Protocol of the Session on August 23, 2013

Das Hauptproblem an dieser Debatte ist nicht das Wegducken der Kanzlerin, sondern dass dies die Demokratie zutiefst beschädigt, und daran sollte keiner hier im Hause ein Interesse haben. Auch ich glaube, dass man vielleicht sogar einen guten gemeinsamen Antrag im Ausschuss hinbekommen kann, und unterstütze deshalb den Antrag des Kollegen Stegner auf Überweisung. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich dem eigentlichen Thema widme, möchte ich zwei Vorbemerkungen machen, die mich noch bewegen. Erstens. Kollege Andresen stellt sich hier hin und behauptet ohne jeden Beleg, dass millionenfach deutsche Geheimdienste rechtswidrig die Daten von deutschen Bürgern ausspionieren und damit Unsinn betreiben. Ich erwarte von dem Innenminister unseres Landes, der auch für Spionageabwehr zuständig ist, dass er dazu eine Erklärung abgibt, ob Erkenntnisse dieser Art vorliegen, dass deutsche Geheimdienste - BND, Verfassungsschutz - rechtswidrig millionenfach deutsche Bürger ausspionieren. Ansonsten, Herr Kollege Andresen, glaube ich nicht, dass es einem deutschen Parlamentarier ansteht, solche Behauptungen schlicht und einfach in den Raum zu werfen.

(Beifall FDP)

Zweitens. Lieber Kollege Dr. Stegner, Sie wissen wie ich auch, dass bei allem, was wir sonst an Streit haben, jedenfalls in Fragen der Innen- und Rechtspolitik in diesem Hause bis auf ganz wenige Ausnahmen in den letzten 20 Jahren Sozialdemokraten, Grüne und wir vernünftig zusammangearbeitet und immer versucht haben, den Rechtsstaat so weit wie möglich gegen Angriffe zu verteidigen. Deshalb warne ich dringend davor, einen Popanz aufzubau

en, bei dem wir den Menschen erklären müssen, wie wir ihn im Zweifel auflösen sollen.

Um es an einem Beispiel zu dokumentieren: Ich habe gesagt, der Innenminister ist für Spionageabwehr zuständig. Ich könnte einmal fragen, was unser Innenminister, was unsere Verfassungschutzabteilung getan hat, um uns davor zu schützen, dass millionenfach amerikanische Dienste Spionage in Deutschland betreiben, um Daten abzugreifen. Das bringt uns zu dem eigentlichen Problem. Wir müssen zunächst einmal sehen, dass verschiedene Rechtsordnungen aufeinandertreffen. Das, was die Amerikaner in den USA machen, entspricht der amerikanischen Gesetzgebung. Wir wussten das alles. Wir wissen seit 2008, dass die CIA seit 2008 von Gesetzes wegen beauftragt ist, Wirtschaftsspionage im Ausland zu betreiben, was Deutschland einschließt. Wir wissen, dass technische Möglichkeiten momentan fehlen, dem entgegenzuwirken. Das Einzige, was wir jetzt fordern könnten: Die Bundeswehr muss in Washington einmarschieren, wir besetzen die NSA und zerstören deren Computer. Das ist doch kein ernsthaftes Anliegen.

(Zuruf: Es funktioniert nicht!)

- Es funktioniert auch nicht. - Wir können doch nur versuchen, Standards, die wir für wichtig halten, mit den Amerikanern zu verhandeln und dann Kontrollmechanismen einzuführen - weil es nicht ausreichen wird, wenn wir behaupten, sie hielten sich schon jetzt nicht an unsere Überlegungen -, die dafür Sorge tragen, dass das, was an datenschutzrechtlichen Regelungen vereinbart worden ist, auch beachtet wird.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage des Kollegen Stegner?

Jederzeit gern.

Herr Kollege, gerade weil ich Ihre Vorbemerkung teile und es ein richtiger Popanz wäre, wenn es so wäre, wie Sie es beschrieben haben, aber finden Sie nicht - mehr habe ich nicht gesagt -, dass es für uns wichtig ist herauszufinden, ob Herr Snowden sozusagen nur Geheimnisverrat begangen hat, was in Amerika strafbar ist, oder ob er die Wahrheit gesagt hat? Mein Eindruck war jedenfalls, Herr Kubicki, dass uns diese Nachrichten überrascht haben, mich je

(Rasmus Andresen)

denfalls. Das mit dem Stand der Technik und dass wir mit den Amerikanern zur Terrorabwehr zusammenarbeiten, hat mich nicht überrascht. Aber dass dies in dem Maße stattfindet wie von Herrn Snowden behauptet, das ist die Überraschung. Meine Frage ist: Überrascht Sie das nicht, oder finden Sie nicht, dass wir das herausfinden sollten?

- Herr Dr. Stegner, zunächst einmal ist der Tatbestand des Geheimnisverrats daran geknüpft, dass das, was als Geheimnis verraten worden ist, auch wahr ist, sonst begehen Sie keinen Geheimnisverrat. Deshalb ist diese Frage kein Widerspruch. Sie fragen, ob Herr Snowden nur Geheimnisverrat begangen hat oder auch die Wahrheit gesagt hat. Er wird wahrscheinlich, wenn er die Wahrheit gesagt hat, Geheimnisverrat begangen haben, sonst kann er keinen Geheimnisverrat begehen.

(Beifall FDP)

Ich wundere mich aber, dass es Sie überrascht, dass es überhaupt jemanden überrascht, dass unsere amerikanischen Freunde weltweit, flächendeckend, und zwar schon vor 2001, alles, was sie an Daten bekommen können, auch abgreifen. Das kann man nachlesen, übrigens in der Berichterstattung des „Spiegel“ schon aus dem Jahr 2007, auch aus dem Jahr 1998. Ich bin darauf hingewiesen worden: Was glauben Sie denn, was die Amerikaner in Bad Aibling, der Radarstation in Bayern, treiben?

(Christopher Vogt [FDP]: Den Iran überwa- chen!)

Die unterhalten sich da wahrscheinlich mit dem BND über die Regeln des Skats, oder was glauben wir? Alles, was die können, werden sie tun. Die spannende Frage ist nur: Was tun wir dagegen? Was haben wir dagegen getan?

Ich kann noch einmal geschichtlich ausholen. Als Deutschland 1990 souverän wurde, gab es Verhandlungen. Die damaligen Besatzungsmächte Frankreich, Großbritannien und die USA wollten sich vorbehalten, von ihren Besatzungsrechten weiter Gebrauch machen zu können, den deutschen Kommunikationsverkehr einschließlich des Briefverkehrs unter Außerachtlassung unserer Verfassung zu überwachen. Das war denen bis 1990 übrigens erlaubt, weil sie Besatzungsmacht waren. Daraufhin hat sich die damalige schwarz-gelbe Regierung geweigert, dies zu tun, weil zur Souveränität eines Staates gehört, dass man ausländischen Diensten nicht erlaubt, auf dem eigenen Territorium Spionage zu betreiben.

Aus Gründen, die ich nachvollziehen kann - Sie auch -, ist genau dies im Jahre 2002 aufgeweicht worden. Warum? Weil klar geworden ist, dass nur mit einem Datenaustausch der Dienste untereinander und mit dem Erhebungsrecht der Amerikaner auch in Europa Terroranschläge wie die des Jahres 2001 künftig verhindert werden können.

Das Spannungsfeld Sicherheit und Freiheit besteht. Wir haben schon gestern darüber diskutiert, dass die Verhältnismäßigkeit manchmal komplett aus dem Ruder läuft. Wir wissen, dass alle Dienste, wenn sie Möglichkeiten erhalten - das ist gar nicht böse gemeint -, versuchen, sie immer weiter auszubauen und auszuweiten, und irgendwann einmal jedes Maß in Relation zum ursprünglichen Anlass verlieren. Das ist das Problem, vor dem wir momentan stehen.

(Beifall FDP)

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Stegner?

Ich stelle zunächst einmal fest, dass Sie ausdrücklich das bestätigt haben, was ich vorhin selbst festgestellt habe, nämlich dass, wenn Herr Snowden wegen Geheimnisverrats belangt wird, offenkundig das, was er behauptet, zutreffen wird. Nichts anderes habe ich vorhin gesagt. Dann ist es übrigens auch kein Popanz.

Aber die Fragen, die ich gestellt habe, wenn ich es richtig verfolgt habe, zum Beispiel an Herrn Friedrich, sind doch die gleichen Fragen, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger in der Öffentlichkeit auch gestellt hat, übrigens völlig zu Recht.

Mich überrascht schon, Herr Kollege Kubicki - das war mir jedenfalls neu -, dass zum Beispiel die EU-Vertretung ausgespäht wird. Ich finde es nicht selbstverständlich, wenn es zutreffen sollte und dies der Fall ist. Davon habe ich gehört. Das konnte man lesen. Es ist nicht dementiert worden.

Die Tatsache, dass die Amerikaner in der Tat jede Menge Daten verwenden, ist uns allen seit Jahrzehnten bekannt. Was für mich jedenfalls neu war - ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie sagen, Sie wussten das alles schon; Sie wissen ja vieles besser als andere -, war, dass die Kommunikation deutscher Staatsbürger von ausländischen Geheimdiensten

(Wolfgang Kubicki)

systematisch abgeschöpft wird. Das war mir bisher neu. Wenn Sie sagen, Sie wissen das schon, das muss man wissen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Für mich war es ein neuer Umstand.

Es hat nichts mit den Rechten zu tun, die sich die Amerikaner seit dem Zweiten Weltkrieg sozusagen genommen haben, und es hat auch nichts damit zu tun, was Herr Steinmeier 2001 vereinbart hat, als es darum ging, Terrorismusabwehr zu betreiben. Aber Sie können uns aufklären. Ich bin auch interessiert zu wissen, was daran ein Popanz sein soll, wenn man die gleichen Fragen stellt, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger öffentlich auch stellt.

Herr Kollege Dr. Stegner, zunächst einmal weiß ich es nicht besser, es überrascht mich nur nicht, genauso wenig wie es mich überrascht hat, in welchem Umfang die Stasi Kommunikationsverkehr in Deutschland abgeschöpft hat. Ich sage einmal, es würde mich auch nicht überraschen, wenn wir demnächst feststellten, dass unsere chinesischen Geschäftspartner aus welchen Gründen auch immer in der Lage sind oder sich in die Lage versetzen, entsprechende elektronische Daten zu erheben, die heute auf einen Stick passen, wenn überhaupt, oder die Sie mit einem Klick bekommen können, während Sie früher Lastwagen brauchten, um sie in entsprechender Weise abzuschöpfen. Das ist nicht meine Frage. Meine Frage ist: Was tun wir dagegen? Was können wir dagegen tun?

Wenn Sie sagen, die Bundesregierung solle Fragen beantworten, dann machen Sie genau das Gleiche, was Sie jetzt eigentlich auch tun. Sie sagen, wir wissen es nicht, wir fragen unsere amerikanischen Freunde, und wir sind darauf angewiesen, dass sie uns die Wahrheit sagen. Kontrollieren können wir das im Zweifel auch nicht.

Deshalb ist die Frage: Was lernen wir als Konsequenz daraus? Was machen wir damit? Diese Frage sollten wir intensiver diskutieren als die Frage: Wenn Angela Merkel Obama einen Brief schreibt, fängt der an zu zittern, ja oder nein? Oder wenn wir sagen: Ralf Stegner fährt nach Washington und wird mit dem NSA-Chef reden, dann schalten die jetzt die Geräte ab? Wer so blauäugig ist, Herr Dr. Stegner, der hat im politischen Bereich nichts zu suchen.

- Noch einen Punkt, Frau Präsidentin, dann lasse ich eine weitere Zwischenfrage zu. Der Kollege Andresen bläst sich hier auf wie nichts Gutes. Die Grünen verlangen eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, weil sie eine Vielzahl von Fragen haben, die unsere Verfassungsschutzabteilung zu diesem Komplex beantworten soll. Was stellen wir fest? Fragen: null. Wenn nicht zumindest der Kollege König intelligenterweise zwei Fragen gestellt hätte, hätten wir uns gestern Morgen gefragt: Was machen wir da eigentlich? Das zeigt, welch öffentlicher Popanz hier aufgebaut wird. Wenn es darum geht, Informationen zu bekommen, wird es nicht eingelöst.

(Beifall FDP und CDU - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tagen wir nicht geheim?)

- Aber die Information, dass ich keine Frage gestellt habe, unterliegt mit Sicherheit nicht der Geheimhaltung. Das streite ich gern vor Gericht aus. Kein Problem.

Gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Kollegen Breyer?

Herr Kollege Kubicki, meine Frage betrifft gar nicht den Umstand, dass die Vertraulichkeit von Sitzungen hier sehr selektiv nach Parteien gehandhabt wird. Meine Frage ist zweigeteilt. Sie haben in der Antwort auf die Frage des Kollegen Andresen die Praktiken der deutschen Geheimdienste verteidigt. Halten Sie es für völlig unbedenklich, oder können Sie bestätigen, dass der BND millionen- und abermillionenfach Korrespondenz in Form elektronischer Post deutscher Bürger mit ausländischen Kommunikationspartnern ohne jeden Anlass auf bestimmte Schlüsselworte durchsucht, oder wie ist Ihre Position dazu?

Zweite Frage: Sie haben nach den Konsequenzen gefragt, die wir daraus ziehen. Unterstützen Sie die Forderung der Piratenpartei, die Zusammenarbeit beim Informationsaustausch mit Staaten, die keinen gleichwertigen oder überhaupt nennenswerten Grundrechts- und Datenschutz haben, außer in Notfällen sofort einzustellen?

Wollen Sie mit Staaten wie den USA zusammenarbeiten, die Informationen einsetzen, um Menschen zu entführen, in Folterstaaten

(Vizepräsidentin Marlies Fritzen)

zu verbringen, gar gezielt zu töten oder auch Menschen massenhaft auszuspionieren? Halten Sie die systematische Zusammenarbeit mit solchen Staaten für in Ordnung?

- Zur ersten Frage, Herr Kollege Dr. Breyer: Bei Ihnen intendiert schon wieder die Behauptung, dass deutsche Dienste illegalerweise tätig geworden seien.

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Habe ich nicht gesagt!)

- Illegalerweise!

(Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Habe ich nicht gesagt!)

- Illegalerweise! Millionenfach seien deutsche Daten abgeschöpft worden, illegalerweise. Das hat der Kollege Andresen gesagt. Sie insinuieren jetzt, dass der Bundesnachrichtendienst, wenn er tätig wird, das ohne gesetzliche Grundlage macht oder gegen gesetzliche Vorgaben. Das bestreite ich. Dafür gibt es nicht einen einzigen Beleg. Deshalb sollten solche Behauptungen auch nicht in den Raum gestellt werden.

(Beifall FDP und CDU)

Zur zweiten Frage: Wir unterstützen die Zusammenarbeit mit allen Staaten, mit denen wir uns im Bündnis befinden. Ansonsten müssten wir das Bündnis verlassen.