Ich möchte dazu ergänzen: Wir dürfen nicht unsere Erinnerungen von Krise zu Krise vergessen. Wenn wir heute über die Ukraine und Russland sprechen, dann müssen wir uns auch noch einmal daran erinnern, dass die Europäische Union im Hinblick auf die Georgienkrise, die noch gar nicht so lange zurückliegt, keineswegs mit einer Stimme positiv reagiert hat. Wir wussten, dass diese Krise kommt. Es gibt ein Krisenfrühwarninstrument der Europäischen Union. Es waren alle Krisenbedingungen in der Politik bekannt, aber die Europäische Union damals unter Xavier Solana - konnte nicht mit einer Stimme agieren.
Auch jetzt haben wir eine äußerst schwierige Situation in der Ukraine, mit Russland und mit allen betroffenen Nachbarstaaten. Ich kann nur sagen: Ich hoffe - ich bin nicht sehr optimistisch -, dass die Europäische Union diesmal, in dieser ernsthaften Auseinandersetzung, so reagiert, dass man hinterher sagen kann, die Europäische Union habe den Friedensnobelpreis verdient und zu Recht bekommen. Sie hat ihn schon bekommen, aber verdient hat sie ihn bisher noch nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl diese Europäische Union so einmalig ist und mir so sehr am Herzen liegt, möchte ich mich kritisch mit einigen Punkten auseinandersetzen. Fakt ist doch sonst hätten die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten keinen Zuspruch bei den jüngsten Umfragen; übrigens auch in den letzten Jahren; es gab bereits eine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament, nämlich von 2004 an -, dass sich die Europäische Union oder die Idee davon von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt. Das zeigen zumindest die Umfragen, wenn wir sie zur Kenntnis nehmen. Das ist schon erschreckend. Gerade auch wir als Schleswig-Holsteiner müssen uns das anschauen, weil bei uns die Wahlbeteiligung zur Europawahl noch geringer war als im Bundesdurchschnitt. Vor vier Wochen waren es laut ARD-TREND
47 %, die gesagt haben: Europawahlen finden wir nicht so wichtig, wissen wir nicht, ist nicht so unser Ding.
Heute wurde veröffentlicht - zumindest in den „Kieler Nachrichten“ -, dass diese Zahl noch gewachsen ist, und zwar auf 57 % - und das, obwohl alle demokratischen Parteien jetzt im Wahlkampf stecken. Das heißt, es gibt irgendwo nicht mehr den Hebel, oder wir haben nicht neu definiert, wie wir für dieses friedliche und gemeinsame Europa brennen können. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, woran das liegt.
Ich glaube, deshalb sollten wir über Punkte der europäischen Politik auch streiten, bei denen es Differenzen gibt. Das ist zum Beispiel die Wirtschaftskrise. Immer wieder wird die Wirtschaftskrise genannt. Hier ist eben gesagt worden, sie sei überwunden, das sei gut, jetzt müsse man stabilisieren. Ich stelle infrage, ob diese Wirtschaftskrise wirklich überwunden ist. Ich halte das für einen frommen Wunsch, aber nicht durch Zahlen zu belegen.
Der Ausschuss der Regionen ist durch den Kollegen Klug schon erwähnt worden. Ich würdige den Ausschuss der Regionen sehr, weil durch ihn ein Frühwarnsystem besteht, Fehlentwicklungen in der Europäischen Union zu erkennen. Man muss sehen, dass die Mittel, wie wir die Wirtschaftskrise mit Druck und Zwang, gerade im Hinblick auf Griechenland, durch Finanzinstrumente aufzufangen versucht haben, dazu führen, dass den Preis dafür die Bevölkerung in diesen Ländern zahlt. Das trifft gerade auch die Jugend. Die Folge ist Jugendarbeitslosigkeit und eine noch stärker reduzierte Wahrnehmung unseres Projekts Europa. Denn damit können wir die Jugend einfach nicht mehr erreichen. Sie verliert ihre europäische Perspektive. Das müssen wir ernst nehmen.
Da sage ich auch zu uns - wir haben dazu eine erste Debatte geführt -: Wir sollten hier im Landtag nicht nur über 500 Jugendliche aus Spanien diskutieren, sondern darüber, wie wir eine nordeuropäische Strategie zur Bekämpfung der europäischen Jugendarbeitslosigkeit entwickeln und unterstützen können.
Wir alle wissen, dass die EU inzwischen manchmal ein bisschen technokratisch wirkt. Man muss schon öfter einmal nachschauen, was die dort eigentlich sagen wollen. Ich möchte auch hier unterstreichen, dass die Bundesregierung - die Kanzlerin hat ja diesen Europabonus; was mich immer ein bisschen
wundert - auch Fehlentwicklungen der EU, die wir natürlich kritisieren sollen, mitgetragen hat. Fakt ist, die Nationalstaaten haben vorher im Rat zugestimmt, und sie stimmen zum Schluss zu.
Das Problem ist nur - vielleicht fehlt uns auch deswegen der rote Faden in der Überzeugung Europas -, dass wir eine Renationalisierung in der europäischen Politik in verschiedenen Politikbereichen haben. Das führt dazu, dass der gemeinsame demokratische Nenner, in unserem Europa wieder einen gemeinsamen Motor zu bekommen, aufgrund nationaler Regierungsinteressen immer weiter reduziert wird. Das macht es so schwierig, dieses komplizierte Projekt „unser Europa“ zu beeinflussen und zu erklären.
Ich will versuchen, dass wir uns identitätsstiftend verhalten. Das ist auch der Grund, warum wir heute früh noch einmal über den Antrag diskutiert haben diese Fassung kannten wir noch nicht. Wir sind sehr froh, dass wir ihn gemeinsam verabschieden und damit zur Wahl aufrufen können. Wir freuen uns aber genauso über gesellschaftliche Aufrufe, zur Wahl zu gehen. Dazu gehört zum Beispiel der Aufruf von ver.di, den wir für zentral halten: „Aufruf zur Europawahl - gegen Rassismus und Rechtsextremismus“. Dieser Satz ist jetzt in dem gemeinsamen Antrag mit drin. Das ist für uns entscheidend. Dafür werden wir mobilisieren, um Rechtsextremisten möglichst aus dem Europaparlament herauszuhalten.
Ich möchte aber noch etwas zur sogenannten Gefahr der Zersplitterung der Europäischen Union aufgrund des Wegfalls der Dreiprozenthürde sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich habe es vorhin schon gesagt, vielleicht ist es hier nicht angekommen -, wir hatten bereits 2004 zwei Jahre lang eine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament. Wir haben viele Splittergruppen in der Europäischen Union. Aber eine Vielfalt in der Europäischen Union ist keine Gefahr für die europäische Demokratie. Gerade in den fünf Jahren, in denen ich die Rechtsextremisten von Le Pen und anderen im Europaparlament bekämpft habe, hatten wir einen demokratischen Konsens, dass wir Rechtsextremismus und -populismus nur gemeinsam als engagierte Europäer in der direkten Auseinandersetzung bekämpfen können.
Ich sage Ihnen: PIRATEN gibt es schon lange im Europaparlament - wenn auch nur zwei aus Schweden. Wir zählen uns nicht zu den Splittergruppen,
sondern wir sind davon überzeugt, dass wir auch nach der Europawahl dafür sorgen werden, dass die Demokratie im Europäischen Parlament gestärkt und die Nationalisten geschwächt werden.
Ich möchte jetzt auf den Bericht der Landesregierung eingehen. Da hört dann auch ein weiter Teil der Einigkeit auf. Denn ich muss zu dem Resümee kommen: Dieser Bericht ist absolut unpolitisch.
Ich will auch begründen, warum. Ich stelle mir also vor, ich möchte einmal lesen, was Schleswig-Holstein in Europa macht. Was sehe ich, wenn ich die ersten zentralen Seiten des Berichts aufschlage? Dann sehe ich, da werden alle Fehlentwicklungen in der Europäischen Union ohne Kritik einfach übernommen. Frontex und Eurosur sind super; die Dublin-Verordnung ist bestens; illegale Immigration - nicht gelöst, aber sie soll abgewehrt werden, und zur Konsolidierung des Arbeitsmarktes werden am besten nur qualifizierte Fachkräfte angeworben. Auch mit den Dänen läuft es prima - das ist gut, und das unterstützen wir auch - im Nord- und Ostseeraum. Man besucht sich weiterhin erfolgreich. Auch unser Ministerpräsident fährt ab und zu hin. Dann kommen da noch eine Prise Bildung und eine Prise Tourismus dazu.
Damit ist das Kapitel abgehakt. Das Innenministerium scheint seine europapolitischen Verantwortlichkeiten als Marginalie zu betrachten. Herr Breitner, ganze zwei DIN-A4-Seiten war es Ihrem Haus wert, zu der bisherigen und der zukünftigen Europapolitik des Landes Schleswig-Holstein Stellung zu beziehen. Thema sind der Grenzschutz, die Rockerkriminalität und einige Sätze zum Menschenhandel. Damit ist die EU für Herrn Breitner offenbar abgearbeitet.
Sie alle wissen, dass ich unsere Fraktion in allen Minderheitengremien vertrete. Ich bin sehr stolz darauf, dies tun zu können. Minderheiten werden hier jedoch reduziert auf die deutsch-dänische Grenzregion. Das sehen wir sehr kritisch. Das kann in unserem Schleswig-Holstein nicht nur ein Versehen sein. Liebe Frau Spoorendonk, wie Sie wissen, gibt es in Europa nicht nur die dänische Minderheit allgemein und in Schleswig-Holstein im Besonderen.
- Herr Dr. Stegner, wir reden über den Bericht der Landesregierung. - Ich muss noch etwas zu dem Kollegen Breitner sagen: Warum steht dort nichts zum Thema Sammelabschiebungen, die auch aus Schleswig-Holstein heraus in die sogenannten sicheren Herkunftsländer stattfinden? Warum steht in diesem Bericht nichts zur Flüchtlingspolitik? Existiert diese nicht? Gehört dies nicht zu Europa, wenn Menschen versuchen, ihr Leben zu retten, vor den Küsten Europas ertrinken oder mit viel Glück zu uns kommen? Wo finden wir an zentraler Stelle das Bekenntnis und eine Vorlage der Koalitionsfraktionen zu dieser Debatte und die Forderung unseres Ministerpräsidenten nach einer Benennung eines EU-Kommissars für Minderheiten in der nächsten Legislaturperiode? Wo sind die harten Fakten zu dem, was verbal geäußert wird?
Ich glaube, die Punkte, die ich nur auszugsweise erwähnt habe, sind Bestandteil des Problems, dass manche Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, ihre Lebenswirklichkeit, nämlich die Angst um die Arbeit und die Existenz, nicht wiederzufinden. Ich will dies noch einmal betonen: Wir sagen, wir sind Europa. Der UNHCR hat eine Zahl bekanntgegeben: 45 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Dazu sollten wir uns als Europäer verhalten. Das ist genau das, was die Rechtspopulisten und Extremisten instrumentalisieren, und zwar auch in diesem Europawahlkampf. Es ist schrecklich zu sehen, dass bei den Stelen in Berlin nur 10 m entfernt ein Plakat mit der Aufschrift steht: Lieber Geld für die Oma als für Sinti und Roma. Das ist in einer Demokratie nicht zu akzeptieren, und es ist nicht zu ertragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wir hier einen Konsens haben, vielleicht mit der Ausnahme von Frau Rodust, die dies noch erklären kann. Wer glaubt, unser politisches Versagen, weil wir Visionen nicht übertragen können, durch einen Zwang zur Beteiligung an der Wahl beseitigen zu können, schadet der Demokratie. Wir müssen das selbst schaffen. Das schaffen wir nicht durch den gemeinsamen Aufruf. Aber es gibt gerade in Schleswig-Holstein und in Europa viele Elemente, mit der wir die Überzeugung, für Europa zu sein, wieder wecken können.
Daher möchte ich mich besonders beim Landtagspräsidenten und bei allen Landtagsfraktionsvorsitzenden dafür bedanken, dass sie gestern mit dieser Umsetzung die Aktion der Sinti und Roma unterstützt und die Einhaltung der Minderheitenrechte in der gesamten EU gefordert und die Postkarten an
die Menschrechtskommission der Europäischen Union unterzeichnet haben. Das sind Signale, mit denen wir besser Wahlkampf machen können als mit manchen Parolen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Mitglieder der Piratenfraktion, ich möchte eine Anmerkung zu der von Frau Beer geäußerten Bemerkung zur Teilnahme des Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Ihrer Fraktion an der Gedenkfeier im Hiroschimapark machen. Ich weise darauf hin, dass wir in diesem Landtag eine Vereinbarung haben, die wir im Ältestenrat schon vor längerer Zeit getroffen haben und immer wieder bestätigen: Abwesenheiten von einer Tagung bedürfen besonderer Gründe. Dies sind zum Beispiel Anlässe, bei denen Minister das Land in Bundesratssitzungen vertreten. Dies haben wir auch verabredet, um die Bedeutung von Plenardebatten in diesem Landtag zu unterstreichen. Sie gilt daher für alle Mitglieder dieses Landtags. Ich glaube, dass die Betroffenheit über die Verfolgung von Sinti und Roma von allen Fraktionen hier im Haus geteilt wird.
- Frau Kollegin, Sie hören mir jetzt bitte zu. Ich glaube, das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Piratenfraktion. Ich vermute, dass ich im Namen aller Fraktionen sagen darf, dass ich glaube, dass dies eine ungeeignete Stelle für eine parteipolitische Profilierung ist.
- Frau Abgeordnete Beer, ich bin nicht bereit, jetzt mit Ihnen weiter über diesen Punkt zu diskutieren. Ich denke, dass der Ältestenrat eine geeignete Form finden wird, um dies noch einmal anzusprechen.
Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW hat Frau Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal sage ich vielen Dank für den umfangreichen Bericht an das Europaministerium. Der Bericht beinhaltet nicht nur die Schwerpunkte des vergangenen Zeitraums,
er bildet auch den Hergang eines viel größeren Zeitraums detailliert ab. Er macht die Zusammenhänge klar, die oft über die Grenzen von SchleswigHolstein hinausreichen.
Ein weiteres Lob in die Richtung der Regierungsbank möchte ich an dieser Stelle dem Ministerpräsidenten aussprechen, der nun nicht da ist. Wir vom SSW freuen uns sehr über das Statement, dass sich die Landesregierung in Berlin künftig für einen EU-Kommissar für Minderheiten einsetzen will.
Bei den nun fast 30 Kommissaren fallen die Minderheiten und autochthonen Volksgruppen hinten runter. Eine gemeinsame Grundlage sucht man an dieser Stelle vergebens. Die sogenannten Kopenhagener Kriterien für den Schutz und die Förderung von nationalen Minderheiten werden längst nicht in allen Mitgliedstaaten ratifiziert. Was für die neuen und künftigen Mitgliedstaaten gilt, gilt nicht für die Gründungsmitglieder und die alt eingesessenen Staaten. Das ist also eine enorme Schieflage, die durch einen solchen Kommissar hoffentlich reduziert werden könnte.
Zusätzlich hat die EU-Kommission erst kürzlich eine eingereichte Initiative von der größten europäischen Minderheitenorganisation abgewiesen, und zwar mit der Begründung, man sei nicht zuständig. Uns geht es aber in erster Linie um die Zuständigkeit. Der Ministerpräsident hat - wie auch die EFA - die Notwenigkeit eines EU-Kommissars für Minderheitenangelegenheiten betont und diesen gefordert. Wir als SSW werden diesen Ansatz wie auch in der Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren.
Wir danken an dieser Stelle unseren westfriesischen Freunden von der FNP für die Unterstützung und für die konstruktive Zusammenarbeit in dieser Sache. Ich danke auch unserer Europaministerin. Sie hat diese Aktion mit unterstützt und begleitet. Tusind tak, Anke.