Protocol of the Session on December 12, 2014

(Eka von Kalben)

der Mensch, der es vorträgt, unmoralisch ist oder nicht. Ist das gut, gerecht oder böse?

Sie wissen selbst: Gegen Moral können Sie nicht argumentieren. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Unsere Forderung nach sachlichem Austausch setzt voraus, dass wir akzeptieren, dass eine andere Meinung, eine andere Haltung und eine andere Entscheidung eine Gleichberechtigung zur eigenen haben.

(Beifall FDP, PIRATEN und vereinzelt CDU)

Ziel ist, dass sich Menschen bei Wahlen und Abstimmungen rege beteiligen. Demokratie lebt aber auch davon, dass es ein Vertrauensverhältnis zwischen Wählenden und Gewählten gibt. Es sind nicht nur - darauf haben wir hingewiesen bei der Debatte - technische Fragen, etwa ein Wahlzettel in Leichter Sprache, längere Öffnungszeiten der Wahllokale oder die Etablierung einer neuen Willkommenskultur in den Wahllokalen. Sie macht nur dann einen Sinn, wenn Leute überhaupt dorthin gehen.

(Beifall PIRATEN)

Vielmehr liegt ein bedeutender Teil der Verantwortung für das Leben und das Überleben der Demokratie in den Händen der Repräsentanten des Wählerwillens, also in unseren Händen.

Ich nehme in diesem Zusammenhang den Appell des Oppositionsführers an die FDP, zu Fairness zurückzukehren, sehr ernst. Aber Pairing - das sage ich Ihnen, Herr Oppositionsführer - ist ein einseitiges Entgegenkommen von Oppositionsfraktionen, die nicht deshalb gewählt worden sind, um den regierungstragenden Fraktionen immer die Mehrheit zu sichern.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Wer Fairness - wie ich finde, zu Recht - erwarten darf, muss sich im Zweifel auch fair verhalten. Da stellen wir ein Ungleichgewicht fest. Solange das Gleichgewicht nicht wiederhergestellt wird, wird es dieses Entgegenkommen von mir persönlich und von unserer Fraktion nicht geben. Unsere Wählerinnen und Wähler fragen natürlich, wie wir dazu kommen, beispielsweise Gesetzesvorhaben zuzulassen, die verhindert werden könnten, weil ein SPD-Abgeordneter fehlt oder der Ministerpräsident nach Berlin muss.

(Zuruf Jürgen Weber [SPD])

- Wie gesagt, das fragen sich unsere Wählerinnen und Wähler. Wir müssen das erklären, Herr Kollege

Weber, indem wir sagen, wir wollen nicht, dass Menschen möglicherweise aus dem Krankenhaus herbeigeschleppt werden müssen. Aber dass sie herbeigeschleppt werden, ist nicht unser Problem, sondern es ist das Problem der regierungstragenden Fraktionen.

(Beifall FDP und CDU)

Es gibt keine Regel, die da sagt, Oppositionsfraktionen seien verpflichtet, auf jeden Fall immer die Mehrheiten in den Parlamenten herzustellen. Es gibt andere Parlamente, die solche Regeln gar nicht kennen. Wenn Sie bundesweit herumfragen, dann werden Sie feststellen, dass es entsprechende Vereinbarungen zwischen Fraktionen in anderen Parlamenten nicht gibt.

Ich bin sicher - damit soll es sein Bewenden haben -, dass es gelingen kann, die Basis wieder herbeizuführen. Aber noch einmal: Fairness ist keine Einbahnstraße, und Polemik in die eine Richtung muss auch durch Polemik in die andere Richtung beantwortet werden.

Wofür ich werbe - das empfehle ich allen noch einmal -, ist ein wirklicher parlamentarischer Streit. Immer wenn ich frustriert aus dem Landtag nach Hause komme - das ist eigentlich jedes Mal der Fall, wenn wir hier sitzen -, höre ich mir nachts Debattenbeiträge des Deutschen Bundestages zur Zeit von Wehner, Strauß und anderen an, die mir der Kollege Koppelin einmal auf CDs gegeben hat. Jeder zweite Satz von denen, wenn es eine wirklich emotionale, aber auch von Sachkenntnis und Lebenserfahrung getragene Debatte gegeben hat, würde bei uns heute mit einem Ordnungsruf belegt werden.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Es ist doch wichtig - Herr Kollege Stegner, da sind wir uns ja einig -, dass Menschen auch bei emotionalen Beiträgen unterscheiden können, was an Willen, an Wollen und an Lebenserfahrung bei den Beiträgen, die wir leisten, dahinter steht. Wir sollten uns vielleicht einmal darüber unterhalten, ob wir nicht auch wieder mehr Dinge zulassen

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

und nicht den Versuch unternehmen, mit einer merkwürdig verquasten Sprache, die die Menschen auch gar nicht mehr erreicht,

Kommen Sie bitte zum Ende.

(Wolfgang Kubicki)

- ich komme zum Ende, Herr Präsident -, zu übertünchen, dass es tatsächlich Konflikte und Gegensätze gibt.

Mein Appell ist: Streitlust ja, aber dabei immer auch den Respekt vor dem anderen bewahren. Die Menschen haben das Gefühl - ich schließe mich da mit ein -, gelegentlich verlieren wir den Respekt vor der Meinung des anderen und vor dem anderen als Person, und deshalb wenden sich Leute mit Grausen ab. Wenn wir das ändern wollen, dann können wir hier bei uns im Plenarsaal damit anfangen. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, CDU, PIRATEN, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Unsere Demokratie befindet sich in einer Krise. Nur wenige Bürger fühlen sich nach Umfragen durch ihre Abgeordneten überhaupt noch gut vertreten. Die Folge davon ist, dass immer mehr Menschen gar nicht mehr zur Wahl gehen, dass sie sagen, wählen zu gehen, habe überhaupt keinen Sinn mehr, egal, wer gewählt werde, es ändere sich doch nichts, oder dass die Politik gar nicht mehr im Interesse der Bürger entscheide, sondern dem öffentlichen Eindruck nach im Interesse von Lobbygruppen, von Wirtschaftsverbänden oder der Politiker selbst. Ein besonders sinnfälliges Beispiel ist das der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich, die unabhängig von Regierungsmehrheiten immer weiter auseinander geht.

Besonders schockiert haben mich neue Zahlen aus einer Befragung von Bundestagsabgeordneten, denen zufolge 49 % der Bundestagsabgeordneten glauben, die Gesetzgebung spiegele nicht die Interessen der Mehrheit wider. 46 % beklagen, Interessengruppen hätten einen zu großen Einfluss. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn die Volksvertreter selbst nicht mehr daran glauben, dass sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handeln, dann ist das doch ein Alarmzeichen für unsere Demokratie.

(Beifall PIRATEN)

Ich möchte ausdrücklich sagen, es ist gut, dass die Initiative ergriffen wird, an diesem Problem zu arbeiten, dessen Symptom die sinkende Wahlbeteiligung ist. Aber wenn immer mehr Menschen nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie von einer solchen Politik frustriert sind, dann können Sie doch als Lösung diesen Menschen nicht ernsthaft anbieten, Wahllokale länger zu öffnen oder mehr Wahlplakate aufzuhängen.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt FDP und Bei- fall Jürgen Weber [SPD])

Da fühlt sich der Bürger doch verhöhnt, wenn das Ihre Antwort auf die Kritik der Nichtwähler ist. Herr Kollege Dr. Stegner, in Ihrem Antrag steht ausdrücklich, dass dies technische Maßnahmen zur Steigerung der Wahlbeteiligung seien, und eben dieses Ziel erreichen Sie nicht.

Auf gar keinen Fall, Herr Ministerpräsident, dürfen wir das Vertrauen der Bürger in die Demokratie durch die Einführung von Computerwahlen weiter schwächen, weil solche Wahlen der Gefahr massenhafter Manipulationen ausgesetzt wären und vom Bundesverfassungsgericht schon für verfassungswidrig erklärt worden sind. Für uns PIRATEN sind Wahlcomputer ein absolutes No-Go.

(Beifall PIRATEN)

Wir PIRATEN geben eine andere Antwort auf die Probleme. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag - erstens - den Bürgern eine Stimme geben in der Debatte über die einzelnen Vorschläge, indem ein Internet-Diskussionsforum eingerichtet wird, in dem jeder Bürger überhaupt erst einmal seine Meinung sagen kann. An dem Problem der sinkenden Wahlbeteiligung lässt sich doch nichts ändern, wenn die betroffenen Bürger nicht daran beteiligt werden.

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage, -bemerkung des Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki?

Bitte schön.

Herr Kollege Dr. Breyer, ich konnte es leider in meinem Beitrag nicht mehr unterbringen. Deshalb

muss ich Sie das jetzt fragen, nämlich ob Sie mit mir der gleichen Auffassung sind, dass das Risiko bei einer Onlinewahl darin besteht, dass die NSA dann gleich weiß, wer wie gewählt hat.

Das ist vollkommen richtig, Herr Kollege Kubicki. Es ist ein Angriff auf die geheime Wahl, und es ist ein Angriff auf die Integrität der Wahl. Deswegen eignen sich Computer - das können gerade wir als PIRATEN sagen - überhaupt nicht für diesen demokratischen Vorgang der Stimmabgabe.

Wir wollen - zweitens - den Wählern mehr Wahlmöglichkeiten einräumen, indem sie nicht mehr starre Parteilisten vorgesetzt bekommen, sondern auch einzelne Personen streichen können oder einzelnen Personen mehrere Stimmen geben können.

Wir wollen - drittens - den massenhaften Verfall von Stimmen stoppen, die an der Prozentsperrklausel scheitern. Mehr als 10 % der Stimmen zur letzten Bundestagswahl sind wegen dieser Sperrklausel ohne jede Wirkung geblieben. Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck. Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt, der darauf zielt, diese Sperrklausel abzuschaffen oder zumindest abzusenken.

Darüber hinaus wollen wir mehr direkte Demokratie, zum Beispiel durch Zulassung von Volksentscheiden auch mit finanziellen Auswirkungen. Wenn Sie den Bürgern nicht zutrauen, selber entscheiden zu können, was das Beste für sie ist, warum sollen die Bürger dann der Politik vertrauen?

(Beifall PIRATEN)

Wenn Sie wirklich Wähler zurückgewinnen wollen, sollten Sie auf eine Partei hören, die sich aus Notwehr gegen Missstände in der Politik gebildet hat, und zwar eine demokratische Partei, die Piratenpartei. Wir sagen Ihnen: Hören Sie auf die Kritik der Menschen, die nicht mehr wählen gehen. Wenn die Menschen eine falsche Politik beklagen und beklagen, dass sie keinen Einfluss mehr darauf haben, dann seien Sie auch bereit, Macht abzugeben und die Menschen mehr selbst entscheiden zu lassen. Dazu müssen Sie Ihr Eigeninteresse an Dingen wie sichere Listenplätze, an der Ausgrenzung politischer Konkurrenz bei Wahlen oder an der Verteidigung politischer Entscheidungen vor Volksabstimmungen überwinden.

Öffnen Sie sich unseren Vorschlägen zur Offenlegung zum Beispiel von fremdgeschriebenen Gesetzentwürfen oder zur Abschaffung beziehungsweise Absenkung der Sperrklausel. Wenn Sie nicht bereit sind, das politische Betriebssystem zu aktualisieren, so wie wir das sagen, um die Demokratie wirklich durchgreifend zu stärken, dann drohen Sie, sie zu verlieren.

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung, -frage des Abgeordneten Peter Eichstädt?

Bitte schön, Herr Abgeordneter.