Kritische Stellungnahmen zum real existierenden Europa der Kommission und der Ministerräte, wie sie auch im Umfeld der Preisverleihung in Oslo darauf hat Frau Ministerin Spoorendonk hingewiesen - abgegeben worden sind, dürfen daher auch nicht als antieuropäisch verstanden und denunziert werden. Wir Liberale verstehen sie vielmehr als eine Aufforderung, die Realität stärker an das Ideal anzunähern. Es geht darum, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen, von der auch Frau Spoorendonk zu Recht gesprochen hat.
Die europäische Einigung - das ist hier auch schon gesagt worden - ist kein Selbstzweck. Sie dient der Sicherung und Nährung von Frieden, Freiheit und Wohlstand. Gut sind europäische Lösungen nicht an sich, sondern nur insoweit, wie sie diesen Zielen entsprechen.
denkrise und die Sicherung der gemeinsamen europäischen Währung, des Euro, geht, sondern etwa auch um institutionelle Reformen um mehr europäische Demokratie, etwa ein Initiativrecht für das Europäische Parlament.
Zur parlamentarischen Demokratie gehört als Kernstück nun einmal das Recht, aus dem Parlament heraus eigene Gesetzesvorschläge einzubringen, wobei freilich nicht die Menge der Gesetze, sondern eher deren Qualität im Mittelpunkt stehen sollte.
Vor einigen Jahren ließ die niederländische Ratspräsidentschaft ein 36-bändiges Sammelwerk mit den bis dahin erlassenen europäischen Rechtsvorschriften erstellen - ganze 86.000 Seiten EU-Recht. Die EU-Kommission hat daraufhin Besserung gelobt und noch unter Leitung des damaligen Kommissionsmitgliedes Günter Verheugen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es war, ein Viertel der die Wirtschaft betreffenden Rechtsvorschriften bis 2012 zu vereinfachen oder abzuschaffen.
Als der Europaausschuss des Landtages im Oktober in Brüssel war, konnten wir im Gespräch mit mehreren Kabinettchefs von EU-Kommissaren und Vertretern einiger Generalsdirektionen erfahren, dass die Frage nach den Ergebnissen dieser lobenswerten Bemühungen bei den dortigen Mitarbeitern eher Verlegenheit und Irritation auslöste. Immerhin ist der Auftrag an die besagte Arbeitsgruppe über das Jahr 2012 hinaus verlängert worden. Diesem Gremium gehören auch ehrenwerte Persönlichkeiten aus Deutschland an, beispielsweise der ehemalige Ministerpräsident Stoiber aus Bayern. Mal sehen, was daraus hervorgeht.
Die grüne Europaabgeordnete Heide Rühle hat im Gespräch mit uns in Brüssel zu diesem Thema, also der Frage der Überbürokratisierung, der Überverrechtlichung der EU, kritisch angemerkt, die Kommission habe derzeit die Tendenz, eher noch mehr Gesetzesvorschläge hervorzubringen als in der Vergangenheit, um auf diese Weise in der aktuellen Krise der Europäischen Union Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Ob das wirklich hilfreich ist, mag man in manchen Fällen bezweifeln.
Ich will nur wenige Beispiele anführen. Da geht es um die Idee, für die Ausbildung zur Krankenschwester oder andere Gesundheitsberufe das Abitur vorzuschreiben, oder etwa im Rahmen der EU-Vergaberechtsreform europaweite Ausschreibungen
auch für Kommunalkredite vorzuschreiben, was bei den betroffenen Kommunen sicherlich großes Vergnügen auslösen würde.
Erst vor wenigen Tagen hat die Landespresse darüber berichtet, welche Probleme die 1.400 Feuerwehren in Schleswig-Holstein mit neuen EU-Abgasvorschriften für Löschfahrzeuge haben. Wenn die künftig vorgeschriebenen Partikelfilter im Kurzstreckenbetrieb verstopfen und Katalysatoren nicht wirksam sind, wäre es in der Tat blanker Unsinn, keine Ausnahmeregelungen zu erlassen. Die Landesregierungen in Hessen und in Brandenburg haben schon entsprechend reagiert.
Meine Damen und Herren, eine Staatengemeinschaft mit 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in 27 Mitgliedsländern zentralistisch bis ins Detail hinein steuern zu wollen, wäre ein grundlegend verfehlter Ansatz. Die Forderung nach mehr Europa, die wir oft hören, bedarf daher nach meiner festen Überzeugung einer differenzierten Antwort. Sie ist richtig, wenn es um mehr demokratische Teilhabe der Bürger und der von ihnen gewählten Parlamente geht oder um eine praktikable oder funktionsfähige Bankenaufsicht oder um den Ausbau transeuropäischer Netze bei den Verkehrsverbindungen oder etwa bei den Stromtrassen. Ich will diese Liste, die man sicherlich noch verlängern kann, jetzt nicht fortsetzen. Wenn man mehr Europa als globalgalaktisches Rezept für alles Mögliche versteht, trägt das - das ist meine feste Überzeuge - stärker zur Abwendung der Bürger von diesem Europa bei.
Zu Recht ist im Vertrag von Lissabon das Prinzip der Subsidiarität gestärkt worden. Der Grundgedanke ist, dass sich europäische Regelungen auf solche Bereiche beschränken sollten, in denen angestrebte Ziele nicht ebenso gut oder besser auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erreicht werden können. Durch den Lissabonner Vertrag haben die nationalen und regionale Parlamente bei der Subsidiaritätskontrolle neue Rechte und Aufgaben erhalten. Es ist richtig und notwendig, dass sich auch der Schleswig-Holsteinische Landtag in Zusammenarbeit mit der Landesregierung dieser Aufgabe annimmt.
Frau Ministerin Spoorendonk hat in der Regierungserklärung generelle Aussagen zur Zusammenarbeit mit dem Landtag getroffen. Diese Aussagen begrüßen wir als FDP-Fraktion uneingeschränkt.
Wir werden uns konstruktiv an der Diskussion über die von Ihnen angekündigten Initiativen beteiligen.
Die FDP-Fraktion befürwortet auch die Einrichtung der Stelle für einen Parlamentsreferenten im Hanse-Office, vorzugsweise allerdings in Form einer gemeinsamen Vertretung mit der Hamburger Bürgerschaft.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch - zuletzt noch einmal bestärkt durch die guten Erfahrungen während der Brüssel-Reise des Europaausschusses, aber auch aus längerer Perspektive in der Vergangenheit - die hervorragende Arbeit des Hanse-Office hervorheben, dessen Leiter heute bei uns ist. Ich möchte ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen in Brüssel ausdrücklich unsere Anerkennung zollen.
Meine Damen und Herren, um Einflussnahme in Brüssel zu sichern beziehungsweise frühzeitig auf Probleme in Sachen Subsidiarität aufmerksam zu werden, muss der politische Informationsfluss verbessert werden. Das ist mehr als nur eine technische Frage der Parlamentsarbeit. Eines der Probleme, die man mit dem Begriff „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ beschreiben kann, liegt gar nicht an irgendwelchen institutionellen Unzulänglichkeiten, sondern es liegt eher an der unterentwickelten Form des politischen Diskurses über Europa. Wahlkämpfe vor Europawahlen finden zum Beispiel allenthalben weitgehend auf nationaler Ebene durch die nationale Politik statt, werden oft durch nationale Themen und Inhalte bestimmt, in den Medien aber werden Debatten über europäische Entscheidungsprozesse nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt, transportiert. Meist beschränkt sich die politische Öffentlichkeit auf eine Zuschauerrolle bei Berichten über Ministerratssitzungen und EU-Gipfeltreffen. Die Berichterstattung aus dem Europäischen Parlament ist eher dürftig, jedenfalls wenn man das einmal mit der Medienberichterstattung über die Debatten im Deutschen Bundestag oder auch in den Landesparlamenten vergleicht.
Nationale und regionale Parlamente können und müssen deshalb hier als Mittler dienen. Das war ja auch damals die Idee, weshalb wir Mitte der 90erJahre in unserem Landesparlament einen Europa
Wir als regionale Parlamentsvertreter sind im Zweifelsfall ja auch eher vor Ort präsent beziehungsweise für Diskussionen mit Bürgern greifbar. Ich denke etwa an die Diskussion, die wir kürzlich auf einer Tagung des Bundesverbandes der Europaschulen hatten, an der der Kollege Bernd Voß von der Fraktion der Grünen und ich teilgenommen haben. Auch wenn sich die beiden etwas größeren Fraktionen nicht in der Lage gesehen hatten, dorthin eingeladene Vertreter zu entsenden, glaube ich, haben der Kollege Voß und ich das Landesparlament zu zweit ganz gut repräsentiert.
Meine Damen und Herren, wenn Öffentlichkeit und Medien tendenziell eher die auf nationaler und regionaler Ebene geführten politischen Debatten wahrnehmen beziehungsweise transportieren, dann müssen der Bundestag und die Landtage es sich eben selber stärker zur Aufgabe machen, wichtige europäische Themen aufzugreifen und zum Gegenstand ihrer Debatten zu machen.
Ich füge hinzu: Das kann durchaus, wenn es denn angebracht und angemessen ist, auch einmal im Streit erfolgen. Der altbackene, der von Altväterzeiten hergebrachte Gedanke, dass man in Sachen Europapolitik immer die große „Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung“ nach dem Motto „Wir sind doch alle für Europa“ machen muss, ist eher nicht hilfreich,
weil die Öffentlichkeit - das wissen wir ja, weil wir alle ein bisschen politische Erfahrung haben - eher politische Debatten wahrnimmt, wenn sie im Konflikt, im Streit oder zumindest in einem ordentlichen demokratischen Meinungsaustausch erfolgen, man sich eben nicht dauernd nur in den Armen liegt und sagt: „Wir sind ja alle dafür.“ Mit anderen Worten: Das kann durchaus auch sehr hilfreich sein.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss in diesem Komplex noch eine eher technische Sache ansprechen, die mir überhaupt erst seit diesem Brüssel-Besuch bekannt ist. Wir haben darüber gesprochen, wie wir den Informationsfluss verbessern können. Wir werden uns Anfang des nächsten Jahres einmal mit den schleswig-holsteinischen oder norddeutschen Europa-Abgeordneten zusammensetzen und darüber reden, wie wir das zwischen dem Europaausschuss des Landtages und den Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Brüssel hinkriegen.
Aber wir haben unter anderem erfahren, dass die deutschen Europaabgeordneten, die ja auch ein Teilnahmerecht an Sitzungen des Europaausschusses des Bundestages haben, dieses praktisch nicht wahrnehmen können. Der Kollege Fleckenstein, Hamburger SPD-Europaabgeordneter, hat mir gesagt, seit er im Europaparlament sitze, habe er an keinem einzigen Sitzungstermin des Europaausschusses des Bundestages teilnehmen können, weil die Termine alle so gelegt worden seien, dass dies nicht gehe. Er hat noch ein bisschen resigniert hinzugefügt, offenbar sei das nicht gewünscht. Ich habe ihm gesagt, das müsse ein Thema - Kollege Kubicki, Kollege Stegner - für Fraktionsvorsitzendenkonferenzen werden, das müsse ein Thema für die Konferenz der Parlamentspräsidenten werden. Wenn das so weitergeht, können wir eine parlamentarische Einflussnahme in Fragen der Europapolitik nicht optimal gestalten.
Meine Damen und Herren, ein Schwerpunkt des Europaberichts der Landesregierung und der Regierungserklärung lag, wie auch bei früheren Debatten zu diesem Thema, im Bereich der Ostseezusammenarbeit. Da hat Frau Damerow durchaus recht. Frau Ministerin Spoorendonk hat in diesem Zusammenhang unter anderem auch einiges zum Bereich der Kulturpolitik gesagt. Anderes hat sie in diesem Zusammenhang freilich nicht gesagt; das muss ich dann jetzt doch noch ansprechen.
Es gibt - das ist von der Ministerin auch erwähnt worden - eine internationale Initiative zur Anmeldung archäologischer Fundstätten aus der Wikingerzeit als UNESCO-Weltkulturerbe. SchleswigHolstein ist bekanntlich mit Haithabu und dem Dannewerk an dieser Initiative beteiligt, eine Initiative, die sich auf die gesamte Ostseeregion und mit Island auf den Nordatlantik erstreckt. Von Bedeutung ist dies nicht nur als Kulturinitiative, sondern auch wegen des touristischen Potenzials, nicht zuletzt für unser Bundesland.
Nun ist aber bedauerlicherweise der Teilnehmerstaat Schweden aus dieser Initiative ausgestiegen, wodurch die Verwirklichung des Vorhabens einen schweren Rückschlag erlitten hat. Das, was ich vorhin angedeutet habe, ist genau dieser Punkt: Warum, Frau Ministerin Spoorendonk, haben Sie sich in der Regierungserklärung zu diesem Thema nicht geäußert? Frau Ministerin Spoorendonk hat sich dazu in der Presse in der letzten Woche oder vor Kurzem geäußert, aber in der Regierungserklärung, die ansonsten viel von kultureller Zusammenarbeit im Ostseeraum hervorbringt, herrscht ausgerechnet bei diesem Punkt ein beredtes Schweigen. Das verblüfft mich umso mehr, als die Ministerin in ihrer vormaligen Funktion als Fraktionsvorsitzende des SSW das Thema Haithabu/Dannewerk parlamentarisch ausgiebig bespielt hat.
Ich kann Ihnen sagen: Zu Zeiten eines Björn Engholm oder Gerd Walter hätten schleswig-holsteinische Regierungsvertreter längst Kontakt nach Schweden aufgenommen und versucht, hierzu die Meinungsbildung, die aus unserer Sicht nicht in Ordnung und nicht vernünftig ist, zu ändern.
Ich darf deshalb an dieser Stelle noch einmal nachfragen. Das ist das, was ich in der Regierungserklärung vermisst habe, weil es ein aktuelles Thema ist. Beabsichtigt die Ministerin, beabsichtigt die Landesregierung, auf politische Gesprächspartner in Schweden zuzugehen, um dort doch noch einen Sinneswandel zu befördern? Und wie vereinbart sie das Stillschweigen in der Regierungserklärung beziehungsweise in ihrer Rede hier mit dem just in der Regierungserklärung erhobenen Anspruch, künftig bei der Umsetzung des Themas Kultur in der Ostseestrategie die Rolle eines Koordinators zu übernehmen? Das ist ein hoher Anspruch, aber dann, wenn ein Problem auftaucht, herrscht Stille. Wenn man Ideengeber für die Ostseekooperation in diesem Bereich sein will, dann muss man, wenn Probleme auftauchen, schon mal die Flagge am Fahnenmast hochziehen.