Protocol of the Session on February 21, 2013

Worum es hier geht, habe ich schon mehrmals deutlich gesagt: Wir müssen unser Land weit besser für die Herausforderungen, die mit der Zunahme von Demenzerkrankungen einhergehen, rüsten.

(Beifall SSW, vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei müssen die Betroffenen und ihre Angehörigen im Mittelpunkt stehen. Ihre Lebenssituation ist es, die wir verbessern wollen. Genau dieses übergeordnete Ziel verfolgen SPD, Grüne und SSW mit dem vorliegenden Antrag. Anstatt bei diesem Thema wie bisher mit kaum zusammenhängenden Einzelmaßnahmen herumzudoktern, wollen wir die Aktivitäten in Bezug auf Demenz zielgerichtet bündeln; denn wir sind fest davon überzeugt, dass es nicht mehr reicht, auf die Einzelprobleme bei der

(Präsident Klaus Schlie)

Demenzbetreuung zu schauen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um den wachsenden Herausforderungen zu begegnen.

(Beifall SSW, vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei haben wir selbstverständlich immer auch die Finanzlage des Landes im Blick. Uns ist also durchaus klar, dass wir nicht alles auf einmal haben können. Aber gerade weil wir kleine Schritte gehen müssen, ist es wichtig, dass diese in die richtige Richtung führen. Es ist ganz einfach Fakt, dass der Anteil Demenzkranker an der Bevölkerung in Zukunft stark steigen wird.

Ich verzichte hier ganz bewusst darauf, auf Zahlen und Prognosen einzugehen; die habe ich alle vor einem Jahr erwähnt, und sie stehen ja auch in der Begründung. Aber an diesen Zahlen kommen wir ganz einfach nicht vorbei. Deshalb ist es dringend notwendig, in einem ersten Schritt regional differenziert zu ermitteln, wie hoch der Bedarf an Pflegeleistungen sein wird. Wenn ich von „Bedarf ermitteln“ spreche, ist es nur konsequent, wenn wir uns dann auch überlegen, wie wir diesen Bedarf ganz konkret decken können.

Natürlich sind gerade bei der Umsetzung des Demenzplans noch Fragen offen. Vor allem ist zu klären, welche Aufgabe auf welcher Ebene zu lösen ist. Aber unabhängig davon lässt sich die Tatsache, dass hier Aufgaben zu lösen sind, wohl kaum leugnen. Dies hat nicht zuletzt die Anhörung zum Thema Demenzplan in der letzten Wahlperiode sehr deutlich gezeigt.

Um die Lebensqualität von Demenzkranken und ihren Angehörigen wirklich spürbar zu verbessern, ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig. Für den SSW will ich gern sagen, dass uns die bessere Vorbeugung und verbesserte Vorsorge für potenzielle Demenzkranke besonders wichtig ist; denn durch verstärkte Bemühungen in diesem Bereich ist es nicht nur möglich, die Zahl der Erkrankten, sondern auch die Dauer der Erkrankung zu verringern. Es ist kein Geheimnis, dass Vorsorgemaßnahmen den Ausbruch von Demenz um 10 bis 15 Jahre verschieben können. Hier zu investieren, macht nicht nur rein menschlich Sinn, sondern auch rein ökonomisch;

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn viele dieser Betroffenen werden dementsprechend länger auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Ich will andere Vorhaben auf Landesebene ganz gewiss nicht abwerten. Aber mit diesem Antrag verbinde ich die große Hoffnung, wirklich etwas für eine verbesserte Lebenssituation der Betroffenen erreichen zu können. Wir sind davon überzeugt, dass wir bei der Versorgung Demenzkranker nicht an einem koordinierten Vorgehen und an einem schlüssigen Gesamtkonzept vorbeikommen. Deshalb bitten wir die Landesregierung, den Demenzplan gemeinsam mit den Kommunen und weiteren relevanten Akteuren und Organisationen zu erstellen und dessen Umsetzung landesseitig zu sichern. So wird es uns hoffentlich gelingen, nicht nur die Demenzkranken in Schleswig-Holstein auch in Zukunft menschenwürdig zu versorgen, sondern auch ihre Lebensqualität und die ihrer Angehörigen zu verbessern. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Bernd Heinemann.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Demenz ist eine wesensverändernde Alterserkrankung, von der immer mehr Menschen betroffen sind. Laut Bertelsmann-Studie sind es derzeit 1,3 Millionen; bis 2030 werden es 2 Millionen sein. Ein Drittel der älteren Männer und circa die Hälfte der älteren Frauen leiden zum Zeitpunkt ihres Todes unter Demenz. Die meisten sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen.

Demenz, das bedeutet für die Betroffenen eine zunehmende Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, bei der nicht nur das Gedächtnis oder die Orientierung, sondern auch die Sprache, ja, das Urteilsvermögen immer weiter begrenzt wird. Schließlich sind die Betroffenen kaum noch zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage, und die Angehörigen sind oft verzweifelt; sie fühlen sich erschöpft und hilflos. Die letztlich oft verzweifelte Antwort darauf: Heimunterbringung.

In deutschen Pflegeheimen werden immer noch 5 bis 10 % der Bewohnerinnen und Bewohner körpernah fixiert. Unter Einbeziehung der Anwendung von Bettgittern erhöht sich der Anteil der Bewohner, die freiheitsbeschränkende Maßnahmen erleiden, sogar auf 30 bis 40 %. Mobilitätsvermindernde Maßnahmen beschränken dabei nicht nur

(Flemming Meyer)

das Recht auf Bewegungsfreiheit. Sie erhöhen sogar die Verletzungsgefahr deutlich. Hier entsteht oft ein Teufelskreis, wenn der Demenzkranke in die somatische Behandlung eingreift, zum Beispiel Schläuche entfernt und so weiter.

Doch es gibt längst bessere Maßnahmen, die uns zum Beispiel im Elisabeth-Krankenhaus in Eutin präsentiert wurden. Rehabilitationsmaßnahmen, wie ein Balance- und Krafttraining, können auch bei Demenzkranken für den Erhalt der Mobilität und als Sturzprophylaxe erfolgreich sein und gleichzeitig das Fixierungsrisiko vermindern sowie den Schlaf stabilisieren.

Schon jetzt besteht für 8,5 % der über 65-Jährigen in Schleswig-Holstein dringender Handlungsbedarf, und die Zahl wird sich in nicht allzu ferner Zukunft sogar verdoppelt haben. Nach einer aktuellen DKV-Studie haben 70 % der Deutschen Angst vor einer demenziellen Erkrankung im Alter. Mehr als die Hälfte gibt an, lieber sterben zu wollen als an Alzheimer zu erkranken.

Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat der SSW mit seinem Antrag auf die Notwendigkeit der Erarbeitung eines Landesdemenzplans hingewiesen. Auch die Sprecherinnen und Sprecher von CDU und FDP haben Handlungsfelder ausgemacht. Aber Worthülsen nutzen nichts. Wir wollen jetzt endlich Taten, Maßnahmen, Hilfen, und zwar konkret und zielgerichtet.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben bei den Anhörungen vor einem Jahr die Stellungnahmen der Alzheimer Gesellschaft, des DGB und der Pflegekassen aufmerksam gelesen. Wenn die Angehörigen nicht mehr können, fahren unsere Sozialsysteme angesichts der Demenzproblematik innerhalb kürzester Zeit an die Wand. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Kommunen, Ärzteschaft, Einrichtungen, Verbände, ja die Gesellschaft insgesamt steht in der Verantwortung. Wir werden uns für die Forschung einsetzen. Wir werden die Prävention vorantreiben und vor allem regionale Handlungsleitfäden ermöglichen und zusammenführen.

Die Mittel für diese ersten Schritte haben wir in den Haushalt bereits eingestellt. Die Qualität der Hilfen darf weder vom Wohnort noch von den jeweils zufällig vorhandenen Kenntnissen in der Demenzbehandlung oder von der pflegerischen Unterstützungskompetenz vor Ort abhängen.

Meine Damen und Herren, wir wollen klare Standards, vor denen sich fachkompetente Einrichtungen nicht verstecken dürfen. Die Behandelnden, die Pflegenden, die Angehörigen und die Betroffenen haben das Recht, sich auf qualifizierte Leitlinien zu stützen, und wir haben die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass es sie gibt.

(Beifall SPD und SSW)

Wir werden das machen. Wie wir das machen werden, ist eigentlich klar; denn qualifizierte Bestandsaufnahme und Prognosen sind ebenso vorhanden wie Modelle wirklich guter Praxis. Ich nenne als Beispiel Wohnprojekte, wie etwa in Hürup.

Wir haben in Schleswig-Holstein ein großartiges Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt. Dieses ist immer auf dem neuesten Stand und hat einen sehr gut gefüllten Erfahrungsspeicher. Es fehlt uns also nicht am Können und am Wissen, sondern an der systematischen Umsetzung vorhandener Kompetenzen. Wir wollen hier einen richtigen und gemeinsamen Weg der Unterstützung gehen.

Im vergangenen Jahr hat sich auch der Deutsche Ethikrat zu Demenz und Selbstbestimmung zu Wort gemeldet. Er hat eindringlich auf die Notwendigkeit von regionaler und nationaler Demenzplanung hingewiesen. Wir wollen uns gerade auch hier für Toleranz und ein besseres Miteinander einsetzen. Die Ausgrenzung und die Stigmatisierung der Betroffenen müssen unterbunden werden. Dies setzt auch die Anwendung der UN-Behindertenrechtskonvention voraus.

Schon 2011 hat übrigens das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Vorstudie für einen nationalen Aktionsplan Demenz beim Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Auftrag gegeben. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat Bundeskanzlerin Angela Merkel schon vor zwei Jahren eine konkrete nationale Demenzstrategie vorgeschlagen. Also auch auf nationaler Ebene müssen wir hier endlich weiterkommen. Über die GMK-Konferenz oder gar den Bundesrat werden wir auch für eine wirkliche Reform der Pflegepolitik eintreten.

Aber zuerst sind wir mit unserem regionalen Beitrag gefragt. Die zurzeit etwa 45.000 demenziell erkrankten Menschen - Tendenz steigend - und ihre Angehörigen in Schleswig-Holstein dürfen schlicht nicht vergessen werden. Im Gegenteil: Wir werden handeln, meine Damen und Herren. - Ich danke Ihnen.

(Bernd Heinemann)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Jetzt hat für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort. - Es tut mir leid, ich hatte das aufgrund der vorgezogenen Wortmeldung des Abgeordneten Flemming Meyer nicht in die richtige Reihenfolge gebracht.

Herr Präsident, das finde ich nicht so schlimm. So ist unser Änderungsantrag noch rechtzeitig verteilt worden; er liegt Ihnen jetzt vor. So ist es gut, und so soll es auch sein.

Meine Damen und Herren! Im Prinzip sind wir uns einig, dass wir uns künftig darauf einstellen müssen, besser und auch kompetenter mit der Krankheit Demenz umzugehen. Allein die Zahlen sprechen eine eigene Sprache. Von den rund 2,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland ist circa die Hälfe, also 1,2 Millionen, zugleich an einer Demenz erkrankt. Bis etwa 2030 wird der Anteil der pflegebedürftigen Menschen auf circa 4 Millionen ansteigen. Das ist eine riesige Herausforderung für die gesamte Gesellschaft, weil gleichzeitig die Bevölkerungszahl sinkt.

Schon aus diesem Grund muss die Pflegeversicherung immer wieder neu ausgerichtet werden. So ist dies jüngst geschehen, nämlich zum Jahresbeginn 2013. Endlich finden die besonderen Bedürfnisse von Demenzkranken eine bessere Berücksichtigung in der ambulanten Versorgung als bisher. Das Pflegegeld wurde stufenweise angehoben. Hiervon allein profitieren schon 500.000 Pflegebedürftige und deren Angehörige. Zudem wurden bessere Möglichkeiten geschaffen, dass Demenzkranke wunschgemäß so lange wie möglich in ihrer eigenen und gewohnten Umgebung leben können, nach dem Motto: ambulant vor stationär.

Ebenfalls wurden die Möglichkeiten für das Leben in selbstorganisierten Wohngemeinschaften oder Wohngruppen verbessert. Zudem gab es eine Aufwertung und Verbesserung der Bedingungen für pflegende Angehörige wie zum Beispiel die Weiterzahlung des hälftigen Pflegegeldes bei der Inanspruchnahme von Leistungen in der Kurzzeit- beziehungsweise Verhinderungspflege. Außerdem gibt es Verbesserungen in der medizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen in stationären Heimen.

Eine zentrale Aufgabe im Umgang mit Demenz kommt dem Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt zu. Diese Fachstelle hat seit 2011 die Aufgabe, die Versorgungsstrukturen in Schleswig-Holstein für die Betroffenen auszuweiten und zu verbessern. Alle beteiligten Akteure - wie beispielsweise Ärzte, Pflegepersonal, Pflegeeinrichtungen, Kommunen und Behörden - werden in ihrer fachlichen Arbeit für den besonderen Umgang mit Demenzkranken eigens geschult und gezielt weitergebildet. Beinahe alles, was Sie in Ihrem Antrag fordern, bietet bereits jetzt das Kompetenzzentrum Demenz an.

(Beifall CDU)

Aktuell gibt es spezielle Schulungen im Umgang mit der Krankheit Demenz für Polizistinnen und Polizisten an der Polizeischule, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Banken und Sparkassen und auch im ehrenamtlichen Bereich wie zum Beispiel der Bahnhofsmission. Sie alle können sich fachlich durch die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Demenz unterweisen lassen, und sie nehmen es verstärkt in Anspruch. Aktuell finden Gespräche mit dem Einzelhandelsverband zur Schulung von Verkäuferinnen und Verkäufern im Umgang mit Demenz und mit demenzkranken Einkäuferinnen und Einkäufern statt, die manchmal gar nicht wissen, wo sie sich befinden. All das muss geübt werden, und all das wird angeboten.

Im Austausch mit den Verantwortlichen des Kompetenzzentrums Demenz wird aber auch noch eine weitere Notwendigkeit sehr deutlich: die flächendeckende Einrichtung von Pflegestützpunkten in Schleswig-Holstein. Zurzeit fehlen in vier Kreisen diese niederschwellig erreichbaren Fachberatungsstellen. Ich will sie einmal nennen; man muss nicht immer darum herumreden. Das sind Steinburg, Stormarn, Ostholstein und Schleswig-Flensburg. Wir hoffen, dass sich langsam die Meinung ändert und sich eine Bewegung entwickelt, dass auch da ein Pflegestützpunkt eingerichtet wird.

(Beifall SPD - Lars Winter [SPD]: Den die CDU verhindert hat!)

- Ich unterstütze das auch. Man muss auch einmal gucken. Ich glaube, die Zahlen, die ich Ihnen gleich nenne, sprechen dafür.

In den übrigen Kreisen finden Angehörige und Demenzerkrankte die notwendige fachliche Hilfe und Unterstützung für die von allen Seiten gewünschte möglichst lange Betreuung in den eigenen vier Wänden. Allein im Pflegestützpunkt Norderstedt gab es im vergangenen Jahr 2012 mehr als 500

(Bernd Heinemann)

Neukontakte. Wir müssen flächendeckende Beratung ermöglichen und in eine sozialräumliche Infrastrukturplanung in den Kreisen und kreisfreien Städten einbinden.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Das sind die großen Herausforderungen für den Umgang mit einer älter werdenden Gesellschaft. Deswegen brauchen wir eigentlich keinen neuen Demenzplan, sondern mehr Kompetenz durch mehr Information und flächendeckenden fachlichen Rat für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Institutionen und Unternehmen.