Protocol of the Session on August 23, 2013

Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich das gerade nicht richtig verstanden habe: Wollen Sie die Vorratsda

(Dr. Ralf Stegner)

tenspeicherung modifizieren oder abschaffen? Ich habe „modifizieren“ verstanden.

- Ich habe gesagt: Wir haben eine europäische Richtlinie. Diese gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Sie wird gegenwärtig von zwei oder drei Ländern nicht angewandt; alle anderen wenden sie an. Die Bundesrepublik Deutschland sollte aus meiner Sicht darauf hinwirken, dass diese Richtlinie verändert wird; denn das, was dort drinsteht - sechs Monate anlasslose Vorratsdatenspeicherung -, ist für die Zwecke, über die wir hier reden, und unter entsprechenden Kontrollen nicht erforderlich. Deswegen bin ich dafür, diese Richtlinie zu ändern.

Wenn Sie mich aber fragen, ob die Bundesrepublik Deutschland europäisches Recht anwenden sollte ja oder nein -, wenn die Mehrheit sich anders entscheidet, dann würde ich als jemand, der ein Rechtsstaatsverständnis hat, sagen: Ich finde, dass europäisches Recht in Deutschland angewandt werden muss. Aber ich möchte es gern in dem Sinne verändern, wie ich versucht habe, es hier auszuführen.

Ich will noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, der eben bei der Rede von Herrn Bernstein eine Rolle gespielt hat. Entweder haben wir eine schlechte Regierung, die nichts weiß und der die Geheimdienste auf der Nase herumtanzen, oder wir haben eine Regierung, die die Bürgerinnen und Bürger belügt. Ich weiß nicht, was mir da lieber sein soll. Das aber ist die Deutung, zu der man kommen muss, wenn man Herrn Pofalla zuhört. Man sagt Herrn Oppermann Dinge nach, und man versucht, Frank-Walter Steinmeier für Vorgänge, die über zehn Jahre zurückliegen, zu diffamieren und ihm den Mund zu verbieten. Ich kann nur sagen: Wer so handelt, der will nicht aufklären.

Im Übrigen will ich deutlich sagen, dass ich die antiamerikanischen Töne in der Debatte völlig unangebracht finde. Solche Töne habe ich auch nicht verwendet. Dass nach den schrecklichen Anschlägen von 2001 - der Attentäter kam übrigens aus Hamburg - gegen die terroristische Bedrohung eng mit befreundeten Geheimdiensten - also geheim zusammengearbeitet werden musste, ist nicht kritikwürdig. Das war notwendig. Die Verfassungsschutztätigkeit ist notwendig, sie ist nicht kritikwürdig. Man muss nur eine entsprechende parlamentarische Kontrolle haben, wie es sie im Land Schleswig-Holstein übrigens gibt. Dies möchte ich ausdrücklich hinzufügen.

Das ist aber etwas völlig anderes als die massenhafte Ausspähung der Kommunikationsdaten deutscher Bürger mit einer Spähsoftwaretechnik aus dem Jahr 2013. Das ist etwas vollkommen anderes als das, worüber wir im Kontext mit den Vorfällen aus dem Jahr 2001 reden.

Meiner Meinung nach muss gehandelt werden. Die Gremien, die unbestritten im Geheimen arbeiten müssen, dürfen sich nicht verselbstständigen. Ich glaube, eine parlamentarische Kontrolle muss überall eng gefasst und intensiviert werden, wie das hier der Fall ist.

Es ist ein schlechter Scherz, wenn die Bundesregierung, die in der Europäischen Union über Jahre hinweg ein Datenschutzabkommen blockiert hat, jetzt - wenige Wochen vor der Bundestagswahl behauptet, sie wolle ein solches Datenschutzabkommen. Im Übrigen sage ich: Die Versicherung, man spioniere sich nicht gegenseitig aus, ist - so finde ich - nicht ausreichend. Wenn ich dann höre, dass auch die EU-Vertretung abgehört wird, dann hat das mit diesen Zwecken wirklich nichts zu tun und ist in keiner Weise zu rechtfertigen.

(Beifall PIRATEN)

Ich glaube, dass sich die Bundeskanzlerin hier wegduckt. Warum verhandelt sie nicht mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten darüber? - Wenn Chefs von Spionagediensten ein Anti-Spionage-Abkommen aushandeln, dann ist - so glaube ich - ein gesundes Misstrauen nicht fehl am Platz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Schlussfolgerung daraus zu ziehen, ist deshalb schwer, weil wir vieles noch nicht wissen. Ich glaube, dass unser Antrag darauf hinweist, was man jetzt feststellen kann. Ich bleibe bei dem, was ich hier schon mehrfach gesagt habe: Ich glaube, Transparenz ist Voraussetzung für Vertrauen. In dieser Überzeugung sollten wir mit diesem Thema umgehen. Daher freue ich mich über die Debatte, die wir haben. Im Grunde liegen viele Positionen nicht weit voneinander entfernt. Ich meine, man müsste dann, wenn man die Anträge an die Ausschüsse überweist, in der Lage sein, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen. Das würde ich mir jedenfalls wünschen. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

(Dr. Ralf Stegner)

Für die Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Kollegen Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! 1984 war nicht als Anleitung gedacht; dieses Motto der Bürgerrechtsbewegung ist aktueller denn je. Man kann alle Bürgerinnen und Bürger nur dazu aufrufen, am 7. September 2013 in Berlin an der Freiheit-statt-Angst-Demo teilzunehmen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Durch PRISM ist der US-Geheimdienst NSA in der Lage, mittels Onlinedienstleistern wie Facebook oder Google auf sensible Daten deutscher Bürgerinnen und Bürger zuzugreifen. Das britische Programm Tempora greift die Daten direkt an den Seekabeln in Südengland ab, und zwar ohne Abwägung und ohne Verdacht. Wenn die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Vorratsdatenspeicherung wie eine Sense durch die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger schlug, so sind die Programme PRISM und Tempora die Mähdrescher.

US-amerikanische und britische Geheimdienste sind in der Lage, alle Daten mit Auslandsbezug also deutsche Bürgerinnen und Bürger - in einem unbekannten Ausmaß auszuspionieren. Es zeichnet sich ein Bild ab, dass Geheimdienste einfach die Verfassung des jeweils anderen Landes brechen und diese Daten dann untereinander austauschen, und zwar unter anderem mit dem sich beim deutschen Verfassungsschutz in der Testphase befindlichen Programm XKeyscore. Damit sind die Geheimdienste in der Lage, Facebook-Chats, Mails, Bilder, Videos, Messenger-Nachrichten, Skype-Telefonate und vieles mehr live und in Echtzeit nachzuvollziehen und zu speichern.

Genau darum geht es: Die aktuelle Spähaffäre ist nichts, was uns allein böse Geheimdienste aus dem Ausland eingebrockt haben. Unsere eigenen Geheimdienste mischen munter mit. Unter dem Verweis auf strenge Geheimhaltungsstufen wird nicht nur der Bevölkerung viel verheimlicht, sondern auch uns als Abgeordneten. Auf meine Kleine Anfrage von Anfang Juni habe ich leider nur sehr unbefriedigende Verweise auf das Parlamentarische Kontrollgremium erhalten. Damals war von

XKeyscore und der Reichweite der Geheimdienstarbeit noch nichts beziehungsweise nur sehr wenig bekannt. Da wir Grüne uns aber nicht so einfach damit abfinden wollen, haben wir kürzlich eine Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums beantragt, und die Kollegen Ströbele und Konstantin von Notz haben Anfang der Woche im Deutschen Bundestag eine 100 Fragen schwere Anfrage an die Bundesregierung eingereicht.

Während auch deutsche Geheimdienste Bürgerinnen- und Bürgerrechte verletzen und massiv in der Privatsphäre schnüffeln, können sie in ihrer eigenen Struktur nicht intransparent genug sein. Diese Form der Geheimdienstarbeit muss der Vergangenheit angehören. Unsere Geheimdienste gehören dringend reformiert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Auch die Pläne des BND zur Ausweitung der Onlineüberwachung müssen beendet werden. Die Vorratsdatenspeicherung ist nichts anderes als eine weitere verfassungswidrige Einschränkung von Freiheitsrechten. Sie muss ein für allemal entsorgt werden. Ich bin froh, dass wir als Koalition im Koalitionsvertrag dazu ein deutliches Nein formuliert haben. Der Kollege Stegner hat dies gerade angedeutet. Daran ändern auch aktuelle Äußerungen beispielsweise von BKA-Chef Ziercke rein gar nichts.

Das Parlamentarische Kontrollgremium ist ein Hinterzimmertreffen. Gerade zu der Spähaffäre müssen die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums die Öffentlichkeit oder zumindest ihre Fraktionen stärker informieren dürfen. Wir unterstützen den Antrag der PIRATEN dahin gehend, dass eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein guter Schritt hin zu einer vertrauenswürdigeren Kommunikation mit öffentlichen Institutionen des Landes ist.

(Beifall PIRATEN)

Das Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und öffentlichen Institutionen ist ein unschätzbar hohes Gut. Wie wir alle wissen, ist einmal verloren gegangenes Vertrauen schwer wiederherzustellen.

(Beifall Uli König [PIRATEN])

Die CDU-Fraktion hier im Haus beschränkt sich darauf, in Pofalla-Manier Aktivität vorzutäuschen, Herr Kollege Bernstein. Das ist ein Änderungsantrag ohne Änderungen. Er ist lediglich ein Loblied auf Frau Merkels Fortschrittsbericht. Was ist dieser Fortschrittsbericht mehr als ein neunseitiges Papier voll mit vagen außenpolitischen Initiativen und vor

sichtiger Zukunftsmusik? - Das bleibt offen. Die Abhörprogramme laufen währenddessen aber weiter. Der Bereich der Geheimdienste wird in diesem Bericht gar nicht angegangen.

Statt zahnlose Pseudoabkommen sollte die Bundesregierung lieber die Verhandlungen über die Freihandelszone mit den USA mit einem Abkommen zum Datenschutz verknüpfen. Das wäre wirksam.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zu- ruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ich glaube, Sie kommen gleich noch dran.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Herr Kollege Andresen, Sie haben eben so schön zum Rundumschlag gegen alle Überwachungsgesetze und -maßnahmen ausgeholt. Wie können Sie dies damit in Einklang bringen, dass die Grünen im Deutschen Bundestag in den letzten zehn Jahren 14 Überwachungsgesetzen zugestimmt haben und dass Sie hier im Landtag einem Gesetz zur Bestandsdatenauskunft zugestimmt haben, das unter anderem die Identifizierung von Internetnutzern zur Verhinderung von Sachbeschädigung vorsieht?

- Die meisten der Gesetze, die Sie gerade mit Bezug auf den Deutschen Bundestag angesprochen haben, wurden manchmal leider auch mit grüner Beteiligung beschlossen. Diese sind aber nach den Terroranschlägen von 2001 auf das World Trade Center beschlossen worden. Der Kollege Stegner hat dies angesprochen. Sie wissen genauso gut wie ich - und vielleicht sogar besser -, dass die Stimmung damals nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in der Öffentlichkeit mit Blick auf die Freiheitsrechte ziemlich schlecht war. Ich erinnere aber auch daran, dass die rot-grüne Landesregierung zum damaligen Zeitpunkt - anders als viele andere Landesparlamente - viele Gesetze mit einer zeitlichen Befristung ausgestattet und dort zumindest ein bisschen weiser gehandelt hat, als es die Kollegen in anderen Landesparlamenten getan haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Breyer, Sie bleiben stehen. Heißt das, Sie haben eine weitere Zwischenfrage? - Nein. Dann frage ich den Kollegen Andresen, ob er eine Zwischenbemerkung oder -frage des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner gestattet.

Herr Kollege Andresen, können Sie sich - ebenso wie meine Wenigkeit - noch daran erinnern, dass wir vor allem eine Personenidentifizierung bei den Bestandsdaten nur dann erlauben, wenn eine Gefahr für Leib, Leben oder persönliche Freiheit besteht oder bei besonders schweren Gefahren im Umweltbereich, bei denen es noch andere Folgen gibt? - Stimmen Sie mir zu, dass dies etwas anderes ist als eine Sachbeschädigung unter anderem mit richterlicher Überprüfung?

- Ich kann mich vielleicht nicht ganz so gut wie Sie daran erinnern, weil Sie sich meistens ein bisschen besser an die Gesetzentwürfe erinnern können. Ich kann mich aber ähnlich gut erinnern. Ich weise darauf hin, dass es nicht von ungefähr kommt, dass die PIRATEN kurz vor der Bundestagswahl probieren, nach jedem Strohhalm zu greifen.

Jetzt hat Herr Abgeordneter Dr. Breyer doch noch eine Frage. Möchten Sie diese zulassen?

Kein Problem.

Danke, das ist eher eine Zwischenbemerkung. Ich möchte der allgemeinen Erinnerung ein bisschen auf die Sprünge helfen und daran erinnern, dass die Identifizierung von Internetnutzern auch zur Abwehr einer Gefahr eines Schadens für Sach- oder Vermögenswerte zugelassen wurde.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Ich glaube, diese Debatte führen wir am Rande des Plenums weiter. - Ich komme zum Schluss mei

(Rasmus Andresen)

ner Rede. Ich glaube, wir müssen uns den Herausforderungen der aktuellen Spähaffäre stellen. Sowohl der Landtag als auch alle anderen öffentlichen Institutionen des Landes und auch des Bundes müssen respektvoll und angemessen mit dem entgegengebrachten Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern im Lande schuldig.

Das Hauptproblem an dieser Debatte ist nicht das Wegducken der Kanzlerin, sondern dass dies die Demokratie zutiefst beschädigt, und daran sollte keiner hier im Hause ein Interesse haben. Auch ich glaube, dass man vielleicht sogar einen guten gemeinsamen Antrag im Ausschuss hinbekommen kann, und unterstütze deshalb den Antrag des Kollegen Stegner auf Überweisung. - Vielen Dank.