Protocol of the Session on September 27, 2012

(Beifall FDP, SSW, vereinzelt SPD und PI- RATEN)

Zu dem Antrag „Bundesratsinitiative zur Stärkung der Freiheit und der Privatsphäre im Internet“, das ist der Antrag der Fraktion der PIRATEN, besteht abweichend eine Redezeit von zehn Minuten. Es spricht Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer für die Fraktion der PIRATEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Datenpannen, Datenklau, Datenskandale - immer wieder müssen wir über solche Fälle in der Zeitung lesen. Ich möchte nur einmal drei Fälle allein aus diesem Jahr nennen. Da ging es darum, dass Hacker Zugriff auf bis zu 400.000 Passwörter und Adressen des Brillenhändlers Mr. Spex hatten; da ging es darum, dass die Zugangsdaten für bis zu 300.000 gmx-Postfächer auf einmal ausspioniert worden waren. Das heißt, dass man private Mails lesen konnte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Alles Piraten!)

Da ging es darum, dass Mailadressen und Kennwörter von 15.000 Nutzern eines Internetforums des Sportvereins Mainz 05 gestohlen wurden.

Das Ergebnis dieser vielen Fälle - ich habe nur drei aus diesem Jahr genannt - ist, dass 78 % der Internetnutzer inzwischen angeben, dass ihre Hauptsorge bei der Internetnutzung dem Diebstahl ihrer persönlichen Daten und dem Weiterverkauf ihrer Daten an Dritte gilt. Genauso sagen 85 % der Nutzer, dass die Anbieter von sich aus nicht genug tun, um die Daten ihrer Kunden im Internet zu schützen. Ich denke, das bekräftigt noch einmal, dass sich

(Christopher Vogt)

solche Fälle nicht allein durch Selbstregulierung verhindern lassen.

Sicherlich kann man nicht jede Datenpanne vermeiden, aber der beste Schutz vor Datendiebstahl und Datenmissbrauch ist, wenn von vornherein so wenig persönliche Daten wie möglich erhoben werden. Diese können dann auch nicht geklaut und verloren werden.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Deshalb ist es zur Stärkung der Privatsphäre und des Verbrauchervertrauens dringend erforderlich durchzusetzen, dass Telemediendienste so wenig persönliche Daten wie möglich verarbeiten. Deshalb wollen wir zum Beispiel mit unserem Antrag eine Stärkung des Rechts auf Anonymität erreichen. In dem Fall mit dem Internetforum war es zum Beispiel schon ein Grundfehler, dass man sich überhaupt registrieren musste, um an dem Forum teilzunehmen. Das ist gar nicht erforderlich. Da geht es auch um die Frage des Koppelungsverbots, das heißt, es muss klar sein, dass Daten, die gar nicht erforderlich sind, auch nicht erzwungenermaßen erhoben werden dürfen.

In einem weiteren Punkt unseres Antrages geht es darum, dass die Nutzer über den Umgang mit ihren Daten wirklich frei entscheiden können sollen. Im Moment ist es beispielsweise so, dass die Anbieter Nutzer-Profile über das Surfverhalten der Nutzer anlegen dürfen und dafür keiner Einwilligung bedürfen. Es gibt nur ein Widerspruchsrecht. Das ist für uns nicht akzeptabel. Wir fordern ganz klar eine Opt-in-Regelung: Nutzerprofile nur mit Einwilligung des Nutzers.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine informierte Einwilligung setzt natürlich voraus, dass man überhaupt weiß, worum es geht, worin man einwilligen soll. Im Moment ist es leider so, dass die Informationen über die Verarbeitung unserer Daten im Internet sehr allgemein und verklausuliert sind. Was man zum Beispiel nicht erfährt, ist die konkrete Dauer der Datenspeicherung, wie lange eigentlich bei dem einzelnen Anbieter Dinge über das Nutzerverhalten gespeichert werden. Wir möchten deshalb, dass auch klar festgelegt wird, dass über die Dauer der Speicherung personenbezogener Daten zu informieren ist, also über die Speicherfristen.

Schließlich - um einen letzten Aspekt aus dem Bereich des Datenschutzes herauszugreifen - braucht

es, wie die Datenschützer es schon seit Jahren fordern, ein Telemediennutzungsgeheimnis. Es kann nicht sein, dass wie bisher der Anbieter eines WLANs verpflichtet ist, die Privatsphäre seiner Nutzer zu achten, dass aber das, was wir im Internet machen, überhaupt keinem besonderen gesetzlichen, strafrechtlichen Schutz unterliegt. Es kann nicht sein, dass die Strafverfolgungsbehörden oder auch die Geheimdienste an Daten über die Internetnutzung viel leichter und ohne richterliche Anordnung herankommen als an Daten über die Telekommunikationsnutzung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir im Internet machen, ist doch viel aussagekräftiger - oft jedenfalls - als der Inhalt eines belanglosen Telefonats.

(Beifall PIRATEN und Abgeordnete Dr. Kai Dolgner [SPD] und Christopher Vogt [FDP])

Daraus kann man Persönlichkeitsprofile erstellen, man kann sehen, wonach wir gesucht haben, wofür wir uns interessieren, das gibt wirklich Aufschlüsse über unser Privatleben. Deshalb kann es nicht angehen, dass die Internetnutzung hier einem geringeren Schutz unterliegt als die Telefonnutzung.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneter Dr. Kai Dolgner [SPD])

Um auch gleich auf ein wirtschaftliches Argument einzugehen: Sicherlich ist das Internet grenzenlos, und wir können ausländische Dienste mit einer Regelung nicht erreichen - gar keine Frage -, aber trotzdem macht ein hoher Datenschutzstandard in Deutschland Sinn, weil es nämlich für uns einen Standortvorteil darstellt, wenn deutsche Dienste das Nutzervertrauen haben - was inzwischen angegriffen ist - wie ich mit der Nennung meiner Zahlen vorhin zeigen wollte. Es ist für uns ein Standortvorteil. Gerade auch für uns in Schleswig-Holstein ist der Datenschutz ein Standortvorteil und auch ein Impuls, der von uns ausgeht und ausstrahlt auf die europäische, auf die internationale Ebene.

(Beifall PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur um den Schutz unserer Privatsphäre im Internet, der im Argen liegt, sondern auch um die Freiheit. Der Kollege Vogt hat schon etwas zum Thema Internetzugang gesagt. Dem kann ich mich anschließen. Ich will noch einmal klarstellen: Wenn die Deutsche Telekom Telefonzellen anbietet, dann haftet sie auch nicht dafür, wenn durch diese Beleidigungen oder Drohungen ausgesprochen werden. Genauso wenig kann es angehen, dass man als Anbie

(Dr. Patrick Breyer)

ter für den Missbrauch eines Internetzugangs haften muss.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Es geht aber nicht nur um den Internetzugang. In unserem Antrag geht es auch um Internetdienste, die die Einstellung von Nutzerinformationen ermöglichen. Ich nenne hier zum Beispiel Blogs, soziale Netzwerke, Veröffentlichungsdienste, Hostingdienste und so weiter. Hier geht es um Vervielfältigungsdienste. In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung eine sogenannte Störerhaftung in dem Sinne geschaffen, dass von den Anbietern oftmals verlangt wird, von den Nutzern eingestellte Informationen daraufhin zu filtern, ob sie vielleicht rechtswidrig sein könnten, und zwar auf bestimmte Schlüsselwörter hin. - Das ist der völlig falsche Weg, denn einer solch groben Wortfilterung fallen bereits kritische Interviews zu diesem Thema oder auch Persiflagen einer Firma zum Opfer. Diese Filterung ist auch völlig wirkungslos, weil man einfach die gleichen Inhalte unter einem anderen Namen noch einmal einstellen kann. Deshalb lehnen wir die Internetfilterung strikt ab.

Teilweise wird unter dem Stichwort der Störerhaftung sogar gefordert, eine flächendeckende Identifizierung von Nutzern oder eine Vorratsdatenspeicherung ihres Nutzungsverhaltens durchzuführen, weil diese einmal erforderlich sein könnte, um Rechtsverletzungen aufzuklären. Dazu sagen wir ganz klar: Nein, es darf im Internet keine Privatpolizei geben.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man vonseiten der Anbieter eine Kontrolle verlangt, dann schadet dies sowohl der Meinungsfreiheit im Netz als auch der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Dienste, denn diese überzogenen Pflichten, die sich inzwischen etabliert haben, führen nur dazu, dass Anbieter in ein anderes Land abwandern, in dem es diese Störerhaftung nicht gibt. Wir brauchen in Deutschland und in SchleswigHolstein gute Bedingungen für solche Anbieter. Ich habe mit Freude gelesen, dass allein in SchleswigHolstein über 2.000 Unternehmen im Bereich Datenverarbeitung und Hosting tätig sind. Das sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Wir dürfen in Deutschland keine Bedingungen schaffen, die diesen Unternehmen die wirtschaftliche Tätigkeit unmöglich machen.

(Beifall PIRATEN)

Im Internet muss der gleiche Grundsatz gelten wie außerhalb des Internets, nämlich dass man seinen Mitbürgern erst einmal vertraut, dass sie das Recht einhalten und keine Rechtsverletzung begehen. Deshalb darf es keine anlasslose oder flächendeckende Kontrolle geben. Wenn im Einzelfall wirklich ein Verdacht auf einen Rechtsverstoß vorliegt, wenn beispielsweise die Anzeige eines Rechteinhabers vorliegt, dann muss im Zweifel ein Gericht entscheiden, nicht der Anbieter. Der Hoster kann nicht beurteilen, wer in einem solchen Streit recht hat oder ob ein bestimmter Inhalt rechtmäßig ist oder nicht. Er soll das in einem Rechtsstaat auch nicht. Wir wollen, dass solche Fragen, bei denen es um den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Rechteinhabern geht, von den Gerichten geklärt werden. Die Anbieter befinden sich hier in einer Zwickmühle: Entweder sie löschen Daten zu Unrecht und haften dem Nutzer gegenüber, oder sie löschen die Daten zu Unrecht nicht, dann haften sie gegenüber dem Rechteinhaber. Hier müssen wir die Anbieter entlasten und solche Entscheidungen in Zweifelsfällen den Gerichten übertragen.

(Beifall PIRATEN)

Ein Beispiel, um auch im Fall der Hoster einen Vergleich anzustrengen, der das Thema plastisch macht: Ein Angebot von Speicherplatz lässt sich vielleicht mit dem Angebot einer Lagerhalle vergleichen. Es würde sicher keiner von dem Vermieter einer Lagerhalle verlangen, dass er seine Mieter dahin gehend überwacht, was sie in der Halle einlagern und ob dies rechtmäßig ist. Ein weiteres Beispiel ist der Vergleich mit Vervielfältigungsdiensten. Wir würden sicherlich sagen, dass ein Fotokopierladen nicht kontrollieren muss, was seine Kunden auf den Fotokopierapparat legen. Genauso wenig kann man das im Internet verlangen.

Deshalb lade ich Sie ein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um den Schutz unserer Freiheit und Privatsphäre im Internet zu verbessern. Wir beantragen, unseren Antrag federführend an den Innenund Rechtsausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen, ihn dort näher zu beraten, um gute Lösungen dafür zu finden, wie wir die Freiheit und die Privatsphäre im Internet stärken können. - Danke.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und SSW)

Ich habe noch einen Nachtrag: Soeben habe ich erfahren, dass Frau Abgeordnete Regina Poersch er

(Dr. Patrick Breyer)

krankt ist. - Wir wünschen ihr von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Wir kommen zu den Wortbeiträgen nach den Antragstellern. Zunächst einmal spricht Herr Dr. Axel Bernstein für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frei zugängliches WLAN für alle ist ein zweifellos sympathischer Gedanke, denn ein solcher Zugang hat etwas mit Lebensqualität und Bildungschancen zu tun. Er hat auch etwas mit der Attraktivität von Standorten zu tun.

Wie sieht es zurzeit in der Realität aus? - Die Anbieter von freiem WLAN leiden darunter, dass sie häufig Opfer massenhafter Abmahnungen werden, die wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Urheberrechtsverletzungen an sie gehen. Dabei erreichen diese Abmahnungen weder den eigentlichen Verursacher der Urheberrechtsverletzung, noch tragen sie dazu bei, ein positives Bewusstsein für das Urheberrecht zu befördern.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Sie sind vielmehr zu einer parasitären Geschäftsidee entartet.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist die Abschaffung der sogenannten Störerhaftung über das Telemediendienstgesetz daher der richtige Weg? - Die Störerhaftung ist keine Bosheit verknöcherter Juristen, die, obwohl Berufskollegen des PIRATEN Breyer, dem digitalen Zeitalter den Kampf angesagt haben, sondern sie besteht durchaus auch in anderen Bereichen. Es ist ein Allgemeinplatz, wenn wir feststellen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Das ist es nicht, und das war es nie.

(Beifall PIRATEN)

Ebenso wie es Rechtsverstöße im Internet gibt, so gibt es sie auch außerhalb, und es hat sie schon immer gegeben. Gerade deshalb muss die Politik gut überlegen, wie sie agiert. Wer im Netz oder mit dem Netz Rechtsverstöße begeht, der muss zumindest damit rechnen dürfen, dass er ermittelt werden kann. Dabei ist uns sehr wohl bewusst, dass dies derzeit auch dann nicht gewährleistet ist, wenn ein WLAN beispielsweise über einen Provider bereitgestellt wird. Zu sagen, weil wir derzeit nicht in der Lage sind, jeden Verursacher eines Verstoßes

zu ermitteln, lassen wir das lieber ganz, kann aus unserer Sicht nicht die richtige Antwort sein. Der Rechtsstaat darf nicht schrittweise offline gehen.

(Beifall SSW und Abgeordnete Barbara Ost- meier [CDU])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?