Protocol of the Session on June 13, 2012

Die Zusammenstellung Ihres Ministeriums, Herr Dr. Habeck, zeigt, wie unfreundlich das Klima bereits in den Koalitionsverhandlungen gewesen sein muss, auch wenn Sie heute hier wahrscheinlich anderes erklären wollen. Hier hat die SPD späte Rache für die verhinderten Verkehrsprojekte geübt. Sie haben das als neuer Energiewendeminister zu spüren bekommen. Zwar haben Sie die Energiereferate aus dem Wirtschaftsministerium bekommen, nicht aber die essentiell wichtigere Planungsabteilung aus dem Innenministerium. Ohne diese Abteilung ist die Energiewende aber nicht möglich. Der Ausbau der Energienetze, die Novellierung des Windkraftanlagenerlasses und die Umsetzung des Landesentwicklungsplans - nichts davon fällt in ihre Zuständigkeit.

(Zuruf SPD)

- Nein, nein! Statt „Energiewendemministerium“ verwende ich den zweckmäßigen Begriff „Energieverwaltungsministerium“. Ihre Planungsmöglichkeiten als Energiewendeminister, Herr Dr. Habeck,

(Wolfgang Kubicki)

enden bei der Wahl der Deckenoberbeleuchtung in Ihrem Ministerbüro.

In Ihrem Koalitionsvertrag schreiben Sie zudem fest – ich finde besonders bemerkenswert, wenn es Menschen machen, die erklären, sie verstünden etwas davon -, dass der künftige Wirkungsgrad von Kraftwerken bei 57 % liegen muss. Da Sie Atomund Kohlekraftwerke ausschließen, können Sie sich doch nur auf alle anderen Kraftwerke konzentrieren. Das kann auch nur dafür gemeint sein. Dabei scheint den Akteuren gar nicht bewusst gewesen zu sein, dass Windkraftanlagen einen Wirkungsgrad von etwa 50 % haben, während es bei Photovoltaikanlagen nur 20 % sind. Würden wir Sie jetzt ernst nehmen, dürften wir keine Windkraftanlagen und keine Photovoltaikanlagen in Schleswig-Holstein mehr zulassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unüberlegt, unausgereift und vorschnell. Lassen Sie uns die grüne Energiepolitik wieder in die Wirklichkeit zurückholen. Woher soll der Strom denn künftig kommen? Im Energieministerium wird nach dem Motto gearbeitet: völlig egal, woher. Die Staatskanzlei soll es planen. Unter diesen Umständen wird nicht deutsche Ingenieurskunst, sondern märchenhafte Zauberkunst benötigt.

Wenn wir nicht dazu übergehen, Herr Ministerpräsident, die Erstellung von Produktionsanlagen an den Ausbau der Netze zu koppeln, werden wir für die Stromkunden in Schleswig-Holstein ein fatales Ergebnis erreichen. Schon heute, in diesem Jahr, bezahlen die schleswig-holsteinischen Stromkunden 20 Millionen € für Strom, der nicht produziert wird. Der kann nicht an die Netze abgegeben werden. Wir wissen bereits heute, dass sich das bis zum Jahre 2015 auf 200 Millionen € ausweiten wird, weil die Anlagen, die wir zubauen, nicht in der Lage sind, den Strom in die Netze einzuleiten. Wenn dies weiter voranschreitet, werden Sie in Schleswig-Holstein einen Sturm der Entrüstung erleben. Dagegen war Demonstration, die die alte Koalition hat erleben müssen, ein kleiner Windhauch. Konzentrieren Sie sich also darauf, den Bau der Kapazitäten an den Ausbau der Netze zu koppeln. Alles andere wird in eine ökonomische Sackgasse führen.

(Beifall FDP und CDU)

Ich wende mich jetzt an den von mir wirklich sehr geschätzten stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Robert Habeck. Bezüglich der Energiewende möchte ich Ihnen gern die Worte unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck mit auf den Weg geben. Joachim Gauck hat bei der Eröffnung der

„Woche der Umwelt“ am 5. Juni auf folgende Punkte bei der Energiepolitik hingewiesen:

,,Es wird uns nicht gelingen, allein mit planwirtschaftlichen Verordnungen wohl auch nicht mit einem Übermaß an Subventionen. Es kann uns aber gelingen mit überzeugenden Innovationen und im fairen Wettbewerb. Ich bin überzeugt, es gibt keinen besseren Nährboden für unsere Ideen und Problemlösungen als unsere offene Gesellschaft mit offenen Märkten und freiem und fairem Wettbewerb.“

Herr Kollege Habeck, führen Sie sich diese Sätze zu Gemüte und füllen Sie sie mit Leben aus. Auf meine Partei können Sie dabei als Gefährtin zählen.

Nicht nur in Ihrer Energie-, sondern auch in Ihrer Landwirtschaftspolitik gibt es Überraschungen. Hier wird mit grüner Ideologie Recht und Gesetz außer Kraft gesetzt. Obwohl Ihnen der Wissenschaftliche Dienst bestätigt hat, dass wir den Bauern nicht vorschreiben dürfen, was diese anbauen möchten, wollen Sie von dieser Idee keinen Abstand nehmen. Vorschriften und Gebote, die von Ihnen kommen, sind uns bekannt. Sie wollen es auf die Spitze treiben, indem Sie eine „Eiweiß-Strategie“ betreiben. Ich wiederhole es noch einmal: Diese Landesregierung betreibt im Rahmen der Landwirtschaft eine „Eiweiß-Strategie“. Das heißt, den Bauern wird nicht nur verwehrt, etwas anzubauen, nein, ihnen wird vorgeschrieben, etwas Bestimmtes anzubauen. Eine große Auswahl gibt es freilich nicht. Erbsen, Bohnen, Linsen und - wer es exotisch mag - Kichererbsen sind eiweißhaltige Pflanzen. Deswegen nenne ich die Strategie auch eine „Kichererbsen-Strategie“.

(Heiterkeit FDP und CDU)

Diese Vorschriften erinnern eher an die Ernährung in einer Mangelwirtschaft, passen aber nicht in eine frei bestimmte Landwirtschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich auf die Art der Debatte und den geführten Wahlkampf zurückkommen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die politische Auseinandersetzung häufig überspitzt geführt werden muss. Jedoch dürfen Sie nicht - wie im letzten Wahlkampf - Menschen und ihre Lebensvorstellungen denunzieren und herabwürdigen, wie Sie es übrigens heute, Kollege Dr. Stegner, auch wieder sehr subtil gemacht haben.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Meine Partei - und auch ich persönlich - lehnen aus inhaltlichen Grün

(Wolfgang Kubicki)

den das von der Union angestrebte Betreuungsgeld ab. Ihre Argumentation im Wahlkampf richtete sich aber nicht inhaltlich gegen das Betreuungsgeld als Sozialleistung an sich, sondern gegen die Lebensweise einzelner Bevölkerungsgruppen. Es wurde und wird nach wie vor von Ihnen der Eindruck vermittelt, dass Eltern - insbesondere wenn sie über ein geringes Einkommen verfügen oder einen Migrationshintergrund haben - gar nicht in der Lage sind, ihre Kinder selbst zu erziehen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist doch uner- hört!)

Diese unsägliche Art, die in dem Wort „Herdprämie“ gipfelte, diffamierte die Mütter und Väter, die sich entschließen, die Erziehung selbst in die Hand zu nehmen.

(Beifall FDP und CDU)

Diese an den Pranger zu stellen, hat rein gar nichts mit einer liberalen, offenen und verantwortungsvollen Politik zu tun.

Die von Ihnen häufig gepredigte politische Korrektheit darf nicht bei Inhalten fremder Parteien haltmachen. Kontroverse politische Auseinandersetzung ja, aber Diffamierungen nein. Daran sollten wir uns alle halten, Herr Kollege Dr. Stegner. Ich greife gern auf, was Sie versucht haben, in Ihrem heutigen Redebeitrag anzusprechen. Sie haben davon gesprochen, dass der Begriff ein dehnbarer Kampfbegriff sei. Man mag das halten, wie man will. Ich kann mich an Beiträge von Ihnen erinnern, in denen Sie die Koalition aus CDU und FDP als Koalition von Konservativen und Egoisten bezeichnet haben. Und ich kann mich an Beiträge von Ihnen erinnern, in denen Sie die FDP als „Mövenpick-Partei“, die nur Promiinteressen verfolgen will, denunziert haben. Sie können nicht auf der einen Seite für sich in Anspruch nehmen, dass man mit Ihnen sorgfältig und pfleglich umgehen soll, während Sie auf der anderen Seite aber das genaue Gegenteil machen. Ich nehme Ihre heutigen Worte ernst. Wir werden in den nächsten Monaten sehen, ob Sie sich daran halten. Ich sage Ihnen aber gleichzeitig: Wir werden mit gleicher Münze heimzahlen, ohne dass wir noch einen drauflegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident, Sie werden feststellen, dass politische Gestaltung mit der dazu notwendigen Verantwortung einhergeht. Gerade wenn es hart und konfliktreich wird, darf man sich nicht wegducken, sondern muss für seine Überzeugungen und das Wohl des Landes geradestehen. Politik verlangt häufig, wenn es die Lage erfordert, auch schnelles, konsequentes und

unbequemes Handeln. Wenn ein Haus brennt, dann müssen Sie zum Wasserschlauch greifen und nicht etwa - wie vielleicht manche in diesem Hohen Haus meinen -, erst einmal ein Meinungsbild einholen.

Gern, liebe Kolleginnen und Kollegen und lieber Herr Ministerpräsident, werden wir Sie an die gemeinsamen Punkte in Ihrem Koalitionsvertrag erinnern und Ihnen dabei auch als Partner zur Seite stehen.

In diesem Zusammenhang wundere ich mich etwas, Frau von Kalben, dass Sie gerade die Flüchtlingsund Migrationspolitik unter Führung von Emil Schmalfuß als rückwärtsgewandt oder nicht der Zukunft zugewandt klassifiziert haben. So hörte sich das jedenfalls an. Wir haben in diesen Fragen mit den Grünen bisher immer ein hervorragendes Einverständnis gehabt. Das soll auch so bleiben.

Ich möchte insbesondere die Abschaffung des Optionszwangs bei Einbürgerungen, die Kann-Regelung bei den Schülerbeförderungskosten, die Streichung der Verordnungsermächtigung zur Erhebung einer Küstenschutzabgabe sowie die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung erwähnen, wo Sie mit Sicherheit unsere Unterstützung finden werden.

(Beifall FDP, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So haben wir es in der Vergangenheit als FDP auch immer gehalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: Der Koalitionsvertrag ist gespickt mit viel Lyrik, wenig konkreter Politik, kaum Ideen und jedenfalls keinen Visionen. Im Oktober 2013, zu den Haushaltsberatungen für 2014, wird diese Koalition zeigen müssen, ob sie wirklich mehr kann als Geld auszugeben, was sie dann nicht mehr haben wird. Unser Land hat jede Chance verdient, und wir werden mit Ihnen parlamentarisch fair darum ringen, dass es diese Chance auch erhält.

(Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege.

Bevor wir in der Tagesordnung weiter fortfahren, möchte ich Sie bitten, mit mir gemeinsam Mitglieder des Marinefliegergeschwaders 5 aus Kiel sowie Mitglieder des Theodor-Schäfer-Bildungswerks aus Husum mit Auszubildenden hier im Landtag in Kiel zu begrüßen. - Herzlich willkommen im Landeshaus!

(Beifall)

(Wolfgang Kubicki)

Wir fahren nun in der Aussprache zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten fort. Ich rufe Herrn Abgeordneten Wolfgang Dudda für die Fraktion der PIRATEN auf.

(Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, das ist ein neuer Moment für mich, das ist meine so sagt man ja wohl - Jungfernrede. Ich bitte mir nachzusehen, wenn es hier und da etwas holprig sein sollte, ich denke, das mit der Routine wird noch kommen.

Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, wollte ich mich bei Ihnen, Herr Albig, sehr, sehr für das bedanken, was Sie gestern Nachmittag getan haben, nämlich Ihre Würdigung der Verdienste von Herrn Carstensen und auch die Art und Weise, wie Sie das gemacht haben. Das zeigt, dass hier ein neuer Stil einziehen kann, ein Stil, den wir als PIRATEN sehr begrüßen. Noch einmal ein Dankeschön dafür.

(Beifall PIRATEN, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Nun zu dem, was meinen Themenbereich in dieser Regierungserklärung betrifft. Wir haben uns überlegt, dass wir diese Debatte piratentypisch mit Themen statt Köpfen bedienen wollen. Das heißt, es werden drei oder vier PIRATEN von uns dazu sprechen. Ich habe mir das Thema Innenpolitik herausgesucht, und ich werde am Ende noch ein wenig auf Sozialpolitik eingehen.

Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich für meine Fraktion feststelle, dass wir mit vielen Ihrer Politikthemen sehr einverstanden sind. Wir finden sehr, sehr viele Dinge auch sehr gut. Insbesondere Ihre Einstellung zum Thema Vorratsdatenspeicherung hat uns sehr gut gefallen. Wir wissen, wie schwierig das vor allen Dingen vor dem Hintergrund des bundespolitischen Kontextes der Sozialdemokraten gewesen sein muss. Wir bedanken uns dafür, dass das so in den Koalitionsvertrag eingeflossen ist.

Wir als PIRATEN wünschen uns aber auch, dass dieses zarte Pflänzchen, das hier gepflanzt wurde, noch etwas größer werden kann. Wir wünschen uns ein generelles Umdenken in der Innenpolitik. Wir wollen das beginnen mit einer Evaluierung der bestehenden Gesetze und einem Moratorium für neue Gesetze. Wenn Sie diesen Weg auch noch mitgehen, haben Sie uns an dieser Stelle ganz an Ihrer Seite.

Wir wollen damit der Hysterie von Sicherheit und angenommenen Befürchtungen begegnen und die Themen einer gewissen Sachlichkeit zuführen, einer Sachlichkeit, die wir übrigens ganz bewundernswert in anderen Parlamenten und auch hier finden, wenn es darum geht, gelassen auf das Thema Abgeordnetenbestechung zu reagieren, wo man hier Untätigkeit sieht. Auch an dieser Stelle setzen wir auf Sie.

Sicherheit ist immer ein subjektives Gefühl. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich sicher fühlen. Das ist unser Job, dafür sind wir hier im Parlament zuständig. Das haben wir zu gestalten. Aber gefühlte Sicherheit hat auch etwas mit staatlicher Präsenz zu tun. Da den richtigen Weg zwischen dem, was gerade noch angemessen ist, und dem, was zu viel ist, also zwischen dem, was Sicherheit sein sollte und einem Polizeistaat, zu finden, das ist unsere Aufgabe. In Ihrem Koalitionsvertrag haben wir dazu vernünftige Ansätze gefunden. Es sind aber nur Ansätze - und das haben wir Ihnen, Herr Breitner, und auch Ihnen, Herrn Albig, schon erklärt -, weil Sie zwar gute Ideen haben, diese aber nicht bis zu Ende formuliert oder nicht zu Ende gedacht haben eins von beiden; wir wissen es ja noch nicht, das kann sich ja noch ergeben.

Beginnen möchte ich mit der Kennzeichnungspflicht, die wir bei Demonstrations- und Einsatzlagen ausdrücklich begrüßen. Es ist Ihnen aber nicht gelungen darzustellen, dass es sich dabei nicht um ein permanentes Misstrauen unserer Polizei gegenüber handelt. Unsere Polizei verdient kein permanentes Misstrauen. Sie leistet einen tollen Job. Hier wäre einleitend vielleicht das Bekenntnis zur Polizei erleichternd gewesen, für eine Polizei, die mit einem hohen Ethos 24/7 ihren Job sehr, sehr gut für uns alle erfüllt.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt FDP)

Weil Sie aber genau dies unterlassen haben, wehrt sich die Polizei verständlicherweise gegen die Kennzeichnungspflicht. Sie versteht die Kennzeichnungspflicht so, wie sie im Koalitionsvertrag allein nachzulesen ist, berechtigterweise als Affront und als Ausdruck eines in der Regierung angekommenen Generalverdachts. Das ist sie aber nicht. Hätten Sie in dem Koalitionsvertrag beispielsweise klargestellt, dass die Ausübung unmittelbaren Zwangs ein Verwaltungsakt darstellt, der genauso nachvollziehbar sein sollte wie jeder andere Verwaltungsakt, hätte das vielleicht hilfreich sein können. Noch besser wäre es gewesen, wenn Sie die Schutzrechte, die Persönlichkeitsschutzrechte der Polizistinnen und Polizisten, erkennbar mit eingearbeitet hätten.