Protocol of the Session on December 13, 2012

Wir müssen als überzeugte Europäer die Krise als echte Chance und Herausforderung begreifen. Die Küstenkoalition hat nicht von ungefähr der Europapolitik in ihrem Koalitionsvertrag einen sehr breiten Raum gegeben.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich finde, die Debatte mit Ihnen im Moment so anstrengend, dass ich jetzt keine Zwischenfragen zulassen möchte.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Neben der Kooperation im Ostseeraum und der Frage der Ausgestaltung der Strukturfondsförderung beides zentrale Themen mit hoher Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes - enthält der Koalitionsvertrag auch Aussagen zur Europafähigkeit des Landes und zur Weiterentwicklung der Europäischen Union.

Da mag sich manch einer fragen, was das eigentlich bedeuten soll mit der Europafähigkeit und warum wir uns hier im Land überhaupt mit der Weiterentwicklung der EU beschäftigen sollen. Das könnten ja auch die in Brüssel oder in Straßburg oder Frau Merkel und Mister Cameron machen. Ich möchte daher diese beiden Punkte einmal erläutern.

Viele Menschen interessieren sich nicht für die Politik auf der europäischen Ebene. Das kommt auch in der Beteiligung an den Wahlen zum Europaparlament zum Ausdruck.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Dabei werden auf der europäischen Ebene Beschlüsse gefasst, die auch uns ganz konkret hier in Schleswig-Holstein betreffen und nicht weniger Auswirkungen auf unser Land haben als die Landesgesetzgebung oder Beschlüsse des Bundestages. Mangelnde Betroffenheit kann also nicht der Grund an diesem Desinteresse sein. Eher liegt es wohl an der Kompliziertheit der Entscheidungsstrukturen, wie Gesetze und Beschlüsse zustande kommen. Viele haben da nur sehr vage Vorstellungen.

Europa ist aber eine Ebene der politischen Entscheidung, die wir auch in der Landespolitik fest im Blick behalten müssen. Wir können sie nicht ausblenden, genauso wenig wie die kommunale Ebene oder die Bundesebene.

Europapolitik ist nicht nur Europapolitik. Sie ist Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik, und so weiter. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Zu all diesen Politikfeldern gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das müssen wir den Menschen besser vermitteln. Wenn wir über Europa reden, wird in der Regel nur über Europaskeptiker oder Europa

(Eka von Kalben)

befürworter gesprochen. Die einen sagen, Europa sei aufgeblähte Bürokratie und ein bürokratisches Monster, und die anderen sagen, Europa sichere den Frieden und wir seien alle Europäer.

Beide Haltungen greifen zu kurz, und sie verdecken die unterschiedlichen Interessen, die unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Konzepte und die Herausforderungen, vor denen wir europaweit stehen; zum Beispiel die Frage, wie unsere Energieversorgung aussehen soll. Setzen wir weiter auf Atomkraft und auf die Ausbeutung der letzten Vorräte fossiler Brennstoffe mit fragwürdigen Technologien, wie zum Beispiel dem Fracking? Oder sind wir in Schleswig-Holstein die Top Runner, die beweisen, wie eine Energiewende funktionieren kann?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN, SSW und vereinzelt SPD)

Schaffen wir zum Beispiel gemeinsam in Europa die Herkulesaufgabe, ein europäisches SuperGrid auf den Weg zu bringen, ein Energienetz, das die verschiedenen Erzeugungsstandorte der erneuerbaren Energien verbindet - Solarkraft aus Spanien, Wasserkraft aus Norwegen, Windenergie aus Schleswig-Holstein?

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Einen ersten Schritt sind wir mit der getroffenen Rahmenvereinbarung über den Bau eines Unterseekabels zwischen Norwegen und Schleswig-Holstein in der vergangenen Woche gegangen. Beide Partner profitieren von so einer Stromverbindung. Das geplante Hochspannungskabel ermöglicht einen Stromaustausch zwischen Norwegen und Schleswig-Holstein. Überschüssiger Windstrom kann in Norwegen verbraucht oder gespeichert werden, während bei hiesiger Flaute Strom aus Wasserkraftwerken die Nachfrage befriedigen kann.

So stabilisieren sich unterschiedliche regenerative Energien gegenseitig. Die neue Integration der Strommärkte von Norwegen und Deutschland bringt Rückenwind für die Energiewende und die Netzstabilität. Das ist der Einstieg in das europäische Super-Grid. Auch das ist Europa.

Seit dem Lissabon-Vertrag haben wir als Parlamentarier auch mehr Mitwirkungsrechte. Wir haben die Möglichkeit, unsere Anliegen im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Wir haben das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission vorliegen. Wir bekommen alle Gesetzentwürfe, um sie zu prüfen. Das ist eine riesige Fülle an Dokumenten, mit denen wir überschüttet wer

den. Damit wir unsere Mitwirkungsrechte auch wahrnehmen können, müssen wir uns auf die für unser Land wichtigen Vorhaben konzentrieren. Diese müssen identifiziert werden, bevor die Entwürfe dazu auf europäischer Ebene schon längst abgestimmt sind.

Wir müssen lernen, uns frühzeitiger mit konkreten Vorschlägen und Forderungen in die Debatten einzubringen. Das meinen wir unter anderem mit Europafähigkeit stärken.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN, SSW und vereinzelt SPD)

Dafür brauchen wir auch eine Vertretung des Landes in Brüssel, wie sie bereits viele andere Landesparlamente haben. Wir wollen das gern mit Hamburg zusammen im Hanse-Office ansiedeln. Aber auch in der Landesverwaltung und auf kommunaler Ebene wollen wir die Europafähigkeit stärken.

In unserem Koalitionsvertrag heißt es:

„Unser Ziel ist ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa.“

Heißt das, Europa sei momentan unsozial, undemokratisch und unsolidarisch? - Nein, auf keinen Fall. Die EU leistet einen wichtigen Beitrag beim Ausgleich sozialer Ungleichgewichte in Europa. Die Entscheidungsstrukturen in der EU sind demokratisch. Die Beschlüsse des Ministerrates sind demokratisch legitimiert. Das Europaparlament hat im Laufe der Weiterentwicklung der Verträge immer mehr Mitwirkungsrechte erhalten. Heute werden bereits 90 % aller Gesetze in der EU nur mit Zustimmung des Parlaments verabschiedet. Wir Grüne haben uns immer für ein starkes Europaparlament eingesetzt und sind froh über diese Entwicklung.

Es gibt aber auch noch Defizite bei den bestehenden Strukturen. Gerade bei den Entscheidungen, die in Zusammenhang mit der Eurokrise getroffen wurden, beobachten wir, dass das Parlament häufig außer Acht gelassen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Wir stellen fest, dass es zu großen Schwierigkeiten führt, wenn eine gemeinsame Währungspolitik nicht mit einer gemeinsamen oder jedenfalls abgestimmten Wirtschaftspolitik einhergeht. Wir stellen fest, dass es ein großes Bedürfnis nach mehr Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie nicht nur in unserem Land gibt, sondern dass die Men

(Eka von Kalben)

schen europaweit stärker in politische Entscheidungen eingebunden werden wollen.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Wir stellen fest, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, nicht nur in unserem Land, sondern auch zwischen armen und reichen Regionen in der EU. Diese wachsenden sozialen Ungleichgewichte schaden letztlich allen.

Ich bin überzeugt: Wenn wir gemeinsam in Europa für eine gerechtere Besteuerung, für die Bekämpfung von Steuerflucht und für tragfähige Sozialversicherungssysteme eintreten, erreichen wir letztlich mehr, als wenn wir unsere vermeintlichen Interessen vor anderen verteidigen. Eine Kirchturmpolitik, die versucht, im Rahmen der europäischen Strukturen letztlich doch nur seinen eigenen nationalen oder sogar regionalen Vorteil zu suchen, wird nicht funktionieren. Die Frage ist nicht: „Wollen wir Europa oder wollen wir es nicht?“, sondern: „Welches Europa wollen wir? Wie wird das Europa von morgen aussehen?“

Wir wollen als Parlamentarier daran mitwirken, wir wollen aber auch, dass die Zivilgesellschaft angemessen daran beteiligt wird. Darum setzen wir uns für einen neuen Europäischen Konvent zur Weiterentwicklung der Europäischen Verträge ein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die Ministerin hat die Leitlinien der Landesregierung zu Europa vorgestellt, die den Titel „Schleswig-Holstein in Europa: Konzentration, Kompetenz und Kooperation“ tragen. Ich möchte diese schöne Alliteration fortsetzen mit: „Schleswig-Holstein in Europa: engagiert, energetisch erneuerbar und effizient“. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir 50 weitere Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von Kalben, ich weise Ihre infame Behauptung, die FDP habe eine antieuropäische Stimmung geschürt, für meine Fraktion entschieden zurück.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ich weise daraufhin, dass ein Hans-Dietrich Genscher und andere Vertreter meiner Partei schon an diesem demokratischen Europa und seiner Entwicklung mitgewirkt haben, als andere in der deutschen Politik noch mit Ziegelsteinen auf Polizisten geschmissen haben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Meine Damen und Herren, in seiner Laudatio zur Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union sagte der Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, Thorbjørn Jagland:

„Es ist wahrlich fantastisch, was dieser Kontinent geschaffen hat, als er sich von einem Kontinent des Krieges zu einem des Friedens wandelte.“

Die EU verdiene den Friedensnobelpreis, weil sie in diesem Prozess eine herausragende Rolle gespielt habe.

Die Auszeichnung gilt also dieser historischen Leistung, und sie gilt den Ideen und den Prinzipien, auf denen diese historische Leistung beruht. Die Auszeichnung gilt ausdrücklich nicht der leider oft unzulänglichen Umsetzung im Einzelnen.

Kritische Stellungnahmen zum real existierenden Europa der Kommission und der Ministerräte, wie sie auch im Umfeld der Preisverleihung in Oslo darauf hat Frau Ministerin Spoorendonk hingewiesen - abgegeben worden sind, dürfen daher auch nicht als antieuropäisch verstanden und denunziert werden. Wir Liberale verstehen sie vielmehr als eine Aufforderung, die Realität stärker an das Ideal anzunähern. Es geht darum, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen, von der auch Frau Spoorendonk zu Recht gesprochen hat.