Protocol of the Session on February 22, 2017

(Wolfgang Kubicki)

tencheck begonnen. Wenn wir einen Faktencheck machen, möchte ich gern wissen, an welcher Stelle irgendjemand von uns Grünen gesagt hat, dass wir Gefährder - wobei der Begriff noch gar nicht definiert ist - in den Tod schicken? Das haben wir nirgends so gesagt. Insofern bitte ich Sie, nicht mit solchen Unterstellungen zu arbeiten.

Zweitens haben Sie mir eine Frage nicht beantwortet. Wenn Sie sagen, jeder Mensch solle vor dem Gesetz gleich behandelt werden - unabhängig davon, woher er kommt -, müssten wir das auch in allen anderen Bereichen ändern. Wir haben in unserem Ausländergesetz - das kann man tatsächlich kritisch sehen; ich sehe das in vielen Fällen auch kritisch - eine Unterscheidung zwischen Ausländern und Nichtausländern. Sie suggerieren,

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Sie fänden es total ungerecht, dass wir das haben. Wir haben da Unterschiede, und genauso gibt es auch Unterschiede in der Abschiebepraxis. Unsere Schlussfolgerung, Herr Kubicki, ist aber nicht, zu sagen: Weil wir die - aus welchen Gründen auch immer abschieben müssen, schieben wir alle ab.

Man könnte ja auch anders herum argumentieren, dass man dann eben niemanden abschiebt. Aber Sie gehen automatisch davon aus, dass wir uns rechtfertigen müssen. Wir müssen uns null dafür rechtfertigen, dass wir Menschen nicht nach Afghanistan abschieben wollen.

- Frau von Kalben, ich habe Ihre Rede so verstanden, dass Sie die Auffassung der Landesregierung inhaltlich voll tragen. Ich kann mich daran erinnern, dass Herr Studt erklärt hat, Schleswig-Holstein mache einen generellen Abschiebestopp - bis auf Gefährder und Straftäter.

(Zuruf CDU: Genau! - Volker Dornquast [CDU]: Dat hett he seggt!)

Und das bedeutet, dass Sie dort differenzieren. Wenn Kollege Harms, der ebenfalls Teil Ihrer Regierungskoalition ist, den Satz prägt - der ja irgendwo auf einen Wahrnehmungshintergrund treffen soll -: „Wir schieben niemanden in den Tod ab“, dann schieben Sie die, die Sie nicht abschieben, nicht in den Tod ab, aber die, die Sie abschieben, schieben Sie dann nach seiner Auffassung in den Tod ab. Das ist etwas, was verfassungsrechtlich un

zulässig ist. Auf nichts anderes habe ich hinweisen wollen.

(Beifall FDP und CDU)

Auch die Behauptung, Menschen, die abgeschoben werden, würden grundsätzlich in den Tod abgeschoben, ist falsch. Darauf will ich ebenfalls hinweisen, weil die Aussage von Herrn Harms falsch ist. Die Differenzierung, die Sie vornehmen, deutet darauf hin, dass die Aussage von Herrn Harms falsch ist. Denn Menschen dürfen in einem Rechtsstaat grundsätzlich nicht in den Tod abgeschoben werden - egal, was Herr Studt denkt. Er würde sich sogar strafbar machen, wenn er das umsetzen würde.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Abgeordneter Kubicki, gestatten Sie nunmehr eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Ich bin gern bereit, zur Aufklärung beizutragen.

Herr Kollege Kubicki, man kann die Dinge ja auch einmal ein bisschen differenziert betrachten.

- Ja, das wäre schön.

Es ist in der Tat so, dass Menschen, die verurteilte Straftäter sind, aus Deutschland richtigerweise nicht in Staaten abgeschoben werden, wo sie beispielsweise ein Todesurteil erwartet. Das passiert generell nicht.

Hier reden wir über etwas anderes. Hier reden wir über eine Gefährdung, die eintreten kann. Da macht es einen großen Unterschied, ob wir Menschen, zum Beispiel Flüchtlingsfamilien, nach Afghanistan abschieben, die möglicherweise in Gefahr geraten, oder wir uns bei Menschen, die sich als Gefährder gemeldet haben, um Selbstmordattentate zu verüben, die sich in Waffenlagern haben ausbilden lassen, hauptsächlich um deren Sicherheitslage sorgen. Das ist ein großer Unterschied, deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass diese Gruppe im Erlass von Innenminister Studt anders behandelt wird. Dafür gibt es gute Gründe, und deswegen verfahren

(Wolfgang Kubicki)

wir so. Diesen Unterschied könnte man sogar begreifen, wenn man die Texte liest.

- Herr Dr. Stegner, ich begreife, was Sie sagen, und versuche, das nachzuvollziehen. Die Behauptung, es handele sich bei den Abzuschiebenden überwiegend um Familien, ist unzutreffend. Es handelt sich überwiegend um allein reisende Männer.

Da kommen Sie mit dem Bild: Wir wollen nicht, dass Familien in Abschiebehaft kommen. Das will auch ich nicht. Das wissen Sie genau; Sie kennen meine Position dazu. Die Chimäre, es würden Familien nachts aus den Betten geholt, um abgeschoben zu werden, sollten Sie nicht vor sich hertragen, weil Sie das Argument, das Sie anbringen wollen, damit entwerten, wie ich finde.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch Fakt!)

Herr Abgeordneter Kubicki, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Herr Kollege Kubicki, ich war bisher immer der Meinung, dass Sie sich nicht ins Postfaktische flüchten. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es in Deutschland Realität ist, dass Familien mit ihren Kindern von uniformierten Polizisten nachts aus den Betten geholt und abgeschoben werden. Das ist übrigens ein Teil dessen, was Christdemokraten ausdrücklich richtig finden und ich in diesem Hause immer kritisiert habe, weil ich das falsch finde. Das ist ein Unterschied. Den kann man hier feststellen. Zu sagen, das sei eine Chimäre, ist wirklich daneben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Herr Dr. Stegner, jetzt antworte ich einmal auf Ihrer Ebene: Dafür sind Sie verantwortlich. Denn das Innenministerium wird von Ihnen geleitet. Wenn in Schleswig-Holstein Familien nachts aus den Betten geholt werden, sind Sie dafür verantwortlich.

(Beifall FDP und CDU - Dr. Kai Dolgner [SPD]: Bundesgesetz! - Unruhe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die gleiche Argumentationslinie, die Sie sonst immer anwenden.

Der Abgeordnete Kubicki hat das Wort und kann in seiner Rede fortfahren.

Ich bin immer ganz begeistert, wenn ich diesen großen Impetus höre und gesagt wird, mit Parteimitgliedern, die in anderen Ländern oder im Bund unterwegs sind, habe man nichts zu tun, die stünden nicht in der Verantwortung. - Herr Ministerpräsident, was ist das eigentlich für ein Bild der Sozialdemokratie in Deutschland, dass die SPD mit der CDU im Bund in der Regierung sitzt und es zulässt, dass genau das passiert, was hier gerade beklagt wird?

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Doch, ich kenne das auch. - Was ist das für ein Bild? Sind da nur Hampelmänner? Ist Herr Gabriel als Vizekanzler nichts wert gewesen? Ist die SPDBundestagsfraktion nicht stark genug, um solche Sachen, die Sie für unmenschlich halten, zu stoppen? Immer wenn Sie mit dem Finger auf andere zeigen, zeigen Sie mit drei Fingern auf sich selbst. Gustav Heinemann hat in diesem Fall wirklich recht.

(Beifall FDP und CDU)

Wie ist das bei den Grünen? - Herr Kretschmann, der Superstar der Grünen, von dem die Grünen immer gesagt haben, das sei ihr Aushängeschild, der könne die Bevölkerung mitnehmen - das wollen die hier wahrscheinlich gar nicht -, hat gestern noch erklärt: Selbstverständlich wird Baden-Württemberg an der jetzt gerade stattfindenden Abschiebung von Afghanen teilnehmen. Da sagen Sie: Na ja, BadenWürttemberg, Kretschmann, was soll das?

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Völlig egal -

Können wir uns darauf verständigen, dass der Abgeordnete Kubicki das Wort hat?

Ich wiederhole mich: Solange die Rechtslage so ist, wie sie ist, haben wir sie zu befolgen. Ich be

(Wolfgang Kubicki)

dauere zutiefst, dass es bisher nicht gelungen ist, ein Zuwanderungsgesetz zu schaffen. Damit hätten wir das Problem in den von Ihnen geschilderten Fällen nicht.

(Beifall FDP)

Herr Dr. Stegner, ich kann Ihnen sicher sagen - die FDP fordert das seit 1996 und hat dazu auch schon Anträge eingebracht -: Wir werden einem Zuwanderungsgesetz nicht nur zustimmen, wir werden es im Zweifel auch umsetzen, sollten wir nach dem 24. September 2017 in die Lage geraten, mit wem auch immer gemeinsam Regierungsverantwortung in Deutschland übernehmen zu dürfen. Es ist für unser Land dringend notwendig, die Probleme, die wir beim Asyl- und Flüchtlingsrecht haben, in einem Zuwanderungsgesetz zu regeln.

(Beifall FDP)

Noch einmal: Solange wir die Gesetzeslage haben, müssen wir sie beachten, Herr Studt, auch Sie. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass der Kanzlerkandidat, die neue Lichterscheinung der SPD am Firmament, Herr Schulz, als er hier war, erklärt hat, er sei gegen einen generellen Abschiebestopp. Einzelfallüberprüfung selbstverständlich, das ist auch rechtsstaatlich selbstverständlich. Herr Peters, jede einzelne Ausreise könnte gerichtlich verhindert werden, wenn sich die Menschen an die Gerichte wenden. Nur wenn die entscheiden, dass es keinen Abschiebestopp gibt, muss abgeschoben werden.

(Beifall FDP)

Die Frage an Sie lautet: Was machen Sie ab dem 10. Mai 2017? Herr Ministerpräsident, wenn Ihre Haltung richtig ist, müssten Sie nach dem 10. Mai 2017 Abschiebungen weiter nicht vornehmen, weil Sie sagen: „An diese Rechtslage kann ich mich nicht halten, denn sie ist inhuman, unmenschlich, verfassungswidrig, gegen das Recht der Vereinten Nationen“.

Was Sie momentan machen, ist nichts anderes als wahltaktisch als der gute Mann aus Schleswig-Holstein in die Geschichtsbücher eingehen zu wollen. In Wahrheit sind Sie eine traurige Gestalt.