Protocol of the Session on January 22, 2014

Ich muss bekennen, dass auch ich enttäuscht bin,

(Serpil Midyatli)

(Heiterkeit)

enttäuscht vom Koalitionsvertrag der Großen Koalition, der nun doch nicht die doppelte Staatsbürgerschaft enthält, wie Sigmar Gabriel es noch vor der Bundestagswahl versprochen hatte. Es wäre schön gewesen, wenn sich die Bundesregierung klar und deutlich dazu bekannt hätte, dass alle Einwanderinnen und Einwanderer hier willkommen sind.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, PIRATEN und SSW)

Es wäre schön gewesen, wenn sie sich dazu bekannt hätte, dass es keine Einwanderer erster und zweiter Klasse gibt, von denen die einen eine doppelte Staatsbürgerschaft erhalten dürfen und die anderen das aufgrund fadenscheiniger Argumente nicht dürfen.

Es hat in den Koalitionsverhandlungen nur zu einem Kompromiss mit der CDU gereicht, quasi zu einer Minimallösung, einer Abschaffung des Optionsverfahrens für die Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Man muss wohl anerkennen: immerhin! Die Optionsregelung war von unvertretbarer Härte. Das hat jetzt auch die CDU verstanden.

Es bleiben aber zahlreiche Menschen über, von denen die Bundesregierung gern die Steuern nimmt, ihnen aber die volle Gleichberechtigung vorenthält. Das hat zur Folge, dass es zwei unterschiedliche Rechtslagen in einer Familie geben kann. Das ist doch absurd.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zahlreiche Eltern leben seit 20 oder 30 Jahren in Deutschland, und ihnen wird dennoch abgesprochen, sich hier richtig integriert zu haben und zwei Staatsbürgerschaften ertragen zu können. Dabei sind es gerade die Eltern, die die Kinder großgezogen haben, denen jetzt großzügig die doppelte Staatsbürgerschaft gewährt wird. Es ist höchste Zeit, den bescheuerten Gedanken aufzugeben, dass sich so richtig deutsch nur die Menschen fühlen können, die hier geboren sind.

Genauso enttäuscht wie über den Koalitionsvertrag bin ich über die Ablehnung des Antrags der Grünen durch die Große Koalition letzte Woche im Bundestag.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich verstehe nicht, warum dieser Antrag abgelehnt wurde. Ich zitiere - mit Genehmigung des Präsidiums - den Antragstext:

„Über alle politischen Lagergrenzen hinweg besteht inzwischen Einigkeit, dass sich der Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht nicht bewährt hat und so schnell wie möglich abgeschafft werden soll. Bis zur Umsetzung einer gesetzlichen Neuregelung sind junge Menschen aber weiter mit dem Optionszwang konfrontiert. In der Anwendung des derzeit noch geltenden Rechts ist daher so weit wie möglich dafür Sorge zu tragen, dass optionspflichtigen jungen Menschen ab sofort der Verlust einer Staatsangehörigkeit erspart bleibt“

(Zuruf PIRATEN: Wie denn?)

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr dadurch verloren geht, dass den Betroffenen eine Beibehaltungsgenehmigung vorenthalten wird …“

Der Vollständigkeit halber muss ich dazu sagen, dass nicht alle Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag gegen den Antrag gestimmt haben. Trotzdem war die Mehrheit der Großen Koalition dagegen. Ich kann wirklich nicht erkennen, aus welchen Gründen. Es ist doch das Mindeste, dass keiner der jungen Menschen die zweite Staatsbürgerschaft abgeben muss oder sogar aus der deutschen zwangsausgebürgert wird, solange der Gesetzentwurf nicht vorliegt, der den Beschluss des Koalitionsvertrages umsetzt. Den Vorgang der Zwangsausbürgerung halte ich - mit Verlaub - immer noch verfassungsrechtlich für fragwürdig und integrationspolitisch für unsäglich.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN, SSW und Dr. Heiner Garg [FDP])

Die Ablehnung des Antrags ist auch das falsche Signal an die Länder. Es ist nicht hinzunehmen, dass auch nur noch eine einzige deutsche Staatsbürgerschaft den Optionspflichtigen entzogen wird. Statt einen vernünftigen Antrag der Opposition im Bundestag anzunehmen, spielt die GroKo das alte Spiel: Opposition ist doof, selbst wenn sie das Gleiche will wie wir.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

(Burkhard Peters)

Sehr gern.

Lieber Herr Kollege Burkhard Peters, Sie fordern mit Ihrem Antrag, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Sind Sie denn der Meinung, dass mit einem unverbindlichen Anschreiben an die Ausländerbehörden alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, oder sehen Sie, dass wir wie in Bremen oder in Nordrhein-Westfalen über flächendeckende Anschreiben, über einen konkreten Erlass, gehen könnten?

- Ich sehe nicht, dass in Nordrhein-Westfalen ein konkreter Erlass gemacht worden ist. Ich halte es für rechtlich nicht zulässig, dass ein Bundesgesetz durch einen ministeriellen Erlass eines Landes ausgesetzt wird.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Das ist ein Spiel zulasten der Betroffenen. Es ist bedauerlich, dass nicht die generelle Mehrstaatlichkeit beschlossen wurde. Nun müssen wir alles dafür tun, damit wenigstens denen, die bisher optionspflichtig waren, schnellstmöglich die Möglichkeit für die doppelte Staatsbürgerschaft eingeräumt wird und bis dahin niemand die deutsche oder die zweite Staatsbürgerschaft unfreiwillig verliert.

Der Innenminister hat im Innen- und Rechtsausschuss ausführlich erläutert, warum der von den PIRATEN geforderte Weg rechtlich nicht zulässig ist. Das ist genau der Punkt. Er kann Bundesrecht nicht durch Erlass aussetzen - Punkt, Komma, Aus und Ende. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag auch ab.

Wir freuen uns aber, dass wir uns hier im Land fraktionsübergreifend in dem Ziel einig sind, dass die doppelte Staatsbürgerschaft besser heute als morgen kommt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Herr Abgeordneter Peters, es war zwar nicht Ihre Rede, aber parlamentarisch ist nichts bescheuert, nicht einmal Gedanken.

Damit sind wir wieder in der Redefolge. Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Peters, das mit den Koalitionsverträgen ist ja immer so eine Sache. Das eine ist das, was man hineinverhandelt, das andere das, was später umgesetzt wird. Wir schauen uns einmal sehr genau an, was dann am Ende der Legislaturperiode davon steht. Unstrittig ist aber, dass jedenfalls hier in diesem Haus beim Thema Optionszwang schon in der letzten Legislaturperiode eine sehr breite parlamentarische Mehrheit der Auffassung gewesen ist, dass dieses Instrument integrationspolitisch kontraproduktiv ist und wir uns ein solches Instrument als Einwanderungsland, das wir längst sind, gar nicht leisten sollten. Darüber brauchen wir eigentlich gar nicht mehr zu diskutieren.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Insofern haben wir heute wieder die Diskussion, die wir auch damals schon hatten. Mit großer Mehrheit ist der Landtag der Auffassung, dass der Optionszwang so schnell wie möglich abgeschafft gehört. Worüber wir uns noch streiten und noch diskutieren, ist der richtige Weg dorthin. Die Große Koalition hat - da stimme ich dem Kollegen Peters zu bereits letzte Woche die Chance gehabt, im Deutschen Bundestag dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zuzustimmen. Diese Chance ist versäumt worden.

Ich will an die Ausschusssitzung erinnern. Es hat niemand - auch übrigens der Kollege Breyer nicht beantragt, Bundesrecht einfach auszusetzen oder zu übergehen. Das ist schlicht nicht richtig.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Selbstverständlich kann der Innenminister nicht auf dem Erlassweg - dabei will ich darauf hinweisen, dass das Schreiben, auf das ich gleich noch zu sprechen komme, nicht einmal einen Erlasscharakter hat - Bundesrecht aussetzen. Aber auch das hat niemand gefordert.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Die Frage war vielmehr, wie wir so schnell wie möglich dazu kommen, den Optionszwang abzuschaffen. Im Innen- und Rechtsausschuss hat sich der Innenminister dankenswerterweise noch einmal ganz klar zu dem grundsätzlichen Ziel bekannt. Er hat berichtet, dass es eine gemeinsame Bundesratsinitiative der Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt. Wir wünschen ihm dabei ernsthaft viel Erfolg und viel Glück.

Doch leider müssen wir feststellen - da gibt es eben die Differenz -, dass trotz des Schreibens, das uns der Innenminister im Innen- und Rechtsausschuss vorgestellt hat, unserer Auffassung nach der Spielraum des § 29 Abs. 4 Staatsangehörigkeitsgesetz besser hätte genutzt werden können.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Ich will das deutlich machen. In der Pressemitteilung des Ministers vom 17. Januar 2014 klingt das meiner Meinung nach auch schon heraus. Sie haben gesagt, Sie hätten die Kreise und kreisfreien Städte aufgefordert, das Optionsverfahren - jetzt zitiere ich - „nicht zu beschleunigen und Anträge auf Beibehaltungsgenehmigungen nicht negativ zu bescheiden“.

Dass Sie untätig geblieben wären, Herr Minister, wirft Ihnen überhaupt niemand vor. Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Regelungen aus anderen Bundesländern - wenn man sagt, Hamburg und Bremen seien nicht vergleichbar, weil es sich um Stadtstaaten handele und die entsprechenden Verwaltungsstrukturen dort nicht mit denen in Schleswig-Holstein vergleichbar seien, ist das nachvollziehbar - hätte bedeutet, sich zumindest die Regelung in Nordrhein-Westfalen sehr genau anzuschauen, die nämlich deutlich weiter geht, als das, was der Innenminister in Schleswig-Holstein an die Behörden verschickt hat.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Mit Schreiben vom 15. Juli 2011 hat das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen den Kreisen und kreisfreien Städten im Land empfohlen, den Optionspflichtigen nahezulegen, eine vorsorgliche Erteilung von Beibehaltungsgenehmigungen nach § 29 Abs. 3 und 4 Staatsangehörigkeitsgesetz zu beantragen.

Im zweiten Schritt erfolgte dort eine glasklare Handlungsempfehlung an die Kommunen, die besagt, dass in den Fällen, in denen keine der Erteilungsvoraussetzungen erfüllt ist, der Antrag auf eine Beibehaltungsgenehmigung nicht vor Vollendung des 23. Lebensjahres rechtstechnisch und rechtsgültig versagt werden darf.

Herr Abgeordneter Dr. Garg, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Ja, selbstverständlich.

Bitte schön.

Herr Kollege Dr. Garg, vielen Dank für Ihre Ausführungen, denen ich voll zustimmen kann. In Ergänzung möchte ich in Bezug auf den Fall Bremen sagen, dass Bremen zwar ein Stadtstaat ist, aber sehr wohl über eine kommunale Stadtebene verfügt. Dort entscheidet die Stadt über solche Anträge und nicht das Ministerium. Deshalb wäre der Fall, dass dort ein Erlass erlassen worden ist, sehr wohl auf Schleswig-Holstein übertragbar.

Das war eine Anmerkung oder Ergänzung, die meines Wissens nach zutreffend ist. Ich wollte deutlich machen, dass auch ein Flächenland mit vergleichbaren - wenn auch deutlich größeren - Strukturen politisch sehr wohl die Möglichkeiten besser ausgeschöpft hat, als das bislang in Schleswig-Holstein der Fall gewesen ist.