Protocol of the Session on December 12, 2014

hereinfallen würden; so etwas passiert überhaupt nicht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aber diese Haltung „Igittigitt, das ist doch nur Wahlkampf“ geht völlig fehl. Wahlkämpfe gibt es eben nur in Demokratien, Wahlkämpfe sind Festzeiten der Demokratie; da ringen wir um den richtigen Weg für das Land.

Ja, auch Sozialdemokraten stimmen in Gemeindevertretungen leider manchmal dafür: „Hier soll nicht plakatiert werden. Hier soll kein öffentliches Gebäude zur Verfügung gestellt werden.“ Das ist falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wahlkampf ist sehr wichtig, weil dabei nämlich über den richtigen Weg für dieses Land diskutiert werden kann. Das gilt für alle.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bin sehr für Meinungsfreiheit, und ich bin sehr dafür, dass wir leidenschaftlich streiten, dass wir aber trotzdem kompromissfähig bleiben.

Ich will noch eines sagen, was Sie von mir vielleicht selten hören; aber ich möchte es hier ausdrücklich tun. Mir ist sehr bewusst, dass fast jeder, der hier sitzt, aus idealistischen Motiven heraus in die Politik gegangen ist, weil er oder sie etwas verändern will. Bei dem, was wir miteinander wollen, liegen wir zum Teil sehr weit auseinander. Aber der öffentliche Streit darüber ist etwas Gutes; denn wenn wir uns nicht unterscheiden, dann gewinnen diejenigen, die als Extremisten etwas ganz anderes wollen. Dasselbe gilt für diejenigen, die sagen: „Das lohnt sich sowieso nicht. Das ist alles eine Konsenssauce in Deutschland.“ Das wäre falsch. Es muss auch klare Unterschiede geben können, und die tragen wir hier aus, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes transparent.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dabei darf man auch einmal ein bisschen leidenschaftlich sein. Dabei passiert es auch einmal, dass man hin und wieder etwas sagt, das man so nicht hätte formulieren sollen. Das gilt ganz gewiss für mich; es gilt aber auch für den einen oder anderen hier im Hause. Das jedoch finde ich nicht weiter schlimm.

Schlimm finde ich es, wenn wir eine Demokratie hätten, die allmählich einschläft, weil wir glauben, das alles sei doch gar nicht mehr wichtig, weil die

Menschen glauben, Politik habe mit ihnen gar nichts mehr zu tun, weil auch Medien - auch das will ich sagen - gelegentlich sagen: „Über Wahlkampf wollen wir nicht berichten.“ Über Wahlkampf muss berichtet werden, weil das der entscheidende Punkt ist, an dem Parteien sagen, welches Angebot sie für die Menschen in diesem Lande machen. Das sollte überall der Fall sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Insofern gibt es viele Möglichkeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Böge. So fing es nämlich an, dass man darüber gesprochen hat, dass wir gemeinschaftlich an die Sache herangehen wollen. Herr Kollege Günther, ich finde das, was Sie im ersten Teil Ihrer Rede gesagt haben, sehr respektabel, weil wir in der Tat miteinander versuchen müssen, Maßnahmen zu ergreifen, bei denen man auch eine unterschiedliche Haltung haben kann, ob man das mit dem Online-Voting nun richtig findet oder nicht. Darüber gibt es selbstverständlich unterschiedliche Meinungen. Aber all das sollten wir in Ruhe prüfen.

Und ja, es steht ausdrücklich allen hier im Landtag vertretenen Parteien frei, sich daran zu beteiligen. Ich bedaure es, dass sich die PIRATEN diesem Antrag nicht anschließen wollen, und ich bedaure, dass das auch für die FDP gilt. Ich kann das aber durchaus verstehen; denn manchmal haben kleine Parteien auch noch andere Dinge im Kopf, denen sie nachgehen wollen - wie auch immer. Ich sage nur: Die Tür bleibt offen. Ich würde mir sehr wünschen, dass am Ende dieses Prozesses etwas herauskommt, bei dem wir mit großer Mehrheit Verordnungen aufheben, Gesetze ändern, Maßnahmen miteinander beschließen, die uns voranbringen. Dann treten wir erneut in den Wettbewerb ein, wie wir es bei Wahlkämpfen tun. Ich glaube, wir haben hier eine gute Gelegenheit, deutlich werden zu lassen, wo uns etwas gemeinschaftlich verbindet, und das ist der leidenschaftliche Einsatz für repräsentative Demokratie und für die Unterschiede, die sie kennzeichnet. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende, die Kollegin Frau Eka von Kalben, das Wort.

(Dr. Ralf Stegner)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eingangs Herrn Stegner dafür danken, dass er gemeinsam mit Herrn Böge diese Initiative ergriffen hat, zu einem fraktionsübergreifenden Antrag zu kommen. Ich danke auch allen, die dabei waren und über diesen Antrag verhandelt haben, um ein Zeichen für eine lebendigere Demokratie zu setzen.

Dass dann im Laufe des Verfahrens zwei Fraktionen abgesprungen sind, ist höchst bedauerlich, weil dieser Antrag einen erarbeiteten Kompromiss darstellt. Auch wir Grünen hätten uns an der einen oder anderen Stelle einen anderen Punkt vorstellen können. Auch die CDU ist über manche Klippe, etwa in der Präambel, gesprungen. Das gilt sicherlich für alle Parteien. Wir haben dem letztlich zugestimmt, weil es wichtig ist.

Sie stellen sich hinterher hin und sagen, das alles sei zu wenig und das alles gehe nur um Technik, etwa um Wahllokale, die geöffnet werden. Natürlich werden wir Menschen, die sich von der Politik und von unserem Stil im Landtag abgewandt haben, nicht durch diesen Antrag zur Wahl bekommen. Das ist völlig klar. Es ist eine Illusion zu glauben, dass das durch diesen Antrag gelingt.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

- Aber, Herr Dr. Breyer, wenn Sie mir zuklatschen, sage ich: Wenn man es einmal schafft, sich hier zusammenzusetzen und bestimmte Punkte festzulegen, die allen wichtig sind - wir erkennen ein Problem und versuchen, es mit neuen Lösungen zu lösen -, sich dann aber besserwisserisch davon verabschiedet, ist das der Demokratie nicht förderlich, sondern eher schädlich.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD] und Lars Harms [SSW])

Meine Damen und Herren, Menschen wenden sich nicht nur von der Wahl ab, weil die Wahllokale nicht lange genug geöffnet sind oder weil der Zugang durch die Wahlbenachrichtigung nicht so gut ist - das ist für manche sicherlich eine Hürde, und es ist gut, dass wir etwas dagegen tun -, sondern es ist immer auch wichtig, dass wir noch mehr Wahlwerbung und Politikaufklärung an Schulen machen. Aber es gibt auch das Problem, dass Menschen generell der Meinung sind, Politik könne nichts verändern. Auch angesichts der großen globalen Krisen hat man häufig den Eindruck, dass Politik machtlos ist.

Es gibt Menschen, die bei „Schule“ weniger an Chancen, sondern eher an Frust denken. Es gibt weiterhin Menschen, die bei „Politik“ nicht an Gestaltung, sondern an Korruption denken. Es gibt ferner Menschen, die sich höchstens noch als Protestwähler aktivieren lassen - im schlimmsten Fall aufgehetzt gegen andere Bevölkerungsgruppen. Das ist für uns alle gemeinsam ein Problem.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Aber ich sage auch: Unsere Demokratie und unsere Institutionen funktionieren - die rechtsstaatlichen und die politischen. Wir haben eine ritualisierte Wahl. Der Machtwechsel wird von allen Seiten akzeptiert - meistens jedenfalls. Politische Entscheidungen werden getroffen, und sie können auch rückgängig gemacht werden. All das stimmt.

Trotzdem kommt vielen Menschen das Leben in den Parlamenten eher wie eine leere Hülle vor, das nicht so viel mit ihrem Leben zu tun hat. Die Bürgerinnen und Bürger sind von unseren Ritualen teilweise abgestoßen. Dann heißt es, wir stritten uns zu viel und fänden zu wenige gemeinsame Lösungen.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch häufig den Vorwurf, alles sei eine Soße - Herr Stegner hat das eben erwähnt -, und man fragt sich, wo eigentlich noch der Unterschied zwischen den Parteien liegt.

Ich glaube, dass wir uns in einem Spagat befinden. Das ist eine Herausforderung an uns alle. Auch wenn es immer sehr viel Kritik daran gibt, wie wir miteinander umgehen - vermutlich wird gleich die Fortführung dieser Debatte nicht dazu führen, dass wir uns weiterhin mit dem Thema „Demokratie“ beschäftigen können -, muss ich sagen: In der gestrigen Haushaltsdebatte war ich in weiten Teilen damit zufrieden, was wir hier diskutiert haben. Wir sind uns scharf angegangen; das ist gar keine Frage. Aber wir haben auch deutlich gemacht, dass wir Unterschiede haben und andere Prioritäten setzen. Das ist völlig legitim, und es ist gut, wenn die Wählerinnen und Wähler hinterher wissen: Die Grünen wollen mehr Geld für Umwelt ausgeben, die anderen machen etwas davon Verschiedenes; jede Partei hat ihre Vorstellungen.

Vielleicht gehört es an dieser Stelle - meine Redezeit ist abgelaufen - auch dazu, zur politischen Kultur insofern beizutragen, dass ich einem Versprechen nachkomme, das ich gestern gegeben habe. Wir haben uns an einer Stelle in der Kritik an Sie geirrt. Es gab eine Verschiebung zwischen zwei Titeln im Bereich des Rechtsextremismus und keinen Eingriff in den Titel. Diesen Fehler gebe ich zu.

Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen zu einem fairen und gutem Umgang miteinander kommen.

Es mag zwar für Sie nur gnädig geklungen haben, aber ich betone noch einmal: Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die beiden Fraktionen, die sich momentan nicht an dem Prozess beteiligen wollen, einbringen und wenn wir in den Ausschussberatungen - Sie haben einen Änderungsantrag eingebracht, den Sie ergänzend zu dem Vorgehen stellen

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

zu einer gemeinsamen Lösung kämen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt CDU)

Für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab einige Bemerkungen machen: Wenn die Abgeordneten dieses Landtags auf die Straße gehen und die Menschen fragen, ob sie überhaupt wissen, dass Landtag stattfindet, werden 80 % der Befragten sagen: Nein.

(Beifall Serpil Midyatli [SPD])

Wir haben gestern den ganzen Tag lang eine Haushaltsdebatte geführt, die, wie Frau von Kalben sagte, auch dem Austausch von Argumenten und Polemiken diente. Die mediale Wirkung, also die Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern, ist, wenn man sich die heutige Berichterstattung in den Medien anschaut, Herr Ministerpräsident, gegenüber weit weniger wichtigen Tatbeständen unterdurchschnittlich.

Frau von Kalben, lassen Sie mich zu Beginn auch sagen: Sie sind ein beredtes Beispiel dafür, wo das eigentliche Problem liegt.

(Heiterkeit Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ihr Redebeitrag begann damit, dass sich die nachfolgenden Debattenbeiträge offenbar weniger mit Demokratie beschäftigen werden als mit allen anderen Dingen.

(Beifall FDP, PIRATEN und vereinzelt CDU)

Sie erklären besserwisserisch, kleine Fraktionen Herr Kollege Stegner in der ihm eigenen Art der Polemik gleich mit - hätten sich aus dem Prozess herausgezogen und gar nicht beteiligt, obgleich die PIRATEN einen Änderungsantrag gestellt haben. Im Übrigen hat Herr Dr. Stegner Verständnis dafür, dass kleinere Parteien offensichtlich auch andere Probleme hätten, als sich mit diesem Komplex zu beschäftigen. Genau das akzeptieren die Menschen nicht mehr. Das stößt sie ab.

(Beifall FDP, PIRATEN und vereinzelt CDU)

Die PIRATEN haben mit ihrem Änderungsantrag das Rennen um die treffendere Interpretation, wovon Demokratie eigentlich wirklich lebe, eröffnet. So geht die Koalition gemeinsam mit der CDU davon aus, dass Beteiligung das Lebenselixier der Demokratie sei; die PIRATEN hingegen meinen, es sei Vertrauen.

Ich schlage vor, dass wir eine Synthese bilden: Demokratie lebt davon, dass sich Menschen für das Gemeinwesen einsetzen und sich beispielsweise auch überhaupt bereitfinden, Herr Kollege Dr. Stegner, bei Wahlen für Parteien anzutreten. Wir erleben gerade auf kommunaler Ebene, dass es immer schwieriger wird, Menschen zu finden, die bereit sind, sich nicht nur einzubringen, sondern sich auch der öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen. Sie sagen: Was tue ich mir eigentlich mit Blick auf den Diskurs über Politiker und Politik insgesamt an? Denn sie werden ohnehin klassifiziert - daran haben wir teilweise auch Mitschuld -, als seien das Menschen, die ihr Ego befriedigen, die nur an sich selbst denken und die in die eigene Tasche wirtschaften. All diese Vorurteile führen dazu, dass Menschen nicht mehr bereit sind, sich für Parteien und damit für das Gemeinwesen zu engagieren.

Sie mischen sich nicht mehr ein. „Einmischen“ bedeutet - Herr Kollege Stegner ich stimme darin mit Ihnen voll überein -, dass man unterschiedliche Sachverhalte und Streitpunkte mitunter auch sehr profiliert darstellt, da nur dann eine Entscheidungsmöglichkeit besteht.

Aber wir sind mittlerweile dabei - ich habe gestern versucht, das zu erklären -, die Argumente gar nicht mehr zu gewichten, sondern sie sofort moralisch einzuordnen und zu diskreditieren. Das heißt: Es geht nicht mehr um die Frage, ob das Argument eine Bestandsberechtigung hat, sondern darum, ob

(Eka von Kalben)