Protocol of the Session on January 25, 2017

Eine andere Einschätzung, Herr Kollege Stegner, gab vor fünf Wochen - das ist nicht lange her - der SPD-Abgeordnete Niels Annen, als der Deutsche Bundestag am 15. Dezember 2016 über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats für bis zu 980 Bundeswehrsoldaten beriet und dann abstimmte. Herr Annen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte laut Plenarprotokoll des Bundestages, Seite 20.950:

„Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale Aussage treffen. Ich kenne übrigens auch kein Gerichtsurteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt.

Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückzuschicken.“

Mit der Einschränkung durch das Wort grundsätzlich verband der SPD-Bundestagsabgeordnete dann den Appell, dass jeder Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden müsse. Diese Forderung von Niels Annen findet uneingeschränkt auch die Unterstützung meiner Fraktion, der Fraktion der Freien Demokraten.

(Beifall FDP)

Sie entspricht im Übrigen auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wie Sie wissen.

Der Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan definiert den damit verbundenen Auftrag - ich zitiere aus dem Antrag der Bundesregierung -, „die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen“.

Könnte man denn einen solchen Auftrag erteilen, wenn man davon ausginge, er sei nirgendwo in Afghanistan zu gewährleisten? - Falls dieses Land so unsicher wäre, dass es selbst Menschen aus Afghanistan nicht zuzumuten wäre, in ihrem eigenen Land zu leben, wie könnte man es dann verantworten, knapp 1.000 deutsche Soldaten dort hinzuschicken?

(Beifall FDP - Unruhe - Zuruf Lars Harms [SSW])

Der vom Auswärtigen Ausschuss beratene Antrag der Bundesregierung hat am 15. Dezember 2016 eine Mehrheit von 467 Stimmen gefunden bei 101 Neinstimmen und 9 Enthaltungen. Ich kann mir - offen gesagt - nicht vorstellen, dass jemand einen

solchen Antrag mitbeschließen könnte, wenn er anderer Meinung wäre als der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion oder als der Bundesaußenminister, der seine Stimme natürlich ebenfalls für den Antrag seiner Regierung abgegeben hat, ebenso wie fast alle schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsabgeordneten.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Hier in Schleswig-Holstein wird nun zur Begründung eines Abschiebestopps ein anderes Bild der dortigen Lage gezeichnet, als es die Entscheidungsträger im Bund zugrunde legen und als es - ich habe es am Beispiel der Rede des Kollegen Niels Annen zitiert - im Bundestag dargelegt worden ist.

Außerdem agieren diverse rot-grüne Landesregierungen völlig anders als die in Schleswig-Holstein und ebenso auch grün-schwarze oder schwarz-grüne Regierungen in Baden-Württemberg oder Hessen. Nach Einschätzung des Ministers Studt müssten alle diese anderen Landesregierungen völlig

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unverantwortlich handeln!)

unverantwortlich handeln. Wenn das zutrifft, was Sie hier vorhin gesagt haben, dann fällen Sie damit ein klares Urteil über die Handlungsweise auch Ihrer eigenen Parteifreunde und all ihrer entsprechenden Kollegen in anderen Bundesländern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: NRW!)

- Nordrhein-Westfalen, aber auch Hamburg! Ich will das am Beispiel Hamburgs deutlich machen. Dort hat man sich an den beiden bisherigen Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligt, gestern mit drei Abschiebungen, darunter der eines Straftäters, und Mitte Dezember 2016 waren es sieben Abschiebungen aus Hamburg, wobei in einem Fall aus der Strafhaft heraus abgeschoben worden ist.

Nach unserer Kenntnis schiebt Hamburg ausschließlich junge alleinstehende Männer ab, die keine wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive in Deutschland haben, und des Weiteren Straftäter. Über solche Einschränkungen ließe sich auch hier reden. Ein pauschaler Sonderweg - sprich: Abschiebestopp - ist dagegen ebenso falsch wie schädlich.

(Beifall FDP und CDU)

Wir können es nicht akzeptieren, wenn sich die schleswig-holsteinische Landesregierung über vorhandene gesetzliche Regelungen unter Berufung auf vermeintlich höherrangige Überlegungen hin

(Dr. Ekkehard Klug)

wegsetzt. Es muss das geltende Recht vollzogen werden. Das heißt eben im Zweifelsfall, auch bei diesem Personenkreis eine Abschiebung zu vollziehen.

Ich wende mich dem zweiten Themenkomplex zu: der generellen Frage, wie man sich zur Abschiebung rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber verhält und wie das Ganze dann organisiert werden sollte.

Die Landesregierung beantwortet die zunehmende Kritik - wie gerade erst kürzlich Anfang Januar wieder -, gerade auch seitens der Kreise, die sich vom Land im Stich gelassen fühlen, stereotyp mit der Feststellung, man setze primär auf freiwillige Ausreisen. So hat es gestern auch Herr Stegner in den „Kieler Nachrichten“ formuliert und eben auch wieder der Herr Innenminister.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wir tun, was wir sagen! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber nicht mehr lang!)

Herr Studt hat dazu beim Neujahrsempfang der Elmshorner SPD Zahlen genannt. Ich glaube, das sind genau die Zahlen gewesen, die Sie eben auch genannt haben, nämlich dass bis Ende November 2016 rund 900 Abschiebungen aus Schleswig-Holstein erfolgt seien, 2.000 freiwillige Ausreisen.

Nun ist das Bestreben, möglichst viele freiwillige Ausreisen zu erwirken, natürlich völlig richtig. Daran ist überhaupt gar nichts auszusetzen. Als Rechtfertigungsargument führen die Zahlen, die Herr Studt präsentiert hat, aber völlig in die Irre. Das Magazin „Focus“ nennt die bayrischen Zahlen für das erste Halbjahr 2016: rund 1.500 Abschiebungen und 5.000 freiwillige Ausreisen, also fast dreieinhalbmal so viele freiwillige Ausreisen wie Abschiebungen in Bayern.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD] und Lars Win- ter [SPD])

Schleswig-Holstein kommt bei den freiwilligen Ausreisen gerade einmal auf das zweieinhalbfache Übergewicht im Vergleich zu den Abschiebungen.

(Zurufe SPD)

- Ich habe die Anteile deutlich gemacht. In Bayern wird häufiger die freiwillige Ausreise - Herr Kollege Stegner, das müssten auch Sie verstehen - für die Rückführung gewählt als die Abschiebung, und das Übergewicht der freiwilligen Ausreisen ist in Bayern höher als in Schleswig-Holstein. Entscheidend ist aber die Summe aus beiden Verfahren. Da kommt Bayern laut „Focus“ auf eine Rückfüh

rungsquote von 40 %, Schleswig-Holstein dagegen nur auf 26 %. Das zeigt die Defizite.

(Zurufe SPD)

Herr Abgeordneter, meine Damen und Herren, vielleicht ist es möglich, dass wir die Gespräche untereinander einstellen. Zwischenrufe gehören dazu, aber vielleicht lassen wir jetzt wieder das Wort an den Redner gehen.

(Zurufe SPD)

Die Landkreise fordern, dass das Land die Ausreisepflichtigen verpflichtet, im landeseigenen Ausreisezentrum in Boostedt zu wohnen.

Meine Damen und Herren, es kann auch nicht hingenommen werden, dass sich im vorigen Jahr mehr als 200 Personen durch Untertauchen einer rechtswirksamen Abschiebung entzogen haben.

Noch gravierender ist meines Erachtens die Frage, was man bei sogenannten Gefährdern tun sollte. Herr Dr. Stegner hat am 27. Dezember 2016 - nachzulesen auf den Nachrichtenseiten des Norddeutschen Rundfunks im Internet - gefordert:

„Wenn deren Asylanträge bereits rechtskräftig abgelehnt sind, müssen sie in Haft.“

Das war die Aussage von Herrn Stegner am 27. Dezember 2016.

(Zurufe)

- Ja, bei Gefährdern! Herr Kollege Stegner, wie soll man das denn bewerkstelligen, wenn es dafür im Zweifelsfall gar keine Abschiebehaftanstalt gibt?

(Unruhe)

Immerhin will Schleswig-Holstein den von Hamburg geschaffenen Abschiebegewahrsam mit nutzen.

Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Ja, gern.

(Dr. Ekkehard Klug)

Herr Kollege Klug, wenn Sie mich schon so häufig zitieren und direkt fragen, will ich Ihnen gern antworten.

(Christopher Vogt [FDP]: Wenn Sie mal was Schlaues sagen!)

Wenn Sie sich einmal anschauen, wie viele Gefährder sich in Deutschland aufhalten und wie viele davon statistisch auf SchleswigHolstein entfallen, stellen Sie fest, dass wir sehr wohl in der Lage wären, diese unterzubringen, entweder in der gemeinsamen Einrichtung mit Hamburg oder in einer Bundeseinrichtung. Es ist ja angedacht, das bundesweit zu zentralisieren. Mit anderen Worten: Das hat nichts damit zu tun, dass wir es nach wie vor falsch finden, ganz normale Flüchtlingsfamilien in Abschiebehaft zu bringen. Die haben nichts verbrochen. Die Gefährder schon. Das ist der Unterschied. Herr Kollege Klug, so viel Differenzierung muss auch am Mittwochvormittag schon möglich sein.