Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund haben die Regierungsfraktionen in Schleswig-Holstein im Mai 2015 einen Antrag eingebracht, der Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz formuliert. Diese Grundzüge beziehungsweise Anforderungen gelten für uns fort und sind auch heute noch unsere Diskussions- und Handlungsleitlinien.
Mit diesem Grundsatz gehen wir gerne in die Ausschussberatung. Aber wir sind uns auch darüber im Klaren, dass der Ball in Berlin und nicht in Kiel liegt. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Bevor wir in der Redeliste fortschreiten, möchte ich insbesondere auch für das Protokoll darauf hinweisen, dass wir unter diesem Tagesordnungspunkt nicht nur die Drucksachen 18/4404 und 18/4661 diskutieren, sondern, was hier noch nicht übertragen war, es geht auch um den Änderungsantrag der Fraktion der CDU mit der Drucksache 18/4659. Dieser Änderungsantrag trägt den Titel: Bundesteilhabegesetz zum Fortschritt für Menschen mit Behinderungen machen. Das ist hier nicht übertragen worden; das tut mir leid. Aber jetzt haben Sie der Vollständigkeit halber alle Anträge vorliegen, und auch für das Protokoll ist dies nachgereicht worden.
Bevor jetzt die Frau Kollegin Dr. Bohn das Wort erteilt bekommt, haben wir noch weitere Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne zu begrüßen.
Erschienen ist eine weitere Schülergruppe der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule aus Wedel. Auch euch ein herzliches Willkommen hier im Kieler Landeshaus!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesteilhabegesetz soll die Eingliederungshilfe ablösen. Es soll endlich umsetzen, was Verbände und Expertinnen und Experten schon lange fordern: gleiche Rechte für alle Menschen, weg von der Fürsorge, hin zu echter Teilhabe. Dieses Ziel teilen wir Grüne ohne Wenn und Aber.
Der lang erwartete Entwurf der Bundesregierung löst allerdings die Versprechen nicht ein, jedenfalls nicht so, wie die Kollegin Heike Franzen und ich es vor Jahren einmal bei einer Podiumsdiskussion erlebt haben. Ich dachte: Das darf doch nicht wahr sein! Endlich kommt ein Teilhabegesetz. Ich sage ganz ehrlich: Ich hatte mich nach der Wahl, als alles klar war, doch sehr gefreut, dass die Große Koalition das in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hatte. Ich muss allerdings auch sagen, es geht mir wie vielen Betroffenen. Ich bin nämlich ein bisschen enttäuscht über das, was zum jetzigen Zeitpunkt vorliegt. Noch geben wir nicht auf, noch kann nachgebessert werden.
Im Moment müssen wir leider sagen: Es ist auch nicht für alle Menschen mit Behinderung ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, mit dem man einmal anfangen könnte. Nein, es ist leider so, dass es für Menschen mit geistiger Behinderung und für Menschen mit psychischer Behinderung sogar ein Rückschritt werden könnte. Das wollen wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Alle Menschen haben gleiche Rechte. Das gilt für Menschen mit und ohne Behinderung. Nur um sich das einmal klarzumachen: Für manche Menschen ist das essenziell. Sie können ohne Unterstützung noch nicht einmal auf die Toilette gehen. Sie können nicht ohne Assistenz am öffentlichen Leben teilhaben. Deswegen ist es wichtig, dass wir alles dafür tun, dass es zu Verbesserungen kommt.
Deswegen freue ich mich auch sehr über die sehr konstruktive Debatte, die wir hier führen. Ich habe den Eindruck, dass das, was wir vor eineinhalb Jahren hier debattiert haben, heute immer noch so ist: Wir wollen ein gutes, ein echtes Teilhaberecht.
Ich würde mich sehr freuen, wenn der Druck, der jetzt entsteht - der muss auch entstehen; es muss Druck in den politischen Kessel hinein, damit hier nachgebessert wird -, hilft und wenn am Ende des Tages - noch ist Zeit dafür - dann doch ein echtes, ein gutes Teilhaberecht aus Berlin nach SchleswigHolstein kommen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich mir herausgegriffen habe; der hat auch bei der Diskussion im Legienhof, an der einige von uns teilgenommen haben, in der letzten Woche eine große Rolle gespielt. Das ist der § 99 des Entwurfs des Bundesteilhabegesetzes. Das klingt ganz harmlos, und genauso kommt er auch daher. Aber was er in der Realität für Menschen mit Behinderung bedeuten könnte, ist nicht ganz klar. Es kann doch nicht sein, dass wir sagen: Ein Mensch mit Behinderung muss in fünf von neun Teilen eingeschränkt sein; sonst ist er kein Mensch mit Behinderung mehr. Das funktioniert doch überhaupt nicht. Das hat nichts mit dem Leben von Menschen mit Behinderung zu tun. Deswegen muss gerade in diesem Bereich dringend nachgebessert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit wird knapp, und deswegen sage ich, es muss Druck in den Kessel. Deswegen von grüner Seite die klare Ansage: Ja zu echter Teilhabe, Nein zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.
Ich appelliere an alle Beteiligten, sich in ihren Fraktionen und in ihren Parteien dafür starkzumachen und sich dafür einzusetzen, dass in Berlin nachgebessert wird.
Die Anträge würden wir im Übrigen gern im Sozialausschuss mit Ihnen weiter beraten.- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten hat in dieser Plenartagung ja schon einmal John F. Kennedy, aber auch Roosevelt und sogar Donald Trump bemüht, um Dinge zu verdeutlichen. Mich hat ganz besonders beeindruckt, was der kanadische Premierminister Justin Trudeau diese Woche vor der UN-Vollversammlung über sein Land gesagt hat. Sinngemäß sagte er: „Wir sind stark wegen und nicht trotz unserer Unterschiedlichkeit.“
Ich glaube, das, was er im Hinblick auf die Behandlung von Flüchtlingen gemeint und gesagt hat, passt auch wunderbar zu diesem Tagesordnungspunkt. Es geht nämlich darum, Unterschiedlichkeiten von Menschen endlich als Bereicherung und nicht als Belastung für eine Gesellschaft anzuerkennen und den Vorteil, den eine Gesellschaft voller Individuen, voller unterschiedlicher Menschen hat, anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Chancen, die aus dieser Unterschiedlichkeit entstehen können, wahrgenommen werden können.
Ich glaube, dass dieser Geist bei der Formulierung eines Gesetzentwurfs zu dem - ja, liebe Kollegin Bohn - lange erwähnten Bundesteilhabegesetz vollständig verloren gegangen ist. Seit 15 Jahren beschäftigen sich Arbeits- und Sozialministerkonferenzen mit der Frage, wie man das Problem der Eingliederungshilfe in den Griff bekommt, meistens - Herr Kollege Dudda, ich glaube da muss man den entsprechenden Landesministern, die jeweils dafür zuständig sind oder auch waren, gar keinen Vorwurf machen - natürlich auch immer vor dem Hintergrund der Finanzierbarkeit eines solchen Systems.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal abgesehen von den vielen zutreffenden Einzelvorwürfen, Einzeleinwendungen und zahlreichen Protesten, die es derzeit gegen den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes gibt, glaube ich, dass es vor allem an einer Stelle krankt. Das ist mehr als nur die Frage: Können wir in dem einen oder anderen Paragrafen nachdrehen? Können wir den § 99 dahin gehend verbessern, dass wir mehr oder weniger Merkmale haben, Frau Ministerin, wenn ich ernsthaft noch einmal die Frage nach der Komplexität der Finanzierungsstrukturen in die Beratungen einbringe? Wenn wir an die Auflösung genau dieser Komplexität der Finanzierungsstrukturen im System der Eingliederungshilfe nicht herangehen, dann bekommen wir genau das, was die Kolleginnen und Kollegen vor mir beschrieben haben, nämlich irgendeine
Veränderung und irgendeine Verbesserung des vorliegenden Gesetzentwurfs, der verabschiedet werden soll und nach politischem Willen auch verabschiedet werden wird, weil man sich natürlich nicht die Blöße geben wird, ein groß angekündigtes Projekt dann am Ende doch nicht über die Hürde zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es lohnt deswegen, im Ausschuss ernsthaft noch einmal darüber nachzudenken, ob man diese Chance nicht in allerletzter Minute noch nutzen will, um endlich reinen Tisch zu machen, damit sich der Bund bei einem steuerfinanzierten Leistungsgesetz, und etwas anderes wird es im Endeffekt nicht werden, endlich ganz klar zu seiner Verantwortung bekennt und diese Verantwortung annimmt und an sich zieht. Das betrifft nicht die einzelne Definition dessen, was in Zukunft gefordert ist, sondern das betrifft insbesondere die finanzielle Verantwortung für diesen Bereich. Ich bin der Auffassung, dass dauerhaft sowohl Kommunen als auch Länder mit dieser Aufgabe schlicht und ergreifend überfordert sind. Diese Überforderung führt dann zu einer Hilfegewährung nach Kassenlage.
Kollege Harms, Sie nicken. Über diese Hilfeleistung nach Kassenlage haben wir uns schon im Jahr 2008 auseinandergesetzt, als wir die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe hier in SchleswigHolstein problematisiert haben. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass Probleme, die wir in den letzten zehn Jahren hoch und runter debattiert haben, und Probleme der Abgrenzung zwischen Pflegeleistung und Eingliederungshilfe - damals haben wir die Probleme der Hilfegewährung nach Postleitzahlen genannt - Rückkehrer sind. Dass all dies auf Wiedervorlage gelegt wurde, zeigt, dass der jetzige Gesetzentwurf eben nicht dem Anspruch genügt, Unterschiedlichkeit als Chance und als Herausforderung für eine Gesellschaft anzuerkennen.
Deswegen bitte ich, sich neben all den einzelnen fachlichen Einwendungen, über die ich mich gern mit Ihnen im Ausschuss unterhalte, vor allem noch einmal de zugegeben mühevollen und vielleicht nicht ganz so empathischen Themas, dem aber aus meiner Sicht wichtigsten Thema, nämlich der Komplexität der Finanzierungsstrukturen in der Eingliederungshilfe, anzunehmen und dieses Signal klar nach Berlin zu senden. Der Bund steht nach meiner Auffassung und nach meiner festen Überzeugung hier in der Verpflichtung, dieses Problem endlich aufzulösen und für dieses Problem eine Regelung dahin gehend zu finden, dass der Bund die Verantwortung für die Finanzierung dieses Rechtsan
Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich will hier nicht verhehlen, dass ich sehr enttäuscht bin. Der jetzige Entwurf des Bundesteilhabegesetzes ist in der heutigen Form nicht nur ungenügend, er ist in Teilen einfach nicht akzeptabel.
Aus Sicht des SSW muss hier dringend nachgebessert werden, und zwar im Sinne der Menschen mit Behinderung.
Ich will niemandem zu nahe treten, aber wenn man den Entwurf liest, dann entsteht schon der Eindruck, dass hier viele faule Kompromisse gemacht wurden. Das allein wäre ja nicht so ungewöhnlich, aber das Bundesteilhabegesetz ist nicht irgendein Gesetz, sondern es ist die sozialpolitische Reform dieser Bundesregierung. Deshalb haben wir hier große Erwartungen, und natürlich sind wir entsprechend enttäuscht; genau wie viele Menschen mit Behinderung auch.
Trotzdem kann ich dem Antrag der PIRATEN zum jetzigen Zeitpunkt so nicht zustimmen. Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Vielleicht ist noch die Möglichkeit gegeben, nachzusteuern. Wir alle wissen, dass es sehr viele Kröten im Bundesteilhabegesetz gibt. Es sind zu viele, um sie hier in fünf Minuten im Detail darzulegen. Klar ist, dass dieses Gesetz gemeinsam mit dem Pflegestärkungsgesetz sämtliche Leistungen für Menschen mit Behinderung neu regelt. Das hat Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche von über 10 Millionen Betroffenen.
Maßgabe war immer, dass die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht im Sinne der UN-Konvention weiterentwickelt werden soll. Auch wenn manch einer im Verlauf wohl sehr auf die Kostenfrage geschaut hat, so muss aus Sicht des SSW ganz klar sein: An diesem Grundsatz darf nicht gerüttelt werden.
Wir sind jetzt im parlamentarischen Verfahren. Das Bundesteilhabegesetz wird in diesen Tagen im Bundestag und im Bundesrat beraten, und zwar in erster Lesung. Ebenso wie die vielen kritischen Verbände sehen wir diesen Entwurf als eine Grundlage. Jetzt müssen alle Mängel behoben werden. Wir haben für unsere Koalition schon vor über einem Jahr klar gesagt, welche Anforderungen wir an dieses Gesetz haben. Hierzu zählen zum Beispiel der Ansatz der Hilfe aus einer Hand oder die Stärkung der Selbstbestimmung durch ein echtes Wunsch- und Wahlrecht sowie die weitere Förderung des persönlichen Budgets, aber eben auch die Abschaffung der Einkommens- und Vermögensvorbehalte und die Einführung eines bedürftigkeitsunabhängigen und vom Bund finanzierten Teilhabegeldes.
Das, was heute vorliegt, ist noch weit davon entfernt. Meine Kollegin Marret Bohn hat schon den § 99 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Bundesteilhabegesetz angesprochen. Ich war neulich in Schleswig und habe dort die Brücke besucht. Dabei habe ich mit den Mitgliedern des Nutzerrates diskutiert. Diese haben mir deutlich klargemacht, was dieser § 99 so, wie er ihnen vorlag, ganz konkret für die Menschen vor Ort bedeuten würde. Die Umsetzung würde bedeuten, dass 80 % der Nutzer der Angebote der Brücke in Schleswig von der Hilfe ausgeschlossen sind und das Angebot der Brücke nicht mehr nutzen können. So etwas ist vollkommen unakzeptabel.
Deshalb denke ich: Es gibt hier vieles, das nachgebessert werden sollte. Es kann auch nicht hingenommen werden, dass Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf von Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen werden sollen. Das geht gar nicht.
Für den SSW steht fest, dass wir diesem Gesetz nur zustimmen können, wenn kein Betroffener schlechtergestellt wird. Das ist die Grundvoraussetzung. Doch ich bleibe zuversichtlich: Wenn wirklich alle Kräfte gebündelt werden, dann können wir vielleicht doch noch ein Teilhabegesetz bekommen, das unsere Anforderungen erfüllt und damit im Sinne der Menschen mit Behinderung ist. Ich denke, gerade diese zentrale sozialpolitische Reform hat alle Sorgfalt verdient, damit das, was dabei heraus