Weil Sie aber genau dies unterlassen haben, wehrt sich die Polizei verständlicherweise gegen die Kennzeichnungspflicht. Sie versteht die Kennzeichnungspflicht so, wie sie im Koalitionsvertrag allein nachzulesen ist, berechtigterweise als Affront und als Ausdruck eines in der Regierung angekommenen Generalverdachts. Das ist sie aber nicht. Hätten Sie in dem Koalitionsvertrag beispielsweise klargestellt, dass die Ausübung unmittelbaren Zwangs ein Verwaltungsakt darstellt, der genauso nachvollziehbar sein sollte wie jeder andere Verwaltungsakt, hätte das vielleicht hilfreich sein können. Noch besser wäre es gewesen, wenn Sie die Schutzrechte, die Persönlichkeitsschutzrechte der Polizistinnen und Polizisten, erkennbar mit eingearbeitet hätten.
Der Persönlichkeitsschutz der Polizistinnen und Polizisten ist aus unserer Sicht am besten dadurch gewährleistet, dass die alphanumerische Kennzeichnung und die Auflösung derselben dem Richtervorbehalt unterliegt. An keiner anderen Stelle sollte erlaubt sein, dieses Gebot aufzulösen, damit es auch nicht dazu kommt, dass Polizisten verfolgt werden können, wie es auch dargestellt worden ist. Ich weiß, dass in Einzellagen im Tagesdienst 80 % der Kolleginnen und Kollegen der Polizei die Kennzeichnung tragen und das freiwillig tun.
Am besten wäre es auch, wenn sie diese Kennzeichnungspflicht im Gesetz beim unmittelbaren Zwang verankern würden. Dann würde sie umfassend gelten, und es wäre auch dafür gesorgt, dass andere hier im Land hilfsweise eingesetzte Polizeikräfte sich dem einzufügen hätten. Das wäre ganz praktisch.
Dass Sie die Präsenz der Polizei im ländlichen Raum erhalten wollen, begrüßen wir ebenfalls ausdrücklich. Der Dorfpolizist mit seiner häufig zu beobachtenden freiwilligen Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit ist unentbehrlich und trägt dazu bei, dass es bei uns auf dem Land in diesem Punkt genauso zugeht wie in den städtischen Regionen. Weil wir aber wissen, dass diese Polizisten ihren Job so erledigen, regen wir an, dass wir einmal über etwas nachdenken, was man eine „Überstundenbremse“ bei der Polizei nennen könnte. Eine Überstundenbremse ist einzuziehen. Sie wissen, dass im Durchschnitt 85 Stunden Monat für Monat vor sich hergeschoben werden. Sie mögen sich vorstellen, wie das bei den Einsatzhundertschaften aussieht, die regelmäßig an den Wochenenden Mehrarbeit leisten. Diese Überstundenbremse ist aus fürsorgerechtlichen Gründen notwendig.
Aber wie soll ein Innenminister das tun, wenn seine Polizei immer und immer wieder politisches Versagen auf Demonstrationen kompensieren muss, weil sie die Demonstrationen begleiten muss? Allein ein neues Versammlungsrecht - so wie Sie das wollen wird hier nicht helfen. Wir sind alle aufgefordert, durch vernünftige Politik dafür Sorge zu tragen, dass es weniger Unmut gibt, der polizeiliche Begleitung erfordert. Gute, nachvollziehbare und gerechte Politik ist für unsere Demokratie das beste Mittel, um die Demonstrationsfrequenz zu reduzieren. Gern diskutieren wir mit Ihnen auch Ansätze und Möglichkeiten, die widerlichen Naziaufmär
sche durch ein längst überfälliges NPD-Verbotsverfahren am besten ganz und gar aus unserem Straßenbild zu verbannen.
Sie wollen einen Polizeibeauftragten schaffen und diesen organisatorisch bei der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten unterbringen. Wir halten dies für unlogisch und der Aufgabe nicht gerecht werdend. Richtiger wäre es, ihn dem Landtagspräsidenten anzugliedern und ihn einmal jährlich einen Bericht zur Lage der Polizei erstatten zu lassen. Wir glauben, dass es so gelingen kann, die Polizei noch mehr in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Polizistinnen und Polizisten haben gerade und dann bei besonderen Einsatzlagen darunter zu leiden, dass ihr sonst vorhandenes Demonstrationsrecht nicht vorhanden und aufgehoben ist und sie sich deshalb kaum an jemanden wenden können, wenn sie sich in ihren Rechten eingeschränkt fühlen. Ergänzend sollte dieser Polizeibeauftragte das Ausbildungsgeschehen begleiten, und damit dem Parlament helfen, ein vollständiges und korrektes Bild der Polizei zu bekommen.
Und auch die Innere Sicherheit und gleichzeitig Sozialpolitik gefällt uns bei Ihnen sehr gut, nämlich die neue Suchtpolitik. Sie wollen Suchtpolitik statt Drogenkrieg durchführen. Das gefällt uns sehr gut. Aufklärung und Prävention - das wissen wir alle, das ist eine Binsenweisheit - ist allemal besser als Strafverfolgung von Süchtigen. Allerdings: Wenn die Prävention nicht gegriffen hat, also zu spät kommt, ist es auch richtig, nicht gnadenlos zu kriminalisieren. Das heißt, der Schwerstabhängige mit einer kleinen Menge Drogen ist nicht zu kriminalisieren, ihm ist zu helfen, er ist der Hilfe zuzuführen, und auch Auswege sind zu schaffen. Ich beobachte in Ihrer Position dazu zum ersten Mal in diesem Land einen vernünftigen Weg. Das begrüßen wir ausdrücklich.
Wir wollen genau wie Sie aber auch, dass die Straftaten, die echten Straftaten, stärker verfolgt werden. Das ist auch Ihre Absicht, und deshalb sind wir auch an der Stelle bei Ihnen.
Beim Sozialen habe ich ein bisschen Probleme. Inhaltlich sind wir bei Ihnen. Wir wollen den Mindestlohn genauso wie Sie. Tariftreue ist auch für uns ein wichtiges Thema. Die Wiedereinführung von vernünftiger Augenhöhe bei der Mitbestimmung ist auch okay. Aber in allen Punkten fehlt uns die Gegenfinanzierung. Sie ist für uns einfach nicht erkennbar. Sie mögen sie noch vorlegen. Zurzeit können wir sie nicht erkennen. Auch die Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst, die Reduzierung von 39 auf 32 Abteilungen, verlangen ein so
ziales Vorgehen mit den Mitarbeitern, die umgesetzt oder woanders hinverlagert werden sollen. Auch wenn Sie es erklärt haben, Herr Albig, können wir nicht ganz nachvollziehen, warum Sie einen Staatssekretär mehr brauchen. Wenn das so toll ist und eine solche Rendite bringt, sage ich: Wir stellen noch 20 Staatssekretäre ein, und dann ist dem Land geholfen. Das ist der Schluss aus dem, was Sie mir erklärt haben.
Ich komme zum Ende und sage: viele Ideen, viele sehr gute, die wir auch gern mittragen, vielfach unkonkret und oft aus unserer Sicht ohne Finanzierung. Ich setze darauf, dass die von Ihnen formulierte Präambel gültig ist, umgesetzt wird und wir alle im Parlament gefragt werden, beteiligt werden und uns mit vernünftigen Ideen einbringen. Dann freue ich mich auf die nächsten fünf Jahre mit Ihnen.
Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Dudda, für Ihre erste Rede hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Ebenfalls seine erste Rede wird jetzt der Herr Kollege Sven Krumbeck halten, ebenfalls von der Piratenpartei.
„Neue Horizonte für Schleswig-Holstein“ - so hat die Regierung ihren Koalitionsvertrag genannt. In der Tat, neu hört sich vieles an. Dabei sind einige der bildungspolitischen Vorstellungen durchaus zu begrüßen. Die Koalition will einheitliche Bildungsstandards einführen. Allerdings muss sie das auch konsequent durchziehen und sich im Bundesrat dafür einsetzen. Der Impuls hierfür muss über Schleswig-Holstein hinausgehen.
Das Kooperationsverbot aufzuheben, ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Auch wir PIRATEN lehnen Kita-Gebühren im Grundsatz ab und treten dafür ein, dass der Besuch des Kindergartens kostenlos wird.
Die Regierung erwartet, dass durch den demografischen Wandel bis 2017 1.400 Lehrerstellen frei werden, und will die Hälfte der freigewordenen
Trotzdem tun sich in der Tat einige Abgründe am Bildungshorizont von Schleswig-Holstein auf. Das Motto der neuen Regierungskoalition heißt zwar „Bildungspolitik im Dialog“, trotzdem will sie den Schulen von oben herab die Möglichkeit nehmen, sich gegebenenfalls für das doppelte Angebot von G 8 und G 9 zu entscheiden.
Das gleiche Prinzip des Von-oben-herab-Diktierens wenden Sie auch bei der Umwandlung von Regional- in Gemeinschaftsschulen an. Die Umwandlung haben Sie schon längst beschlossen. Wann wollen Sie denn die Lehrer, Eltern und Schüler in diese Entscheidung einbeziehen? Bürgernah wäre es gewesen, solche Entscheidungen direkt mit den Betroffenen vor Ort zu treffen.
Den Integrationsklassen wollen Sie zwei der drei gekürzten Differenzierungsstunden zurückgeben. Fragen Sie einmal die Lehrer in diesen Klassen. Eigentlich müssten in solchen Klassen ständig zwei Lehrkräfte sein.
(Beifall PIRATEN und vereinzelt FDP - Zu- rufe Abgeordnete Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Wolfgang Ku- bicki [FDP])
Wir PIRATEN sehen es als unsere Aufgabe an, Sie in Ihrer Regierungszeit daran zu erinnern, dass Bürgerbeteiligung und kritisches Hinterfragen allgemein zu einem festen Bestandteil unseres neuen Politikstils werden müssen.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Für den SSW erteile ich nunmehr dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Lars Harms das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das „Bündnis für den Norden“ ist in vielerlei Hinsicht ein Novum. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte unseres Landes gibt es ein Regierungsbündnis aus drei Parteien. Seit über 60 Jahren ist der SSW ein fester Bestandteil der schleswigholsteinischen Parteienlandschaft. Der SSW hat natürlich immer verantwortungsvolle Politik für die
Menschen hier im Land gemacht. Zu dieser Verantwortung und zur Verpflichtung bekennen wir uns. Daher haben wir auch immer gesagt, dass wir dieses Land nicht unregierbar machen. Dieser Verantwortung haben wir uns nach der Landtagswahl gestellt und sind das Dreierbündnis eingegangen.
Zum ersten Mal in der langen Geschichte des SSW werden wir in den kommenden Jahren Regierungsverantwortung tragen und die Politik in unserem Land noch stärker gestalten und prägen. Damit wird zum ersten Mal eine Minderheitenpartei in Deutschland Regierungsverantwortung für ein Land übernehmen. Das ist ein historischer Schritt.
Dieser historische Schritt ist nicht nur auf Landesebene von Bedeutung. Man blickt minderheitenpolitisch aus ganz Europa auf unser Land und die Regierungsbeteiligung des SSW. Wir haben viele Anfragen aus anderen Regionen und von anderen Minderheiten zu unserer Regierungsbeteiligung erhalten. Es scheint so zu sein, dass das Land SchleswigHolstein wieder eine Vorbildfunktion einnimmt, indem nämlich die Minderheitenpartei in eine Regierungszusammenarbeit einsteigt. Das ist in Europa keine Selbstverständlichkeit. Deswegen ist es ein richtiger und wichtiger Schritt, dass der SSW Verantwortung übernehmen will und dass der Landtag dem SSW und damit auch den Minderheiten nicht das Recht abspricht, aktiv an der Gestaltung des Landes mitzuarbeiten. Dies ist für uns eine zentrale Botschaft, die von unserer Regierungsbeteiligung ausgeht und die auch Auswirkungen auf die Teilhabe von Minderheiten in anderen Staaten Europas, auch vieler deutscher Minderheiten im Ausland, haben wird. Ich glaube, dass wir uns dessen sehr bewusst sein müssen.
Der SSW trägt dazu bei, dass Schleswig-Holstein eine handlungsfähige Regierung für eine ganze Legislaturperiode bekommt. Wir haben uns mit unseren Koalitionspartnern auf gemeinsame Ziele verständigt, die Schleswig-Holstein wieder voranbringen werden. Mit SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen wir die Politik im Land neu gestalten. Dafür bildet der rot-grün-blaue Koalitionsvertrag das Fundament. Wir werden eine gerechtere, klügere und weitsichtige Politik betreiben. Vor allem werden wir einen anderen Politikstil in unserem Land Einzug halten lassen. Wir wollen auf die Menschen zugehen, mit ihnen reden und sie mitnehmen. Das ist notwendig, weil wir in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen stehen.
Ohne die notwendige Offenheit und Transparenz, ohne den Dialog und ohne die Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Akteuren wird es schwer, die
Für alle Ziele in diesem Koalitionsvertrag gilt der Leitsatz der Koalition, dass strukturelle Mehrausgaben durch strukturelle Mehreinnahmen oder Einsparungen erwirtschaftet werden müssen. Eine rotgrün-blaue Koalition wird eine verantwortliche Haushaltskonsolidierung betreiben. Wir werden natürlich die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen und dafür sorgen, dass die Nettoneuverschuldung Schleswig-Holsteins bis 2020 auf null sinkt. Wer anderes behauptet, redet Blödsinn. Dies ist durch die Verfassungsänderung festgelegt, die wir selbst mit angeschoben haben - nicht nur wir, sondern auch die Sozialdemokraten, auch die Grünen, auch die FDP und auch die CDU. Deswegen werden wir uns natürlich daran halten. Wir sind verfassungstreu, wie wir es immer waren.
Wir werden aber nicht wie Schwarz-Gelb vom grünen Tisch aus mit dem Sparschäler über das Land ziehen und dabei in Kauf nehmen, dass vieles wegrasiert wird, was für unser Zusammenleben in Schleswig-Holstein wichtig ist. Wir werden auch mit den Menschen sprechen, statt unbesehen ihr Leben, ihre beruflichen Erfolge oder ihr ehrenamtliches Werk zu zerstören. Damit keine Missverständnisse aufkommen - auch wir werden nicht darum herumkommen, die Schulden abzubauen. Wir werden eine Politik machen müssen, die nicht allen behagt und manchen wehtut. Aber wir werden den Beweis antreten, dass sich viele Dinge durch intelligentere Änderungen von Strukturen oder eine Umverteilung von Geldern retten lassen. Für SchwarzGelb waren die Kürzungen ein Selbstzweck, weil sie von einem schlanken Staat träumten, in dem sich jeder selbst der Nächste ist und Solidarität mehr und mehr zu einer Phrase verkommt.
Für uns ist Sparen eine Notwendigkeit, die behutsam und klug umgesetzt werden muss. Das ist der Unterschied. Diesen Unterschied haben die Menschen in Schleswig-Holstein bewusst gewählt.
Die rot-grün-blaue Koalition wird keine ideologische Politik machen, sondern realistische Möglichkeiten haben. Wir wollen dieses Land besser machen. Das tun wir vor allem, indem wir die Bildung voranbringen. Wir werden in einem ersten Schritt
schon im Herbst 300 Lehrerstellen zurückgeben, die von Schwarz-Gelb gestrichen wurden. Statt Geld in einem Vertretungsfonds zu parken, für den es ohnehin keine Lehrkräfte gibt, und statt leere Stellen zu horten, sollen damit die gesetzlich vorgeschriebenen Differenzierungsstunden in den Gemeinschaftsschulen wieder geleistet werden. Das ist auch richtig so. Das dient gerade unseren Kindern.