Herr Kollege Breyer, Sie haben der Absenkung der Sperrklausel eben an zwei Stellen eine besondere Bedeutung beigemessen. Nun haben wir die Sperrklausel ja zum Beispiel bei den Kreistagswahlen abgeschafft. Können Sie erläutern, inwiefern das Einfluss auf die Wahlbeteiligung gehabt hat?
Ja, Herr Kollege Eichstädt. Die Befragung von Nichtwählern unter anderem durch die FriedrichEbert-Stiftung, warum sie nicht mehr zur Wahl gehen, hat ergeben, dass immerhin etwa 4 % der Nichtwähler sagen, Grund für sie sei, dass die Partei, die sie unterstützten, bei Bundestagswahlen sowieso keine Chance habe, auch wirklich in das Parlament einzuziehen. Sie können es natürlich an der reinen Zahl der Wahlbeteiligung nicht messen. Aber Sie können, wenn Sie die Nichtwähler fragen, warum sie nicht wählen gehen, feststellen, dass das ein erheblicher Frustrationsfaktor ist. Ich glaube, gerade nach der letzten Bundestagswahl werden noch mehr Menschen frustriert sein, wenn selbst Stimmen für Parteien wie die FDP mit 4,9 % unter den Tisch fallen. Das finde ich nicht gut.
Das ist ja jetzt eine Hypothese, die Sie auch nicht belegen können. Sie sagen, das könnte vielleicht so sein. Aber darauf möchte ich nicht weiter eingehen. Ich wollte Sie eigentlich bitten, meine Frage zu beantworten. Wir haben die Sperrklausel bei Kreistagswahlen abgeschafft. Nach Ihrer Theorie hätte das ja dazu führen müssen, dass die Wahlbeteiligung steigt. Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, ob das der Fall war.
Herr Kollege Eichstädt, ich habe Ihnen ja schon gesagt, anhand der Zahl der Wahlbeteiligung können Sie nicht sagen, ob sie niedriger wäre, wenn es die Sperrklausel noch gäbe. Wir können aber sagen, dass bei den Kommunalwahlen niemand mehr fern bleiben muss, weil er befürchten muss, dass seine Stimme unter den Tisch fällt.
Wir PIRATEN sind oft in Kommunalparlamenten mit nur ein, zwei Vertretern vertreten. Das heißt, unsere Wähler konnten getrost zur Wahl gehen, weil sie sich sicher sein konnten, ihre Stimme bewegt etwas. Wenn jetzt zum Beispiel der Landtag gewählt würde und wir in Umfragen bei 2, 3 % liegen, besteht die Gefahr, dass unsere Unterstützer sagen: Dann gehen wir gar nicht mehr wählen, es hat sowieso keinen Sinn, wir haben eh keine Chance. - Wie gesagt, in Umfragen sagen tatsächlich 4 % der Nichtwähler als Begründung für ihre Entscheidung: Es hat keinen Sinn, weil die Partei, die wir wählen wollen, sowieso keine Chance hat, einzuziehen.
Deswegen noch einmal unser Appell: Wenn Ihnen wirklich daran gelegen ist, mehr zu beteiligen, gibt es Möglichkeiten: Absenkung der Sperrklausel, Einführung einer Ersatzstimme. Wir haben viele Vorschläge im Innen- und Rechtsausschuss vorgelegt. Die werden auch von mehreren Partnern der Koalition unterstützt. Es würde mich sehr freuen, wenn sich auch die SPD dafür öffnen würde, zumal im internationalen Vergleich eine so hohe Sperrklausel mit 5 % absolut unüblich ist, Herr Kollege Eichstädt.
Klar ist, Demokratie braucht Vertrauen. Wir bringen uns aktiv und konstruktiv in den Prozess mit ein. Ich bitte Sie, gemeinsam mit uns daran zu arbeiten, dass wir dieses Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratie ist ein Pflänzchen, das Anstrengungen erfordert und Mühe macht. Sie vertrocknet, wenn sie abseits steht und wenn sich niemand um sie kümmert. Sie geht ein und wird dann auch von Unfreiheit und Diktatur überwuchert. Wir reden oft von dem, was uns droht, wenn die Wahlbeteiligung weiter sinkt und die Bürgerversammlungen verwaisen. Wir reden viel und oft davon und vergessen dabei, die Schönheit der Demokratie zu preisen. So eine Miesepeterrhetorik will zwar viel, verschreckt aber im Zweifel die Menschen noch mehr, als sie es ohnehin schon sind. Sie provoziert geradezu die lahmen Entschuldigungen und Ausflüchte, die gegen aktive Beteiligung vorgebracht werden, nämlich: keine Zeit, zu kompliziert, als Einzelner könne man ja doch nichts ausrichten. Auch das haben wir alles heute schon wieder hier gehört.
Als Politiker argumentiert man dann dagegen. Klar, das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Aber ich bemerke beim Gegenüber oft auch Skepsis. Ich bin schließlich nicht unparteiisch, was die Demokratie angeht. Eigentlich sollte das auch niemand in Deutschland sein: unentschlossen, neutral oder eben unparteiisch, sondern man sollte sich leidenschaftlich, engagiert und auch einfallsreich für die Demokratie einsetzen.
Demokratie ist unbequem, nicht nur bezüglich des Zeitaufwands, sondern auch was die Themen angeht. Wer Flagge zeigt und sich für einen bestimmten Standpunkt stark macht, zieht oft auch Kritik auf sich. Derjenige, der dagegen keine Position sein eigen nennt, den lässt man auch in Ruhe. Ruhe ist aber das letzte, was wir brauchen.
Was wir brauchen, ist aber, dass die Demokratie und die demokratischen Verfahren noch präsenter sind als bisher, dass sie sozusagen für den einzelnen Menschen leichter greifbar und auch leichter
erlebbar sind. Der Landtag kann hier insbesondere die Verfahren verbessern. Es ist natürlich richtig, dass wir über die Sperrklausel diskutieren können, aber da wären wir uns wahrscheinlich alle nicht einig geworden. Es ist richtig, dass wir über Demokratie an sich diskutieren können und sie in irgendeiner Weise hätten definieren können. Auch da hätten wir wahrscheinlich nicht ohne Weiteres eine Einigkeit hinbekommen. Worum es bei diesem Antrag vielmehr ursprünglich ging, ist, das zu finden, was uns in diesem Parlament eint, das auf ein Papier zu schreiben und zu versuchen, es gemeinsam umzusetzen. Das war eigentlich das Ziel. Dann ist es auch eine natürliche Schlussfolgerung, dass man sich eher auf die Verfahren konzentriert und weniger auf politische Aussagen, die logischerweise bei uns in der Politik sehr unterschiedlich sind. Deshalb haben wir uns, wie gesagt, auf die Verfahren konzentriert. Das haben wir auch in der Vergangenheit ganz gut hinbekommen, als wir beispielsweise das Wahlalter hier gesenkt haben.
Andere Verfahren, die im vorliegenden Antrag zur Änderung beziehungsweise Modernisierung vorgeschlagen werden, beziehen sich vor alle Dingen auf den Wahlakt selbst. Zum Beispiel ist die Wahlbenachrichtigung zu kompliziert, wurde festgestellt, und die Anforderung der Briefunterlagen ist nicht für jedermann unmittelbar einsichtig. Ich denke, dass wir darüber nachdenken sollten, beides, also die Wahlbenachrichtigung an sich und die Briefwahlunterlagen, gemeinsam zu versenden, und zwar in einer Form, die übersichtlich und leicht verständlich ist. Eine doppelte Stimmabgabe muss natürlich vermieden werden - das war eine Problematik, die wir in den Beratungen angesprochen haben -, aber ich bin zuversichtlich, dass es auch dafür in irgendeiner Form eine technische Lösung geben wird.
Wir haben es nämlich mit einem wachsenden Anteil von Briefwählern zu tun. Bei der letzten Bundestagswahl hat jeder vierte Deutsche per Briefwahl seine beziehungsweise ihre Stimme abgegeben. Vor allem in den Großstädten scheint das der neue Trend zu sein. Das ist ein Indiz, dass diese Form der Wahl ausgesprochen gut ankommt. Es ist eben nicht ein Ausdruck von: Ach, ich mache da einmal etwas nebenher, damit ich meiner Pflicht nachkomme. - Vielmehr ist es anscheinend so, dass die Menschen gerade diese Form der Stimmabgabe durchaus gut finden. Dann sollte man die Idee, die dahintersteckt, entsprechend aufgreifen.
festes Datum noch an eine Tageszeit gebunden. Sie können um Mitternacht ihren Wahlzettel ausfüllen und dann in den Briefkasten werfen. Vielleicht ist auch gerade das der Grund für eine Briefwahl. Darum sollten wir nicht länger an den Öffnungszeiten der Wahllokale festhalten. Der Landtag sollte Prüfaufträge vergeben - das tun wir heute auch -, ob die Anzahl der Wahltage beispielsweise auf das gesamte Wochenende ausgedehnt werden kann. Dies zu überprüfen - etwas, was es auch in anderen Ländern gibt -, ist, glaube ich, nicht vermessen.
Zu den Verfahren gehört sicherlich auch, zu fragen, ob es nicht möglich ist, das starre Netz der Wahllokale zu verdichten. Bislang bieten die Parteien zwar einen Fahrservice für die Wählerinnen und Wähler an. Aber warum kann nicht gleich das Wahllokal zu einem vorbeikommen? Die Einrichtung mobiler Wahllokale ist vor allem in ländlichen Gebieten oder auch bei bestimmten Wählergruppen gut vorstellbar. So könnte es mobile Wahllokale in Schulen geben, die im Rahmen von Demokratieprojekten aufgebaut werden und so die Jugendlichen direkt zur Stimmabgabe motivieren könnten. In Dänemark hat man bei den letzten Regionalwahlen hiermit gerade gute Erfahrungen gemacht.
Zum Abschluss möchte ich klarstellen, dass auch die Nichtwahl Ausdruck demokratischer Gesinnung sein kann. Wir hatten in Schleswig-Holstein Landratswahlen mit nur einem Bewerber. Dass da viele Wählerinnen und Wähler nicht gewählt haben, ist nachvollziehbar. Solange es gar keine oder kaum Alternativen gibt, ist die Nichtwahl durchaus auch eine demokratische Option. Nachdem das Europaparlament beispielsweise mehr Befugnisse bekam, sank die Zahl der Nichtwähler bei der Europawahl und mehr Bürgerinnen und Bürger nahmen ihr Wahlrecht wahr. Also spielen tatsächlich auch Inhalte beim Wahlakt eine Rolle.
Attraktive Politik mit klaren Alternativen ist eben in der Tat die beste Einladung zur Beteiligung. Diese attraktive Politik sollten wir mit attraktiven Wahlverfahren verbinden. Ich möchte mich ausdrücklich für die parteiübergreifende Initiative bedanken und hoffe, dass sich alle bei den konkreten Initiativen, die aus dem Antrag hervorwachsen, dann auch beteiligen können. Zwar haben wir hier heute wieder ein paar Unterschiede gehört
-, ich glaube aber, in dem Ziel, das Demokratie erlebbarer, näher am Bürger sein soll, sind wir uns einig. Ich glaube, in den Ausschussberatungen sollten wir genau da ansetzen. Vielleicht kriegen wir am Ende doch noch etwas Gemeinsames hin. - Vielen Dank.
Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. Zunächst hat der Herr Abgeordnete Ulli König von der Piratenfraktion das Wort, danach der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Dr. Ralf Stegner, und danach der Herr Abgeordnete Heiner Garg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Günther hat vorhin Werbung für Online-Wahlen gemacht, wir sollen unbedingt über das Internet wählen können. Auch Herr Albig hat das in der Presse gemacht; leider ist er jetzt gerade nicht da. Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen davon abraten. Das ist eine ganz, ganz schlechte Idee.
Wenn Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 ansehen, so wird dort erklärt, dass Wahlen für jeden, der wählen geht, nachvollziehbar sein müssen. Jedermann muss in der Lage sein, eine Wahl nachzuvollziehen.
Das Problem ist: Bei einer Wahl kann man vorher in die Urne hineinsehen, es ist kein Zettel drin, man kann mitzählen, wie viele Zettel hineingeworfen werden, man kann nachher die Zettel auspacken, man kann nachzählen. Das ist einfach für jeden nachvollziehbar. Das kann man jedem erklären. Wenn Sie einen Wahlcomputer oder eine Onlineabstimmung haben, ist das etwas anderes. Es geht schon mit dem neuen Personalausweis los. Sie sind nicht in der Lage, nachzuprüfen, was dieser neue Personalausweis eigentlich macht, ob er die Stimme korrekt übermittelt hat, ob da irgendwo etwas dazwischen ist. Wir wissen es einfach nicht.
Das Problem, eine geheime Wahl online oder mit einem Wahlcomputer abzuwickeln, ist bis heute nicht so gelöst, dass jedermann es nachvollziehen kann. Wenn Sie es schaffen, dieses Problem zu lösen, sind Sie ein sehr guter Kandidat für den Turing Award; das ist in der Informatik so etwas wie der Nobelpreis. Das hat noch niemand geschafft. Das Problem ist nicht gelöst. Wir schaffen hier eine Blackbox, wo der Wähler vorne irgendwelche Knöpfe drücken soll und am Ende irgendein Wahlergebnis herauskommt.
Es gab in Brandenburg Einsätze von Wahlcomputern im Jahr 2008. Lesen Sie sich dazu vielleicht den Bericht des Chaos Computer Clubs durch, der aufführt, was da alles an Ungereimtheiten aufgetreten ist. Da stehen Ihnen die Haare zu Berge. Das geht damit los, dass die Wahlcomputer, die man nicht nachprüfen kann, wo man sich auf die korrekte Funktion verlassen muss, in irgendwelchen Hinterzimmern von Schulen gelagert wurden, die nicht bewacht wurden. Jeder hätte einfach hineingehen, einen Rechner anschließen und neue Software aufspielen können, und dann macht dieser Wahlcomputer irgendetwas anderes. Sie wissen nicht, was diese Kästen machen, und Sie können es im Nachhinein nicht mehr überprüfen.
Ich werde mit ganzem Herzen dagegen kämpfen, dass wir hier Online-Wahlen durchführen oder Wahlcomputer einführen. Das ist für mich eine Gewissensfrage. Es ist in meinen Augen verantwortunglos, wenn wir das machen. Ich bitte Sie, machen Sie das nicht.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich fünf kurze Punkte aus der Debatte aufgreifen.
Erstens. Wenn man hier ausdrücklich erklärt, dass die formalen Punkte für die Wahlbeteiligung nicht entscheidend seien, finde ich es ein etwas merkwür
diges Argument, zu sagen, man würde die Wähler nicht ernst nehmen, wenn man diese formalen Punkte anspricht. Sie können doch auch helfen. Jeder einzelne Punkt, der hilft, ist nützlich, finde ich. Das sollten wir tun. Da kann man von anderen Ländern etwas lernen, zum Beispiel von den skandinavischen Nachbarn. Was ist daran eigentlich problematisch, wenn man das tut?