Protocol of the Session on March 19, 2015

Meine Damen und Herren, bei allen Schwierigkeiten, vor denen wir als Land und vor Ort in den Kommunen stehen, dürfen wir nicht vergessen, dass weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Zum Vergleich: Pakistan hat 1,6 Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen, im kleinen Libanon lebt 1,1 Million Flüchtlinge, Länder, die deutlich ärmer sind als Deutschland und vom Terror des IS noch mehr bedroht sind als wir.

Meine Damen und Herren, mehr Plätze in der Erstaufnahme sorgen für eine längere Ankündigung gegenüber den Kommunen, für eine bessere Steuerung, aber nicht für weniger Menschen in den Kommunen. In diesen liegt die Hauptaufgabe und wird sie auch bleiben. In den Städten und Dörfern sollen die Menschen eine neue Heimat finden. In den Kommunen ist der Ort, wo eine Erfolgsgeschichte der Integration geschrieben wird.

Dass eine Erfolgsgeschichte möglich ist, hat Schleswig-Holstein unter deutlich schwierigeren Ausgangsbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg eindrücklich bewiesen. Eine Erfolgsgeschichte wird die Zuwanderung, wenn wir den Menschen möglichst schnell eigenen Wohnraum bieten. Wir reden immer von Unterbringung und Unterbringungsmöglichkeiten, wir brauchen Wohnmöglichkeiten. So heißt auch eine der schon vorgestellten Arbeitsgruppen der Regierung: von der Unterbringung zum Wohnen.

Wir unterstützen zwar die Kommunen bei der Herrichtung kommunaler Unterkünfte, aber wichtiger ist das beschlossene Programm zur Wohnraumförderung. Wichtig ist auch, dass wir vorhandene Leerstände nutzen, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft. Sozialverträglicher Wohnraum muss für Flüchtlinge genauso wie für alle anderen Menschen im Land ausreichend zur Verfügung stehen.

Sie haben darauf hingewiesen: Sicher gibt es Konkurrenzen, zum Beispiel mit Studierenden, aber auch mit Menschen mit wenig Einkommen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir viel Wohnraum ermöglichen. Vielleicht müssen wir auch über eine Änderung des Verteilungsschlüssels nachdenken. Ich weiß, dass das ein sehr heikles Thema und durchaus eine Medaille mit zwei Seiten ist. Denn in den Gegenden in Schleswig-Holstein, in denen noch Wohnraum zur Verfügung steht, gibt es häufig nicht die Infrastruktur, nicht die Integrationsmöglichkeiten, die Flüchtlinge brauchen. Auf der anderen Seite ist aber in den Städten und im Hamburger Rand, wo Flüchtlinge gern leben wollen, weil sie da ihre Community haben, weil sie da Möglichkeiten haben, sich beraten zu lassen, die

(Serpil Midyatli)

Wohnsituationen zum Teil so prekär, dass Integration nicht wirklich gut gelingen kann.

In Norderstedt, einer Stadt, die noch vor Kurzem einen Integrationspreis gewonnen hat und in der Bundesrepublik ganz vorn ist, was Integration angeht, werden Menschen jetzt in Achtbettzimmern untergebracht. Da muss man ehrlicherweise sagen, dass ein Flüchtling da schlecht eine Arbeit aufnehmen oder einen Sprachkurs besuchen kann, wenn er langfristig in so einer Wohnsituation ist.

Insofern habe ich durchaus Sympathie dafür, dass wir auch für einen stärkeren Zuwachs im ländlichen Raum werben und entsprechende Angebote schaffen. Es würde sich lohnen, diese Diskussion vertieft auch mit Experten und den kommunalen Landesverbänden zu führen. Wir haben damit in der Anhörung im Europaausschuss schon angefangen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine richtige Erfolgsgeschichte wird die Zuwanderung erst, wenn die Menschen, die zu uns kommen, die Möglichkeit haben, schnell die Sprache zu lernen. Sie müssen in der Lage sein, die Schule zu besuchen, einer Ausbildung nachzugehen oder eine Arbeit aufzunehmen. Deshalb wurde der Bereich Deutsch als Zweitsprache - die sogenannten DaZ-Zentren - um 125 Stellen verstärkt. Deshalb geben wir 2 Millionen € zusätzlich für Sprachförderung am Nachmittag, in den Ferien und für Hilfen zum Berufseinstieg. Das sind hilfreiche Maßnahmen, die im Übrigen auch den Kommunen zugutekommen. Es wird immer gesagt, wir würden nicht genug für die Kommunen tun - auch das ist Geld für die Kommunen.

(Beifall SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Kinder dürfen den Eltern nicht davonlaufen. Auch Eltern müssen die Möglichkeit haben, die Sprache zu lernen. An dieser Stelle tue ich etwas, auch wenn ich ungern einem Reflex nachgebe, der so beliebt ist, und auf andere Ebenen zeige: Der Bund muss endlich bereit sein, die Integrationskurse für alle Menschen - unabhängig vom Status zu öffnen. Das ist eine wichtige Forderung, die wir gemeinsam gegenüber dem Bund erheben sollten.

(Beifall SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Landesmittel für Sprachförderung und die vielen durch Spenden finanzierten Sprachkurse vor Ort

sind zwar wichtig, aber sie sind im Grunde Lückenfüller und reichen längst nicht aus.

Meine Damen und Herren, wenn wir von der Erfolgsgeschichte Integration sprechen, ist ein - vielleicht der wichtigste - Schlüssel zurzeit das gesellschaftliche Engagement vor Ort. Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler helfen nicht nur mit Sprachpatenschaften, beim Herrichten der Wohnungen, beim Sammeln von Spenden, bei der Begleitung zu Ämtern und Ärzten, sie sind auch ein wichtiges Bindeglied in die Gesellschaft hinein. Sie sorgen für eine Willkommenskultur, die bei den Flüchtlingen ankommt.

Wenn wir uns manchmal über die Rolle von Ehrenamt und Hauptamt und die Frage streiten, ob nicht mehr Hauptamt sein muss, weil die besser ausgebildet sind - die Rolle des Ehrenamts ist nicht nur eine Frage des Geldes, dass es preisgünstiger ist, sondern es macht einen Riesenunterschied, wenn in einem Dorf, in einer Stadt die Breite der Gesellschaft - Handwerker, Akademiker, Ungelernte, Jung, Alt, alle Menschen - in echtem Kontakt mit den Zuwanderern steht. Das führt dazu, dass wir Zuwanderung insgesamt zu einer Erfolgsgeschichte verhelfen.

Da lassen wir uns auch nicht von Rauchbomben, Angriffen auf Flüchtlinge oder Bürgermeister einschüchtern. Wir wollen keinen Fremdenhass in unserer Gesellschaft.

(Beifall)

Wir bleiben wachsam, aber wir akzeptieren auch nicht, dass solche Bilder das überlagern, was tatsächlich geschieht, nämlich ein großes Engagement, eine große, gemeinsame Bereitschaft, Menschen aufzunehmen. Das Land unterstützt diese Arbeit durch die Erhöhung der Betreuungspauschale und zusätzliche Mittel. Ich weiß, dass die Mittel in den Kreisen unterschiedlich an die Kommunen weitergereicht werde. Auch das ist ein viel und gern diskutierter Punkt, auch in unserer Partei. Ich weiß aber auch, dass alle Kreise, egal welches Konzept sie wählen, das Beste tun, um die Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen.

Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie sich gern als Schirmherren und Schirmherrinnen der Kommunen darstellen, möchte ich Sie ebenso wie meine Vorrednerinnen und Vorredner bitten: Richten Sie Ihre Kritik gern an uns, wenn es Ihnen nicht schnell genug geht oder etwas nicht passt, aber richten Sie sie bitte auch an den Bund!

(Eka von Kalben)

Wir haben geplant, eine Gesundheitskarte einzuführen. Das ist mit dem Bund fest verhandelt. Die Verhandlungen stocken. Wir brauchen dort eine Gesetzesänderung. Bitte helfen Sie über Ihre Kanäle mit, dass wir an dieser Stelle eine Unterstützung bekommen.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Ich muss leider ein wenig abkürzen. - Die Gesundheitskarte wird die Kommunen konkret entlasten, sie wird Bürokratie abschaffen. Sie schafft für Flüchtlinge die Möglichkeit, eine bessere Gesundheitsversorgung zu bekommen. Deshalb ist es ein wichtiges Anliegen für uns, dass wir das wirklich umsetzen.

Meine Damen und Herren, Flüchtlingspolitik wird immer schwierige Politik bleiben. Es gibt keine Patentlösungen. Wir werden nie allen Bedrohten und Verfolgten Zuflucht gewähren können. Aber es ist noch nicht lange her, dass auch Europa ein Kontinent der Vertriebenen war. Europa ist geschaffen worden als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. In diesem Sinne bitte ich Sie: Lassen Sie uns gemeinsam an dieser Aufgabe weiterarbeiten.

Ich freue mich auf die Beratung in den entsprechenden Ausschüssen, die wir im Haus dazu schon haben. Ich glaube, dass diese Ausschüsse in dieser Angelegenheit weiter gute Arbeit leisten werden. Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in dieser Plenartagung sprechen wir wieder über das Thema Asylbewerber und Flüchtlinge, ein Thema, das sich meines Erachtens nicht für die üblichen Rituale im Verhältnis von Regierungs- und Oppositionsseite eignet.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dass wir in der Vergangenheit die Landesregierung in einer Reihe von Punkten kritisiert haben, ist allseits bekannt. Der einstimmige Landtagsbeschluss vom September 2013, der die Regierung aufforderte, gemeinsam mit den Kommunen ein Unterbrin

gungs- und Betreuungskonzept zu entwickeln, lag ja de facto ein Jahr lang auf Eis. Als im vorigen Jahr just zu Beginn der kalten Jahreszeit auf dem Gelände der Erstaufnahmeaufnahmeeinrichtung in Neumünster Zelte aufgestellt worden sind, habe ich dies hier in einer Landtagsdebatte als zutiefst beschämend bezeichnet, und zwar erst recht im Hinblick auf die versprochene Willkommenskultur.

Unter Hinweis auf diese Punkte kann ich also feststellen, dass wir Freie Demokraten unsere Oppositionsrolle wahrgenommen haben, wo dies unseres Erachtens erforderlich und angemessen war. Kein Verständnis habe ich jedoch dafür, wenn der Landesvorsitzende der CDU, Herr Ingbert Liebing, die Landesregierung angreift, wo er sich als Bundestagsabgeordneter besser auf seinem eigenen politischen „Spielfeld“ mit lichtvollen Initiativen hervortun sollte.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Um es konkret zu benennen: Die Forderung von Herr Liebing, das Land solle all jene Flüchtlinge nicht weiter auf die schleswig-holsteinischen Kommunen verteilen, die „erkennbar keine Chance auf einen dauerhaften Aufenthalt haben“, ist kompletter Unfug, und zwar gleich aus mehreren Gründen.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Sven Krumbeck [PI- RATEN])

Grund Nummer eins: Wer, welcher Verwaltungsmitarbeiter etwa soll denn die Entscheidung treffen, auf welche Flüchtlinge dies vermeintlich zutrifft?

(Lars Harms [SSW]: Das ist nur das Grund- gesetz!)

Grund Nummer zwei: Weshalb erhebt Herr Liebing eine Forderung, die gegebenenfalls zu einer wirklich katastrophalen Situation in den ja ohnehin, wie wir wissen, überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes führen würde - sofern denn irgendjemand wirklich auf die Schnapsidee käme, eine derartige dusselige Forderung umzusetzen?

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich finde dies besonders ärgerlich, weil es ja die Aufgabe und die Zuständigkeit des Bundes ist, die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine zügige Durchführung der Asylverfahren zu gewährleisten. Das ist ein Thema, dem ein aus Schleswig-Holstein stammender Bundestagsabgeordneter, der in seiner Partei auch noch eine Füh

(Eka von Kalben)

rungsverantwortung hat, ein Bundestagsabgeordneter der größten aller Koalitionen, vielleicht eher seine Aufmerksamkeit zuwenden sollte als dem reflexartigen Einprügeln auf die ungeliebte Landesregierung. Ich will gern hinzufügen: Ich liebe sie auch nicht.

(Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Oh!)

Aber das heißt nicht, dass man so reflexartig in der Kritik verfahren sollte.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Sven Krumbeck [PI- RATEN])

Es gibt auch heute noch Baustellen, mit denen wir uns kritisch beschäftigen müssen, Stichwort Boostedt und die Schaffung weiterer Kapazitäten für Erstaufnahmeeinrichtungen. Aber es hat auch Fortschritte gegeben, die wir anerkennen wollen. Die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Schulbereich, Stellen etwa für die DaZ-Zentren, ist notwendig gewesen. Das ist eine gute Sache. Frau Ministerin, es bleibt allerdings zu fragen, ob das Land in der Lage sein wird, die zuständigen Fachkräfte, also Lehrerinnen und Lehrer mit der Spezialqualifikation Deutsch als Zweitsprache, tatsächlich in diesem Umfang auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Davon hängt natürlich die erfolgreiche Arbeit der DaZ-Zentren in ganz hohem Maße ab. Auch da ist also noch eine große Baustelle, mit der man sich wird beschäftigen müssen.

(Beifall FDP)

Mit der Mittelbereitstellung allein ist es nicht getan.