Angesichts der Tatsache, dass der Schusswaffengebrauch in Haftanstalten des Landes nach Aussage der GdP, die es ja wissen muss, seit 30 Jahren keine Rolle mehr spielt, nehme ich an, dass es eher Gefühlslagen und Statusgesichtspunkte waren, die die Diskussion der letzten Wochen befeuerten. Aber sei es drum.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist für die Haftanstalten des Landes zu wichtig und zu gut, als dass er an diesem eher marginalen Punkt zerredet werden sollte.
Zum Schluss noch zum Änderungsantrag der CDU. Bisher hatten Sie sich vor allem hinter dem Argument verschanzt, der Gesetzentwurf sei schlecht, weil für die Umsetzung das Personal nicht ausreichen würde.
Jetzt haben Sie deutlich gemacht, dass Ihnen die ganze Richtung nicht passt. Der Entwurf fungiert wie eine Abrissbirne. Die anfängliche Diagnose und der Eingliederungsplan, zentrale Säulen jeder erfolgreichen Resozialisierung, sollen im Ermessen der Anstaltsleitung stehen und außerdem nicht von fachlich qualifizierten Leuten durchgeführt werden. Die Möglichkeit der Gefangenenbeteiligung an Vollzugskonferenzen soll raus. Die Möglichkeit der Direktaufnahme in den offenen Vollzug im Einzelfall soll raus.
Die Erhöhung der Besuchszeiten bei minderjährigen Kindern um zwei Stunden soll raus. Besonders erbärmlich: kein einziges Wort zur Begründung dafür. Ihre Regelung zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen in Eilfällen ist schlicht verfassungswidrig. Den Schusswaffengebrauch innerhalb der JVA wollen Sie unbegrenzt ermöglichen.
Vielen Dank, liebe CDU, für diese bemerkenswerte Klarstellung, wo Sie stehen und wo wir stehen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von der Landesregierung vorgeschlagene Reform des Strafvollzugs enthält zweifellos gute Ansätze und sinnvolle Ziele, insbesondere was einen familienorientierten Vollzug betrifft. Das Problem dabei ist nur: Noch nie ist eine gut gemeinte Reform so grottenschlecht vorbereitet worden.
Bereits heute sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Justizvollzugsanstalten des Landes bis
zum Anschlag belastet. Der Krankenstand erreichte in der Zeit, in der dieser Gesetzentwurf beraten wurde, eine Rekordhöhe. Das vom Justizministerium initiierte betriebliche Gesundheitsmanagement hat ergeben, dass sich ein großer Teil der Beschäftigten im Strafvollzug in einer Überforderungssituation befindet, die ihre Arbeitsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt.
Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal vor Augen führen. Im Mittel der JVAs ist bei 46 % der JVABediensteten die Arbeitsbewältigungsfähigkeit ernsthaft gefährdet. Das betrifft also fast jeden zweiten Mitarbeiter beziehungsweise fast jede zweite Mitarbeiterin.
In einer solchen Situation durch gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben zusätzliche Anforderungen zu begründen, ist ein grober Verstoß gegen das dem Dienstherrn obliegende Gebot der Fürsorge auch für die eigenen Mitarbeiter.
Meine Damen und Herren, das ist eine Politik der Verantwortungslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit gegenüber Menschen, die jeden Tag unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun. Das alles nur, damit Sie sich mit dem Lorbeerkranz einer schön klingenden und sicherlich auch gut gemeinten Reform schmücken können.
Insoweit ist es auch entlarvend, dass die Koalitionsmehrheit in einer früheren Plenarsitzung in diesem Jahr einen Antrag der FDP-Fraktion, eine Analyse des Personalbedarfs für einen modernen Strafvollzug in Auftrag zu geben, abgelehnt hat.
Diese Zahlen, diese Fakten wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Man marschiert lieber mit dem Brett vor dem Kopf durch die zweite Lesung, als sich schwarz auf weiß von Fachleuten vorrechnen zu lassen, welche Rahmenbedingungen für diese geplante Reform derzeit alle nicht erfüllt sind.
Meine Damen und Herren, deshalb stimmen wir dem Antrag der Kollegin Ostmeier zu, eine dritte Lesung durchzuführen.
Ich nenne hier nur einzelne Beispiele für durch das Reformgesetz begründete zusätzliche Anforderungen.
Beispiel eins: Vollzugplan nach § 8. Sollten die dort genannten Einzelpunkte nicht nur schematisch in Vordrucken abgearbeitet, sondern ernsthaft an
den festgestellten Erfordernissen jedes einzelnen Gefangenen orientiert erhoben und aufbereitet werden, wird dies bei der Erstellung von Vollzugsplänen zu erheblichen Auswirkungen führen. Der personelle Mehrbedarf insbesondere im Bereich der zu beteiligenden besonderen Fachdienste ist erheblich.
Beispiel zwei: Ausführungen nach § 54. Auch die grundsätzliche Verpflichtung, Gefangene, die sich bereits seit fünf Jahren im Freiheitsentzug befinden, zur Erhaltung ihrer Lebenstüchtigkeit mindestens zweimal im Jahr unter Aufsicht auszuführen, bindet zusätzliche personelle Ressourcen.
Beispiel 3: Kosten für den familienorientierten Vollzug. Der Gesetzentwurf soll die Behandlungsund vor allem die Familienorientierung im Strafvollzug weiter ausbauen. Das ist auch uneingeschränkt zu begrüßen. Es stellt sich aber die Frage, ob zum Beispiel die im Gesetzentwurf genannten Anforderungen an einen Ausbau der Sozialtherapie und die Umsetzung eines stärker familienorientierten Strafvollzugs seitens des Justizministeriums in hinreichender Form dargestellt worden sind oder ob es hier nicht noch erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt. Für familienunterstützende Maßnahmen entstehen laut Gesetzesentwurf Kosten in Höhe von jährlich etwa 55.000 €. So beziffert das der von der Regierung vorgelegte Entwurf. Meine Damen und Herren, das ist schlicht und ergreifend eine krasse Fehleinschätzung.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Dieser Gesetzentwurf ist zwar gut gemeint, aber grottenschlecht vorbereitet. Daher müssen wir diesen Gesetzentwurf heute ablehnen, wenn wir nicht in die dritte Lesung gehen. - Danke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schon bei der ersten Lesung sage ich: Über das Warum dieses Gesetzentwurfs müssen wir nicht reden, sondern über seinen Inhalt. Dieser Entwurf liegt nicht etwa deshalb vor, weil Grün-Blau-Rot sich das überlegt hat oder „Wünsch dir was“ spie
len wollte, sondern weil bereits 2006 die gesetzliche Aufgabe hierzu gestellt worden ist, und zwar durch die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund. Mit anderen Worten: Seit über zehn Jahren ist überfällig, was wir jetzt bedienen. Es ist eine dringende Pflichtaufgabe des Parlaments, sich darum zu kümmern. Es ist bezeichnend, dass das erst jetzt, also erst nach zehn Jahren, gemacht wird.
Das zeigt aber auch, dass man mit so einem Gesetz keine politischen Blumentöpfe gewinnen kann. Zu schnell wird man von der populistischen Ecke als Befürworter eines sogenannten Holiday-Vollzugs gesehen, wenn man sich diesem Thema widmet.
Vor diesem Hintergrund zolle ich der Landesregierung Respekt für diesen Entwurf. Allerdings muss ich auch sagen, dass man am Anfang offensichtlich die Größe der Aufgabe und den Umfang unterschätzt hat. Zwischen dem ersten und dem jetzt vorliegenden Entwurf zeigt sich ein deutlicher Unterschied. Wir haben über viel mehr zu reden als über das, was wir beim ersten Mal als Themen hatten.
Frau Ministerin Spoorendonk, vor einem Jahr haben Sie versprochen, beim altersgerechten Strafvollzug nachzubessern. Ich halte Ihnen noch einmal vor, dass sich seit 1995 die Zahl der Strafgefangenen über 60 Jahre verdreifacht hat. Dieser Trend hält an. In achteinhalb Jahren werden in diesem Bundesland 60 % aller Menschen über 60 Jahre alt sein. Mit anderen Worten: Das wird auch unsere Gefängnisse erreichen. Da ist dementsprechend nicht nachgesteuert worden, insbesondere was den anderen Bedarf an Räumlichkeiten, an Betten, an Versorgung, an Krankenversorgung und an Pflege darauf hat die GdP an anderer Stelle schon öfter aufmerksam gemacht - angeht. Da bleibt der Entwurf vieles schuldig, was hätte geleistet werden müssen. Wie immer kann man in fünf Minuten hier aber nicht alles angehen und nicht jedes Thema ansprechen.
Gefallen hat mir der Ansatz des Sozialen, der sich in diesem Gesetzentwurf wiederfinden sollte. Gemeint ist damit das, was im Strafvollzug passiert, und das, was danach passiert. Das ist äußerst ambitioniert umgesetzt worden.
Die Frage, die sich nicht nur die Beschäftigten im Strafvollzug stellt, lautet: Reicht der geplante Personaleinsatz dafür aus? Sämtliche Antworten von Berufsverbänden, Gewerkschaften oder auch vom Fachpersonal lauteten immer nein.
Denn das ist angesichts der Herkulesaufgabe, die das Gesetz vorsieht, nicht zu leisten. Auch das ist bereits mehrfach angesprochen worden: Der bereits heute auf Kante genähte Personalkörper kann seinen gesetzlichen Aufgaben jetzt schon nicht entsprechend nachkommen, die Aufschlusszeiten wurden von der Kollegin Ostmeier erwähnt. Ich empfehle den Blick auf die Antwort auf unsere Große Anfrage.
Das alles ist nur zu leisten, wenn wir weniger Gefangene haben. Dann ist es eventuell möglich, dass man das mit dem derzeitigen und mit dem vorgesehenen Personaleinsatz schaffen kann, aber wir haben keine Ansätze dafür, dass wir weniger Gefangene haben werden.
Es gibt noch etwas, das wir grundsätzlich anmerken müssen, aber in der Kürze der Zeit muss ich mich darauf beschränken, es einfach nur zu erwähnen. Was fehlt oder nicht ausreichend und gut genug geregelt ist, sind der sichere Zugang zum Internet und zeitgemäße Kommunikationsmöglichkeiten. Da sind wir bei der Koalition. Das ist ein Menschenrecht laut UNO, das gehört in den Angleichungsgrundsatz. Nur das Wie, mit Skype, ist nicht ausreichend, finden wir.