Protocol of the Session on March 19, 2015

Mit der Mittelbereitstellung allein ist es nicht getan.

Der Umfang der Betreuungs- und Integrationsangebote für die Asylbewerber und Flüchtlinge wird sicherlich immer ein Diskussionsthema bleiben. In dem Bericht Drucksache 18/2752 lesen wir zum Beispiel auf Seite 3, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes einmal pro Woche gemeinsame Freizeitaktivitäten für Kinder im Alter von fünf bis 13 Jahren stattfinden sollen. Daran ließe sich etwa die Frage anschließen: „Welche Angebote gibt es denn für Jugendliche ab 14 und älter?“, um nur ein Beispiel von vielen diskussionswürdigen Punkten zu nennen.

Meine Damen und Herren, die Anhörung, die der Innen- und Rechtsausschuss kürzlich durchgeführt hat, hat unterstrichen, welch große Bedeutung dem ehrenamtlichen Engagement bei der Betreuung und den Hilfen für Flüchtlinge zukommt. Dies macht eine professionelle Betreuungsstruktur sicherlich nicht überflüssig, aber es ist auch deutlich

geworden, dass die verfügbaren Mittel hinten und vorne nicht ausreichen würden, um alle nötigen Maßnahmen durch hauptamtliche Kräfte zu erledigen. Außerdem sollten wir froh darüber sein, dass sich so viele Menschen in unserem Land ehrenamtlich für diese humanitären Aufgaben engagieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Wert dieses bürgerschaftlichen Engagements kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Sollte sich die Einschätzung der Landesregierung zur Entwicklung der Aufnahmezahlen - Stichwort: 20.000 im Jahre 2015 - bewahrheiten, werden die Herausforderungen in den kommenden Monaten noch größer, erst recht im Hinblick auf die dann erforderlichen Kapazitäten bei den Erstaufnahmeeinrichtungen und bei Wohnungen. Das ist schon erwähnt worden.

Wir Freie Demokraten teilen die Auffassung des Ministerpräsidenten, dass spätestens im Zuge einer solchen Entwicklung auch der Bund für eine größere finanzielle Unterstützung der Länder und Kommunen in die Pflicht genommen werden muss. Im Herbst vorigen Jahres ist der Bund ja erstmals zu einer solchen finanziellen Lastenbeteiligung bereit gewesen. Das aber sollte nicht das letzte Wort bleiben.

(Beifall FDP und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Übrigen meinen wir, dass die Zuwanderung in unser Land nicht immer nur unter dem Aspekt der damit natürlich auch verbundenen Belastungen diskutiert werden sollte.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Die Politik und die großen gesellschaftlichen Kräfte sollten vielmehr auch die Chancen betonen, die sich damit gerade für ein Land mit schrumpfender und immer älter werdender Bevölkerung ergeben. Wir Freie Demokraten sind daher für ein Einwanderungsgesetz, das auch Asylbewerbern die Chance und die Möglichkeit eröffnet, parallel zum Asylverfahren die Aufnahme als Arbeitnehmer oder Auszubildender in einem von Fachkräftemangel gekennzeichneten deutschen Arbeitsmarkt beantragen zu können. Das würde im Übrigen die stark belasteten Asylverfahren deutlich entlasten, und es würde sowohl den Einwanderern als auch den Einheimischen helfen. Das ist eine gute Lösung. Das möchte ich deshalb noch einmal als unser Ziel herausstellen und dafür werben, dass dies Unterstützung findet.

(Dr. Ekkehard Klug)

Abschließend eine Anmerkung zum Antrag von CDU und PIRATEN, im Landtag einen Ausschuss für Integrations- und Flüchtlingspolitik einzurichten: Nach unserer Auffassung wäre dies in keiner Weise hilfreich, sondern würde bloß zu einer Zerfaserung der parlamentarischen Arbeit beitragen. Wir sehen in diesem Antrag der „christlichen PIRATEN-Seefahrt“ - so möchte ich es einmal salopp nennen - lediglich eine Beschäftigungsmaßnahme für die interfraktionelle Arbeitsgruppe DamerowBeer, die uns in der Sache nicht weiterführen würde. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat die Abgeordnete Angelika Beer.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für meine Fraktion möchte ich als Erstes feststellen: Es ist mehr als bedauerlich, dass wir heute eine verbundene Debatte zu vier elementar wichtigen Themen und Berichten führen. Jedes und jeder einzelne hätte hier diskutiert werden müssen, und zwar separat.

(Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Diese thematische Zwangszusammenlegung wird dem Stellenwert der flüchtlingspolitischen Herausforderungen und der dazu erforderlichen ausführlichen parlamentarischen Diskussion, die offensichtlich gar nicht geführt werden soll, nicht gerecht. Dem aufmerksamen Beobachter drängt sich recht schnell der Eindruck auf, dass es sich hier auch um eine Strategie der Diskussionsvermeidung seitens der regierungstragenden Fraktionen handeln könnte.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Flüchtlingspolitik und deren unmittelbare Herausforderungen und Auswirkungen auf das Land Schleswig-Holstein, also unsere Bürger und die Menschen, die zu uns kommen, werden uns nicht nur die nächsten zweieinhalb Jahre beschäftigen. Es gibt 50 Millionen Flüchtlinge weltweit. Wenn ich die Entwicklung verfolge, muss ich konstatieren: Es werden aufgrund der Entwicklung der herrschenden und drohenden Konflikte leider wahrscheinlich noch mehr werden. Hierfür benötigen wir Fachexpertise und wohldurchdachte Lösungen statt

Schlagworten und Sich-selbst-auf-die-SchulterKlopfen; denn dazu gibt es keinen Grund.

(Beifall PIRATEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Bundesinnenminister, der Flüchtlingslager in Afrika fordert, eine EU-Kommission unter Juncker, die FRONTEX weiter ausbauen wird und im Moment gerade diskutiert, ob sie FRONTEX auch als Task-Force zur Grenzsicherung auf dem Balkan benutzt, um die Flucht der Menschen dort zu verhindern, eine Politik der Dublin-III-Verordnung und die damit einhergehende Schleuserkriminalität - das alles sind Elemente eines absurden globalen flüchtlingspolitischen Rahmenprogramms, das aus meiner Sicht von uns hier in Schleswig-Holstein erfordert, jeden kleinen Schritt des Machbaren zu gehen.

(Beifall PIRATEN)

Die Flüchtlingszahlen werden - das ist hier Konsens - weiter steigen; das war letztes Jahr schon so. Die Landesregierung ist darauf schlecht vorbereitet. Das war letztes Jahr leider auch schon so.

Die Erstaufnahmeeinrichtung in Boostedt wird wahrscheinlich erst im Jahre 2016 500 Flüchtlinge aufnehmen können, vom Mangel an fachlich qualifiziertem Betreuungspersonal ganz zu schweigen.

Eine Task-Force des Innenministeriums beginnt morgen Gespräche an den Unis, um Flüchtlinge auf deren Gelände unterbringen zu können. Das allein ist nicht neu; das haben wir alles schon gehört. Aber bis heute gibt es keinen Plan, keine Strategie. Was Flensburg betrifft, ist es schon wieder widersprüchlich. Für die Studenten reichen die Plätze schon heute nicht aus, und bald werden wir einen doppelten Abiturjahrgang haben. Was das Gelände in Flensburg betrifft, liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist das meiste davon als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Herr Innenminister Studt, ich empfehle Ihnen, Ihre interministerielle Arbeitsgruppe um den Umweltbereich zu erweitern, damit die Interessen des Naturschutzes und die der Flüchtlingsunterbringungen nicht gegeneinander stoßen. So wird das nämlich nichts.

Über andere zentrale Aufnahmeeinrichtungen diskutieren wir auch schon länger, aber ein Datum für den Bezug dieser ersten nötigen 4.000 Plätze ist nicht einmal in der Diskussion. Ebenso wenig gibt es eine umfassende Kostenanalyse zu allen Bereichen. Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung beispielsweise hat die Kitas bereits an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht. Wir wissen doch, für eine Betreuung von

(Dr. Ekkehard Klug)

Kindern aus Flüchtlingsfamilien sind derzeit gar keine Kapazitäten mehr vorhanden.

(Unruhe)

Entschuldigen Sie, Frau Abgeordnete. - Meine Damen und Herren, vielleicht können wir den Geräuschpegel ein wenig mindern. Das wäre für die Rednerin sehr hilfreich.

Das ist Standard - ich habe mich daran gewöhnt -, wenn es um Flüchtlingspolitik geht.

(Widerspruch - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Re- den Sie doch keinen Quatsch!)

Die Flüchtlinge aus Krisengebieten haben nicht nur eine gefährliche Flucht hinter sich, sondern sind oftmals auch durch ihre Kriegserfahrungen traumatisiert. Hier fehlt es an qualifizierten Traumatherapeuten und an der Zeit für eine gründliche Anamnese. Auch die Frage der Kostenübernahme - das ist angesprochen worden - für diese Therapien ist noch immer offen.

Ebenfalls unverständlich ist, warum minderjährige Flüchtlinge, die bis zum 18. Lebensjahr zum Glück einen besonderen Schutzstatus genießen, diesen mit dem 18. Geburtstag verlieren. Eine Heraufsetzung des Schutzalters wäre - das sagen alle Experten und diejenigen, die sie betreuen - zwingend erforderlich. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist immer noch unzureichend, und die steigende Zahl der Direktzuweisungen, also unter Umgehung einer Erstaufnahmestelle, stellt sie vor schlicht unlösbare - nicht nur logistische - Probleme.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Integration findet nur durch eine gute Betreuung in den Kommunen statt, nirgendwo sonst, nicht in der Erstaufnahmestelle und auch nicht in Notunterkünften.

(Beifall PIRATEN)

Nur in den Kommunen kann sie gelingen. Deswegen haben die Kommunen zu Recht die Forderung erhoben - egal, ob jetzt für das Wintermoratorium oder angesichts der bevorstehenden Herausforderungen -, mehr Unterstützung zu bekommen.

Eine zentrale Koordination, Beratung und Betreuung der zum Glück zahlreichen ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger findet nicht statt. Für mögliche Probleme bei Eigen- oder Fremdgefährdungen im Rahmen des Ehrenamtes

oder auch bei der Schaffung eines einheitlichen Qualitätsniveaus im Rahmen der Betreuung gibt es keine Lösungen. Wir wissen aber, dass das Ehrenamt selber schon eine Überforderung erfährt. Die Ehrenamtlichen brauchen Unterstützung. Wir wissen auch - das ist ja bekannt -, dass in den Orten, in denen die zentralen Unterkünfte jetzt errichtet werden - wie in Boostedt -, eine Betreuung der ehrenamtlich Tätigen überhaupt nicht vorgesehen ist.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Dies sind nur einige Probleme, die ich anreißen wollte. Ministerpräsident Albig hat in diesem Hohen Hause vor vier Wochen im Rahmen seiner Regierungserklärung gesagt - ich möchte das zitieren -:

„Für mich ist das keine Frage des Haushalts. Es ist allein eine Frage der Haltung.“

Ich muss hier entschieden widersprechen: Es ist nicht allein eine Frage der Haltung, sondern es ist die Frage nach proaktivem Handeln und strategischer Planung. Haltung allein hilft den Flüchtlingen nicht.

(Beifall PIRATEN und Astrid Damerow [CDU])

Da reicht es eben nicht, über einen Nachtragshaushalt zu reden, der nicht einmal valide Zahlen hat, gerade was dieses und das übernächste Jahr angeht. Es reicht auch nicht, eine interministerielle Arbeitsgruppe einzurichten, die wenige Wochen vor der Flüchtlingskonferenz am 6. Mai noch nicht einmal ein tragfähiges Konzept hat.

Aus diesen und vielen weiteren Gründen haben wir zusammen mit der CDU-Fraktion einen Ausschuss für Integrations- und Flüchtlingspolitik beantragt; denn wir sind davon überzeugt, dass das, was auf ministerieller Ebene jetzt zu Recht erfolgt, nämlich die übergreifende Zusammenarbeit, einen adäquaten parlamentarischen Raum braucht, um das zu spiegeln; denn die Häuser arbeiten immer noch nebeneinander. Das machen ja auch die Berichte deutlich, die uns vorgelegt worden sind.

(Beifall PIRATEN)

Deswegen ist es keine Kritik am Innen- und Rechtsausschuss oder an der Vorsitzenden des Innen- und Rechtsausschusses, nein; vielmehr ist festzustellen, dass der Innen- und Rechtsausschuss jetzt schon an die Grenzen seiner Zuständigkeiten stößt und Diskussionen dort nur noch verkürzt geführt werden können. Wir wollen die Expertise von Bildungspolitikern, Sozialpolitikern und Gesundheits