Protocol of the Session on December 12, 2013

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aufgezeigt, dass dies geht und wie dies geht, sehr eng, sehr eingeschränkt, aber es geht.

Meine fachpolitische Überzeugung von der Notwendigkeit von Mindestspeicherfristen ist im Laufe meiner Amtszeit gereift. Dabei spielen auch meine beruflichen Erfahrungen als Leiter einer kriminalpolizeilichen Beratungsstelle eine Rolle. Das waren zahlreiche Begegnungen mit vielen Opfern von teils schweren Straftaten.

Ich denke über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung heute anders als zu Beginn der Koalition. Um Spekulationen zu beenden, ob ich eine Strategie gegen meine eigene Koalition verfolge oder ob ich es tue, um der Polizei zu gefallen: beides falsch! Keine Strategie gegen die Koalition, weil genau diese Koalition in dieser Zusammensetzung erfolgreich und gut für unser Land ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

In Bezug auf die Polizei wissen Sie, dass ich auch Projekte des Koalitionsvertrags wie die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten in geschlossenen Einsätzen umsetze, die bekanntermaßen nicht zu meinen Favoriten zählt.

(Beifall CDU)

Und - das soll nicht arrogant klingen - ich habe es nicht nötig, der Polizei nach dem Mund zu reden. Deshalb tue ich es auch nicht. Aber, wenn ich eine

(Lars Harms)

Meinung habe, vertrete ich sie auch, unabhängig davon, wem sie gefällt.

Ich vertrete diese Auffassung aus der fachpolitischen Verantwortung meines Amtes. Deshalb ist es auch nicht meine private und persönliche Meinung, sondern die des für innere Sicherheit zuständigen Ministers.

(Beifall CDU)

Ich wusste, dass ich mich damit in der eigenen Koalition nicht beliebt machen würde. Aber haben die Koalitionspartner, hat dieser Landtag angesichts des Koalitionsvertrags im Bund und hat nicht zuletzt die Öffentlichkeit ein Interesse zu erfahren, welche fachlichen Positionen ein Fachminister hat?

(Wortmeldung Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Abgeordneter Kubicki, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Es gibt noch eine Fragestunde am Freitag.

Warum sollte ich nicht für diese fachliche Überzeugung streiten, solange ich mich in den konkret festgelegten Punkten des Koalitionsvertrags treu verhalte? Das ist zugegebenermaßen ein Spagat für mich und für diese Koalition. Ich habe mich entschieden, diesen Spagat einzugehen und auszuhalten, weil es mir wichtig ist, dass Sie wissen, wie ich dazu stehe. Ich glaube, unser Vertrauensverhältnis ist stabil genug, um mir diese abweichende Meinung zuzugestehen.

(Beifall SPD und SSW)

Es muss immer möglich sein, nach intensiven Gesprächen mit Fachleuten, eigener Lektüre, sorgfältiger Prüfung und nach Berichten aus dem Alltag der Ermittler seine fachliche Meinung zu verändern. Dabei kommt es bisweilen vor, dass im Ursprung differenzierte Äußerungen beim Transport in die Öffentlichkeit den Feinschliff verlieren und als grobe Klötze beim Empfänger landen. Auf den konkreten Sachverhalt bezogen heißt das: So falsch es wäre, die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung pauschal als zynisch und menschenverachtend zu bezeichnen - was ich im Übrigen nicht getan habe -, so falsch wäre es auch, die Befürworter in die Ecke von Bürgerrechtsfeinden und Überwachungsfanatikern zu stellen.

(Beifall CDU - Zuruf: Ich würde aufhören zu reden! - Weitere Zurufe)

Lassen Sie uns feststellen: Niemand ist ein schlechter oder ist ein besserer Mensch, nur weil er für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung ist.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sollte dieser Eindruck bei Ihnen entstanden sein, lag dies nicht in meiner Absicht. Beidseitig - ich nehme das für mich auf jeden Fall an - sollte in der Argumentation abgerüstet werden. Ich finde, heute ist eine gute Gelegenheit dazu, und es war eine gute Gelegenheit dazu, die entsprechend genutzt wurde.

Akzeptieren wir gegenseitig, dass man in einer Abwägung - das ist es - bei allen Entscheidungen und vielen Fragen einer wichtigen sicherheitspolitischen Entscheidung auch zu einem anderen Ergebnis kommen kann! Seien wir bereit - Sie sind es, auch ich bin es -, die eigene fachliche Meinung selbstkritisch zu prüfen, und billigen wir jedem in diesem Parlament und in dieser Regierung eine eigene Meinung, eine eigene Position oder eigene Haltung zu! Das ist auch Ausdruck der Kraft dieser Regierung und stärkt unsere Arbeit für Schleswig-Holstein.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich sehe meine Aufgabe weiter darin, Sie fachpolitisch zu beraten - nicht mehr, aber auch nicht weniger. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW -Volker Dornquast [CDU]: Fehlen- de Toleranz der PIRATEN wurde hier er- kannt! - Lars Winter [SPD]: Sie werden noch zum König der Zwischenrufer, Herr Kollege! - Unruhe)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Dudda.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Anfang Juni letzten Jahres haben wir PIRATEN mehrfach mit Politikern Gespräche bei uns geführt, die live gestreamt und aufgezeichnet wurden. Herr Schlie gehörte dazu, Herr Habeck, Frau Spoorendonk und viele andere, unter anderem auch unser Innenminister.

Herr Breitner, Ihr Auftreten bei uns fanden wir menschlich toll, Sie haben uns damals innerlich völlig überzeugt und hatten ein sehr gewinnendes Wesen, und die fachliche Meinung zu Ihnen teile ich zusammen mit Herrn Kubicki - keine Frage. Insbesondere teile ich sie auch, was das Thema

(Minister Andreas Breitner)

Meinungsfreiheit und Ihr Recht auf Meinungsfreiheit angeht.

Aber da gibt es einen Punkt, der Sie vom normalen Bürger unterscheidet. Es geht darum: Was ist beständig, und was ist glaubwürdig? Glaubwürdig und beständig ist etwas anderes als das, was Sie bei uns gesagt haben, auch zu verinnerlichten Werten, und das, was Sie heute tun.

(Beifall PIRATEN)

Deswegen muss ich einmal aus dem, was wir heute auch im Internet anbieten, zitieren. Mein Kollege Breyer war schon seinerzeit skeptisch, ob das nachhaltig ist, was Sie uns damals gesagt haben. Er hat dementsprechend gefragt:

„Stehen Sie auch persönlich dahinter, oder sagen Sie, ich finde das eigentlich nur gut, weil die das so beschlossen haben?“

Ihre Antwort:

„Nein, nein. Das habe ich eingangs schon versucht, deutlich zu machen. Da stehe ich voll hinter. Ich habe es ja mitverhandelt, ohne dass man es mir abringen musste. Bei den Trojanern musste ich es erst einmal insgesamt verstehen... Das muss man aber auch wissen: Das, was wir vereinbart haben, ist die schärfste Formulierung dazu. Und das ist ja nicht nur für eine Woche. Das war kein Thema für uns, weil das ja deutlich über eine Woche hinausgeht, was wir damit anfangen sollen. Ich werde bundesweit der einzige Innenminister sein, der bei einer Innenministerkonferenz dagegen stimmt. Das ist mir schon klar, dass ich das bin, dass ich mich nicht enthalte, sondern dass wir das ablehnen. Das ist nicht nur, weil das im Vertrag drin steht, das ist verinnerlicht.“

(Unruhe)

Das unterscheidet sich deutlich von der normalen Meinungsfreiheit. Auf den Unterschied zwischen der SPD auf Bundesebene und Ihnen hat die Kollegin Beer in demselben Gespräch hingewiesen. Dazu haben Sie Folgendes gesagt - jetzt wird es noch besser -:

„Ich weiß. Das ist ja auch der Konflikt innerhalb der SPD gewesen, den wir aber am Ende zugunsten der Freiheitsperspektive gelöst haben.“

Das ist der Innenminister aus dem Juni letzten Jahres, der sich in der Zwischenzeit polizeifachlich ja nicht fortbilden konnte.

(Beifall PIRATEN)

Diese klaren Ansagen waren für einige von uns in meiner Fraktion - Herr Breyer hat es eben schon erwähnt - ausschlaggebend für die Wahl des Ministerpräsidenten, mit allen Folgen.

Ich hätte jetzt auch noch einige Worte zum Thema Menschenverachtung und Zynismus gesagt. Sie haben das eben zurückgenommen. Ich habe das so empfunden wie alle anderen Bürgerrechtler, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung eingesetzt haben, dass Sie uns alle gemeint haben. Wir sind keine Zyniker und Menschenverächter.

Ich frage nämlich Folgendes: Sie haben gestern den einhundertsten Geburtstag von Willy Brandt gefeiert und seiner in Lübeck gedacht. Wissen Sie, wer Gunnar Gaasland war, 1936 in Deutschland? - Das war Willy Brandt. Mit einer Vorratsdatenspeicherung hätte er keine vier Wochen das tun können, was er sinnvollerweise für uns getan hat.

(Beifall PIRATEN, FDP und Lars Harms [SSW])

Herr Innenminister, schlimm finde ich auch, dass Sie auf Ihrer Facebook-Seite, die ich übrigens ansonsten ganz toll finde, weil sie transparent zeigt, was Sie alles so leisten, die Passage von Herrn Gabriel, wonach Herr Gabriel es toll fand, dass Herr Breivik mit der Vorratsdatenspeicherung in Norwegen gefasst wurde, kommentarlos eingestellt haben. Das ist wirklich zynisch und menschenverachtend.

(Beifall PIRATEN, FDP und Rasmus Andre- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Gabriel hat am 27. November 2013 im ARD „Brennpunkt“ wörtlich behauptet, durch die dortige Vorratsdatenspeicherung habe man sehr schnell gewusst, wer in Oslo der Mörder war. Das habe sehr geholfen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Zur Kenntnis: In Norwegen ist die Vorratsdatenspeicherung zwar beschlossen, wird aber erst ab 2015 angewendet.

(Beifall PIRATEN)