Protocol of the Session on June 18, 2013

Die Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung des Vollzugs des Jugendarrests ergibt sich aus den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Grundlagen von freiheitsentziehenden Sanktionen stellt. Neben der Schaffung formal ausreichender Normen besteht die Notwendigkeit, ein zeitgemäßes erziehungswissenschaftlich fundiertes und auf möglichst nachhaltige Wirkung ausgerichtetes Konzept für die Durchführung des Jugendarrests vorzulegen.

Wir haben uns den noch von der alten Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf sehr genau angesehen. Unsere Einschätzung war, dass dieser Entwurf zu sehr am Jugendstrafvollzugsgesetz orientiert war. Nach der Auswertung des Anhörungsverfahrens haben wir daher im Rahmen eines im November 2012 veranstalteten Symposiums auch externen Sachverstand einbezogen - sowohl aus der Justiz als

(Minister Reinhard Meyer)

auch aus Jugendhilfe und Erziehungswissenschaften. Alle rechtspolitischen Sprecher dieses Hauses waren dazu eingeladen.

Insbesondere ist im gesamten Beratungsprozess unsere Jugendarrestanstalt sehr eng einbezogen worden. Der Gesetzentwurf kodifiziert nicht nur das, was bereits geübte Praxis in unserer Jugendarrestanstalt in Moltsfelde war. Vielmehr hat schon der Beratungsprozess zu einer Weiterentwicklung der Arrestpraxis geführt. Diese Weiterentwicklung soll durch das Gesetz stimuliert und weitergetragen werden.

Zunächst ist es unser Anliegen, den Jugendarrest deutlich vom Jugendstrafvollzug abzusetzen. Dass der Jugendarrest als sogenanntes Zuchtmittel in jeder Hinsicht etwas anderes als der Vollzug einer Jugendstrafe ist, muss hier nicht näher erläutert werden. Wichtig ist jedoch, sich zu vergegenwärtigen, dass die soziale Belastung, die die Jugendlichen im Arrest erfahren, eine ganz andere ist als bei den jungen Menschen, die zu einer Jugendstrafe verurteilt werden. Auch die Vollzugszeiten unterscheiden sich deutlich: maximal vier Wochen beim Jugendarrest, mindestens sechs Monate bei der Jugendstrafe. Dies bedeutet, dass bei der Jugendstrafe ganz andere Einwirkungsmöglichkeiten vorhanden sind, aber auch ganz andere Belastungen durch den Freiheitsentzug entstehen.

Meine Damen und Herren, schon beim Lesen des Gesetzes soll deshalb erkennbar sein, dass Jugendarrest kein kleiner Strafvollzug ist, sondern etwas anderes, Eigenständiges.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Im Gesetzestext wird beispielsweise der Begriff Vollzug vermieden. Auch die sonstigen Anleihen aus dem Jugendstrafvollzugsgesetz sind so gering wie möglich gehalten.

Im Übrigen setzt der Gesetzentwurf konsequent das Trennungsgebot um. Die Jugendarrestanstalt muss organisatorisch selbstständig sein. Sie darf weder auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt liegen, noch dürfen in ihr andere Vollzugsarten durchgeführt werden. Ausnahmen sind auf zeitlich befristete Einzelfälle des Jugendstrafvollzugs beschränkt.

Am Wichtigsten ist uns aber die pädagogische Ausrichtung des Gesetzes. Das Jugendgerichtsgesetz bestimmt, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts erneuten Straftaten des Jugendlichen entgegenwirken soll. Verfahren und Rechtsfolgen sind am Erziehungsgedanken auszurichten. Auch

für den Vollzug des Jugendarrests bestimmt das Jugendgerichtsgesetz, dass dieser erzieherisch auszugestalten ist. Diesen Erziehungsauftrag nehmen wir sehr sehr ernst.

Ich möchte das anhand einiger weniger Punkte verdeutlichen. Das neue Gesetz wird den Austausch mit Jugendhilfe und Erziehungswissenschaften fördern. Beispielsweise ist vorgesehen, dass die Anstalt ein pädagogisches Gesamtkonzept erarbeitet, das Aussagen zu allen Aspekten der Arrestgestaltung enthält, nicht nur zu den pädagogischen Angeboten, sondern insgesamt zu der Organisation des Arrests, beispielsweise der Raumgestaltung, den Dienstplänen und der Personalauswahl. Denn alle diese Aspekte haben pädagogische Implikationen.

Im Strafvollzug sprechen wir davon, wie wichtig das sogenannte Übergangsmanagement für eine gelingende Wiedereingliederung ist. Den Jugendarrest wollen wir dagegen als Durchgangsmanagement verstehen. Wir sehen ihn als Teil eines Betreuungskontinuums, denn fast alle Jugendlichen, die hier herkommen, werden bereits vom Jugendamt betreut. Viele werden nach dem Arrest noch Hilfe und Betreuung brauchen. Deshalb ist es wichtig, einen stärkeren Austausch mit den Ämtern und Trägern hinzubekommen, und zwar in beide Richtungen.

Wir wollen die Zeit im Arrest auch dazu nutzen, einen eventuell weiterbestehenden Betreuungsbedarf zu klären. Wenn ein solcher besteht, wäre es gut, den Jugendlichen, soweit dies nötig und möglich ist, bei der Initiierung einer solchen Hilfe zu unterstützen, etwa Kontakt zu einem Amt oder Träger aufzunehmen, den Jugendlichen dort eine Vorstellung zu ermöglichen oder ein Treffen mit einer Fachkraft in der Anstalt zu arrangieren. Wir wollen die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen positiv gestalten.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

Diesem Verständnis einer zeitgemäßen Pädagogik entspricht es auch, die Jugendlichen nicht als Unterworfene zu begreifen, sondern als Subjekt mit Rechten und natürlich auch mit Pflichten. Selbstverständlich brauchen wir Regeln und erwarten von den Jugendlichen, dass diese sie auch einhalten. Wo es um das Miteinander geht, sollen die Jugendlichen aber auch in die Gestaltung einbezogen werden. Das - so bin ich sicher - wird die Akzeptanz der Regeln fördern.

Auch der Blick auf die Eltern hat sich verändert. Wir müssen daran denken, dass die Eltern die Ju

(Ministerin Anke Spoorendonk)

gendlichen nach dem Arrest wieder begleiten. Wenn sich die Chance ergibt, mit ihnen in Kontakt zu kommen oder gar mit ihnen zu arbeiten, sollte diese Chance genutzt werden.

Ein weiteres Anliegen unseres Entwurfs ist es schließlich, die Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen auf das Erforderliche und Angemessene zu begrenzen. Bei einer maximalen Vollzugszeit von vier Wochen stellen sich hier ganz andere, nämlich geringere Anforderungen als im Strafvollzug. Wenn Jugendliche erkranken oder auch, wenn sie sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befinden und nicht mehr pädagogisch erreichbar sind, wird die Vollstreckung unterbrochen. Die Vollstreckung wird dann in der Regel nach einer Woche fortgesetzt. Dieses Vorgehen ermöglicht einerseits, besondere Härten in der Vollstreckung oder eine Eskalation in der Anstalt zu vermeiden, zeigt aber zugleich, dass die Justiz konsequent ihren Vollstreckungsanspruch aufrechterhält.

Ich glaube, wir haben damit einen guten und von der Praxis akzeptierten Weg gefunden. - Danke sehr.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um 2 Minuten 30 Sekunden überschritten. Diese Zeit steht jetzt natürlich auch allen anderen Fraktionen zur Verfügung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Muss aber nicht!)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Barbara Ostmeier.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zentrales Thema des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Fragestellung, wie wir den Arrest von Jugendlichen in Schleswig-Holstein so ausgestalten, dass möglichst viele Betroffene den Weg heraus aus dem kriminellen Umfeld finden. Aus diesem Grund begrüße ich, dass die Landesregierung sich des Themas angenommen und heute einen Vorschlag für ein Gesetz über den Vollzug des Jugendarrests vorgelegt hat. Denn auch wenn das Bundesverfassungsgericht den bestehenden Regelungszustand bislang noch nicht beanstandet hat, müsste es doch aufgrund der Bedeutung des Arrests im System des Jugendstrafrechts sowie der Verfassungsrechtspre

chung in anderen Bereichen des Strafvollzugs geboten sein, auch diesen Bereich so zu gestalten, dass er ausreichend Rechtssicherheit bietet.

Ohne Frage: Der Jugendarrest ist die Reaktion auf jugendliches Fehlverhalten in Form des Freiheitsentzuges. Es ist ein Zuchtmittel, wenn Verwarnungen und Auflagen allein nicht mehr ausreichen, und es ist die letzte Haltestelle vor der Jugendstrafe. Der Bundesgesetzgeber hat mit der Einführung des § 16 a Jugendgerichtsgesetz die Bedeutung des Arrests weiter verstärkt und gleichzeitig seine Funktion hervorgehoben. Er dient dazu, jugendlichen Straftätern die möglichen Folgen weiterer Taten vor Augen zu führen und ihnen einen Einblick in das zu verschaffen, was ihnen bei der Fortsetzung einer kriminellen Laufbahn droht.

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU] und Petra Ni- colaisen [CDU])

Ohne Frage muss es darüber hinaus Ziel des Arrests sein, den Arrestantinnen und Arrestanten einen Weg aus der Kriminalität aufzuzeigen, praktische Lebenshilfen anzubieten und Chancen der sozialen Integration nach der Entlassung nicht nur aufzuzeigen, sondern bestenfalls zu erhöhen. Auch an dieser präventiven Zielsetzung muss sich die Ausgestaltung des Arrests orientieren. Dies bedeutet, dass eine pädagogisch gestaltete Vollstreckung erforderlich ist, die auf eine Betreuung während des Vollzugs und danach ausgerichtet ist und den Jugendlichen Perspektiven abseits kriminellen Handelns aufzeigt.

Auffällig an dem vorliegenden Gesetzentwurf ist allerdings, dass die Landesregierung beide Aspekte nicht gleichwertig nebeneinanderstellt, sondern die Schwerpunktsetzung ausschließlich in Richtung auf eine sozialpädagogisch integrative Ausrichtung vornimmt.

Mit Erlaubnis des Landtagspräsidenten - die Ministerin hat selbst darauf hingewiesen - möchte ich an dieser Stelle aus den Erläuterungen zum vorliegenden Gesetzentwurf nur folgenden Satz sinngemäß zitieren:

„Um die primär pädagogisch orientierte Ausrichtung zu verdeutlichen und eine klare Abgrenzung zum Jugendstrafvollzug vorzunehmen, wird im weiteren Gesetzestext nach Möglichkeit der Begriff ‚Vollzug’ vermieden.“

Ich erlaube mir zu fragen, ob der Begriff Durchgangsmanagement tatsächlich ein Begriff ist, der der Wichtigkeit dieser Aufgabe gerecht wird. Ge

(Ministerin Anke Spoorendonk)

nau über diese neue einseitige Schwerpunktsetzung werden wir sachlich und politisch in Dialog miteinander ins Gespräch kommen müssen. Im Innenund Rechtsausschuss werden wir einiges ausführlich betrachten müssen.

Lassen Sie mich die heutige erste Lesung nutzen, um den einen oder anderen Aspekt aufzuzeigen, der von wesentlicher Bedeutung für mich und die CDU-Landtagsfraktion ist. Bei allem Verständnis für die präventive und soziale Ausrichtung gerade im Jugendarrest werden wir den Gesetzentwurf eben genau daraufhin zu prüfen haben, ob er der Gratwanderung zwischen Abschreckung vor den Konsequenzen weiterer Straftaten und dem Aufzeigen von Zukunftsperspektiven gerecht wird.

Wir werden den Katalog der vorgeschlagenen Maßnahmen, von der gemeinsamen Arrestplanung mit dem Jugendlichen über die Einbeziehung von Familie, Jugendamt und anderen Trägern und die Ausgestaltung der Arrestzeit bis hin zur Initiierung von Förderangeboten und Betreuungsmaßnahmen für die Zeit nach dem Arrest inklusive Schlussbericht, darauf zu prüfen haben, ob jede einzelne Maßnahme in Relation zur Kürze der Arrestdauer leistbar und dementsprechend effektiv ist.

(Beifall CDU)

Wichtig wird auch weiterhin bleiben, dass der Vollzug von Arrest in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Tat und zur Verurteilung erfolgt. Nur wenn der Zeitraum zwischen Tat und Folge kurz genug ist, verinnerlicht ein Jugendlicher den Zusammenhang zwischen seinem Handeln und der verhängten Sanktion.

Erlauben Sie mir schließlich noch einen Hinweis: Der Gesetzentwurf beziffert die jährlichen Mehrkosten für den Haushalt auf rund 170.000 €. Hinzu kommen einmalig weitere 50.000 € für Sachkosten. Ob die Kalkulationen des Justizministeriums tragfähig sind - sie erscheinen mir sehr optimistisch -, wird ebenfalls noch zu klären sein. Wir wissen alle, dass der Justizhaushalt wenig Spielräume aufweist. Dies hat die jüngste Debatte über die zeit- und wirkungsgleiche Übernahme des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst ebenso beeindruckend vor Augen geführt wie die veränderten Rahmenbedingungen der Sicherungsverwahrung.

Bei dem Ziel sind wir uns einig: Die Verhängung des Jugendarrests sollte für den Jugendlichen die erste und letzte Erfahrung mit einem Freiheitsentzug als Folge kriminellen Verhaltens sein. Über den erfolgversprechendsten Weg dahin werden wir reden müssen.

Im Gegensatz zum Verfahren beim Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz haben wir dieses Mal keine Zeitnot, sodass wir die Möglichkeit nutzen können, intensiv und mit der nötigen Tiefe alle aufkommenden Fragen zu behandeln. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Thomas Rother.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat brauchen wir aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht schon vor sieben Jahren formulierten Anforderungen ein Jugendarrestvollzugsgesetz. Bereits Justizminister Schmalfuß hatte Anfang 2012 einen ersten Entwurf vorgelegt, um diese Gesetzeslücke zu schließen. Frau Ministerin Spoorendonk hat darauf hingewiesen, dass dieser Entwurf nach einer Veranstaltung im November 2012 mit zahlreichen Anregungen aus Fachkreisen überarbeitet wurde. Es war erstaunlicherweise so, dass auch diejenigen, die den Schmalfuß-Entwurf damals begrüßt haben, nun zur Überarbeitung des gleichen Entwurfs beigetragen haben. Das mag vielleicht ein Indiz dafür sein, dass vom Justizministerium aus jetzt ein etwas freierer Wind weht.

Grundsätzlich möchte ich darauf hinweisen, dass es gute Gründe gibt, die Sinnhaftigkeit eines Jugendarrestes, der maximal vier Wochen dauern darf, anzuzweifeln - vom sogenannten Warnschussarrest ganz zu schweigen. Haft beziehungsweise Arrest vermeidende Maßnahmen sollten immer vorrangig betrachtet werden. Auch wenn manche Kommunen - aus der Praxis kennen wir das vielfach erzieherische Maßnahmen aus Kostengründen nicht so intensiv verfolgen, wie es wünschenswert wäre, hat dies aus meiner Sicht immer Vorrang.

Unabhängig davon wäre es gut zu wissen, wie hoch die aktuelle Rückfallquote bei den Arrestantinnen und Arrestanten ist, um einen Erfolgsindikator für den bisherigen Vollzug zu haben. Ältere Untersuchungen gehen von einer Rückfallquote von rund 70 % aus. Das ist Grund genug, das Instrument des Jugendarrestes und seine bisherige Konzeption kritisch zu hinterfragen. Frau Spoorendonk hat in ihrer Rede auf die Nachhaltigkeit der Maßnahmen hingewiesen, und auch Frau Ostmeier hat davon gesprochen, dass das die erste und letzte Erfahrung sein

(Barbara Ostmeier)

sollte. Bei einer Rückfallquote von 70 % kann man davon eigentlich nicht reden.