Der Landtag soll sich zu einem freien, solidarischen und sozialen Europa, zu sozialer Gerechtigkeit, Meinungs- und Pressefreiheit bekennen. Wie viel politischen Wert haben diese Worte in Warschau, in Budapest oder in Ankara? - Keinen.
gen hier noch einmal: In einer Zeit, in der die Grundrechte der Europäischen Union beschädigt, ja abgeschafft werden, können wir diese Probleme nicht schönreden oder ignorieren. Deswegen werden wir Ihrem Utopie-Antrag nicht zustimmen.
Wer die Grundwerte Europas zurückerobern will - und darum geht es -, der muss den Mut haben, die katastrophalen Fehlentwicklungen klar zu benennen, so wie gestern im Bundestag und heute im Europaparlament.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, Sie machen sich Sorgen, dass diese Werte ihren Stellenwert verlieren und europäische Grundrechte in Gefahr sind. Ja, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sagt selbst, dass der neue Staat, den er in Ungarn aufbauen will, kein liberaler Staat sein wird. Orbán lehnt offen liberale Grundwerte, Menschen- und Minderheitenrechte ab.
Was die Pressefreiheit betrifft, so muss man sich doch nur die Türkei anschauen. Das ist ein Staat, der Journalisten verfolgt, Tageszeitungen schließt und staatlicher Kontrolle unterwirft, deutsche Satiriker und Journalisten wegen Majestätsbeleidigung verfolgt und außerhalb der Grenzen verweist. Die Türkei ist ein Staat, der seine kurdische Minderheit gewaltsam unterdrückt. Den Flüchtlingsdeal mit der Türkei trotzdem zu loben, weil sich Europa weiter abschottet und Menschen nicht mehr zu uns kommen können, ist eine Position, die wir nicht mittragen können.
Wir müssen aber nicht bis nach Ungarn oder in die Türkei schauen, um zu erkennen, dass die europäische Demokratie bereits ins Wanken geraten ist. Bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich wurde der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ mit 35,5 % der Stimmen gewählt. Gestern wurde das schärfste Gesetz innerhalb der EU in Österreich verabschiedet, das es ermöglicht, den Notstand auszurufen, um Flüchtlinge abzuhalten.
Nicht nur in Wien, sondern ebenso in Berlin wird das Asylrecht immer weiter ausgehöhlt. Sie fordern hier im Landtag ernsthaft, dass eine Vereinheitlichung des europäischen Asylrechts keine Absenkung der Standards bedeuten dürfe. Sie tragen es doch in Berlin selbst mit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen des SSW, der Grünen und der SPD, Sie sorgen sich, dass die Europäische Union auseinanderbricht. Sagen Sie es
doch klar: Am 23. Juni 2016 wird sich aufgrund des Brexits entscheiden, ob sich die Union allmählich auflöst oder nicht.
Das Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten zeigt sich bei den Grenzschließungen in den letzten Monaten. Das Bekenntnis zu Schengen ist auch in Anbetracht der deutschen Grenzpolitik für uns der reinste Hohn. Europa - das zeigen die Euro-Krise und die Flüchtlingsproblematik sehr deutlich - reduziert sich auf eine Wirtschafts- und Währungsunion. Wir wollen alles tun, um diesen weiteren Weg zu verhindern. Nationale Befindlichkeiten sind den 28 Staats- und Regierungschefs eben wichtiger als eine europäische Lösung der Probleme.
Werte Kolleginnen und Kollegen, diese Resolution der Koalitionsfraktionen wird nicht dazu führen, dass alle Demokraten und Pro-Europäer für die europäischen Werte zu mobilisieren sind. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.
Zum Antrag der CDU kann ich nur sagen: Es ist wirklich zu bedauern, dass dieser erst zwei Minuten vor Beginn meiner Rede verteilt worden ist. Ich kann dazu nichts sagen. Weil darin TTIP begrüßt wird, werden wir dagegen sein. - Danke schön.
(Beifall PIRATEN, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW hat nun die Abgeordnete Jette WaldingerThiering das Wort.
Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mittlerweile gibt es 28 Partner in der EU. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass eine Partnerschaft immer wieder vor neuen Herausforderungen stehen kann. Fakt ist, dass sich die Mitgliedstaaten der EU gemeinsam den globalen Herausforderungen stellen müssen. Wir alle wissen, dass der Koordinierungsbedarf nicht nur in Zeiten von Banken- oder Flüchtlingskrisen immens hoch ist.
Der Weg zu Lösungen besteht häufig aus vielen kleinen Schritten. Dies sind Schritte, die für viele Bürgerinnen und Bürger sicher kaum zu erkennen oder zu spüren sind. Dennoch dürfen uns diese kleinen und teilweise auch sehr zähen Einzelschritte natürlich nicht davon abbringen, an der Idee eines
Aus Sicht des SSW muss die Erkenntnis, dass man gemeinsam viel mehr erreichen kann als im nationalen Alleingang, wieder viel stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Der Solidaritätsgedanke muss wieder im Fokus Europas stehen. Unser Ziel ist ein soziales Europa.
Wir wollen die Mobilität der Arbeitskräfte erleichtern und ihr einen gerechteren Rahmen geben. Für uns ist klar, dass entsendete Arbeitnehmer nicht nur den im Gastland geltenden gesetzlichen Mindestlohn, sondern auch künftig dort geltende Prämien erhalten sollen. Ich persönlich halte die Frage, wie wir in Zukunft mit den erworbenen Sozialversicherungsansprüchen umgehen, für ganz zentral. Der Reform der Entsenderichtlinie kommt damit eine große Bedeutung zu. Natürlich gehören zu einem sozialen Europa dringend auch Perspektiven zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
Unter dem Strich ist völlig klar: Die EU muss weit mehr sein als nur eine Währungsunion. Ganz ohne Frage gehört die Freizügigkeit zu den größten Errungenschaften im Schengenraum. Wer wenn nicht wir, die wir im deutsch-dänischen Grenzland leben, haben diese Errungenschaft schätzen gelernt? Egal, ob es die Fahrt zur Arbeit oder zur Universität, der tägliche Einkauf oder der Besuch einer kulturellen Veranstaltung ist: Die Freizügigkeit ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken.
Ich hoffe, wir sind uns darin einig, dass diese Freizügigkeit nicht der Preis für die Flüchtlingskrise sein darf. Zwar müssen Grenzkontrollen an den Außengrenzen stattfinden. Wir wollen aber keine Abschottung. Auch für die Zukunft gilt: Wer Anspruch auf Schutz hat, muss diesen auch bekommen, und zwar, ohne dabei sein Schicksal Schleusern anzuvertrauen und sein Leben riskieren zu müssen.
Für uns ist klar, dass Europa eine gemeinsame Asyl- und Zuwanderungspolitik braucht. Wir dürfen die Staaten an den EU-Außengrenzen nicht mit der Aufgabe der Grenzsicherung alleinlassen. Die Grenzschutzagentur Frontex muss ihrer Verantwortung nachkommen. Sie muss dabei selbstverständlich demokratisch kontrolliert und für ihre Aufgaben immer wieder legitimiert werden.
Ohne Zweifel hat die große Herausforderung der Flüchtlingskrise ihre Spuren hinterlassen. Nach unserer Überzeugung wird Europa aber nicht scheitern, sondern an dieser Aufgabe wachsen. Es gibt sicher denkwürdige Entwicklungen. Es gibt Tendenzen, die die Erosion der europäischen Solidarität vermuten lassen.
Aber gerade in diesen Zeiten ist doch eines klar: Statt vor dieser Entwicklung die Augen zu verschließen, müssen wir doch gerade jetzt die Debatte über die Grundlagen der Union führen. Ich denke, ein ganz wesentlicher Punkt ist zum Beispiel die Frage der Beteiligung der 500 Millionen EUBürger. Viele fordern nicht nur mehr Rechte für das von ihnen gewählte Europäische Parlament, sondern auch mehr direkte Einflussmöglichkeiten. Sie wollen bei wichtigen Fragen, die die Union betreffen, unmittelbarer beteiligt werden und fordern mehr Volksabstimmungen bei Übertragung von Souveränität auf die EU. Sie wollen nicht mehr länger vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das kann ich - und das kann der SSW - sehr gut nachvollziehen.
Aus unserer Sicht sind es zuallererst die Bürgerinnen und Bürger, die über die Zukunft der Europäischen Union entscheiden müssen. Die Weiterentwicklung Europas hängt vom aktiven Handeln ab. Im Antrag haben wir es formuliert: Europa kann sich nur entwickeln, wenn solidarisches gemeinsames Handeln an die Stelle von nationalen Egoismen tritt. Ich bin zuversichtlich, dass wir hierbei auf einem guten Weg sind.
Vielen Dank. - Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Abgeordneten Dr. Ralf Stegner von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich bei dem Kollegen Wiegard für seine Rede, weil der Teil, den er zu den Grundsätzen gesagt hat, hier im Haus gemeinsame Überzeugung ist. Ich freue mich, dass wir über solche Punkte nicht miteinander streiten.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass der von Ihnen sehr kurzfristig übermittelte, sehr lange Antrag der
Union in der Form für uns jetzt nicht zustimmungsfähig ist, obwohl ich mit vielem aus Ihrer Rede übereinstimme, sondern wir unseren zur Abstimmung stellen wollen.
Enttäuscht hat mich allerdings der Beitrag des Kollegen Dr. Klug. Wer Fragen des sozialen Europas, der Freizügigkeit, der demokratischen Prozesse, der Flüchtlingspolitik, von Frieden und Wohlstand hier banal nennt, dem muss ich sagen: Ich habe schon andere Beiträge von Liberalen zu Europa gehört. Das ist nörgelig und überhaupt nicht angemessen. Wir haben hier doch nicht einen Katalog über Subsidiarität oder so etwas abzuarbeiten, sondern wir haben eine ernsthafte Krise in Europa. Wie Kollege Wiegard zitiert, was der amerikanische Präsident gesagt hat, ist bei uns Frieden und Wohlstand wegen der nationalistischen Exzesse, die wir anderswo sehen, in Gefahr. Freizügigkeit wird eingeschränkt. Und da kommen Sie mit einer kleinkrämerischen, wirklich merkwürdigen Rede daher, die mit dem, was Liberale sonst über Europa zu sagen haben, überhaupt nichts zu tun hat.
Wir müssen uns wirklich darum kümmern, dass die Menschen nicht den Eindruck haben, wenn man gegen Europa redet, kann man Punkte machen oder gar den Menschen einreden, mit weniger Europa ginge es mit unserem Frieden und unserem Wohlstand voran. Im Gegenteil: Massenarbeitslosigkeit und Krisen wäre die Folge. Dass die Werte bedroht sind und wir deswegen nicht über Resolution oder Details reden müssen, sondern dass wir darüber ernsthaft diskutieren müssen, mag auch damit zusammenhängen, dass mancher vergessen hat, was die Älteren noch sehr genau wissen, nämlich das Frieden in Europa nicht etwas ist, das selbstverständlich ist. Dass wir diese langanhaltende Phase von Frieden und Wohlstand haben, hat etwas damit zu tun, dass wir diese Werte verteidigt haben. Die drohen verloren zu gehen. Darum müssen wir uns bemühen und kämpfen und nicht mäkeln und im Detail miteinander streiten.
Deswegen hat diese Resolution vor der EuropaWoche auch den Sinn, öffentlich darauf aufmerksam zu machen, was das für Werte sind. Die Freizügigkeit ist eben nicht nur eine ökonomische Frage, sondern dahinter steckt deutlich mehr. Ich füge hinzu: Dieses Europa wird im globalen Vergleich natürlich immer kleiner. Je weniger wir in der Lage sind, gemeinsam zu handeln, umso mehr werden unsere Werte unter die Räder geraten.
Europa hat gerade wegen seiner kriegerischen Vergangenheit eine besondere Verantwortung gegenüber der Welt und dafür, dass wir diesmal eine andere Entwicklung nehmen. Deutschland hat als größtes Land in Europa einen besonderen Anteil daran. Denn wir haben im letzten Jahrhundert mindestens einen Weltkrieg angezettelt und viel, viel Elend über die Welt gebracht, sodass unsere Verantwortung gar nicht hoch genug betont werden kann. Das sollten wir tun, das sollten wir auch in diesem Parlament tun. Ich würde es gut finden, wenn wir uns über die Grundsätze verständigen könnten und nicht so daherreden, wie es der Kollege Dr. Klug, der es deutlich besser könnte, hier getan. - Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. - Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Bernd Voß von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch für meine Fraktion muss ich sagen: Wir können dem Antrag der CDU nicht zustimmen. Er wurde uns erst kurz vorher vorgelegt. Auch wenn viele Punkte darin richtig sind, wundere ich mich wieder, mit welcher Fahrlässigkeit über wichtige Handelsverträge daher gespatzelt wird.
Herr Wiegard, es ist bereits gesagt worden: Ihren Beitrag können wir in weiten Teilen nur unterstreichen. Ich bin noch einmal nach vorn gegangen, weil es in der Frage des Brexit überhaupt nicht um Häme geht. Der Brexit und die ganzen Folgen des Brexit sind im Grunde schon eingeleitet, auch wenn wir - wenn ich das einmal so formulieren darf „gewinnen“, also sich Großbritannien weiterhin für den Verbleib in der EU entscheidet. Auch dann werden wir gravierende Änderungen innerhalb der EU haben, weil schon viel gesagt worden ist, was man Großbritannien dann alles zugesteht, und damit in den europäischen Verträgen sehr viel angepasst werden muss.
Man muss sich immer wieder verdeutlichen, was es wirklich bedeutet, wenn Europa weiter so behandelt wird und wenn Europa weiter so gegen die Wand gesteuert wird, wie es im Moment passiert. Wir stellen immer wieder, auch draußen bei uns in den Debatten fest, wie das, was wir mit Europa erreicht
haben, überhaupt nicht verteidigt wird, diese über 70 Jahre Frieden, die wir inzwischen haben und diese wirtschaftlich Prosperität, die wir haben, und auch welche Rolle Deutschland jetzt innerhalb Europas eingenommen hat, gerade im letzten Jahr. Da ist unheimlich viel passiert, und diese Wege müssen weitergegangen werden.