Übrigens hat die Europäische Union mit den Maghreb-Staaten Vereinbarungen geschlossen, Herr Kollege Kubicki, und hat denen sogar Geld dafür gegeben, dass sie ihre Südgrenzen sichern. So etwas macht die Europäische Union schon. Insofern ist das keine Neuerfindung.
Zweitens. Mich hat sehr befremdet, was Sie zum Abstimmungsverfahren gesagt haben. Wir haben eine Koalition mit CDU und CSU im Bund, und hier haben wir eine Koalition mit deutlich mehr Gemeinsamkeit mit den Grünen und mit dem SSW, wie ich hinzufügen möchte. Dass man zum Teil unterschiedlich abstimmt, ist normal. Was Sie mir aber nicht vorhalten können - das sollten sogar Sie wissen, obwohl Sie nur zweieinhalb Jahre Regierungserfahrung haben; ich will Ihnen das aber trotzdem sagen, weil Sie das auch so gemacht haben -, ist, dass ich mich im Bund anders äußere als im Land. Ich äußere mich immer klar und in der gleichen Weise, ob ich nun in Kiel bin oder in Berlin. Ich finde übrigens, Meinungsfreiheit ist eine wichtige Tatsache in Parteien. Ich habe Sie bisher so verstanden, dass Sie davon in Ihrer eigenen Partei gelegentlich auch Gebrauch machen.
Das Dritte, das ich sagen möchte, ist das, was die Kollegin Midyatli vorhin zu Recht einige Male dazwischen gerufen hat. Es ist doch nicht zu fassen, wenn wir Verfahren haben, die dazu führen, dass
wir Menschen abschieben, die zum Teil hier geboren und aufgewachsen sind, nachdem die Familie zehn Jahre lang hier lebt. Das ist doch unser Problem. Deswegen müssen wir die Verfahren beschleunigen.
Deswegen ist es auch so ärgerlich, dass Herr de Maizière da so versagt. Schnell herauszufinden, wer eine Bleibeperspektive hat, das ist die eigentliche Aufgabe, die wir in Deutschland leisten können und endlich auch leisten müssen. Solange wir da nicht Erfolg haben, können wir uns alles andere sparen, die Sonntagsreden und alles Mögliche. Das wird nicht funktionieren.
Ein Letztes: Flüchtlingsverteilung ist eine europäische Aufgabe. Die können wir nur gemeinsam lösen, so schwer es auch ist.
Integration ist in der Tat eine nationale Aufgabe; da geben wir uns alle Mühe. Wenn man da einmal vergleicht, was die unterschiedlichen Parteien insoweit anzubieten haben, ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob man investiert in Arbeitsmarkt, in Förderung von Ausbildung, in Schule, in bezahlbares Wohnen, in all diese Dinge, und das auch klar benennt oder ob man nur einen Katalog von Abschrecken, Abschotten, Abschieben vorlegt. Das ist ein großer Unterschied. Diesen Unterschied muss die Bevölkerung zur Kenntnis nehmen, damit wir wissen, worüber wir hier reden. Scheinlösungen nützen uns gar nichts. Wir müssen ernsthaft an Integration arbeiten. Das ist das Gebot der Stunde, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich etwas zu dem Herrn Abgeordneten Peters sagen. Herr Peters, wir müssen zwei Dinge unterscheiden, damit wir das nicht vermischen. Das eine ist die Frage, ob das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt wird, was es nicht wird. Das zweite ist die Frage, ob wir die Verfahrensvorschläge, die wir jetzt in Bezug auf die Eingangszentren haben, also innerhalb von 14 Tagen zu entscheiden, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen
werden. Da habe ich meine großen Zweifel ebenso wie Sie. Sie können das beschließen. Aber der erste Rechtsstreit darüber wird dazu führen, wenn man sich die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anschaut, dass diese Rechtswegverkürzung und die Zeitverkürzung wahrscheinlich keinen Bestand haben werden. Aber dass man Staaten zu sicheren Herkunftsländern macht und damit eine widerlegbare Vermutung ausspricht, halte ich für legitim, jedenfalls für rechtmäßig unabhängig von der Frage, ob einem dies politisch gefällt oder nicht.
Herr Dr. Stegner, ich möchte doch nur darauf hinweisen, vor welchen Problemen Sie stehen und wohin es führen wird - glauben Sie mir das -, dass die SPD mit dieser Form der Orientierungslosigkeit auf Bundes- und Länderebene mit unterschiedlichen Aussagen nach wie vor nicht aus dem Tal des Jammers herauskommt, sondern im Gegenteil: Sie sind in der Gefahr, in Baden-Württemberg hinter die AfD zurückzufallen, was ich auch schon gesellschaftspolitisch für eine ziemlich große Katastrophe halte. Sie stehen auch in der Gefahr, in SachsenAnhalt hinter die AfD zurückzufallen, was ebenfalls eine gesellschaftliche Katastrophe ist. Die beiden Regierungsfraktionen von CDU und FDP werden in Baden-Württemberg nicht mal mehr eine gemeinsame Mehrheit hinbekommen, um eine Regierung bilden zu können. Das muss uns doch alle irgendwie beschäftigen.
Ich gehe davon aus, dass auch Sie vernommen haben, was der sozialdemokratische Bundeskanzler der Republik Österreich gestern erklärt hat, nämlich das Österreich jetzt dabei ist, die Grenzen dichtzumachen und dass Deutschland diesem Beispiel wird folgen müssen. Das Auftreten Deutschlands selbst hat mit seinem Auftreten in Europa in Prinzip viele Barrieren aufgebaut, die zu beseitigen schwierig sein wird. Ich versuche doch nur, Ihnen dieses zu erklären. Wenn man etwas von anderen will, muss man darum werben, und sie dürfen jemandem nicht in die Ecke stellen, wenn er aus seinem Interesse heraus dem nicht unbedingt folgen will. Das wird das große Problem sein.
Sie diffamieren demokratisch gewählte Regierungen. Ob es einem passt oder nicht, innerhalb eines offenen Europas kann man mit Herrn Orban politisch nicht einverstanden sein. Aber zu sagen, das
- Ja, Sie sind gerade dabei, weil Sie erklären, dass Regierungen, die ihre Grenzen schließen, sich schlicht und ergreifend antieuropäisch verhalten und nicht solidarisch. Herr Stegner hatte gerade erklärt, die Europäische Union sei eine Wertegemeinschaft. Diejenigen, die Geld haben wollten - was ist das überhaupt für ein Ansinnen? -, müssten sich dann so verhalten wie diejenigen, die Geld geben. Was ist das für ein Ansinnen! Das ist doch das Gegenteil von Solidarität.
Jetzt frage ich den Herrn Abgeordneten Kubicki, ob er eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner zulassen möchte.
Erstens. Deutschland hat in der Tat durch die Art und Weise des Auftretens gegenüber Griechenland und durch die Art und Weise, wie ignoriert worden ist, das - solange das Problem vor Lampedusa war - Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, nicht gerade dazu beigetragen, die europäische Solidarität zu steigern.
Zweitens bin ich in der Tat dagegen, dass gegenüber anderen Staaten mit einem Megaphon zu machen. Ich halte es aber für falsch, Europa als eine reine Zugewinngemeinschaft zu betrachten, in der man nur Fördergelder bekommt für die wirtschaftlichen Dinge, die man will, sowie für Infrastruktur. Vielmehr glaube ich, zu einer Wertegemeinschaft gehört auch, dass man gemeinsam trägt. Dazu
gehört eben auch, gemeinsam eine Lösung zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu finden. Das habe ich hier in dem Ton und sogar in der gleichen Diktion erklärt. Ich bedanke mich sehr dafür, dass ich Gelegenheit hatte, das zu wiederholen. Ich halte es nämlich für richtig.
- Ja, aber was soll nun jemand vor dem Empfängerhorizont mit dieser Aussage anfangen, dass Europa schlicht und ergreifend nicht nur eine Wertegemeinschaft sei und Solidarität nicht nur darin bestehe, Geld zu empfangen, sondern sich im Zweifel dann auch anders zu verhalten. Was soll denn der Empfänger mit einer solchen Aussagen anfangen, wie soll er sie anders verstehen als dass man sagt: Wenn ihr wollt, dass dieses System weiterhin besteht, dann müsst ihr euch unseren Interessen unterwerfen? Alles andere macht doch gar keinen Sinn.
Was ist der Inhalt dieser Aussage? Das muss man doch fragen. Was kommt wo an, Herr Dr. Stegner? Vielleicht denken Sie gelegentlich auch einmal darüber nach, was bei den Menschen ankommt, bei den guten Sachen, die Sie gelegentlich äußern. Diese empfinden das nicht als Einladung, sondern als Bedrohung. So einfach ist das.
Ich glaube, der Kern ist, dass ein Europa auf Dauer keine Zukunft haben wird, das sich ausschließlich als Wirtschafts- und Währungsunion betrachtet, und dass ein Europa, das glaubt, wir könnten unseren Frieden und unseren Wohlstand verteidigen, während in großen anderen Teilen der Welt Elend und Krieg herrschen, nicht überleben wird. Ich habe großes Interesse daran, dass wir den Frieden und den Wohlstand, den wir hier seit Jahrzehnten genießen, verteidigen können. Das war meine
Aussage, und das versteht, glaube ich, jeder Empfängerhorizont, wenn er willens ist, die Ohren aufzumachen.
Herr Dr. Stegner, genau das glaube ich auch. In Ihrer Aussage schwingt aber mit, dass die restlichen Europäer, die sich an Ihre Überlegungen nicht halten wollen, das nicht glauben.
- Logischerweise. Was soll denn die Aussage? Europa ist eine Wertegemeinschaft. Das heißt aber nicht, dass alle die Werte teilen müssen, die Sie und ich im Herzen tragen. Das heißt das aber eben nicht. Verständigung und Solidarität bestehen auch -
- Aber die definieren Sie doch nicht alleine. Solidarität besteht darin, dass man die anderen in ihren Interessenlagen auch ernst nimmt und nicht von vornherein zurückweist, weil man glaubt, man sei der bessere Mensch. Dann kann das nicht funktionieren. Das sage ich Ihnen.
Wenn Sie sagen, unser Auftreten in der Vergangenheit habe Europa nicht zusammengeführt, sondern eher gespalten - dabei denke ich an Griechenland, Lampedusa und was auch immer -, dann sage ich, dass unser momentanes Auftreten gegenüber anderen Staaten, die die Flüchtlingskrise anders bewältigen wollen, als wir uns das vorstellen, auch nicht geeignet ist, ein größeres Maß an Solidarität herbeizuführen - was wir eigentlich dringend brauchen.
Lassen Sie mich noch eine letzte Aussage treffen, weil mich das wirklich umtreibt. Das ist ein Problem, das ich an die SPD weitergebe. Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag erklärt, mit dem Konzept der CDU werde die Bevölkerung belogen, weil die Union nicht gleichzeitig mitliefere, wie sie das finanzieren wolle, dann ist das nicht nur eine dumme Aussage, sondern dann ist das auch kontraproduktiv, weil damit Besorgnisse und Ängste in der Bevölkerung geweckt werden, die wir nicht wecken dürfen, wenn wir wollen, dass die Menschen uns in der Flüchtlingspolitik, die wir betreiben, folgen. - Herzlichen Dank.