Protocol of the Session on April 28, 2016

haben, überhaupt nicht verteidigt wird, diese über 70 Jahre Frieden, die wir inzwischen haben und diese wirtschaftlich Prosperität, die wir haben, und auch welche Rolle Deutschland jetzt innerhalb Europas eingenommen hat, gerade im letzten Jahr. Da ist unheimlich viel passiert, und diese Wege müssen weitergegangen werden.

Um eine weitere Entwicklung innerhalb Europas darzustellen: Am vergangenen Montag konnten wir es auf der Arbeitsgruppe des Parlamentsforums Südliche Ostsee in Hamburg erfahren, dass die Kolleginnen und Kollegen aus Westpommern einen Festakt zu 25 Jahren grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen Mecklenburg, Brandenburg und Westpommern absagen mussten, weil die Zentralregierung, das Außenministerium in Warschau, das gecancelt hat. Auch das sind Entwicklungen in Europa. Werten Sie es bitte nicht als Häme, aber zum Glück ist dadurch eine starke Zivilgesellschaft in Polen entstanden: Sie haben gemerkt, was dabei herauskommt, wenn man nicht wählen geht.

Zum Schluss noch eine Sache. Die europäischen Verträge müssen weiterentwickelt werden. Es muss auch hochverantwortlich damit umgegangen werden, wenn einzelne europäische Länder andere Entscheidungen fällen, die sich intensiv auf Europa und seine Zukunft auswirken. Diese Frage müssen wir weiter klären. Wir belächeln ja immer ein bisschen diese Subsidiaritätsarbeit, die wir hier im Landtag machen, zu gucken, was auf welcher Ebene erledigt werden muss. Klar, wichtige Dinge gehören weiterhin auch auf nationale Ebene, um einen europäischen Wettbewerb der Systeme zu haben. Gerade vorgestern ging es um Tschernobyl. Wir hätten überhaupt nicht den Ausstieg aus der Atomenergie, die erneuerbaren Energien hinbekommen, hätten wir nicht diesen energiepolitischen Spielraum innerhalb Europas gehabt und so in Europa vorangehen können. Dies ist ein Beispiel, wie man letztlich in Europa gemeinsam gewinnen kann.

Herr Kollege!

Wir brauchen aber die europäische Öffentlichkeit.

Herr Abgeordneter!

Und wir brauchen europäische Entscheidungen, letztere demokratisch basiert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Danke schön. - Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Dr. Stegner, ich möchte daran erinnern, dass in den Jahren 1990 bis 1992 Hans Dietrich Genscher keinen Satz häufiger gebrauchte als den: Wir wollen ein europäisches Deutschland und kein deutsches Europa. Dem stimmen Sie zu.

Das Auftreten Deutschlands in Europa hat allerdings in der Tat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass bei europäischen Nachbarländern und Völkern dieser Eindruck nicht mehr vermittelt worden ist. Ich erinnere an das Auftreten Deutschlands während der Staatsschuldenkrise in Griechenland.

(Beifall FDP, Angelika Beer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Ich erinnere an das Auftreten Deutschlands - und ich nenne bewusst keine Personen - jetzt bei der Frage der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Es war nicht so, dass wir eine gemeinsame europäische Lösung gesucht haben, sondern den Europäern erklärt haben, wie wir glauben, dass eine europäische Lösung sinnvollerweise aussehen sollte.

(Beifall FDP, Angelika Beer [PIRATEN] und Uli König [PIRATEN])

Ich war vor der letzten Wahl in Polen - das habe ich schon einmal erklärt - und bin darauf angesprochen worden, dass „ihr“ - urplötzlich war ich wieder der Deutsche - „gerade dazu beitragt“ - ihr Deutsche -, „dass in Polen die Rechten die Wahlen gewinnen“. Man konnte wieder mit antideutschen Ressentiments die Wahlen gewinnen, und das nicht nur in Polen. Ich empfehle allen Beteiligten einmal, durch Europa zu fahren.

Ich empfehle allen Beteiligten, jetzt einmal nach Österreich zu fahren, wo eine sozialdemokratisch geführte Regierung - das ist angesprochen worden das schlimmste Asylrecht auf dem europäischen Kontinent, das man sich vorstellen kann, auf den

(Bernd Voß)

Weg gebracht hat. Das hat mit den Prinzipien, die wir verteidigen wollen, nichts mehr zu tun. Man muss trotzdem fragen, was andere Länder dazu bewegt, sich entsprechend zu verhalten, statt zu diskriminieren und zu diskreditieren. Selbstverständlich teile ich nicht das, was Herr Orbán in Ungarn macht, aber er ist ein frei gewählter Regierungschef oder Staatspräsident.

(Serpil Midyatli [SPD]: Das war Hitler auch!)

- Das war Hitler auch, was ist das für ein Argument, Frau Midyatli? Wenn Sie so auftreten, werden Sie keine gemeinsame europäische Lösung hinbekommen.

(Beifall FDP)

Wir müssen die Sorgen und Nöte akzeptieren. Wir würden uns doch dagegen wehren, wenn jetzt rechtsradikale Staatspräsidenten aus anderen Ländern versuchen würden, in den deutschen Wahlkampf einzugreifen und Empfehlungen abzugeben.

Wenn wir wieder ein gemeinsames Europa haben wollen, muss Deutschland etwas demütiger auftreten, als es das gegenwärtig tut, oder wir werden keine gemeinsame europäische Lösung hinbekommen.

Ich sage noch einmal -

Frau Präsidentin, ich habe noch 41 Sekunden, bevor Sie mir das Wort wieder entziehen.

Ich zähle mit und bin dabei ganz entspannt.

Jetzt bin ich schon bei 36 Sekunden, Frau Präsidentin.

Wenn wir dazu übergehen, dass wir beispielsweise der Türkei die Visa-Freiheit gewähren, obwohl sie die Kriterien nicht erfüllt - aus welchen Gründen auch immer -, zerstören wir die europäische Wertegemeinschaft und verteidigen sie nicht. Dann werden wir dazu beitragen - wir als Deutsche - dass die Briten den Brexit vollziehen. Sie haben eine der ältesten Demokratien, die wir kennen. Wir können überhaupt nicht wollen, dass sie das vollziehen. Ich kann mir ein Europa ohne Großbritannien, aber mit der Türkei überhaupt nicht vorstellen. Das wäre jedenfalls nicht mein Europa. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um auf einen Aspekt näher einzugehen, den der Kollege Voß gerade leicht gestriffen und zu dem auch die Kollegin Beer etwas gesagt hat, zu einem Punkt aus dem Antrag der CDU-Fraktion. Auch ich finde, dass der Antrag der CDU-Fraktion viele gute Punkte enthält und er in der Vielfalt der Punkte skizziert, was gerade die Herausforderung in Europa ist.

Es gibt aber einen Punkt, der für uns absolut inakzeptabel ist, und das sind das Thema TTIP und die Debatte um die Handelsabkommen, die zurzeit gerade läuft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Am Wochenende waren 90.000 Menschen in Hannover auf der Straße - übrigens gemeinsam mit amerikanischen Organisationen, die das Ganze ähnlich sehen -, die sich für eine andere Welthandelspolitik aussprechen. Sie blenden in dem Absatz, den Sie hier beschreiben, das, was es auch in der Bevölkerung an Widerstand zu diesem Themenbereich - aus grüner Sicht zu Recht - gibt, komplett aus und setzen einen Textbaustein ein, den man vor drei Jahren hätte aufschreiben können, ohne die politische Debatte der letzten Monate einzubeziehen.

Das gilt beispielsweise für die Frage der hohen Standards, wo Sie einfach behaupten, dass es dort keine Veränderungen gibt, obwohl Sie das gar nicht wissen können, weil die Abkommen intransparent verhandelt werden und ein Großteil der Bevölkerung und auch viele Abgeordnete gar keinen Zugang zu den Informationen haben.

Sie blenden die Debatte um den Investorenschutz und die klaren Privilegien aus, die es dort für Konzerne gibt. Das ist etwas, was unsere Demokratie total verändern würde und wo wir Grüne sehr skeptisch sind gegenüber dem, was dort verhandelt wird, weil hier zwei Staatengemeinschaften miteinander verhandeln, die funktionierende Rechtsstaaten haben. Auch das kann man nicht ausblenden.

Und Sie verhalten sich gar nicht zur Frage des CETA-Abkommens, das schon ziemlich fertig auf

(Wolfgang Kubicki)

dem Tisch liegt und noch vor der Bundestagswahl verhandelt werden könnte. Dazu haben wir Grüne am Wochenende einen klaren Beschluss gefasst. Wir sind der Meinung, dass auch die Verbesserungen, die es im CETA-Abkommen beim Investorenschutz gibt, nicht ausreichen, weil sie immer noch Klageprivilegien für Konzerne bedeuten. Deswegen lehnen wir als Grüne auch das CETA-Abkommen so, wie es jetzt vorliegt, ab.

Mir ist es wichtig, das hier noch einmal zu sagen. Das ist für uns ein Grund dafür, dass wir Ihren Antrag nicht an den Ausschuss überweisen können, weil das für uns in der Form, in der Sie es aufgeschrieben haben, absolut indiskutabel ist. Die anderen Punkte Ihres Antrags sind gut; die können wir vielleicht einmal aufgreifen. Aber bei diesem Thema muss man einfach berücksichtigen, was in der aktuellen Debatte passiert. - Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich der Auffassung bin, dass es unheimlich wichtig ist, über die Grundlagen zu sprechen, die wir mit dem gemeinsamen Europa erhalten wollen, und in welcher Art und Weise wir das wollen. Da gibt es auch bei uns in den Auffassungen durchaus Nuancen.

Ähnlich wie der Kollege Kubicki glaube ich, dass es darum geht, dass die einzelnen europäischen Staaten nicht meinen, anderen Staaten in irgendeiner Art und Weise Vorgaben machen zu können. Das mag - so ist die Psychologie -, wenn jemand besonders forsch vorangeht, bei anderen Ländern so ankommen. Doch die Diskussion in Dänemark wird anders geführt als bei uns. Auch da wird Deutschland anders wahrgenommen, als wir vielleicht selber wahrgenommen werden wollen.

Vor dem Hintergrund ist es richtig, darüber nachzudenken, wie man auf europäischer Ebene auftritt und wie ernsthaft man versucht, alle zu sammeln. Es geht nicht nur darum, dass die Achse Deutschland-Frankreich in allen Belangen dominierend ist, sondern es geht gerade auch darum, die osteuropäischen Staaten, die neu hinzugekommen sind,

mitzunehmen. Sie haben andere Kulturen. Das macht ja gerade die europäische Vielfalt aus. Da sieht man die Dinge oft anders, als wir sie sehen. Das ist aber eigentlich nicht schlimm, sondern das ganze Leben ist - wie man scherzhaft sagt - ein Kompromiss. Auch auf europäischer Ebene ist es ein Kompromiss. Man muss eben mit den Polen, die ein anderes Nationalgefühl haben, die eine andere Geschichte haben, anders umgehen als beispielsweise mit einem Luxemburger. Das ist einfach so.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Sehr gern.

Bitte schön, Herr Kubicki.

Lieber Kollege Harms, ich finde Ihren Beitrag richtig wohltuend, weil er uns zu der zentralen Frage bringt, die ich Ihnen allen stellen möchte: Sind wir bereit, nationale Souveränität abzugeben, selbst wenn die europäischen Regelungen nicht unseren Standards entsprechen? Denn die Annahme, die Integration Europas müsse auf deutschem Niveau stattfinden, wird dazu führen, dass wir eine Integration Europas in den nächsten 10, 15, 20 Jahren nicht erreichen werden.

In der Schlussfolgerung gebe ich Ihnen recht. Auf dem Landesparteitag des SSW vor einer Woche haben wir unser neues Rahmenprogramm beschlossen. Da haben wir ganz klar gesagt, dass wir uns wünschen, dass es in den einzelnen Staaten Volksabstimmungen über die Frage der Abgabe von Souveränität gibt, dass die einzelnen Staaten darüber entscheiden können, ob sie - unter welchen Bedingungen auch immer - Souveränität abgeben wollen.