Protocol of the Session on January 23, 2014

Motivation ist der Schlüssel. Lieber Herr Sönnichsen, Sie haben recht, wir haben gestern ein neues Schulgesetz verabschiedet und neue Rahmenbedingungen für die Schulen in unserem Land geschaffen. Aber wir haben das Schulsystem doch nicht komplett vom Kopf auf die Füße gestellt und müssen nicht bei Null anfangen in unseren Schulen. Da übertreiben Sie ein bisschen. Wir müssen nicht alles neu erfinden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die musischen Fächer müssen heraus aus der Ecke der Wahlfächer, in denen man billig Punkte ergattern kann, und ihre Inhalte müssen in den freiwilligen Angeboten am Nachmittag gleichrangig neben anderen Fächern stehen. Das wird unbestritten ein Kraftakt, der auch das gesellschaftliche Umfeld der Schulen fordern wird. Denn wir brauchen dazu Menschen, die auch nachmittags in den Schulen aktiv tätig werden. Ja, es wird auch ein Kraftakt für die Schulen. Aber es ist wichtig, dass das Bewusstsein für die kulturelle Bildung und ihren Stellenwert geschaffen wird. Denn das Haus der kleinen Forscher und die Forderungen in den Naturwissenschaften erkennen immer alle an, aber die kulturelle Bildung ist mindestens genauso wichtig.

Hier müssen wir Wege finden, die den Lebensbedingungen von Lehrkräften, Schülern, Eltern und Ehrenamtlern gerecht werden. Es kann sicherlich keine zentrale Lösung geben. - Um noch ein Zitat zu bringen: Mao Zedong hat von 100 Blumen geredet, die blühen sollen. Wir reden dann vielleicht von 100 Schulen, die um gute Ideen wetteifern. Wenn es mehr als 100 sind, haben wir auch nichts dagegen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auch im ländlichen Raum werden sich Möglichkeiten ergeben. Wie gesagt, das Jahr dient auch dazu, die Bedeutung der kulturellen Bildung ins Bewusstsein der kommunalen Entscheidungsträger zu rücken. Denn bis jetzt wird kulturelle Bildung leicht als freiwillige Leistung abgestuft und gern einmal auf die Streichliste gesetzt. Wir wollen mit diesem Jahr erreichen, dass klar wird: Kulturelle Bildung ist wichtig.

Ich erlaube mir, einen einzelnen Aspekt besonders hervorzuheben, der in den vorangegangenen Reden bereits teilweise angesprochen wurde. Kulturelle Bildung darf sich nach unserer Ansicht nicht darin erschöpfen, den Kanon der eigenen Nation abzuspulen. Im Einwanderungsland Deutschland leistet sie einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Kultur und der Menschen mit Migrationshintergrund und damit zum Gelingen der inklusiven Gesellschaft.

(Beifall Birgit Herdejürgen [SPD] und Serpil Midyatli [SPD])

Kulturelle Bildung ist Voraussetzung für interkulturelle Kompetenz. Als interkulturelle Kompetenz bezeichnet man die Fähigkeit, mit Individuen und Gruppen anderer Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren, im engeren Sinne die Fähigkeit zum beiderseitig zufriedenstellenden Umgang mit Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung. Doch auch das ist ein weites Feld und sprengt den Rahmen der heutigen Debatte.

Ich freue mich auf ein spannendes Jahr 2014 mit vielen Aktionen, Musikprojekten, Improvisationstheater, Lese-Events. Vieles ist möglich. Das Ziel ist klar. Die Freude an der kulturellen, kreativen Betätigung sowohl als Handelnde als auch als Publikum sollten möglichst viele Kinder und Jugendliche in diesem Jahr erleben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Marlies Fritzen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich zunächst herzlich für den Bericht bedanken. Ich bedanke mich auch für die Einladung zum „Kulturkrach“. Ich hoffe, dass ordentlich

(Beate Raudies)

Krach gemacht wird, damit auf die Kultur und die kulturelle Bildung aufmerksam gemacht wird. Da kann man gar nicht laut genug sein. Ich danke ausdrücklich auch dem Landtagspräsidenten, der mir gerade zugesagt hat hinzuzukommen, obwohl er schon einen sehr dichten Terminkalender in der Mittagspause hat. - Herzlichen Dank!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Kultur passiert doch im Theater und in Museen. Kulturelle Bildung kann man in der Schule ja am Nachmittag anbieten, wenn die Orthographiestunden absolviert, die Vokabeln gebimst und die Grundrechenarten geübt sind. - So oder so ähnlich stellen sich das die meisten wohl vor, so wurde auch ich angesprochen, und damit wird klar, wie unklar das Begriffspaar „Kultur und Bildung“ für viele ist. Auch deshalb ist es gut, dass diese Debatte prominent am Donnerstagvormittag geführt und nicht am Ende der Plenartagung weggenuschelt wird, wie wir das bei solchen vermeintlich weichen Themen häufig erleben.

Worüber also ist zu reden? Brauchen wir kulturelle Bildung? Brauchen wir überhaupt Kultur? Zu was ist das gut, und - vor allem - was kostet das? Diese Frage ist schon aufgeworfen worden. Können wir uns das angesichts angespannter Haushaltslagen überhaupt leisten?

Meine Damen und Herren, diese Fragen sind so falsch gestellt. Wir müssen es uns leisten.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dabei ist Kultur - wenn Sie mir die etwas frivole Bemerkung gestatten - nicht so etwas wie die Geliebte der Wirtschaft, die sich diese als weichen Standortfaktor leistet, wenn sie es sich denn leisten möchte, sondern Kultur ist existenziell. Herr Sönnichsen hat gesagt, sie ist von unendlichem gesellschaftlichen Wert. Kultur kennzeichnet unsere Gesellschaft. Kulturelles Erbe verbindet uns mit den Generationen vor und den Nationen neben uns. Kultur stellt den Einzelnen in einen bewussten und damit selbst verantworteten Gesamtzusammenhang, der von der Vergangenheit über die Gegenwart reicht und für die Zukunft gestaltet werden muss. Kultur ist nichts weniger als Selbstvergewisserung der Gemeinschaft und der Kitt der Gesellschaft. Kultur ist damit weit mehr als das, was im Theater aufgeführt wird und in Museen zu besichtigen ist. Kultur machen nicht nur Künstler, sondern wir alle.

Um Kultur zu leben und weiterzuentwickeln, braucht es Bildung, die Befähigung des Einzelnen, am kulturellen gesellschaftlichen Prozess teilzuhaben und ihn auch aktiv zu gestalten. Selbstverständlich schaden da auch Orthografie, Vokabeln und Grundrechenarten nicht, aber kulturelle Bildung ist mehr als technische Fertigkeit und ein Kanon von Geschichtsdaten und literarischen Werken.

Kulturelle Bildung passiert auch nicht einfach nur in der Bildungseinrichtung Schule, Kita oder Volkshochschule, sondern ein ganzes Leben lang. Kulturelle Bildung ist Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe, mit unserer Vergangenheit, mit Kunst und Kunstprodukten als Ausdrucksform anderer und unseren gegenwärtigen Gesellschaften. Kulturelle Bildung meint auch Ausbildung zu eigener Kunstfertigkeit und Kreativität.

Ohne diese Bildung ist weder gleichrangige Teilhabe noch Gestaltung oder Weiterentwicklung möglich. Erst Bildung ist der Schlüssel zur Emanzipation, und erst sie eröffnet die Chancen auf Entwicklung und Fortschritt.

Dabei greift kulturelle Bildung bewusst über den eigenen zeitlichen und räumlichen Kontext hinaus. Sie stellt uns in eine Reihe von Gewesenem und Zukünftigem, fordert auch die interkulturelle und internationale Auseinandersetzung.

Meine Damen und Herren, Kultur und Bildung gehören zusammen. Sie bedingen sich gegenseitig. Ich möchte an dieser Stelle gern Worte des Kieler Philosophieprofessors Ralf Konersmann zitieren, der auf dem Kulturkongress im November 2013 in Rendsburg sagte:

„Kultur und Bildung bedürfen einander, damit Bildung entstehen und Kultur sich erneuern kann. … Eine lebendige Kultur braucht Bildung, um nicht zu erstarren. Lebendige Bildung wiederum braucht Kultur, um vom Pflock des Augenblicks loszukommen und Perspektiven zu entwerfen, die über den Tag hinausweisen.“

Was heißt das nun für unsere Politik? - Im Jahr der kulturellen Bildung bringt diese Landesregierung erstmals den Mut auf, über den ministeriellen Tellerrand einzelner Häuser zu schauen und zu erkennen, dass Kultur, Bildung und soziale Teilhabe nicht nur zusammengehören, sondern auch zusammenspielen müssen. Ich gebe gern zu, dass dies noch nicht so eingespielt ist, wie wir uns das alle miteinander wünschen. Wir alle sollten weiter daran arbeiten, dass sich dies weiter einspielt. Aber es wurde immerhin ein Anfang gemacht, den es in die

(Marlies Fritzen)

ser Weise noch nie gab. Das sollte man zu schätzen wissen. Dabei müssen neue Wege und Kommunikationsformen gesucht und eingeübt werden. Das ist am Anfang eines solchen Prozesses selbstverständlich.

Es geht darum, gemeinsame Angebote, die Verbindung von Fördertöpfen und Haushaltsressourcen, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure erst einmal zu beginnen. Dies alles soll in diesem Jahr angestoßen und auf den Weg gebracht werden. Dabei kann es aus meiner Sicht nicht nur darum gehen - noch einmal, da bin ich sehr bei Ihnen, Herr Kollege Sönnichsen -, dass sogenannte Leuchtturmprojekte zu entwickeln sind, sondern es muss eine nachhaltige Vernetzung gelingen, die über dieses Jahr weit hinausreicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beate Raudies [SPD])

Kita, Schule und Volkshochschule als wesentliche Orte organisierter Bildung sollen sich noch mehr als bisher schon öffnen für Musikschulen, freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die LAGen Soziokultur, die Angebote, wie die Dickschiffe sie vorhalten wie öffentliche Theater, Bibliotheken und Museen. Die Kulturschulen können beispielhaft Projekte und Kooperationen entwickeln, die ins ganze Land ausstrahlen sollen und ganz besonders in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein mit der demografischen Entwicklung, wie wir sie beobachten, den ländlichen Raum bereichern.

Noch einmal, Herr Sönnichsen: Kulturschulen dürfen dabei nicht Alibischulen sein, aber sie sind ein Beginn, dort können diese Dinge eingeübt werden, dort kann man sozusagen exemplarisch sehen, was möglich ist und was man weiterentwickeln kann.

Es muss weitergehen, ich sagte es schon. Warum zum Beispiel kann der Musikunterricht in Schulen nicht von Lehrerinnen und Lehrern der Musikschulen erteilt werden, die gut ausgebildet und hoch qualifiziert sind? Warum können Kunstkurse nicht von aktiven Künstlerinnen und Künstlern gegeben werden, die einen ganz unmittelbaren Zugang vielleicht auch für Schülerinnen und Schüler - ganz neu schaffen können? Warum soll dies nur am Nachmittag in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften oder gar als nettes Angebot zur Überbrückung der Zeit bis zum Ende der offenen Ganztagsschule geschehen? - Nein, ich fände es attraktiv, diese Gedanken angesichts fehlender Lehrerkapazitäten, angesichts kreativer und kultureller Kompetenzen bei den genannten Akteuren und auch und gerade

angesichts von absehbar länger werdenden Schultagen im Ganztagsrhythmus weiterzuentwickeln.

Schulen profitieren hier ebenso von frischen Ideen wie freie Träger, denen, das muss man auf der anderen Seite auch einmal sehen, für ihre Instrumenten-, Mal- und Theaterkurse die Schülerinnen und Schüler wegen des Ganztagsangebots, wegen der Ganztagsschule am Nachmittag, häufig verloren gehen. Das gilt im Übrigen auch für die Sportvereine.

Dazu muss die begonnene Zusammenarbeit der Ministerien weitergehen, müssen eingefahrene Wege verlassen und mit Mut und Kreativität interdisziplinär gedacht und gehandelt werden, und zwar über den Tag und das Jahr der kulturellen Bildung hinaus.

(Beifall Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, nur wenn aus dem „Markt der Möglichkeiten“, den Sie im Ministerium anbieten - was ich als Anfang toll finde -, Orte des Handelns werden, kann nicht nur Schule - um ein Lieblingsbuch meiner Kollegin Erdmann zu zitieren -, sondern dann kann auch kulturelle Bildung dauerhaft gelingen. Ich danke Ihnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Spoorendonk, auch ich danke Ihnen und Ihren Mitarbeitern im Namen der FDP-Fraktion für den Bericht. Bei Ihrer Einleitung, dass es kein Schmusethema sei, möchte ich Ihnen durchaus recht geben. Es ist zwar immer ein weiches Thema, und Kultur wird als weicher Standortfaktor in vielen Kommunen und Kreisen diskutiert, er ist auch für die Wirtschaft durchaus wichtig, ich empfehle aber allen, sich das Portal der Bundeszentrale für politischen Bildung anzusehen, wo sehr gut definiert wird, was alles unter kultureller Bildung zu verstehen ist und wer alles darin Einzug gehalten hat. Insofern begrüße ich es auch ausgesprochen, dass Sie es geschafft haben, sowohl das Sozialministerium als auch das Bildungsministerium mit einzubeziehen.

(Marlies Fritzen)

Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen: Auch die anderen Ressorts gehören mit zur kulturellen Bildung. Wenn Sie nämlich auf dem Internetportal die Definition lesen, ist das sehr spannend.

Frau Spoorendonk, wir wissen, wie engagiert Sie persönlich im Bereich der Kultur sind, wie sehr Ihnen das ein Herzensthema ist. Daraus haben Sie nie einen Hehl gemacht. Insofern war es auch für uns sehr wenig verwunderlich, dass Sie das Jahr der kulturellen Bildung ausgerufen haben. Ich möchte aber auch einen Satz zu dem sagen, was meine Vorrednerinnen schon gesagt haben: Es sollte jetzt tatsächlich nicht der Eindruck erweckt werden, dass das ein Jahr sei, in dem wir uns kümmern, sondern kulturelle Bildung sollte dann tatsächlich eine dauerhafte gesellschaftliche Aufgabe sein.

(Beifall Oliver Kumbartzky [FDP])

Die Hauptakteure an dieser Stelle sind für uns tatsächlich die Schulen. Wir haben es auch schon gesagt: Es ist ein neues Schulgesetz verabschiedet worden. Ich bin ganz froh, dass der Begriff kulturelle Bildung nicht in den Begriff kulturelle Pädagogik oder so ähnlich umgewandelt wurde, sondern als Bildung weiterhin bleibt.

(Martin Habersaat [SPD]: Brüller!)

- Genau, Brüller, Herr Habersaat!

(Beifall Oliver Kumbartzky [FDP])