache davon zu überzeugen, dass die Einführung von Mindestspeicherfristen eine wichtige Maßnahme ist, um in bestimmten Fällen zur Verbrechensaufklärung beizutragen. Nichtsdestotrotz will ich die Gelegenheit gerne nutzen, noch einmal zu umreißen, was dieses Instrument denn eigentlich bedeutet, weil wir ja durchaus die Situation hatten, dass das vom Kollegen, lieber Lars Harms, ein bisschen schräg dargestellt wurde, worum es dabei eigentlich geht.
Wenn Bürger A den Bürger B anruft, dann werden unter dem Vorzeichen der Mindestspeicherfristen seine Telefonnummer, der Zeitpunkt, die Dauer des Gesprächs und die Telefonnummer des Angerufenen gespeichert und bei Telefonaten mit Mobiltelefon auch noch die jeweilige Funkzelle, über die das Telefonat stattgefunden hat. Das macht für den Bürger, der heute eine Telefonrechnung mit Einzelverbindungsnachweis haben möchte, zunächst einmal überhaupt keinen Unterschied. Es macht künftig einen Unterschied für denjenigen, der heute im Flatrate-Bereich unterwegs ist und dessen Daten in der Regel nicht gespeichert werden. Sie dürfen allerdings von den Telekommunikationsunternehmen für Zwecke der Rechnungslegung gespeichert werden. Und das passiert auch mit unterschiedlicher Dauer. Das wiederum führt zu dem bizarren Ergebnis, dass es davon abhängt, dass das eine oder andere Verbrechen aufgeklärt werden kann, und zwar in Abhängigkeit davon, welchen Telefonanbieter der Übeltäter benutzt hat. Ich meine, das ist rechtsstaatlich ein völlig unhaltbarer Zustand.
Wir halten es durchaus für einen vertretbaren Eingriff in die Unversehrtheit der kommunikativen Selbstbestimmung, dass diese Verbindungsdaten für einen definierten Zeitraum, über den man sich verständigen muss, bei den Telefonanbietern - das ist ein ganz entscheidender Punkt - vorgehalten werden können und auf richterlichen Beschluss zur Aufklärung schwerer Straftaten herangezogen werden können. Wer dabei war, als der Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags im Landespolizeiamt getagt hat, wo wir ja Gelegenheit hatten, uns einige Praxisbeispiele an
zugucken zur Anwendung der Mindestspeicherfristen, der weiß auch, dass Sicherheitsorgane überhaupt kein Interesse daran haben, in einem unverhältnismäßigen Umfang von diesem Instrument Gebrauch zu machen, weil es ein immenser Aufwand sein kann, entsprechende Daten verantwortungsbewusst auszuwerten. Ganz abgesehen davon, dass ich natürlich volles Vertrauen in unsere Justiz habe, dass einem solchen Begehren vonseiten eines Richters nur dann stattgegeben wird, wenn tatsächlicher Bedarf besteht. Deshalb sind wir nach wie vor der Auffassung, die Einführung von Mindestspeicherfristen zur Aufklärung schwerer Straftaten ist notwendig und auch angebracht. Wenn diese guten Argumente dazu beitragen, dass auch hier im Hause weitere Kollegen dieser Meinung zustimmen, dann freue ich mich sehr darüber. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere den Koalitionsvertrag der Küstenkoalition: Die Position der Koalition ist klar.
„Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hoch problematischer Eingriff in die Grundrechte. Deshalb werden wir uns auf Europa- und Bundesebene, im Bundesrat und in der Innenministerkonferenz gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzen.“
Entsprechendes haben wir im Landtag beschlossen mit unseren Stimmen, zuletzt am 12. Dezember 2013. Der Herr Ministerpräsident hat diese Position an verschiedenen Stellen unterstrichen, zuletzt in seiner Rede beim Landesparteitag der SPD in Neumünster am vergangenen Wochenende. Meine Partei hat ihre ablehnende Position auf dem Landesparteitag am vergangenen Wochenende noch einmal unterstrichen. Insofern kann ich der FDP und auch den PIRATEN sagen: Es besteht kein Zweifel daran, dass die Regierungskoalition keine anlasslose massenhafte Speicherung von Daten befürworten wird.
Der Dringlichkeitsantrag ist insofern überflüssig, ist aber inhaltlich unproblematisch. Deshalb werden wir ihm zustimmen.
Lassen Sie mich feststellen: Die anlasslose massenhafte Vorratsdatenspeicherung verletzt die Grundrechte der Bürger. Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung das Post- und Fernmeldegeheimnis verletzt. Der EuGH hat in seinem Urteil 2014 die EURichtlinie als nicht verfassungsgemäß bezeichnet, weil sie Grundrechte verletzt und weil die massenhafte und anlasslose Speicherung von Daten unverhältnismäßig ist. Dieses Urteil war sehr deutlich. Es ist ein bedeutendes Ergebnis in der Abwägung aller Argumente. Und wir reden über einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff.
Der Kollege Kai Dolgner hat dargelegt, dass es praktisch unmöglich ist, eine anlasslose massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten mit dem Grundrecht in Einklang zu bringen. Genau das ist der Punkt, über den wir hier reden. Wie soll man zum Beispiel sicherstellen, dass keine Daten von Berufsgeheimnisträgern gespeichert werden, was ja auszuschließen ist?
Deswegen sage ich Ihnen das, nachdem wir jetzt wissen, dass es eine neue EU-Richtlinie nicht geben wird. Der SPD-Kompromiss vom Parteitag - ich habe ihn selbst mit ausgehandelt -, war vor dem EuGH-Urteil. Den Koalitionsvertrag in Berlin umzusetzen heißt, dass der Kollege Heiko Maas, mit dem ich gestern intensiv über die Frage gesprochen habe, mit Herrn de Maizière Verhandlungen führen wird. Ich sage Ihnen: Diese Verhandlungen werden kein Ergebnis haben, schon gar nicht, wenn etwas vorgelegt wird, das wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Das kann nicht sein. Das heißt, es darf und wird keine Lösung geben, die die anlasslose und massenhafte Datenspeicherung beinhaltet. Das sind eben die Punkte, über die wir reden müssen.
Natürlich müssen wir über die Ermittlungsinstrumente bei schwerster Kriminalität reden, zum Beispiel bei der NSU-Mordserie. Aber es müssen Ermittlungsinstrumente sein, die mit unseren Grundrechten, dem Grundgesetz und mit dem EU-Recht vereinbar sind. Darauf kommt es an. Dazu können auch Methoden der Datenspeicherung gehören, die die Grundrechte nicht verletzen, die eben nicht massenhaft und anlasslos sind, die die Rechte der Berufsgeheimnisträger wahren und die sich auf die kommerzielle Nutzung von Daten beschränken.
Die FDP hat mit ihrem Vorschlag für ein QuickFreeze-Verfahren ein Beispiel für die Diskussion geliefert. Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen, ob das zu Recht ist oder nicht. Natürlich müssen wir sehr wohl über die Datennutzung reden, aber eben nicht über eine anlasslose, massenhafte Vorratsdatenspeicherung. Deswegen sage ich Ihnen: Die Ermittlungsbehörden müssen Möglichkeiten haben, eine notwendige Untersuchung durchführen zu können. Welche das sind, das muss im Einzelfall erörtert und abgewogen werden. Im Fazit aber können wir feststellen, dass die Vorwürfe der FDP gegen meine Person ins Leere laufen. Ich habe den Vorschlag auf Bundesebene auch öffentlich abgelehnt und Heiko Maas unterstützt. Auf die Polemik gegen Sigmar Gabriel möchte ich hier nicht eingehen und auch nicht auf das, was der Kollege Dr. Bernstein gesagt hat. Das ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Er behauptet aber, die einzigen Experten dazu säßen in der Union. Das finde ich ein bisschen anmaßend.
- Ja, er hat auch einzelne Vertreter der SPD genannt, das ist wahr, aber er hat im Wesentlichen behauptet, dass er von Kriminalitätsbekämpfung etwas verstünde und man müsse seinen Argumenten folgen. Das finde ich weder zwingend noch überzeugend.
Herr Dr. Stegner, ich höre Ihrem Redebeitrag genau zu, Wort für Wort, zumal wenn Sie gestern mit dem Bundesjustizminister gesprochen haben. Mich würde interessieren, nach Ihren verschiedenen Äußerungen und Pressemitteilungen, was Ihrer Meinung nach eine Vorratsdatenspeicherung ist, die aber nicht anlasslos und massenhaft ist. Welche Vorratsdatenspeicherung könnte es denn geben, die Ihrer Meinung nach diese Kriterien nicht erfüllt?
- Herr Kollege Dr. Breyer, wenn Sie genau lesen würden, was ich gesagt habe, zum Beispiel in dem Interview mit der „Passauer Neue Presse“ - weswegen mich ja die FDP und der Kollege Dr. Klug an
gegriffen hatten, das habe ich der Pressemitteilung entnommen -, dann werden Sie feststellen, dass ich gesagt habe, eine anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung kann es nicht geben. Ich habe von „Datenspeicherung“ gesprochen und habe mich auf Methoden bezogen, die Sie zum Beispiel im Zusammenhang mit den Quick-Freeze-Verfahren diskutiert haben. Ob das jetzt der Punkt ist, das will ich nicht sagen, aber es gibt einen Unterschied zwischen Datenspeicherungsmethoden und anlassloser und massenhafter Vorratsdatenspeicherung. Ich habe mich also sehr präzise ausgedrückt. Ich bemühe mich, das immer zu tun.
In dieser Frage habe ich übrigens auch nicht meine Position verändert, auch das habe ich hier vorgetragen. Man muss nur zur Kenntnis nehmen: Wenn das Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof sich äußern, tun sie das mit großer Klarheit, und das bindet uns. Seit gestern ist das, wenn ich es richtig gelesen habe auch in Bulgarien so. Das ist mit dem dortigen Verfassungsgericht mit präziser Begründung geschehen.
Das heißt, ich bin kein Experte im Detail. Ich weiß nicht, wer hier außer Herrn Bernstein und Herrn Breyer in dieser Frage im Detail Datenexperte ist.
- Und Dr. Dolgner! Auf den würde ich dann eher hören als auf Herrn Breyer, muss ich ehrlich sagen. Aber darauf kommt es nicht an. Ich sage nur: Meine Erwartung ist, dass etwas, was als Vorschlag vorgelegt wird, jedenfalls keine Verbindung von „massenhaft“ und „anlasslos“ sein kann, denn das ist verfassungswidrig.
Warum muss danach gesucht werden? - Das will ich gern begründen. Das ist der einzige Punkt, an dem ich dem Kollegen Bernstein, auch wenn er es so nicht gesagt hat, jedenfalls im Motiv folgen möchte: Der Anlass, sich damit zu beschäftigen, besteht darin, dass wir ein Interesse haben müssen, geeignete Ermittlungsinstrumente zu haben, um schwerste Straftaten aufzuklären. Ich rede hier allerdings von schwersten Straftaten. Wir reden hier also nicht über das, was ich gelegentlich auch lese, dass es da um irgendwelche - was weiß ich - illegale Tonträgerkopien und solchen Kram gehe, sondern wir reden über schwerste Straftaten, Mordtaten zum Beispiel. Bei schwersten Straftaten brauchen wir geeignete Ermittlungsinstrumente. Ich füge aber hinzu: Geeignete Ermittlungsinstrumente sind nicht solche, die Grundrechte verletzen, wenn das Bundesverfassungsgericht und der EuGH festgestellt haben, dass das nicht geht. Das ist meine Posi
Ich höre immer noch jedem Ihrer Worte genau zu. Wenn Sie sagen, Sie lehnten eine anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung in dieser Kombination ab, verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie sich sozusagen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, wenn sie nicht massenhaft ist oder umgekehrt eine massenhafte Datenspeicherung aus bestimmten Anlässen vorstellen können?
- Was ich damit nur sagen will, ist, dass man sehr ernsthaft die Argumente des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts prüfen muss. Meine Fantasie reicht im Augenblick nicht aus, mir vorzustellen, wie man es schaffen soll, jedenfalls eine massenhafte Vorratsdatenspeicherung vorzunehmen, ohne Bürgerrechte einzuschränken. Wie soll das gehen? Bei „massenhaft“ sind die Berufsgeheimnisträger übrigens dabei. Ob es möglich ist, sozusagen eine anlassbezogene Datenspeicherung vorzunehmen, kann ich nicht einschätzen. Ich kann nur sagen: Mir hat der Bundesjustizminister gesagt - das glaube ich auch, er ist übrigens auch Verfassungsminister -, dass er keinen Vorschlag machen wird, der im Widerspruch zu dem EuGH- und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil steht. Das ist auch gut so. Ich finde, das gehört sich auch so, wobei man immer irren kann. Herr Kollege Kubicki hat das vorhin gesagt: Es gibt immer einmal Fälle, in denen ein Verfassungsgericht etwas entscheidet und in denen man vorher nicht sicher ist, wie das ausgehen wird. Aber wenn man ein solches Urteil hat, hat man es zu respektieren und einen Vorschlag zu entwickeln, der im Rahmen der Grenzen der Verfassungsmäßigkeit ist.
Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten sie nunmehr eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?