Protocol of the Session on February 21, 2013

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu dem Antrag möchte ich drei Anmerkungen machen. Es geht um ein Lob und zwei Leerstellen des Antrags.

Erstens. Der Antrag verzichtet darauf, das Rad neu erfinden zu wollen. Das findet unsere Unterstützung. Das ist das Lob. Die Vorgängerregierungen haben zwar nicht alles richtig gemacht, aber in Sachen Jugendbildung gibt es in Schleswig-Holstein unbestreitbar solide Strukturen innerhalb und außerhalb von Institutionen, die junge Menschen an die Politik heranführen und die zur Teilhabe und kritischer Auseinandersetzung motivieren. Es geht dabei nicht nur um den klassischen Unterricht, sondern gerade in diesem Bereich werden innovative und experimentelle Formen ausprobiert. Die Jugendlichen werden da abgeholt, wo sie sind, in ihrer Sprache, mit ihren Anliegen und in ihren Medien.

Zweitens. In Schleswig-Holstein spielt die außerschulische Jugendbildung traditionell eine große Rolle, ob in der Kirche mit Teamercard und JuLeiLa oder in den Sportvereinen, wo Jugendliche schon frühzeitig lernen, Verantwortung zu übernehmen und ihre Interessen durchzusetzen. Der Landesjugendring bündelt diese Aktivitäten und informiert über die Angebote, die regional verfügbar sind. Auch die Parteien bieten Jugendlichen eine Mitgliedschaft an. All diese Verbände bleiben im vorliegenden Antrag allerdings außen vor. Es entspricht weder der gesellschaftlichen Realität noch erscheint es sachlich angemessen, die wesentlichen Säulen politischer Jugendarbeit nicht zu berücksichtigen. Hier muss der Antrag ergänzt werden.

Drittens. Es gibt Defizite in der politischen Jugendbildung. Die werden allerdings im vorliegenden Antrag unterschlagen. Diese Defizite beziehen sich auf die Einbindung unterschiedlich strukturierter Bevölkerungsgruppen. Eine Gymnasiastin in Kiel oder Neumünster mit den Grundregeln des demokratischen Miteinanders vertraut zu machen, ist relativ einfach. Die Politik kapituliert allerdings vor schwer zugänglichen Adressaten. Dazu gehören un

bestritten Jugendliche mit Migrationshintergrund. Politische Jugendbildung, die über die Verteilung bunter Broschüren hinausgehen soll, muss in der Lage sein, die notwendige Identifikation des Einzelnen - ob er sich nun zu einer wie auch immer definierten Mehrheit oder zu einer wie auch immer definierten Minderheit zählt, ist dabei weitestgehend ohne Belang - zu ermöglichen, wenn nicht gar zu bewirken.

Die Bundesregierung setzt sich im Nationalen Aktionsplan Politische Bildung ausdrücklich mit Menschenrechten und der Veränderung in einer multiethnischen Gesellschaft auseinander. Der Nationale Aktionsplan will ausdrücklich Unterschiedlichkeit befördern und ruft dazu auf, Buntheit und Differenz, also ausdrücklich die Unterschiede, anzuerkennen. Heterogenität und eben nicht Uniformität bringt komplexe Gesellschaften voran. Sie bietet entscheidende politische, gesellschaftliche und ökonomische Vorteile. Das sage ich ausdrücklich als Teil der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, die die Mehrheit mit alternativen Sicht- und Lebensweisen befruchtet. Es geht eben nicht, wie im Antrag formuliert, darum, Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Wohnort zu aktivieren, sondern darum, die Unterschiede ausdrücklich zu thematisieren.

Für den SSW ist klar: Politische Jugendbildung ist Teil der aktuellen Antidiskriminierungsdebatte. Hinter diesen Standard des Nationalen Aktionsplans können und wollen wir nicht zurück. Darum empfehlen wir die Einbindung des Kuratoriums Politische Bildung.

Die Kritik an dem vorliegenden Antrag ist substanziell. In der vorliegenden Form schadet der Antrag sogar seinem Ansinnen, die Strukturen der politischen Jugendbildung auf ein solides finanzielles Fundament zu stellen. Wir befürworten daher die Überweisung des Antrags in den Bildungs- und den Sozialausschuss.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat Frau Abgeordnete Simone Lange von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt meinen Platz im Präsidium verlassen; denn das, was Sie gesagt haben, Herr

Vogt, kann man so nicht stehen lassen. Sie haben gesagt, in Kindertagesstätten habe politische Bildung nichts zu suchen. Das bewegt mich so stark, dass ich jetzt einen Dreiminutenbeitrag dazu leisten möchte.

Ich will Ihnen sagen: Sie haben jetzt gerade die politische Bildung ausgespielt

(Zuruf Christopher Vogt [FDP]: Ihre Frakti- onskollegen haben geklatscht!)

- hören Sie mir zu - gegen soziale Kompetenzen. Das eine schließt das andere aber nicht aus.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es gibt schon heute viele Kindergärten beziehungsweise Kindertagesstätten, die genau das tun, nämlich Demokratieverständnis vermitteln, die das in ihre Konzepte einbeziehen.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Ich finde, mit der Vermittlung von Demokratieverständnis - das gehört zur politischen Bildung dazu kann man gar nicht früh genug beginnen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Damit kann man auch nicht in irgendeinem Alter einsetzen. Das wächst mit. Meine Töchter sind jetzt vier und fünf Jahre alt. Ich muss gestehen, ich bin schon ziemlich stolz darauf, dass sie im Groben wissen, wie so etwas funktioniert, und dass sie damit groß werden, in der Hoffnung, dass sie das später dann auch sehr ausgeprägt leben können. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Christopher Vogt das Wort.

Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen den Rücken zudrehen muss. Aber ich glaube, der Rest des Saales sollte mich auch verstehen.

Ich möchte wirklich nicht falsch verstanden werden. Ich glaube, der eine oder andere hat mich falsch verstanden - ob absichtlich oder unabsichtlich, weiß ich nicht. Ich habe festgestellt, dass einige Ihrer Fraktionskollegen Applaus gespendet ha

(Jette Waldinger-Thiering)

ben. Sicherlich sollte das Zustimmung signalisieren. Insofern möchte ich einfach nur darauf hinweisen. Vielleicht habe ich mich bei den Begriffen etwas vertan, oder vielleicht definiert jeder bestimmte Sachen für sich anders. Dadurch kann dieses Missverständnis aufgekommen sein.

Ich habe gesagt, dass die soziale Kompetenz gestärkt werden soll. Natürlich ist das in Kindergärten ganz wichtig. Wir wollen ja, dass Kinder in Kindergärten gehen, damit sie dort das soziale Miteinander lernen - meinetwegen kann man das demokratische Grundprinzipien nennen -, damit sie lernen, dass man sich abstimmt, dass man miteinander diskutiert, dass man fair miteinander umgeht.

Darum ging es mir aber gar nicht. Ich habe nur gesagt, bei der politischen Bildung im klassischen Sinne, so wie ich sie verstehe, sollte man in Kindertagesstätten vorsichtig sein; denn man sollte, glaube ich, die Kinder auch nicht überfordern. Insofern habe ich versucht, das zu differenzieren. Das ist mir offenbar nicht gelungen. Aber der eine oder andere hat, glaube ich, verstanden, was ich meinte. Ich hoffe, dass ich das jetzt aus der Welt räumen konnte. Ich wollte nicht sagen, dass Kindern keine sozialen Kompetenzen oder Ähnliches vermittelt werden sollten. Wer sollte ich denn sein, dass ich hier so etwas sage? Ich glaube, einige haben mich von vornherein richtig verstanden. Ich hoffe, das ist bei dem Rest jetzt auch der Fall. Insofern vielen Dank dafür, dass ich das noch einmal klarstellen konnte.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Weitere Wortbeiträge aus den Reihen des Parlaments sehe ich nicht. Dann hat jetzt für die Landesregierung die Frau Ministerin für Soziales, Familie, Gesundheit und Gleichstellung, Frau Kristin Alheit, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es war Heide Moser, eine meiner Vorgängerinnen, die das Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen 1990 in einer bundesweiten Vorreiterrolle angepackt hat. Seitdem hat die Landesregierung das Thema als jugendpolitisches Schwerpunktthema fest verankert.

Dabei orientieren wir uns an dem umfassenden Teilhabeanspruch von Artikel 12 der UN-Kinder

rechtskonvention, auf die sich die Bundesrepublik verpflichtet hat. Sie schreibt fest: Nur wenn sich Kinder und Jugendliche aktiv an der Gestaltung ihrer Umwelt beteiligen können, erfahren sie sich als Teil einer sozialen und politischen Gesellschaft. Demokratie als Unterrichtsgegenstand in verschiedenen Klassenstufen und Demokratie als praktisch erfahrbare Schulkultur sind darum seit Langem eine Selbstverständlichkeit. Dabei bedeutet „Selbstverständlichkeit“ eben nicht, dass man das in das Gesetz, in die Bildungspläne schreibt und es damit gut sein lässt.

Die Lehrpläne eröffnen Spielraum für Schwerpunktsetzungen, wie im Antrag gefordert. Es gehört auch zum Selbstverständnis der Schulen, dass die Lehrpläne einen Rahmen geben, aber nicht vorschreiben, welche Schwerpunkte die Schulen im Einzelnen zu setzen haben.

Es geht darum, Demokratie für junge Menschen im Alltag erfahrbar zu machen, eben in der Schule und - das haben wir jetzt mehrfach debattiert - altersgemäß auch in Kitas. Ich halte das für einen ganz wichtigen Moment, und es gibt tolle Projekte in Schleswig-Holstein, die Demokratie auch in Kitas erfahrbar machen, natürlich altersgerecht. Das hat nichts mit einer Diskussion in der Oberstufe zu tun. Aber Demokratieverständnis muss früh anfangen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn dazu ein weiteres Konzept gewünscht wird, können wir das selbstverständlich machen. Aber ich wäre dafür, ganz konkret zu fassen, was neben dem, was es schon gibt, gewollt ist. Vor allem wäre meine Anregung, die Jugendlichen und die Verbände einzubeziehen.

(Beifall PIRATEN)

Das halte ich für wichtig, und deswegen glaube ich nicht, dass es gut ist, das am grünen Tisch bis zum Sommer übers Knie zu brechen. Ich glaube, wir brauchen dafür länger. Diese Zeit sollten wir uns nehmen.

Bekanntlich liegt der Teufel manchmal im Detail. Es ist schon gesagt worden: Außerschulische Jugendbildung ist nach SGB VIII eine der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, liegt also in kommunaler Verantwortung. Politische Jugendbildung ist davon ein Teilbereich. Ich bin mir ganz sicher, dass die Antragsteller nicht die Absicht hatten, in diesen Verantwortungsbereich hineinzuregieren. Im Sinne des Anliegens - mehr politische Jugendbildung

(Christopher Vogt)

wäre dann aber die Einbindung der kommunalen Ebene von Bedeutung, damit da keine Missverständnisse aufkommen.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Ein Punkt ist noch wichtig. Außerschulische politische Jugendbildung ist originär Aufgabe der Träger der Einrichtungen von Jugendarbeit, also etwa der Jugendverbände, von Trägern der offenen Kinderund Jugendarbeit oder von Jugendbildungsstätten.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neve?

Ja. - Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen.

Frau Ministerin, wir hatten gerade in der Mittagspause eine Diskussion mit Landtagsabgeordneten aus dem Bundesland Brandenburg, wo die politische Jugendbildung auch Thema war. Wir haben gemeinsam erkennen müssen, dass dies in den Lehrplänen bundesweit verankert ist, dass es im Grunde genommen also Bestandteil des Unterrichts ist. Wir mussten auch gemeinsam feststellen - auch in anderen Bundesländern ist es so -: Da ist irgendwo ein Mangel. Es ist verankert, es wird gemacht, aber es kommt bei den Schülern nicht an. Man mag ja im Kindergarten anfangen und in der außerschulischen Jugendarbeit weitermachen. Aber wenn dazwischen ein Vakuum ist, müssen wir uns schon Gedanken machen, wie wir dieses Vakuum ausfüllen.

Dann wurde von den Landtagskollegen aus Brandenburg auch berichtet, dass es sehr stark variiert, anscheinend sehr stark von der Person der Lehrkraft abhängt, wie engagiert die mit der Politik vertraut ist. Wir haben bei „Jugend im Parlament“ hier erleben müssen, dass die Jugendlichen sagen: Das hat uns keiner in der Schule beigebracht. Es nützt nichts, dass man auswendig lernt, wie groß der Schleswig-Holsteinische Landtag ist und so weiter. Vielmehr muss man begreifen, wie Politik funktioniert. Hier scheint noch ein Defizit zu sein. Das ist auch meine Frage. Die können wir heute wahrscheinlich nicht zu Ende beantworten -: Wie bekommen wir hier eine Lösung hin?

(Vereinzelter Beifall CDU)

- Das kann ich Ihnen jetzt auch nicht beantworten, aber da sind wir ganz nah beieinander. Das ist genau der Punkt, wo ich meinte: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, was wir konkret erreichen wollen. Dass es an bestimmten Punkten besser wird, dass wir noch besser werden können, will ich überhaupt nicht bestreiten. Die Frage ist: Ist der Antrag in dieser Form dann das Richtige, oder müssen wir uns genauer darüber Gedanken machen, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen? Und dafür wäre ich sehr.