Herr Kollege Stegner, Sie haben gesagt, das sei mit der Sozialdemokratie nie zu machen. Ich kann Ihnen versichern: Das ist auch mit den Freien Demokraten niemals zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich habe mich ernsthaft gefragt: Sollte ich mich in fünf Jahren dafür entscheiden, einen amerikanischen Pass anzunehmen, wollen Sie mir meinen deutschen dann ernsthaft wegnehmen?
(Zuruf Tobias Koch [CDU] - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Da würden wir drüber nachden- ken! - Heiterkeit)
Herr Koch, ich finde das interessant, dass Sie so den Kopf schütteln. Damit offenbaren Sie doch tatsächlich, worum es Ihnen geht. Es geht Ihnen hier um eine Türken-Debatte. Dann sagen Sie das doch wenigstens.
Nichts war verräterischer als Ihr Gesicht gerade, als ich Ihnen die Frage gestellt habe. Nichts war verräterischer! Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, bringt mich wirklich zu der Bitte oder zu dem Appell, noch einmal in sich zu gehen. Ich will jetzt die Frage gar nicht stellen, wie die schleswigholsteinischen Delegierten der Union auf diesem Parteitag abgestimmt haben. Jetzt fassen Sie sich doch ein Herz - diejenigen, die es in Wahrheit auch nicht wollen -: Geben Sie die Abstimmung frei! Geben Sie die Abstimmung frei! Und die, die diese Debatte in Wahrheit auch nicht wollen, die diesen Schmutz im Wahlkampf auch nicht hochziehen wollen, mit diesem Schmutz nicht werfen wollen: Stimmen Sie der gemeinsamen Resolution zu, stehen Sie an der Seite aller anderen Demokraten hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Ich fände, das wäre ein wunderbares Zeichen, nicht nur kurz vor Weihnachten! - Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen jetzt nicht vor. Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Justiz, Kultur und Europa, Frau Anke Spoorendonk.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf stellvertretend für den Innenminister, in dessen Zuständigkeit dieses Thema fällt, die Position der Landesregierung darlegen. Das sage ich nicht, um mich davon zu distanzieren, sondern nur, damit Sie wissen, wie die Zuständigkeit in dieser Sache gelagert ist.
Meine Damen und Herren, unser Recht erkennt in vielen Fällen mehrfache Staatsangehörigkeiten an. Rechtlich ist das unproblematisch, politisch herrscht darüber Konsens, gesellschaftlich ist es eine Bereicherung. Nur bei in Deutschland lebenden
Kindern von Nicht-EU-Ausländern soll die doppelte Staatsangehörigkeit ein Manko sein. Jedenfalls deutet der aktuelle Beschluss des CDU-Parteitages darauf hin. So soll auf Bundesebene eine Gesetzesänderung revidiert werden, die vor fast genau zwei Jahren, am 20. Dezember 2014, erst vollzogen wurde, innerhalb dieser Legislaturperiode also. Damals wurde die sogenannte Optionspflicht - ich würde gerne sagen, sie wurde abgeschafft, aber das ist leider trotz des Einsatzes von Schleswig-Holstein nicht gelungen - zumindest eingeschränkt.
Das Ganze basiert auf einer Erweiterung des Abstammungsprinzips, das im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht verankert ist. Mit Wirkung vom 1. Januar 2000 kamen Elemente des Geburtsortsprinzips hinzu. Kinder ausländischer Eltern erwarben seitdem mit der Geburt hier im Land die deutsche Staatsangehörigkeit - fast. Denn bis vor knapp zwei Jahren unterlag diese Staatsangehörigkeit dem gesetzlichen Vorbehalt. Das soll heißen: Spätestens bis zum 23. Lebensjahr mussten sich diese jungen Menschen für die deutsche Staatsangehörigkeit oder die des Landes entscheiden, aus dem die Eltern stammen. Diese Optionspflicht, also die Pflicht, sich entscheiden zu müssen, betrifft Kinder, die hier geboren wurden, Kinder, die hier groß geworden sind, zur Schule gegangen sind, Kinder, die hier sozialisiert sind.
Ende 2014 gelang es endlich, dieses Gesetz zu ändern. Nun mussten diese jungen Menschen nicht mehr mit den Behörden um ihre Identität feilschen. Die durch Geburt entstandene Mehrstaatlichkeit wurde damit hingenommen. Damit wurde Recht und Normalität, was längst auch Realität ist. Das war ein wichtiges integrationspolitisches Signal; denn es geht dabei um sehr viel: um die emotionale Bindung, um Wurzeln, darum, die Vielfalt des eigenen Lebens anzuerkennen.
Nun also plant die CDU, diese Optionspflicht wiederherzustellen. Weder gibt es moralische noch fachliche Gründe, diese Pflicht wieder aus der Versenkung zu holen. Dieser Rückschritt hat einzig symbolische Wirkung. Der Entscheidungszwang für junge Menschen garantiert mitnichten integrationspolitische Erfolge - im Gegenteil. Der Zwang hinterfragt einen Teil der Identität junger Menschen und erzeugt emotionale Reaktionen, erzeugt Frust und Ablehnung. Er muss von den Betroffenen als Zurückweisung empfunden werden. Bunte Lebensläufe und Lebensgeschichten bereinigen zu wollen, klingt nicht nach einem zukunftsfähigen Konzept für Deutschland. Ich glaube, das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Sachlich betrachtet spricht nicht das Geringste dafür. Die Änderung kostet Unsummen und erzeugt einen erheblichen Aufwand, sowohl bei den Behörden als auch bei den Betroffenen. Zigtausende Personen müssten dann angeschrieben werden, sie müssten informiert werden über rechtliche Konsequenzen. Sie müssten beraten werden, womöglich mehrfach - ein erheblicher personeller und finanzieller Aufwand bei den Behörden und bei den Betroffenen.
Unser Ziel sollte sein, durch diese Vielfalt, die die Menschen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit hierherbringen, das gesellschaftliche Gefüge zu stärken, indem wir unterschiedliche Lebenshintergründe tolerieren und anerkennen. Nur das ist die Zukunft für unser Land. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde an der Debatte bedauerlich, dass wir von Ihnen bisher kein Argument gehört haben außer das Argument: Das war schon immer unsere Position.
- Herr Koch, gerade Sie haben durch Ihre Mimik und durch Ihre Zwischenrufe deutlich gemacht, dass Sie einen Unterschied machen, ob man einem Deutsch-Amerikaner einen Pass wegnehmen und nicht erteilen will oder einem Deutsch-Türken.
Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie mir einmal erläutern könnten, warum das für Sie ein Unterschied ist, sodass jemand mit einem amerikanischen Hintergrund zwei Staatsbürgerschaften haben darf, ein Menschen mit einem türkischen Hintergrund aber nicht. Diesen Unterschied verstehe ich nicht, es sei denn, es liegt an dem, was wir ihnen dann anscheinend zu Recht unterstellen, dass das ein Angriff auf die Türken ist.
Wenn das nicht so gemeint ist, dann erklären Sie mir doch bitte, warum das für 60 Länder gelten soll, für Türkischstämmige aber nicht. Ich verstehe das ernsthaft nicht, und ich würde mich freuen, wenn
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Kneifen Sie doch nicht! Sagen Sie etwas dazu!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich wundere mich. Es haben sich jetzt hier wirklich alle Fraktionen hingestellt und von diesem Rednerpult aus gesagt, dass die CDU auf Bundesebene und auf Landesebene auf dem Rücken der Türkischstämmigen - so habe ich es ausgedrückt; Heiner Garg hat es anders ausgedrückt; Lars hat das gesagt - Wahlkampf macht.
Ich frage mich, warum keiner von Ihnen dazu etwas gesagt hat. Ich stelle mir einmal vor, das würde für uns alle anderen gelten. Dann würden doch Kolleginnen und Kollegen aufstehen und sagen: „Das stimmt nicht! Das haben wir nie gesagt!“, oder wie auch immer. Sie würden vielleicht auch sagen: „Dazu stehen wir, wir bekennen uns dazu!“, oder was auch immer. Aber Sie sitzen da, gucken sich gegenseitig fragend an, und wir hören hier keinen einzigen Kommentar dazu - bis auf den von dir, liebe Astrid. Du weißt, ich schätze dich wirklich sehr. Aber das war wirklich gestammelt, gestottert, null Argumente. - Das hat Eka von Kalben eben gerade auch schon gesagt.
Ehrlich gesagt, verlange ich von Ihnen, dass sich wenigstens einer von Ihnen hier hinstellt und etwas zu diesen Vorwürfen sagt.
- Ja. Das ist süß, das ist Ihr Kommentar dazu? Das werde ich dann zitieren: Das ist süß, was die Abgeordnete Midyatli da vorn erzählt!
(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist feige! Das ist nicht süß, sondern feige ist das! - Weitere Zurufe)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich gern noch einmal ein richtig praktisches Beispiel bringen möchte, das illustriert, was dieser „kleine Beschluss“, Jugendlichen den Pass wegzunehmen, bedeuten würde.
Landespolizei: Wir wünschen uns für die Landespolizei, dass möglichst auch Menschen mit Migrationshintergrund in der Landespolizei tätig sind, denn dann kann man bestimmte Gruppen auch besser ansprechen. Das ist übrigens eine Haltung, die auch die CDU in diesem Hohen Haus vertreten hat.
Nun gucken wir uns das Ganze doch einmal an: Ein 18-Jähriger geht zur Landespolizei, macht dort eine Ausbildung, wird 21 und hat dann nach den Wünschen der CDU noch zwei Jahre lang Zeit, seinen Pass aus dem Herkunftsland seiner Eltern abzugeben. Wenn er das nicht tut, entzieht man ihm die deutsche Staatsbürgerschaft und damit die Möglichkeit, für die Landespolizei tätig zu sein. Kein Mensch, den wir hier erst super integriert haben und der für uns alle diesen Job ausführen möchte, würde diesen Job dann noch machen können und wollen, wenn Sie schon damit drohen, ihm dann auch noch die Existenzgrundlage zu entziehen.
Genau das ist der Kern der Sache, das ist das, was Sie wollen. Sie wollen verhindern, dass sich Leute in unserem Land engagieren, dass Leute Berufe ergreifen, die wir brauchen. Gerade da brauchen wir Leute mit einem etwas erweiterten Horizont. Dieses praktische Beispiel macht noch einmal deutlich, dass das der total falsche Weg ist und an der Realität vorbeigeht.
Deshalb bitte ich - genauso wie der Kollege Garg darum -: Geben Sie die Abstimmung frei, ansonsten fordere ich einzelne Abgeordnete auf, die den Mut haben, zu ihrer eigenen Haltung zu stehen, das hier heute auch zu tun. Ich weiß, auch bei Ihnen gibt es vernünftige Menschen. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu, haben Sie diesen Mut, denn der Antrag ist gut! Alles, was hier bisher gesagt worden ist, waren gute Argumente, die eigentlich auch Sie überzeugen sollten. Also stimmen Sie bitte unserem Antrag zu!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich eine Bemerkung des Kollegen Dr. Stegner für noch ausbaufähig halte.
- Ja, mir ist das wirklich ernst, denn der Gedanke, den er geäußert hat, ist zutreffend. Wir müssen in der Debatte aufpassen, dass wir nicht jede Diskussion über die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft gleich in die rechtsradikale und rassistische Ecke stellen. Ich glaube, das würde der Debatte nicht gerecht.
Aber Sie haben recht, ich glaube auch, dass eine Mehrheit - jedenfalls auf dem CDU-Bundesparteitag - eigentlich gar nicht die doppelte Staatsbürgerschaft in die Richtung thematisieren wollte, in der der Beschluss gefasst worden ist, sondern eigentlich das meint, was die Kanzlerin gesagt hat, dass es nämlich sinnvoll ist, dass es so bleibt, wie es ist, und das nicht verändert wird. Sie hat ja auch gesagt, dass sie in ihrer praktischen Regierungspolitik nicht gedenkt, den Ansatz zu verfolgen, den Beschluss des Bundesparteitags umzusetzen. Das ist ja schon einmal mutig für eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden einer Partei.