Protocol of the Session on January 23, 2015

Ich komme zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 18/2662. Wer diesem Antrag seine Zustimmung erteilen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig von Ihnen so beschlossen. - Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, ich vergaß, Ihnen zu Beginn der nachmittäglichen Beratungen mitzuteilen, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 35 von der Tagesordnung zu streichen.

Ich rufe sodann die Tagesordnungspunkte 25 A und 25 B auf:

Gemeinsame Beratung

a) Keine zusätzlichen Castoren nach SchleswigHolstein

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/2650

b) Bericht zur aktuellen Situation im Zwischenlager Brunsbüttel

(Flemming Meyer)

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/2655

Atommüll-Zwischenlager in Brunsbüttel

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/2661

Das Wort zur Begründung wird offenbar nicht gewünscht.

Mit den Anträgen wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem seine Zustimmung erteilen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist dies einstimmig so beschlossen.

Ich erteile nun für die Landesregierung dem Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Robert Habeck, das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich komme zu einem zweiten Urteil, das sogar noch vor dem Urteil, über das wir eben gesprochen haben, gefällt wurde und das - wenn ich das schon vorwegnehmen darf tief in das Mark der atompolitischen Debatte in Deutschland einschneiden wird. Ich bin mir nicht sicher, ob alle Konsequenzen aus diesem Urteil schon vollumfänglich erfasst sind. Ein paar Konsequenzen möchte ich im Rahmen meines Berichts kurz skizzieren.

Im Jahre 2002 hat die Bundesregierung entschieden, keine weitere Castoren von den Standorten der Atomkraftwerke zum Zwischenlager Gorleben zu bringen, sondern an den Standorten dezentrale Zwischenlager vorzuhalten. 2003 wurden diese genehmigt. Seitdem wird das Zwischenlager Brunsbüttel beklagt. Es wurden die meisten Zwischenlager beklagt: Aber in Brunsbüttel ist die Klage aufrechterhalten worden.

Elf Jahre nach Genehmigung gab es dann die ersten Urteile, genauer gesagt zwei: Im Juni 2013 hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig der Klage recht gegeben und keine Revision zugelassen. Gegen dieses Urteil hat dann das Bundesamt für Strahlenschutz, das BfS, Beschwerde zur Wiederzulassung der Revision eingelegt. Diese Beschwerde ist am 8. Januar dieses Jahres zurückgewiesen worden.

Damit ist das Urteil des OVG Schleswig rechtskräftig geworden.

Mir ist es sehr wichtig zu betonen, das im Verfahren nicht festgestellt wurde, dass das Zwischenlager unsicher sei, sondern dass gesagt wurde, es sei nicht der Nachweis gelungen, dass es sicher sei, und zwar bezogen auf Waffentypen der neueren Generation oder die Gefährdung durch einen gezielten Absturz eines A 380. Waffentypen der neueren Generation und der A 380 waren damals, als das Lager genehmigt wurde, noch nicht auf dem Markt. Es war auch vor 9/11. Also auch die real anzunehmenden Bedrohungsszenarien haben sich in den letzten elf Jahren geändert, was den Schluss nahelegt, dass es eine absolute Sicherheit der Atomkraft eben nie geben kann.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und vereinzelt SPD)

Ehrlicherweise fallen mir noch andere Bedrohungsszenarien ein als der Absturz eines A 380.

Das Urteil vollzieht dann nach, dass diese absolute Sicherheit nicht gegeben werden kann. Es mahnt zur weitestgehenden Transparenz. Die Bundesregierung hat damals argumentiert, sie könne die vorhandenen Dokumente nicht zur Verfügung stellen, um die Sicherheitsgefährdung nicht zu erhöhen, also Terroristen keine Anleitung für Anschläge zu geben. Das kann man nachvollziehen. Aber das Gericht hat eben gesagt, das könne nicht hinreichend sein, um nicht den Beweis zu erbringen, wie sicher das Zwischenlager sei, jedenfalls in einem In-camera-Verfahren. Im Grundsatz jedenfalls stimme ich damit überein.

(Beifall PIRATEN)

Dieses Urteil ist am 8. Januar 2015 ergangen. Am 16. Januar 2015 ist die Bundesregierung informiert worden. Am 16. Januar 2015 wurden auch wir dann informiert. Ich wurde um kurz nach zwölf von Staatssekretär Flasbarth angerufen. Zu diesem Zeitpunkt begann der Krisenmodus im Bundesumweltministerium und in unserem Ministerium. Um 15:30 Uhr haben wir eine Duldung erlassen, dass die neuen Castoren, die sich im Zwischenlager Brunsbüttel befinden, erst einmal in dem Zwischenlager bleiben können. Diese Duldung ist auf drei Jahre befristet.

Ich habe verschiedentlich gelesen, dass diese Duldung das Urteil aushebele. Dem möchte ich ausdrücklich widersprechen. Diese Duldung ist die Bedingung dafür, dass ein geordneter Betrieb erst einmal weitergehen kann, dass die Bewachung stattfin

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

den und das Personal überhaupt rechtmäßig dort weiter eingesetzt werden kann. Sie ist damit die Bedingung dafür, dass das Urteil erfüllt werden kann. Es ist kein Aushebeln des Urteils. Jeder, der sagt, diese Duldung sei eine Umgehung des Gerichtsurteils, muss auch sagen, wo die Castoren hingehen sollen. Jeder, der das kritisiert, muss eine andere Lösung nennen, sonst ist es eine Null-Nummer.

Es ist tatsächlich Neuland in der atompolitischen Rechtsprechung, aber wir mussten innerhalb von wenigen Stunden entscheiden, wie es weitergeht, sonst hätten die Castoren tatsächlich buchstäblich, wie es gesagt wurde, am nächsten Tag auf den Bürgersteig gestellt werden müssen oder das Lager hätte nicht mehr bewacht werden dürfen. Das wäre sicherlich keine Lösung und auch keine sicherere Antwort gewesen.

Weiter folgt daraus, dass letztlich alle baugleichen oder -ähnlichen Standorte, obwohl nicht beklagt, aus meiner Sicht ebenfalls der Überprüfung nach den Kriterien des Urteils unterzogen werden müssen, und nicht nur die Standorte, sondern auch die AKW. Die Bundesregierung muss den Beweis erbringen, dass die Standorte - die Zwischenlager und die Atomkraftwerke - den Kriterien, die das Gericht angelegt hat, genügen. Entsprechend werde ich mit meinen Länderkollegen auf die Betreiber und auf die Bundesregierung zugehen.

Es gibt aber auch Konsequenzen direkt für Schleswig-Holstein, vor allem zunächst erst einmal für den Standort Brunsbüttel. Es war und ist - das will ich ausdrücklich sagen - hohe Priorität der Landesregierung, den Rückbau der Atomkraftwerke schnell und zügig voranzubringen. Bei allem Fingerhakeln im Detail mit Vattenfall ist es auch das Ziel des Betreibers Vattenfall, den Rückbau vorzunehmen. Ziel und Planung ist, dass das Atomkraftwerk 2016 brennelementefrei werden soll. Im Druckwasserbehälter des Atomkraftwerks Brunsbüttel befinden sich noch Brennelemente. Die sind da nicht besonders gut aufgehoben. Die hätten für den Rückbau des Atomkraftwerks entnommen werden müssen und hätten natürlich in das Zwischenlager Brunsbüttel gehen sollen. Die Duldung, die wir erlassen haben, sagt, dass die neun Castoren, die sich darin befinden, darin bleiben können, bis eine andere, rechtssicher genehmigte Lösung gefunden ist, aber es dürfen keine weiteren hinein - weder Castoren aus Sellafield noch Castoren mit Material aus dem Druckwasserbehälter. Das heißt, es muss eine Lösung gefunden werden, wohin diese Brennelemente - dann in Castoren verpackt, ein Umfang

von etwa 10 bis 12 Castoren - verbracht werden können, wenn wir den Rückbau vornehmen wollen.

Daraus resultieren verschiedene Überlegungen, wie es weitergeht. Denkbar ist, dass Vattenfall beantragt, das Zwischenlager so, wie es ist, neu genehmigt zu bekommen, was möglicherweise zu Auflagen zur Härtung, also zum Nachrüsten, verbunden sein wird. Denkbar ist ein Neubau eines anderen Zwischenlagers. Denkbar ist auch, gar nichts zu tun. Sie wissen, dass es keine rechtliche Handhabe gibt, Atomkraftwerksbetreiber zu einem Rückbau zu zwingen. All das sind schlechte Lösungen.

Die vielleicht beste und naheliegendste Lösung ist, die Artikel im Atomgesetz, in denen es heißt, dass eine standortnahe Verbringung des Atommülls vorgeschrieben ist, so zu interpretieren, dass das Atomkraftwerk Brokdorf mit angeschaut wird und die zu befüllenden Castoren den Rückbau freimachen können, indem sie ins Atomkraftwerk Brokdorf gebracht werden. In Brokdorf ist die Lagerhalle für 100 Stellplätze genehmigt. Wenn das Atomkraftwerk bis 2021 läuft, wie es das nach dem Atomgesetz darf, würden am Ende etwa 20 oder 21 Stellplätze frei bleiben. Das würde also reichen, um die Castoren aus Brunsbüttel sowohl aus der Halle als auch aus dem AKW nach Brokdorf zu bringen. Das alles sind politische Aussagen. Die Antragstellung, das Verfahren, liegt beim Betreiber der Atomkraftwerke. Die Genehmigung liegt beim Bund. Ich will nur skizzieren, welche Auswirkungen sich damit verbinden und welche Debatten möglich sind.

Ich will aber auch sagen, dass der Rückbau der Atomkraftwerke die Priorität der Landesregierung ist, und zwar nicht nur der Rückbau des Atomkraftwerks Brunsbüttel, sondern auch des Atomkraftwerks Krümmel. Ich kann nur den Appell an Vattenfall wiederholen, das Pokerspiel, Krümmel als Faustpfand für die Klage gegen den deutschen Atomausstieg in der Faust zu behalten, endlich aufzugeben, sodass wir dort in einen geordneten Rückbau einsteigen können.

(Beifall Kirsten Eickhoff-Weber [SPD] und Martin Habersaat [SPD])

Für Krümmel gilt, dass die Räumlichkeit am Standort noch viel beengter ist, dass es dort wahrscheinlich nicht möglich sein wird, eine Halle für den schwach- und mittelradioaktiven Müll zu nutzen, sodass man möglicherweise auf das dortige Standortzwischenlager rekurrieren muss, sodass auch dort die Einbringung von weiteren Castoren den Rückbau verhindern würde und entsprechend nicht gewollt wird.

(Minister Dr. Robert Habeck)

Herr Minister, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Deswegen habe ich eine Pause gemacht: sehr gern.

Vielen Dank, Herr Minister. Die Frage haben wir beide schon einmal versucht, bilateral zu erörtern. Vattenfall ist ja ein schwedischer Staatskonzern. Was machen wir eigentlich, wenn die gar keinen neuen Antrag stellen?

- Für den Rückbau?

- Ja, auch für das Zwischenlager.

- Bei dem Rückbau haben wir keine Handlungsmöglichkeiten. Das ist so. Wir als schleswig-holsteinische Landesregierung haben am Anfang dieser Legislaturperiode einen Bundesratsantrag eingebracht, der den Gesetzgeber aufgefordert hat, das Atomgesetz so zu ändern, dass Atomkraftwerksbetreiber zum Rückbau verpflichtet werden können. Wir haben damals für unseren Antrag keine Mehrheit im Plenum gefunden. Die Zwischenlagerung war geklärt - bis zu diesem Gerichtsurteil. Sie muss standortnah in den genehmigten Zwischenlagern geschehen. Nun haben wir kein genehmigtes Zwischenlager am Standort in der alten Definition. Bisher hieß es, standortnah sei, wenn man den Atommüll 300 m oder 500 m transportieren muss - raus aus dem Reaktor, rein ins Zwischenlager. Das wurde uns genommen. Nun stellt sich die Frage, ob man „standortnah“ etwas weiter definieren kann. Ich komme am Ende meiner Ausführungen darauf zu sprechen. Aber eine klare, eindeutige Lösung ist nicht da. Vattenfall steht wie wir vor einem Zustand, in dem es kein genehmigtes Zwischenlager gibt, der sie aber gleichwohl verpflichtet, die Castoren nirgendwo anders hinzustellen.

Herr Minister, Sie gestatten eine zweite Bemerkung des Abgeordneten Kubicki?

Ich höre dann damit auf, weil es in eine Diskussion ausartet. Sie verbringen jetzt keinen weiteren Castor in das nicht genehmigte Zwischenlager.

Sie dürfen es auch nicht.

- Ja, das ist ja klar. Aber es hilft uns auch nicht weiter, weil die Frage bleibt. Sie müssten an sich einen neuen Antrag auf Errichtung eines Zwischenlagers stellen oder - mit Auflagen - die Genehmigung dieses bestehenden. Wenn sie das nicht machen, was machen wir dann?

- Dann ändern wir, wenn wir die Mehrheiten finden, das deutsche Atomgesetz zu ändern und irgendwann - wie etwa bei den Rückstellungen - Betreiber zu weiteren Schritten zwingen. Aber wir als schleswig-holsteinische Atomaufsicht sind in dem Rechtsrahmen, in dem wir uns im Moment bewegen, nicht in der Lage, dort etwas zu tun. Wir müssten die Bundesgesetzgebung anpassen.

Ich mache weiter in meiner Rede und bin auch fast am Ende, aber natürlich kommen jetzt die entscheidenden Punkte, auf die wahrscheinlich schon ein paar warten.

Wenn das stimmt, was ich zu Brunsbüttel und Krümmel gesagt habe, wenn wir als Landespolitik also die Priorität des Rückbaus vor die Klammer ziehen, dann ist der Beschluss, den wir vor eineinhalb beziehungsweise jetzt schon fast vor zwei Jahren gefasst haben, nämlich ein tatsächlich untypisches, jenseits der Rituale agierendes Verhalten von Schleswig-Holstein umzusetzen, insofern zu hinterfragen, als es nicht mehr zur Wirklichkeit passt. Wir haben bei aller potenziellen Hilfsbereitschaft ich werbe sehr dafür, sie nicht im Grundsatz infrage zu stellen - faktisch, wenn wir den Rückbau durchziehen wollen, keine Möglichkeit, bei den Castoren, die in Sellafield warten, zu helfen und diese aufzunehmen. Das heißt, die Bundesregierung muss sich darauf einstellen, dass die Hilfsbereitschaft von Schleswig-Holstein nicht mehr in Realität umgesetzt werden kann und nach zwei Jahren der Suche die Kriterien des Landtags Schleswig-Holsteins nicht mehr zu erfüllen sind, ein drittes Land zu finden. Nach zwei verlorenen Urteilen, die das Zwischenlager, auf das alle ein bisschen geschaut haben, nämlich Brunsbüttel, aus dem Spiel genommen haben, ist es - so meine ich - an der Zeit, dass die Bundesregierung erkennt, dass sie zumindest droht, in eine Sackgasse hineinzulaufen, und dieses Suchverfahren anders aufsetzt und anders einstielt.

Schleswig-Holstein hat damals - das ist immer noch ein beispielhafter und großartiger Vorgang - versucht, nationale Verantwortung zu übernehmen,