Protocol of the Session on January 21, 2015

Dies ist ein Grundpfeiler unserer Werteordnung: So hat es das Bundesverfassungsgericht zum Wert der Meinungsfreiheit einmal gesagt. Wer diesen Grundpfeiler anknabbert oder zerstört, der zerstört unser Leben in dieser Gesellschaft.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr kann man zur Freiheit in unserer Demokratie nicht sagen. Ich bin ausdrücklich froh, dass wir bei allem gelegentlich auch heftigen Streit in Grundfragen unseres demokratischen Miteinanders, Herr Kollege Dr. Stegner, in diesem Haus zu einer gemeinsamen Entschließung zusammengefunden haben. Das hat einen hohen Stellenwert, und es ist auch ein Signal an die Menschen, dass sie sich im Zweifel darauf verlassen können, dass wir uns als wehrhafte Demokraten sowohl mit den Feinden von außen als auch mit den Feinden von innen messen können und mit ihnen fertig werden. - Herzlichen Dank.

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall)

Das Wort hat der Vorsitzende der Piratenfraktion, der Abgeordnete Torge Schmidt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 7. und 8. Januar waren wir gedanklich alle in Frankreich. 17 Menschen haben ihr Leben verloren. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und den Verletzten der Anschläge.

Der Schock, den die Anschläge von Paris ausgelöst haben, geht durch ganz Europa, er geht durch die ganze Welt. Zigtausend Menschen gingen als Reaktion auf die Anschläge in Paris und anderswo auf die Straße. Die Menschen haben versucht, den Schock und die Trauer zu artikulieren und ein starkes Zeichen gegen den Terrorismus zu setzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel von Terrorismus ist es, uns so sehr zu treffen, dass wir zu rationalen Entscheidungen nicht mehr in der Lage sind, dass wir emotional und betroffen reagieren. Sein Ziel ist es, die Freiheit und die Demokratie, um die wir Tag für Tag kämpfen, zu beseitigen. Es liegt an uns, dass wir keine voreiligen und unüberlegten Forderungen in den Raum stellen. Wer solche Anschläge wie die in Paris ausübt, lehnt unsere Grundrechte, Grundwerte und Gesellschaftsordnung ab. Sie wollen mit der von ihnen geschürten Angst unsere Meinungsfreiheit einschränken.

Wenn die CDU nun zum Beispiel fordert, den sogenannten Blasphemieparagrafen 166 des Strafgesetzesbuchs zu verschärfen, gibt sie damit dem Druck des Terrors nach.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Sie will die Meinungsfreiheit von sich aus einschränken. Der Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ hat in einem Kommentar mit der Überschrift „Es lebe der Witz“ sehr gut erklärt, warum man Witze über Religionen machen darf. Ich möchte aus diesem Artikel einen Satz zitieren:

„Religion (und so manch andere Weltan- schauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muss das andere missverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes

Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.“

(Beifall)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Terroristen hätten ihr Ziel erst recht erreicht, wenn unsere Reaktion auf die Anschläge mehr Überwachung ist, wenn wir die Freiheit unserer Gesellschaft einschränken. Es ist doch absurd, als Konsequenz aus den Terroranschlägen von Paris, die aus dem Grund ausgeübt wurden, dass unsere Gesellschaft die Meinungsfreiheit ungeachtet des Inhalts schützt, nun selbst die Grundpfeiler unserer Demokratie anzugreifen und die Kontrolle und Protokollierung all unserer Kommunikation zu fordern.

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung wäre ein viel größerer Angriff auf unsere Grundrechte, als dass es die Terroristen je gekonnt hätten.

(Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Forderung nach der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung als Reaktion ist falsch, weil sie die Grundrechte aller Menschen massiv einschränkt und nicht für die Sicherheit sorgt, die sie verspricht. Die Anschläge in Frankreich haben gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung, die dort seit 2006 eingeführt wurde und noch viel weitreichender ist als das, was wir in Deutschland diskutieren, keine Sicherheit garantiert.

Ein freiheitlicher und demokratischer Staat kann keine absolute Sicherheit garantieren. Es ist falsch, das zu suggerieren. Der Staat kann Menschenleben schützen, er kann auch unsere Demokratie schützen. Es ist wichtig, dass wir darüber diskutieren. Wir müssen auch über den Einsatz von Polizisten diskutieren und darüber, wie wir die Leute hier schützen. Man liest in den letzten Tagen sehr viele Berichte aus Europa, die mir große Sorgen machen. Man liest, dass sich jüdische Menschen in Frankreich, Belgien und anderswo nicht mehr sicher fühlen und überlegen auszuwandern. Wir lesen auch von Muslimen, die sich nicht mehr trauen, in Deutschland auf die Straße zu gehen. Wie bereits angesprochen, demonstrieren in Deutschland und anderswo in Europa Tausende Menschen, die sich „patriotische Europäer“ nennen, gegen eine Islamisierung unserer Gesellschaft. Die große Frage, die sich jetzt stellt, ist: Wie begegnen wir diesen Menschen, die grundsätzlich gegen die etablierte Politik

(Wolfgang Kubicki)

demonstrieren, aber nicht wie ihre Anführer dem rechtsextremen Lager zuzuordnen sind? Wie begegnen wir diesen Menschen mit ihren Sorgen?

Wir können uns für mehr Polizeipräsenz aussprechen, aber das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Die Polizei hat keinen Einfluss auf das alltägliche Leben derjenigen, die diskriminiert werden. Die Polizei kann nichts dagegen tun, dass jemand aufgrund seines Kopftuchs ausgegrenzt wird. Die Polizei kann nicht dabei helfen, dass ein Asylbewerber im Bus schräg angeguckt wird. Die Polizei kann nicht dafür sorgen, dass Vorurteile und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft stattfinden.

Deswegen freue ich mich umso mehr darüber, dass unsere Gesellschaft in Schleswig-Holstein ein starkes Zeichen setzt: Die Schleswig-Holsteiner demonstrieren nicht gegen PEGIDA, wir Bürgerinnen und Bürger setzen uns für ein weltoffenes und buntes Schleswig-Holstein ein. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied.

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das beste Mittel gegen Extremismus ist und bleibt, Menschen nicht aus unserer Gesellschaft auszuschließen. Der Islam ist Bestandteil unserer Gesellschaft. Genau das hat unser ehemaliger Bundespräsident Christian Wulff gesagt. Zu Unrecht wurde er dafür kritisiert, und zu Unrecht kritisiert die Junge Union Schleswig-Holstein Kanzlerin Merkel dafür, dass sie sich diesen Satz endlich zu eigen gemacht hat.

Jede Religion gehört zu Deutschland; denn es gibt ein Grundrecht auf freie Religionsausübung. Vielfalt, Unterschiede und Austausch bringen uns als Gesellschaft voran. Wie wollen wir als Menschen uns weiterentwickeln, wenn wir nicht voneinander lernen?

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte meine Rede beenden. Eigentlich wollte ich den schon sehr häufig zitierten Ausspruch von Jens Stoltenberg bringen, weil ich glaube, dass er auch in der heutigen Zeit nach wir vor extrem wichtig ist und nach wie vor gilt. Die Worte, die Jens Stoltenberg damals gewählt hat, haben mich als jungen Menschen sehr stark geprägt. Ich glaube, die Antwort auf solche Anschläge wie in Paris und anderswo auf der Welt kann nur die Antwort sein, die Jens Stoltenberg nach den Anschlägen in Norwegen 2011 gegeben hat. - Ich danke Ihnen.

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für den SSW hat Herr Abgeordneter Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind uns in diesem Hohen Haus in den Zielsetzungen einig. Wir wollen, dass die Meinungsfreiheit und alle anderen bürgerlichen Freiheiten, die in unserem Land geschützt sind, auch weiterhin geschützt werden. Deshalb muss ganz klar gesagt werden, dass diejenigen, die diese Freiheit für die Menschen infrage stellen, damit die Werte unseres Landes mit Füßen treten. Es geht hier nicht nur um Flüchtlingspolitik oder Einwanderung, es geht hier vor allem um die Grundfesten der Demokratie in unserem Land. Man kann über alles diskutieren, solange man akzeptiert, dass ein Mensch ein Mensch ist und alle Menschen die gleichen Rechte haben.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist unser Wertesystem, das seit der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts unverrückbar zum gesellschaftlichen Erbe Europas gehört. Dass Menschen für die merkwürdigsten Ziele in unserem Land frei demonstrieren können, ist eine Errungenschaft, für die andernorts Menschen kämpfen und manchmal sogar sterben müssen. Ich glaube, es ist dringend notwendig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass dieses Recht wie auch alle anderen Bürgerrechte keine Selbstverständlichkeit ist. Dass ich meine Meinung hier frei äußern kann, ist andernorts eben nicht möglich. Dass eine Presse hier eben gerade nicht von einer Regierung, die bei uns ohnehin regelmäßig in ihrer Couleur wechselt, gesteuert wird, sondern unabhängig ist, ist nicht nur eine Tatsache, sondern auch ein tragendes Element unserer Demokratie. Dann von Lügenpresse zu sprechen, nur weil einem die Meinung einzelner Medien nicht passt, ist im Endeffekt nur der Ruf nach Zensur. Die Medien sollen nicht mehr frei berichten, sondern nur noch so, wie es beispielsweise den Machern der PEGIDA-Demonstrationen passt. Das ist nicht das Land, in dem ich leben möchte.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

(Torge Schmidt)

Wir als Politiker wissen, dass nicht alles, was die Medien berichten, einem immer passt. Aber Demokratie muss und kann das auch aushalten. Wer dies nicht aushalten will, der will auch keine Meinungsvielfalt. Aber genau diese Meinungsvielfalt und die Freiheit, die damit verbunden ist, sind das Fundament unserer Gesellschaft. Das schließt nicht aus, dass die Menschen, die bei uns leben, in dem was sie tun, sich dieser demokratischen Gesellschaft verpflichtet fühlen sollen und nicht gegen diese Prinzipien verstoßen dürfen. Das gilt aber unabhängig von Hautfarbe, Religion oder weltanschaulichem Bekenntnis. Eine strafbare Handlung ist immer eine strafbare Handlung - egal von wem sie verübt wurde. An diesem unverrückbaren Grundsatz müssen wir festhalten, weil sonst alles nur noch Willkür wäre.

Deshalb darf es kein Verständnis für Organisationen geben, die genau das in Zweifel ziehen - egal ob es sich dabei um Islamisten, Rechtsradikale oder auch nur um Zusammenschlüsse von sogenannten Wutbürgern handelt. Die persönliche Unzufriedenheit mit der Politik rechtfertigt nicht, dass man radikale Organisationen bei Demos mitlaufen lässt, denn dann wird man irgendwann selbst zum Mitläufer. Jeder Bürger hat auch selbst eine Verantwortung, mit wem und unter welchen Parolen man läuft. Wir haben auch eine Verantwortung für das, was wir sagen. Wenn man, wie der Kollege Kubicki kürzlich - am 5. Januar 2015 in der „Welt“ vielleicht mehr oder weniger unbewusst oder unbedarft sagt - ich zitiere:

„Wenn ich in einem Ort XY ein Flüchtlingsheim errichte, kann ich dort nicht gleichzeitig die Polizeistation schließen“,

dann schürt das genau die Ängste, lieber Kollege Kubicki, über die Sie gerade eben gesprochen haben. Die Analogie Flüchtlingsheim und Polizeistation füttert gerade wieder die Ressentiments, die sicherlich nicht im Weltbild des Kollegen Kubicki enthalten sind. Trotzdem werden mit solchen Statements die Ressentiments bedient, ohne dass es auch nur im entferntesten einen Grund dafür gibt.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Wir haben hier eine hohe Verantwortung. Deshalb muss man gerade in dieser Frage das Wort auf die Goldwaage legen, insbesondere dann, wenn man wie wir alle in der Öffentlichkeit steht. Es gibt im Übrigen auch keinen sachlichen Grund, eine Islamisierung Deutschlands zu befürchten. Einmal davon abgesehen, dass die weit überwiegende Zahl

der muslimischen Mitbürger rechtstreue und ordentliche Menschen sind, spricht auch schon die reine Anzahl von Muslimen in unserem Land gegen eine solch merkwürdige These. Rund 4,5 Millionen Muslime leben in Deutschland. Die Gesamtbevölkerung beträgt 80,8 Millionen Einwohner, das heißt, 5,6 % aller Einwohner sind Muslime. Die anderen 94,4 % sind es nicht. Da von einer angeblichen Islamisierung zu sprechen, ist schon anhand der vorhandenen Zahlen völliger Blödsinn.

Das Wort Islamisierung hat aber auch noch den Beiklang, als wollten alle Muslime in Deutschland den Menschen ihren Glauben aufzwingen. Das ist aber nicht der Fall. Von radikalen Islamisten auf alle Muslime zu schließen, ist eine Frechheit und bleibt eine Frechheit.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Im Gegenteil: Ich habe großen Respekt vor dem, was der Zentralrat der Muslime am 7. Januar 2015 anlässlich des Pariser Anschlags als Pressemitteilung veröffentlicht hat. Auch hier zitiere ich:

„Wir“

- also der Zentralrat der Muslime

„verurteilen diesen abscheulichen Terroranschlag aufs Schärfste. Wir sind erschüttert und schockiert über das Massaker, das an Zeitungsredakteuren und anderen Personen verübt wurde, und wir trauern mit den Hinterbliebenen.

Es gibt in keiner Religion und keiner Weltanschauung auch nur einen Bruchteil einer Rechtfertigung für solche Taten. Dies ist ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft, durch diese Tat wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube wurde verraten und unsere muslimischen Prinzipien in den Dreck gezogen.

Es ist zu befürchten, dass der Anschlag neues Wasser auf die Mühlen von Extremisten jeglicher Couleur sein wird. Wir rufen alle dazu auf, dem perfiden Plan der Extremisten nicht auf dem Leim zu gehen, die die Gesellschaft spalten, Hass und Zwietracht zwischen den Religionen schüren und die überwältigende Mehrheit der friedlichen Gläubigen zu Paria der Gesellschaft machen wollen.