Protocol of the Session on July 9, 2014

Auch wenn uns im Alltag die Auswirkungen nicht immer bewusst werden, so ist die Ausgestaltung der Verfassung ein grundsätzliches Zeichen dafür, wie wir hier miteinander arbeiten.

Aber bevor ich zum Inhaltlichen komme, ein Gedanke vorweg: Wir Grüne standen einer Verfassungsreform durchaus kritisch gegenüber. Lohnt sich der Arbeitsaufwand? Ist ein überparteilicher Konsens überhaupt möglich?

In anderen Ländern hat die Verfassungsgebung erhebliche Spannungen mit sich gebracht. Die Erarbeitung im Konsens ist keine leichte Aufgabe. Zu unterschiedlich sind die Positionen zwischen den verschiedenen politischen Lagern. Man muss überlegen: Für jede Position, die man in einen solchen Ausschuss einbringt, muss man zwei Drittel gewinnen. Da es unterschiedliche Zusammenschlüsse der Fraktionen und unterschiedliche Positionen gibt, ist das eine wirkliche Herausforderung.

Die Beratungen zu Verfassungen gehen deshalb in der Regel nur sehr langsam voran. Das hat sich erfreulicherweise in Schleswig-Holstein nicht bestätigt. Der Sonderausschuss hat in Rekordzeit mehr als 20-mal getagt und über 100, teilweise sehr ausführliche Arbeitspapiere beraten. Mit Beratung durch Fachexpertinnen und Fachexperten ist es den Abgeordneten gelungen, die unterschiedlichen Interessen so zu einigen, dass nun ein - fast - vollständig geeinter Entwurf vorliegt. Für Ihre Arbeit danke ich als diejenige, die nicht in dem Ausschuss gesessen hat, allen Beteiligten ausdrücklich.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Arbeit dieses Ausschusses zeigt, dass interfraktionelle Arbeit sehr erfolgreich sein kann - auch in Schleswig-Holstein.

Der Sonderausschuss Verfassungsreform war also nicht nur fleißig, sondern hat auch ein erfreuliches Zeichen gegen die teils raue politische Kultur dieses Hauses gesetzt.

(Birgit Herdejürgen)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Birgit Herdejürgen [SPD])

Meine Damen und Herren, der erste echte Verfassungstext des Landes entstand 1990 vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Affäre, eines politischen Skandals. Damals herrschte Einigkeit darüber, dass es eines politischen und kulturellen Neuanfangs bedurfte. Damals war klar: Ein „Weiter so!“ kann es nicht geben. Deshalb wurde das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament neu ausbalanciert.

Ich kann sagen: Ich als diejenige, die noch sehr neu im Parlament ist, merke an bestimmten Stellen, beim Umgang miteinander, beim Umgang mit der Regierung auch als Regierungsfraktion immer wieder, dass die Welt hier zum Teil anders tickt als in anderen Bundesländern. Wenn ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen Fraktionsvorsitzenden in anderen Bundesländern austausche, merke ich immer wieder, wie wichtig es ist, die Historie dieses Landes zu betrachten, um einschätzen zu können, warum wir hier so handeln, wie wir handeln, und warum wir ein so besonders selbstbewusstes Parlament sind.

Meine Damen und Herren, der damals eingeschlagene Weg war richtig. Wir setzen ihn nun fort. Mit der neuen Verfassung stärken wir das Parlament weiter.

Es ist ein wichtiger Erfolg, dass die Verbindlichkeit von Parlamentsbeschlüssen gegenüber der Regierung weiter gestärkt wird. Nunmehr kann der Landtag zur Wahrung seiner Rechte eine Einleitung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht herbeiführen. Der Landtag nimmt hier selbstbewusst die Gestaltung des Verfassungsraums in die Hand und schützt mittelbar die Wahrung der Königsrechte des Parlaments.

Meine Damen und Herren, als Grüne freue ich mich insbesondere darüber, dass wir den Begriff der Nachhaltigkeit in die Präambel aufgenommen haben. Ich weiß, Staatsziele sind umstritten. Einige mögen behaupten, es sei ziemlich egal, ob das da drin steht; diese Ziele veränderten die reale Politik nicht wirklich. Man kann aber auch sagen, dass zum Beispiel die Aufnahme des Begriffs der Nachhaltigkeit in die Verfassung ein Zeichen dafür ist, dass grünes Denken die höchste Auszeichnung erhalten hat. In der deutschen Verfassungsgeschichte hat sich gezeigt, dass einmal festgelegte Werte und Begriffsgrundlagen von einer beeindruckenden Langlebigkeit sind und dass ihre Wirkung manchmal erst im Rückblick nachvollzogen werden kann.

Die Themen Schuldenbremse, Folgen des demografischen Wandels, Infrastrukturerhalt, Bildungsinvestitionen, Schutz der Natur und Klimawandel spielen seit Langem eine zentrale Rolle in jeder Landtagswoche. Alle diese Themen lassen sich unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit zusammenführen. Die Formulierung der Verpflichtung zur Nachhaltigkeit in der Verfassung bedeutet einen gewichtigen Unterschied. Wir diskutierten jüngst im Finanzausschuss Folgeabschätzungen von Gesetzen und eine ehrliche Generationenbilanz.

Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Diese urgrüne Grundhaltung drückt sich in der verfassungsmäßigen Verankerung der Nachhaltigkeit unmittelbar aus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SSW)

Ich möchte noch einen zweiten Punkt besonders hervorheben: Wir wissen, dass der Weg zu einer Kultur von größerer demokratischer Beteiligung steinig ist und langer Übung bedarf. In der Schweiz - dem Paradebeispiel für direkte Demokratie - übt man sich darin schon seit Jahrhunderten und hat die Verfahren perfektioniert. So weit sind wir noch lange nicht. Aber gerade die Bundesländer und Kommunen sind die politische Ebene, auf der mit besonderer Achtsamkeit die Instrumente direkter politischer Beteiligung eingeübt werden können. Aus den Ländern heraus kann deshalb auch bundesweit der entscheidende Schritt hin zu mehr Beteiligung stattfinden.

Es ist deshalb für uns eine besondere Freude, dass die Quoren zu Volksinitiativen und Volksbegehren spürbar gesenkt wurden. Das war uns ein zentrales Anliegen. Wir sind gerade den Kritikerinnen und Kritikern hier im Haus sehr dankbar dafür, dass dies möglich war.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und PIRATEN)

Noch ein Wort zu dem noch immer nicht geeinten und schwierigen Thema des Gottesbezugs. Nachdem so viele Kompromisse gefunden wurden, wird es nun zwei Varianten geben, die zur Abstimmung gestellt werden. Wir Abgeordnete werden frei nach unserem Gewissen entscheiden können, ob wir eine Verfassung mit oder ohne Gottesbezug beschließen wollen. In der Frage, ob sich eine Verfassung auf religiöse Bezüge einlässt, scheiden sich die Geister. Ich bin Christin und aktives Kirchenmitglied. Außerdem bin ich kirchenpolitische Sprecherin meiner Fraktion. Ich spreche mich dennoch gegen den Gottesbezug aus, und zwar gerade aus dem Grund, dass

(Eka von Kalben)

eine moderne Verfassung gesellschaftliche Entwicklungen nicht ignorieren kann.

Für einen gläubigen Menschen ist das Handeln auch von religiöser Überzeugung geprägt; auch das politische Handeln. Dagegen ist nichts zu sagen. Im Gegenteil, es kann sehr hilfreich sein, wenn Menschen innerhalb klarer Werte handeln. Der Rahmen in der Politik aber ist die Verfassung. Dieser Rahmen umfasst verschiedene Wertekanons; gleichberechtigt nebeneinander religiöse und nicht religiöse.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt SPD, FDP und PIRATEN)

Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich finde es richtig und gut, dass wir in einer Frage, die so stark das innerste des Menschen, das Gewissen vor Gott, betrifft, nicht nach fraktions- oder parteipolitischer Ausrichtung abstimmen werden. Insofern haben wir in der Fraktion beschlossen, dass jeder Abgeordneter und jede Abgeordnete bei diesem Thema je nach Gewissen abstimmt.

(Anita Klahn [FDP]: So ist das immer!)

- Es ist immer so, das stimmt. Wir können immer frei abstimmen. Normalerweise bildet man sich jedoch als Fraktion eine Meinung zu einem Thema und verhält sich dazu größtenteils einheitlich. In dieser Frage werden wir jedoch keine einheitliche Fraktionsmeinung abgeben. Ich werde auch als Fraktionsvorsitzende keine einheitliche Fraktionsmeinung dazu abgeben.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir haben das jetzt verstanden!)

- Herr Garg, ich nehme an, dass Sie das verstanden haben. Ich sage dies jedoch extra in die Richtung der Schülerinnen und Schüler, die uns hier zusehen, damit das klar ist.

Eine gute Verfassung macht den entscheidenden Unterschied. Der Prozess hin zu den jetzigen Änderungen war lang, und die Ergebnisse mögen wenngleich wir sie begrüßen - überschaubar sein. Eine Verfassung entwickelt sich langsam immer weiter, über Jahrzehnte den Anforderungen der Gesellschaft entsprechend. Heute können wir uns darüber freuen, dass wir Minderheiten stärken, der direkten Demokratie Rosen auf den Weg legen und den Gedanken der Nachhaltigkeit in die Verfassung aufnehmen.

Meine Damen und Herren, die parlamentarischen Hausaufgaben sind gemacht. Nun sollten wir uns aufmachen, unsere erweiterten demokratischen

Möglichkeiten mit Leben zu füllen; hier und außerhalb unseres schönen Plenarsaals. - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt FDP)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich dem von der Kollegin Herdejürgen ausgesprochenen Dank ausdrücklich anschließen. Vielleicht darf ich dies auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen tun: Herr Präsident, ich möchte auch Ihnen, der Sie als Vorsitzender dem Verfassungsreformausschusses vorgesessen haben, ausdrücklich für Ihre Arbeit danken.

(Beifall FDP, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Ich möchte auch Frau Claudine Nierth, die Vorstandssprecherin von „Mehr Demokratie“, sehr herzlich begrüßen. Sie verfolgt die heutige Debatte bestimmt mit großer Aufmerksamkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man in die Geschichte der Landessatzung und später Landesverfassung des Landes Schleswig-Holstein eintaucht und sich ein bisschen mehr damit beschäftigt, was wir da eigentlich gemacht haben und woran wir im vergangenen Jahr arbeiten durften, dann fällt mir auf, dass man über die Verhandlung der ersten Landessatzung Folgendes liest: Die Beratung der Verfassung fand in vergifteter Atmosphäre statt. Die SPD stellte im Landtag nach der Landtagswahl 1947 zum ersten gewählten Landtag die Mehrheit, obwohl sie nur einen Stimmenanteil von 41,1 % hatte. Frau Kollegin von Kalben hat darauf hingewiesen: Die Verfassungsreform aus dem Jahr 1990 ist aus einer Situation entstanden, die man - so glaube ich - mit Fug und Recht ebenfalls vergiftet bezeichnen kann.

Es ist 2013/2014 im Rahmen der Beratung dessen, was wir heute vorlegen, zum ersten Mal gelungen, nicht in einer vergifteten, sondern in einer ausgesprochen fairen und kollegialen Atmosphäre hart in der Sache, aber fair miteinander und immer am Ziel orientiert zu diskutieren. Dafür möchte ich mich bedanken. Das zeigt mir, dass repräsentative Demokratie trotz aller Unkenrufe funktioniert. Ich finde, das haben wir bewiesen.

(Eka von Kalben)

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt SPD und PIRATEN)

Grundphilosophie und Ergebnis eines Konsenses ist, dass nicht jeder, der mit Maximalforderungen in diese Verhandlungen gegangen ist, am Ende auch Maximalforderungen durchsetzen konnte. Bevor ich auf die Dinge zu sprechen komme, die unserer Fraktion besonders wichtig waren, will ich sagen: Für mich ist ein weiteres Ergebnis. Es gibt bei diesem Prozess keinen Verlierer, sondern es gibt nur Gewinner. Ich glaube, dass mit diesem Verfassungsentwurf die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner die Gewinner sind.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Wir haben uns erstmals in der Geschichte von Verfassungsreformen eine Präambel als Rahmen gegeben, die die Motive und Absichten dessen darstellt, was wir unter Verfassung verstehen. Die Verfassung ist der Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung hier in Schleswig-Holstein.

Die Kollegin von Kalben hat darauf hingewiesen: In dieser Präambel ist das Ziel der Nachhaltigkeit als umfassender Auftrag aufgenommen worden. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen eine Präferenz für die Aufnahme der Nachhaltigkeit als Staatsziel gehabt haben. Ich sage ganz klar: Ich habe mich für die FDP von Anfang an dafür ausgesprochen, dies in die Präambel mit aufzunehmen, weil wir die Grundphilosophie, die dahinter steckt, nicht nur als ökologische Zielsetzungen, die Ihnen besonders wichtig sind, sondern wirklich als umfassende Verpflichtung der aktiv politisch Handelnden, auch für diejenigen, die nach uns Politik machen wollen und nach uns Verantwortung für eine ganze Gesellschaft übernehmen wollen, sehen. Deswegen finde ich es gut, dass wir es geschafft haben, das in die Präambel aufzunehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Debatte, die insbesondere zur Präambel geführt worden ist - das haben alle Kolleginnen und Kollegen schon vor mir angesprochen, und ich will das ausdrücklich ebenfalls tun, weil das etwas war, das auch unsere Fraktion sehr intensiv beschäftigt hat -, betraf die Frage nach der Aufnahme eines Gottesbezugs in die Präambel: ja oder nein. Die Auseinandersetzung darüber ist von den Kolleginnen und Kollegen geführt worden.

Der Herr Präsident hat darauf hingewiesen, dass die Kritiker den Gottesbezug insbesondere als Verletzung der Prinzipien der Trennung von Kirche und Staat empfinden, dass ein modernes demokratisches Staatswesen vor allem die Wahrung der Autonomie der demokratischen Rechtsordnung zum Ziel haben muss und dass der Staat zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist.

Ich teile diese Auffassung zwar, aber in der Diskussion insbesondere innerhalb der Fraktion war für mich ganz persönlich eines ganz wichtig, und das will ich sehr deutlich sagen: Ich glaube aber nicht an eine Institution. Damit meine ich explizit in diesem Fall die Katholische Kirche, die nach wie vor Menschen ausgrenzt und die den Frauen auch innerhalb ihrer eigenen Organisation und Struktur nicht dieselben Rechte einräumt wie den Männern.

Vor diesem Hintergrund finde ich es zunächst völlig selbstverständlich, dass in dieser sehr individuellen, sehr persönlichen Frage, die wirklich das Gewissen berührt, alle Abgeordneten selbstverständlich nach ihrem Gewissen abstimmen können. Diese Möglichkeit gibt es. Es liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Ich finde aber auch das richtig, was sich mehrheitlich im Ausschuss abgezeichnet hat, nämlich gemeinsam eine moderne Landesverfassung ohne einen Gottesbezug zu tragen. Das ist deutlich geworden. Dafür spricht sich die FDP-Fraktion jedenfalls unmissverständlich aus.