Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pflegen heißt, sich um einen Menschen zu kümmern. Dokumentieren heißt, sich um Akten zu kümmern. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, theoretisch jedenfalls. Praktisch sieht die Realität in der Pflege leider anders aus. Wir alle wollen für uns und unsere Angehörigen, wenn es irgendwann einmal so sein wird, eine gute Pflege.
Damit pflegerisches Handeln zu bestmöglichen Ergebnissen führt, muss planvoll, Schritt für Schritt, eines nach dem anderen und nachvollziehbar vorgegangen werden. Einen Schritt nach dem anderen tun, dann dokumentieren. Es ist gut, am Ende einer Schicht festzuhalten, was erledigt ist und was noch nicht. Dann sieht die nächste Schicht, wenn sie zur Arbeit kommt, gleich, was noch getan werden muss. Dokumentation in der Pflege ist also nicht überflüssig; sie ist ein wichtiges Instrument zur Qualitätssicherung.
Aber wie immer in der Medizin kommt es auf die Dosis an. Pflegedokumentation ist kein Selbstzweck, sie ist Mittel zum Zweck. Pflegekräfte wollen Menschen helfen. Dafür sind sie ausgebildet. Wir können alle froh und dankbar sein, dass es immer noch viele Menschen gibt, die diese Ausbildung machen, die in diesem Beruf arbeiten und denen die Menschen, die sie pflegen, auch sehr am Herzen liegen. Das ist gut so, und - da bin ich mir sicher - darüber sind wir uns auch alle einig.
Die meisten von Ihnen werden die Situation kennen: Sie besuchen einen Angehörigen im Pflegeheim. Pflegekräfte laufen über die Station. Eine oder zwei allerdings sitzen im Büro am Schreibtisch. Sie beugen sich über die Akten; Pflegedokumentation ist angesagt. Auf der Station rote Leuchten, Lämpchen, die angehen, Klingeln, die anschlagen, aus den Zimmern sind Stimmen zu hören. All dies sind Signale von Menschen, die ein Bedürfnis, die einen Wunsch haben. Und es ist unsere politische Verantwortung, dass diese Stimmen gehört werden und dass die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen in den Vordergrund gestellt werden.
Für uns Grüne ist ganz klar: erst der Mensch, dann die Akte. Das ist die richtige Reihenfolge. Genauer gesagt: Die Anforderungen an die Dokumentation müssen so ausgerichtet sein, dass es während der Schicht zu schaffen ist. Die Dokumentation muss
die Pflege unterstützen. Sie darf ihr nicht die für die Pflegebedürftigen erforderliche Zeit nehmen; denn wir wollen ja alle mehr Zeit für die Pflege, wie es auch in der Überschrift zu dem Antrag zum Ausdruck kommt.
Der vorliegende Bericht der Landesregierung herzlichen Dank, liebe Ministerin, dafür an Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium - zeigt, dass wir uns auf den Weg gemacht haben. Übrigens sind wir nicht die Ersten. Das will ich hier gern eingestehen. Auch andere Landesregierungen haben für den Abbau der Dokumentation, den Abbau der Bürokratie alles Mögliche getan. Trotzdem ist das ein Bereich, in dem wir noch weiter nach vorne gucken müssen; denn am Ziel - da sind wir uns sicherlich alle einig - sind wir noch lange nicht.
Im Jahre 2006 stellte das Bundesministerium für Familie und Senioren ein hohes Maß an Fehldokumentationen in der Pflege fest. Ich will jetzt nicht wiederholen, was meine Kollegin Birte Pauls gerade gesagt hat. Kosten in Höhe von 1,9 Milliarden € entstehen durch das Ausfüllen von Leistungsnachweisen. Da wiehert der Amtsschimmel. Genau das müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Von 2002 bis 2004 konnte durch das Modellprojekt „Vereinfachte Pflegeplanung“ der Dokumentationsaufwand durchschnittlich um die Hälfte gesenkt werden. Das ist ein handfester Erfolg. Darauf sollten wir aufbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir Grüne setzen bei der Entlastung der Pflegenden bei der Dokumentation auch auf moderne Techniken. Aus meiner Sicht ist das etwas, das noch viel stärker berücksichtigt werden sollte.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Schleswig-Holstein ist bei der Pflege am Ball, und nicht nur das: Wir sind auch in der Offensive; mehr Ausbildungsplätze in der Pflege, eine Pflegekammer für die Pflegenden und weniger Bürokratie in der Pflege.
Frau Abgeordnete Dr. Bohn, lassen Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg zu?
Frau Kollegin Bohn, fänden Sie es vor dem Hintergrund Ihrer letzten Ausführungen nicht auch sinnvoller, dass man, anstatt jedem Schüler ein Smartphone in die Hand zu drücken, wie es nach den vagen Versprechungen einer möglichen Großen Koalition geschehen soll, sämtliche ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen mit entsprechenden Endgeräten ausrüstet, um zu einer einfacheren und technisch optimierten Pflegedokumentation zu kommen?
- Da ich bei den Koalitionsgesprächen nicht dabei bin, weiß ich nicht, ob das, was in den Medien zitiert wird, wirklich ein konkreter Vorschlag von SPD und CDU ist. Aber ich gebe Ihnen recht - ich gehe einmal davon aus, dass Ihre Frage in diese Richtung zielt -, dass die elektronische Dokumentation gerade im Bereich der Pflege ein Riesenfortschritt sein könnte. Da sind wir absolut einer Meinung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr Zeit für Pflege, das wünschen sich Pflegebedürftige und Pflegende. Wir sind auf einem guten Weg. Lassen Sie ihn uns gemeinsam weitergehen. - Vielen Dank.
Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Dies ist nicht die erste Debatte, die wir zum Thema Pflege führen. Es wird sicherlich auch nicht die letzte sein. Angenehm überrascht hat mich jedoch, dass es die erste ist, die tatsächlich einmal sehr sachlich verläuft, gerade von Ihrer Seite. Ich erinnere mich an recht kontroverse Debatten, in der die SPD-Fraktion gefordert hat, die Durchführungs
verordnung zum Selbstbestimmungsstärkungsgesetz und die Prüfrichtlinie umgehend vorzulegen. Liebe Frau Kollegin Pauls, Sie haben uns damals vorgeworfen, wir verwehrten den Pflegebedürftigen das Recht zur gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und gingen respektlos mit pflegebedürftigen Menschen um. Sie forderten den damaligen Gesundheitsminister Dr. Garg mit Hinweis auf seine bereits achtzehnmonatige Regierungstätigkeit vehement auf, endlich die Rahmenbedingungen anständig und zukunftssicher zu gestalten. Zur Durchführungsverordnung haben Sie sich sogar dazu erdreistet zu sagen, dass sie dem Grundgedanken des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes in keinster Weise gerecht werde. Alles, was die CDU/FDP-Regierung seinerzeit erarbeitet hat, war also viel zu wenig und kam viel zu spät.
Ich frage Sie, wo wir heute stehen. Rot-Grün-Blau regiert seit genau 18 Monaten. Wo bleiben denn Ihre Initiativen, Frau Pauls, um - wie Sie es immer gefordert haben - Prüfrichtlinie und Durchführungsverordnung endlich im Sinne der Menschen zu novellieren? Davon sehe ich nichts.
Ich sehe Ihre hilflosen Berichtsanträge. In den Berichten stellt die Landesregierung richtigerweise dar, dass sie den vernünftigen Kurs der Vorgängerregierung im Pflegebereich fortsetzen wird. Ich empfehle, auch die Seiten 3 und 5 des Berichts zu lesen. Da steht das nämlich ganz deutlich drin.
Liebe Frau Kollegin Pauls, wie erklären Sie den Pflegenden heute, dass die von Ihnen getragene Landesregierung keinen Handlungsbedarf sieht? In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Dr. Garg - Drucksache 18/359 - stellt diese klar, dass sie keine Novellierung der Durchführungsverordnung plane. Auch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Franzen - Drucksache 18/1183 - macht die Landesregierung geltend, dass hinsichtlich der Prüfrichtlinie kein Änderungsbedarf bestünde. Das wird im Übrigen auch in dem vorliegenden Bericht deutlich. Ich zitiere - mit Erlaubnis des Präsidenten - aus dem Bericht:
„Nach dem derzeitigen Stand der Auswertung zeigt sich, dass die Prüfrichtlinie insgesamt ein geeignetes Instrument für eine einheitliche und ‚bürokratiearme’ Überprüfung der Einrichtungen darstellt.“
Frau Pauls, Sie haben in den damaligen Debatten die hervorragende Vorarbeit des damals SPD-geführten Sozialministeriums zum Selbstbestim
mungsstärkungsgesetz ausdrücklich hervorgehoben. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie jetzt auch die hervorragende Arbeit des damals FDP-geführten Sozialministeriums bei der Umsetzung der beiden Richtlinien anerkennen. Es hat sich gezeigt, dass sich die Gründlichkeit, die unsere Regierung damals an den Tag gelegt hat, jetzt deutlich im Sinne der Betroffenen auszahlt. Es ist erfreulich zu lesen, dass die von Dr. Garg zu verantwortende Prüfrichtlinie zur Entbürokratisierung beiträgt und gleichzeitig eine arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen Aufsicht und MDK ermöglicht. Die im Ursprungsantrag der SPD geforderte bessere Abstimmung im Bereich der Prüf- und Aufsichtsaktivitäten konnte also bereits erzielt werden.
Ist damit der Weisheit letzter Schluss erreicht? Selbstverständlich nicht. Deswegen ist das zu unserer Regierungszeit eingeleitete Verfahren der praktischen Evaluation nur vernünftig. Ich erwarte von Sozialministerin Alheit, dass sie Anpassungen vornimmt, wenn entsprechende Ergebnisse vorliegen. Ich halte es auch für richtig, dass die Landesregierung plant, genau diesen Weg zu verfolgen. Auch finden die weiteren Ansätze, welche die Landesregierung als Fazit des Berichts wiedergibt, die Unterstützung der FDP.
Insbesondere der im Bericht enthaltene Verweis der Landesregierung auf weitere bundesgesetzliche Initiativen zeigt, dass die landesgesetzlichen Hausaufgaben durch die Vorgängerregierung bereits vernünftig erledigt worden sind. - Ich freue mich auf die Diskussion im Sozialausschuss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Pflege ist eines der Megathemen. Es ist ein Gegenwartsthema und auch ein Zukunftsthema. Ich erinnere an die Zahl: 7.000 Pflegekräfte werden uns fehlen. Darum haben wir uns zu kümmern. Deswegen ist der Bericht der Landesregierung so wichtig gewesen. Ich bedanke mich auch für den Bericht. Er war aufschlussreich.
Was das Thema Pflege selbst angeht, so möchte ich die Ausführungen der Kollegin Pauls ausdrücklich loben. Ich wollte das genauso sagen. Die Zahlen
sind eindrucksvoll. Die genannte Zahl von 2,7 Milliarden € und auch die Zahl von 1.000 € pro Pflegebedürftigem sind deswegen so eindrucksvoll, weil eine Pflegehilfskraft des Arbeitersamariterbundes, mit der ich vor zehn Tagen gemeinsam mit dem Kollegen Breyer gesprochen habe, bei einer Arbeitszeit von 30 Stunden in der Woche ein Einkommen von 900 € im Monat erzielt. Das ist eine unverantwortliche Zahl. So kann es ganz gewiss nicht weitergehen.
Was die Dokumentation in der Pflege angeht, so haben Sie, Frau Dr. Bohn, zu Recht von der richtigen Dosis gesprochen. Ich habe hier einmal eine Überdosis mitgebracht. Das sind 14 Bögen, die in einem Pflegebetrieb auszufüllen sind. Das ist völliger Wahnsinn. Das kann an den Pflegebedürftigen nur vorbeigehen. Deswegen müssen wir das dringend abstellen, ob auf elektronischem Wege oder die Idee, die mir die Kollegin Franzen gestern erzählt hat, gefällt mir viel besser - durch eine sogenannte Negativdokumentation. Das heißt, dass eine Dokumentation nur noch dann notwendig ist, wenn vom vorgeschriebenen Pflegehandeln abgewichen wird. Viel einfacher geht es nicht. Das ist uns deutschen Bürokraten wahrscheinlich noch zu fremd, obwohl es nach Auskunft meines Kollegen Breyer juristisch durchaus veritabel wäre.
Zurück zum Bericht. Auf dem Papier sieht das alles ziemlich gut aus. Auf der Seite 6, die schon mehrfach genannt wurde, wird deutlich, dass theoretische Verbesserungen und Verschlankungen auf Bundesebene immer daran gescheitert sind, dass dann, wenn weniger Bögen ausgefüllt worden sind und weniger dokumentiert worden ist, am Wochenende oder am Freitag mehr zusammenfassend gemacht wurde. Das hat niemandem geholfen. Es gibt da für uns sehr viel zu tun. Die Pflegekammer, mit der ich mich anfangs sehr schwer getan habe, sehe ich als eine Möglichkeit - es kann nicht die einzige sein.
Ich will es wertfrei sagen: Von den neun Pflegenden, mit denen ich gesprochen habe, ist nicht eine einzige Pflegekraft gefragt oder befragt worden obwohl das ganz verschiedene Unternehmungen waren. Das finde ich bemerkenswert.
- Wahrscheinlich. Trotzdem bleibt mir heute festzustellen, dass es bei uns keinen Dissens darüber gibt, dass wir die Pflege demokratisieren wollen. Dabei müssen wir auch untersuchen, ob die Dokumentationszeiten rechnerisch in der Pflegezeit belassen werden müssen. Das kann man auch anders regeln.
Es reicht nicht, Dokumentationspflichten im Pflegealltag zu verschieben, sondern es müssen echte Entlastungen her.
Es gibt auch keinen Dissens darüber, dass wir eine Dokumentationspraxis brauchen. Auch das ist notwendig und muss nach den rechtlichen Vorgaben gewisse Mindeststandards erfüllen.