Protocol of the Session on September 22, 2016

- ja - in Kraft treten soll, bitte ich um Abstimmung in der Sache, was unseren Antrag angeht. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Karsten Jasper das Wort.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Sehr schön!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute zahlreiche Vertreter der Verbände der Menschen mit Behinderungen anwesend sind.

„Nicht über uns - ohne uns“, das ist der Leitsatz der Diskussion zum Bundesteilhabegesetz.

Viele von Ihnen haben mitbekommen, dass es heute Morgen eine Demonstration vor dem Landtag gab. Gestern oder vorgestern haben außerdem Betroffene demonstriert. Ich danke allen betroffenen Menschen, dass sie an diesen Demonstrationen teilge

(Wolfgang Dudda)

nommen und uns auf ihre Probleme hingewiesen haben.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Bundesteilhabegesetz soll in erster Linie die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt werden. Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein Spagat zwischen einem neuen SGB IX und den finanziellen Möglichkeiten, die wir dabei auch im Blick behalten müssen.

Ein weiteres Ziel ist die bessere Verknüpfung mit dem ersten Arbeitsmarkt zur Stärkung des inklusiven Arbeitsmarktes. Ziel ist außerdem das sogenannte Budget für Arbeit. Die Eingliederungshilfe soll reformiert werden, und es soll ein modernes Teilhaberecht entwickelt werden.

Das ist in der Tat ein Paradigmenwechsel vom Fürsorgesystem des SGB XII zum personenzentrierten Teilhabegesetz im neuen SGB IX. Leistungen aus einer Hand. Nur noch ein Reha-Antrag für verschiedene Reha-Träger.

Wo stehen wir zurzeit, und was ist bis jetzt passiert? Seit 2004 wird in allen Parteien über die Schaffung eines neuen Teilhabegesetzes diskutiert. Von 2014 bis April 2015 hat sich eine Arbeitsgruppe mit dem Referentenentwurf befasst. Dabei haben sich Vertreter von 15 Verbänden von Menschen mit Behinderung in neun Sitzungen getroffen. Ein mehrere hundert Seiten starker Abschlussbericht wurde abgeliefert.

Im Juni 2016 kam dann der Referentenentwurf in den Koalitionsausschuss. Ein wesentlicher Bestandteil war, dass die Hilfe zur Pflege noch einmal beraten wird. Am 28. Juni ist dann der entsprechende Kabinettsbeschluss gefasst worden. Die erste Lesung im Deutschen Bundestag erfolgt heute zeitgleich zu unserer heutigen Beratung. Am 7. November wird es hierzu noch eine Anhörung geben. Anfang Dezember folgt dann die zweite Lesung. Mitte Dezember wird das Gesetz dann im Bundesrat beraten, weil es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt. Das Gesetz soll dann am 1. Januar 2017 in Kraft treten, allerdings in verschiedenen Schritten bis zum Jahr 2020.

Wir haben in unseren Änderungsantrag fünf Punkte aufgenommen, die immer wieder an uns herangetragen worden sind. Das ist das Ergebnis von zahlreichen Gesprächen mit Verbänden und Werkstätten für Behinderte. Diese fünf Punkte haben wir aus diesen Gesprächen herausgegriffen.

§ 219 des Referentenentwurfs sieht ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit vor. Menschen mit Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf brauchen auch zukünftig Zugang zu Werkstätten für Behinderte.

(Beifall CDU)

§ 99 des Referentenentwurfs! Die Eingliederungshilfe wird einfacher. Der Zugang darf nicht auf fünf beziehungsweise drei von neun Lebensbereichen beschränkt sein.

Das Gleichrangverhältnis von Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung ist beizubehalten. Eingliederungshilfe nach SGB IX muss Vorrang gegenüber Hilfe zur Pflege nach § 63 SGB XII haben.

Die Privilegierung nach § 103 von Personen, die gleichzeitig im Erwerbsleben sind und Hilfe zur Pflege erhalten, ist aufzuheben.

Andere Leistungsanbieter müssen die gleichen Qualitätsanforderungen erfüllen wie die Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Meine Damen und Herren, ich sehe, die Zeitanzeige blinkt. Ich habe aber noch ein bisschen. Dann kann ich noch einmal zurückblättern.

Meine Forderung lautet, dass die Umsetzung dieses Gesetzes von Anfang an wissenschaftlich begleitet wird. Es muss zudem evaluiert und gegebenenfalls nachgesteuert werden.

(Beifall CDU, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Das neue Bundesteilhabegesetz enthält sehr gute Ansätze. Das sind sozusagen die Sonnenseiten.

Sie alle waren heute auf der Demo. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in die Mappe hineingeschaut haben. Ich habe eine Karte gefunden, auf der stand: Wer will schon seinen Traum begraben, weil das Sparbuch ans Sozialamt geht?

Meine Damen und Herren, genau das wird nicht mehr der Fall sein, weil die Einkommens- und Vermögensfreistellung angehoben wird, und zwar beim Vermögen in zwei Schritten zunächst auf 25.000 € und im Jahr 2020 auf 50.000 €.

Ganz wichtig ist, dass die Vermögen der Ehepartner beziehungsweise Lebenspartner nicht mehr herangezogen werden. Die Schattenseiten müssen wir jetzt noch beseitigen.

Ich war auf einer Veranstaltung der Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller Anfang September in Berlin. Es liegen bereits 150 Anträge aus den Län

(Karsten Jasper)

dern vor, die noch in dieses Gesetz eingebracht werden sollen.

Herr Kollege, die Uhr vor Ihnen blinkt tatsächlich. Wenn Sie bitte auf das Vorzeichen achten würden. Insofern müssen Sie jetzt Ihren allerletzten Satz formulieren.

Ich formuliere jetzt meinen letzten Satz, Frau Präsidentin. - Ich würde es gerne sehen, wenn wir alle drei Anträge in den Ausschuss überweisen, weil dieses Gesetz einen Paradigmenwechsel darstellt. Ich denke, wir müssen darüber noch einmal reden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Vielen Dank. - Da der Änderungsantrag der Fraktion der CDU, von dem der Kollege gerade gesprochen hat, mir hier noch nicht vorliegt, werden wir das noch klären.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Gestern verteilt!)

- Keine Sorge, Herr Arp. Sie wissen, ich kriege das hin.

Jetzt hat der Kollege Wolfgang Baasch von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz arbeitet der Bundesgesetzgeber an einer der größten sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre. Das Ziel, Menschen mit Behinderung ein Mehr an selbstbestimmter Lebensführung zu ermöglichen und sie aus der sozialen Nische der Bedürftigkeit herauszuholen, ist richtig. Ich freue mich, dass dieses Zitat auch dem Kollegen Dudda gefallen hat. Ich glaube, das eint einen grundsätzlich, wenn man Sozialpolitik gestalten will.

Die Umgestaltung der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht ist genauso überfällig wie eine Reform des Schwerbehindertenrechts. Frauen und Männer mit Behinderung sollen bessere Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen und durch mehr Teilhabe bei Bildung, Wohnen und Freizeit profitieren.

Über diese Eckpunkte, aber auch über die Grenzen im Gesetzgebungsverfahren und vor allem über die finanziellen Auswirkungen wird vor dem Hintergrund des vorliegenden Gesetzentwurfes heftig diskutiert.

Ich möchte festhalten, dass im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot in Berlin eine Unterstützung der Kommunen vereinbart worden ist. Es ist natürlich richtig, dass die Kommunen finanzielle Unterstützung brauchen. Dass diese finanzielle Unterstützung aber nun gewährt wird ohne die Bedingung, die man ursprünglich an die Eingliederungshilfe gekoppelt hat, ist etwas, was schwer verdaulich ist. Darüber muss man noch einmal mit dem Bundesgesetzgeber beziehungsweise mit den Bundestagsfraktionen intensiv diskutieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist eine Diskussion, die bei einem Gesetzesvorhaben dieser Größenordnung nicht nur verständlich, sondern auch zwingend notwendig ist. Deswegen ist es gut, dass sich die Menschen, die direkt betroffen sind, zu Wort melden und dies, wie ich finde, auch sehr deutlich und sehr klar tun.

„Nicht über uns - ohne uns“ ist ein Motto von Menschen mit Behinderung, die ihre Selbstbestimmung stärken und aktiv ihre individuelle Lebensplanung gestalten wollen. Das bedeutet, dass für Menschen mit Assistenzbedarf zum Beispiel das uneingeschränkte Wunsch- und Wahlrecht, das heißt, wie und wo sie wohnen und arbeiten wollen und welche Teilhabeleistungen sie in Anspruch nehmen, für uns von entscheidender Bedeutung ist und sich natürlich auch im Bundesteilhabegesetz wiederfinden muss. Das muss vielleicht aber noch klarer herausgearbeitet werden.

Den Kritikern möchte ich sagen: Die Sorgen und Ängste kommen zwar bei uns an, sie kommen auch in Berlin an, aber es ist auch so, dass viele Kritikpunkte mittlerweile unberechtigt sind. Bisher haben diejenigen Anspruch auf Eingliederungshilfe, die eine wesentliche Behinderung haben. Künftig wird endlich nicht mehr auf die Defizite eines Menschen abgestellt. Das ist ganz wichtig. Stattdessen werden im Sinne der UN-Konvention individuelle Einschränkungen nach der sogenannten ICF-Klassifikation betrachtet. Dabei kann eine Leistung auch dann gewährt werden, wenn weniger als fünf beziehungsweise drei Lebensbereiche nach den ICF-Kriterien eingeschränkt sind, aber im Einzelfall eine vergleichbare Unterstützung erforderlich ist.

(Karsten Jasper)

Dass es künftig eine Unterstützung im Einzelfall geben kann, wenn nur eines der Kriterien in großem Umfang gegeben ist, ist eine Regelung, die aufgrund der Kritik vieler Behindertenverbände als Änderung bereits jetzt in dem Gesetzentwurf enthalten ist. Das heißt, das, was der Kollege Jasper eben gefordert hat, ist praktisch schon in den auf Bundesebene vorliegenden Gesetzentwurf eingearbeitet. Wir finden, dass diese Schritte richtig und notwendig sind, um den Bedenken Rechnung zu tragen; denn Behinderungen sind immer individuell und deshalb auch individuell zu betrachten.

Aber ein Bundesteilhabegesetz bedeutet für uns natürlich auch die Gewährleistung einer unabhängigen Beratung, den Verzicht auf Anrechnung von Einkommen und Vermögen und auch die Einhaltung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund haben die Regierungsfraktionen in Schleswig-Holstein im Mai 2015 einen Antrag eingebracht, der Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz formuliert. Diese Grundzüge beziehungsweise Anforderungen gelten für uns fort und sind auch heute noch unsere Diskussions- und Handlungsleitlinien.