Protocol of the Session on February 17, 2016

Vor dem Hintergrund der individuellen Asylgründe, die jeder vorbringen kann, sind aus unserer Sicht Obergrenzen widersprüchlich, zumal eine Verschärfung des Asylrechts nicht automatisch dazu führt, dass Menschen von einer Flucht nach Europa abgehalten werden. Krieg und Bombenhagel zwingen die Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Das machen sie nicht freiwillig. Das machen sie auch nicht, nachdem sie im Vorwege alle unsere Asylrechtsparagraphen gelesen haben, sondern das machen sie aus ihrer persönlichen Not heraus. Deshalb werden die Menschen weiterhin hierher kommen, denn friedliche Zeiten sind im Nahen Osten überhaupt nicht in Sichtweite. Von daher werden auch in Zukunft viele Menschen bei uns im Land Schutz suchen.

Ein anderer Punkt des Asylpakets, welcher nach Auffassung des SSW regelrecht absurd ist, ist die Tatsache der Trennung von Eltern und Kindern.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Dabei geht es vor allem um diejenigen, die über subsidiäre Schutzgewährungen verfügen. Als subsidiär schutzbedürftig gelten Flüchtlinge, die keinen anderen Fluchtgrund haben, als dass sie einer eher allgemeinen Gefährdungslage unterliegen. Sie sind demnach einer allgemeinen Gefahr ausgesetzt, werden aber nicht individuell verfolgt. Aktuell betrifft dies vor allem Menschen aus Syrien. In den vergangenen Jahren hat man für diese Gruppe Sonderregelungen geschaffen, die nun vor allem die CSU wieder einkassieren möchte. Von nun an soll also für diese Gruppe von Menschen der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt werden, und zwar mittels einer sogenannten starren Jahresfrist. Danach soll die bisherige Regelung automatisch wieder in Kraft treten.

(Lars Harms)

Allein diese auch rechtsstaatlich schwer zu begründende Handhabung spiegelt einen gewissen Grad an Verzweiflung wider. Entweder man hat das Recht auf Familienzusammenführung, oder man hat es nicht. Hier für zwei Jahre eine Sonderregelung einzuführen beziehungsweise ein Recht nicht zu gewähren, ist eigentlich rechtstaatlich angreifbar, denn es setzt ein Recht außer Kraft, ohne wirklich einen Grund hierfür anzuführen. Gute und rechtsstaatlich einwandfreie Politik sieht nach unserer Auffassung anders aus.

(Beifall SSW und Uli König [PIRATEN])

Ein weiterer Punkt, der uns wirklich am Herzen liegt: Es sind Familien, die dort getrennt werden. Es gibt einen Verfassungsartikel, der Ehe und Familie unter Schutz stellt. Bei allem politischen Handeln sollte man, so finde ich, dies im Auge haben. Es geht nicht immer nur um das Ehegattensplitting, damit kinderlose Ehepaare noch ein bisschen mehr Geld in der Kasse haben, sondern es geht hier auch um den Schutz von Familien, es geht um den Schutz von Kindern. Das ist ein Verfassungsrecht, und dieses Verfassungsrecht muss sich auch im Asylrecht wiederfinden.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Zudem sind die Zahlen der subsidiär Schutzberechtigten in der Bundesrepublik völlig unbekannt. Die ganze Zielsetzung bleibt daher fraglich. Für uns steht fest: Eltern und Kinder gehören zusammen. Mit dem Aussetzen der Möglichkeit der Familienzusammenführung für den Zeitraum von zwei Jahren erlangt man vor allem eines, nämlich das Erreichen der Volljährigkeit der betroffenen Jugendlichen. Bei Volljährigkeit besteht ohnehin kein Anrecht auf Familienzusammenführung. Alles, was man mit dieser Maßnahme erreicht, ist, das Leben von diesen Minderjährigen zu erschweren. Darüber hinaus ist es kein Geheimnis, dass in den meisten Fällen eine Flucht erst abgeschlossen ist, sobald die eigene Familie sich an einem Ort befindet. Fluchtbewegungen werden in diesem Fall also weitergehen und sogar noch gefördert. Die Familienzusammenführung ist zweifelsfrei ein legaler Weg, um sein eigenes Leben in Sicherheit zu bringen. Ohne praktizierte Familienzusammenführung werden illegale Bewegungen zunehmen. Das ist eigentlich nicht das Ziel unserer Asylpolitik.

Integration kann im Übrigen nicht nur in Containern, Turnhallen oder Zeltstädten stattfinden. Deshalb brauchen wir eine Beschleunigung der Verfahren, und da ist es ganz gleich, ob man sich in ei

ner Flüchtlingsunterkunft in Kiel oder in Berchtesgaden befindet. Das BAMF ist zweifelsfrei das Nadelöhr. Die Registrierung von ankommenden Flüchtlingen wird in Schleswig-Holstein inzwischen tagesaktuell abgearbeitet. Die Aufgaben werden quasi aus Bordmitteln erfüllt, und da fragt man sich schon, warum es an anderer Stelle schier kein Vorankommen gibt. Diesen Zustand können wir uns als Bundesrepublik einfach nicht leisten. Statt an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen, streitet man sich lieber auf Nebenkriegsschauplätzen. Diese Lage macht die Orientierungslosigkeit und den vorherrschenden Stillstand der Bundesinnenpolitik deutlich. Der Bundesinnenminister muss hier handeln, damit die Verfahren abgeschlossen werden können. Erst dann, wenn sie abgeschlossen sind, kann man den Menschen wirklich helfen und Integrationsarbeit leisten. Das sollte eigentlich das einzige Ziel unserer Flüchtlingspolitik sein.

Es muss doch darum gehen, den zu uns kommenden Menschen eine Perspektive zu geben. Perspektive heißt beschleunigte Asylverfahrensbescheide und vor allem erwerbsmäßige, bildungstechnische oder soziale Beschäftigung. Nach Auffassung des SSW ist eine vernünftige Beschäftigung oft sogar noch vordringlicher als das Besuchen von Sprachkursen oder Ähnlichem, denn durch die Arbeitsaufnahme wird ohnehin ein großer Teil an Kenntnissen vermittelt. Das ist der eigentliche Punkt der Integration.

Sprachkurse sind sicherlich nicht verkehrt und notwendig, jedoch sollte man sich vonseiten der Bundesregierung nicht nur darauf beschränken. Ein Flüchtling kann noch so viele Sprachkurse besuchen, dies führt nicht dazu, dass er besser integriert ist. Es geht auch darum, die vorhandenen Fähigkeiten und Qualifikationen zu nutzen, die er mitbringt. Besondere bundesweite Nachqualifizierungsprogramme, die vorhandene Fähigkeiten an den deutschen Arbeitsmarkt anpassen, sind leider noch nicht in Sicht. Deshalb müssen wir hier etwas mehr tun.

Alles in allem ist eine deutliche Entwicklung in der Flüchtlings- und Asylpolitik sichtbar: Asyl auf Zeit, neue sichere Herkunftsstaaten ohne tiefere Begründung, Verschärfung beim Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge.

Herr Abgeordneter!

(Lars Harms)

Der Ton ist härter geworden. Das ist etwas, das wir nicht in Ordnung finden. Das Asylrecht ist ein Menschenrecht, und wir dürfen nicht nachlassen, uns für dieses Menschenrecht auch einzusetzen.

Ich beantrage die Überweisung der Anträge an den Innen- und Rechtsausschuss. - Danke.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem ersten Dreiminutenbeitrag hat Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich nach dem Wortbeitrag von Daniel Günther zu Wort gemeldet. Lieber Kollege Daniel Günther, ich habe mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Das sollte keine Arroganz oder eine Nichtbereitschaft sein, über Ihren Antrag zu diskutieren. Es ist aber so, dass wir wirklich unterschiedliche Auffassungen in diesen Bereichen haben. Sie sagen: Asylpakete I und II konsequent umsetzen. - Wir sagen: Den Asylpakt ablehnen. - Daher spricht das eigentlich für sich. In zehn Minuten kann man halt nicht alles unterbringen.

Einen Punkt möchte ich ansprechen, weil er mich besorgt macht. Heute jagt eine Schlagzeile die andere: Ist jetzt die Stunde der Wahrheit nicht langsam gekommen? Kriegt sie noch eine Mehrheit? Kann sie sich morgen und übermorgen auf dem EU-Gipfel durchsetzen? - Dazu wollte ich sagen: Wir begrüßen durchaus, dass die Bundeskanzlerin sich in einem entscheidenden Moment für einen großen humanitären Schritt ausgesprochen und ihn auch praktiziert hat.

Ich sehe aber etwas kritisch, was hier heute gar keine Rolle gespielt hat: Ein Teil der Vereinbarungen, die innerhalb der EU getroffen worden sind, wird jetzt unzureichend umgesetzt. Man macht sich jetzt abhängig vom Verhalten der Türkei. Schauen wir uns die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei an, gerade im Südosten. Wir sehen, dass Aleviten bundesweit in den Hungerstreik getreten sind, auch bei uns in Schleswig-Holstein, weil Zivilisten zum Beispiel in Cizre, aber auch in Dyabakir oder in anderen Orten umgebracht werden, und zwar nicht nur, weil sie Kurden sind, aber auch weil sie Kurden sind. Da muss man sich die Fragen stellen, ob die Türkei der richtige Part

ner ist und wie wir mit den Menschen umgehen, die Angst haben, dort zwischen den Fronten aufgerieben und umgebracht zu werden, denn auch diese Menschen werden versuchen, einen Weg zu finden - wohin auch immer.

Daher möchte ich Herrn Kubicki etwas zu der legalen Zuwanderung sagen, die er nicht angesprochen hat: Wir brauchen legale Zuwanderung. Da sind wir uns einig. Wir haben uns positiv auf Ihren Gesetzentwurf bezogen. Es muss für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge natürlich möglich sein, extra den humanitären Schutz zu gewährleisten, und zwar ohne den ganzen Formalkram drum herum. Das ist der Grund dafür, dass wir gegen das Asylpaket II sind. Insofern hoffe ich, dass wir in diesem Bereich kritisch auf unseren türkischen Nachbarn gucken, was die Auswirkungen der Außenpolitik in Bezug auf Syrien, Russland, die Türkei und andere betrifft. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir eine Lösung für das Problem insgesamt, die hat nämlich keiner.

(Beifall PIRATEN)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich deswegen zu Wort gemeldet, weil ich zwei Aussagen des geschätzten Herrn Kollegen Kubicki so nicht stehen lassen kann.

Herr Kubicki, Sie sagten, die Regelung zu den sicheren Drittstaaten sei deswegen relativ unproblematisch, weil sie im Grunde genommen das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention im Kern überhaupt nicht angreifen würde. Das ist richtig. Viel schlimmer aber ist, dass es, je mehr Länder wir zu sicheren Drittstaaten machen, zu einer inhaltlichen Auszehrung genau dieses Rechtes kommen wird, sozusagen durch die kalte Küche, durch die Hintertür.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wieso denn?)

- Das sage ich Ihnen gleich.

Das Erste waren die Balkanstaaten. Jetzt kommen die Maghreb-Staaten nach. Kaum war das geschehen, hat Bayern im Bundesrat eine Initiative eingebracht, mindestens acht weitere Länder, darunter Mali und Pakistan - hochproblematische Länder hinzuzufügen. Wir wissen, dass die Europäische

Kommission daran denkt, im Rahmen des europäischen Rechts ausgerechnet die Türkei zu einem sicheren Herkunftsstaat zu erklären. Das ist doch hochproblematisch.

Sie wissen: Zwar wird das individuelle Asylrecht dadurch nicht infrage gestellt. Aber die von Ihnen selber benannte Beweislastumkehr führt dazu, dass gerade in diesem Ein-Wochen-Takt-Verfahren im Grunde genommen die Geltendmachung des Rechts so gut wie ausgeschlossen ist, insbesondere bei dem Umstand, dass die betroffenen Menschen kaum einen Zugang zu einem Rechtsanwalt bekommen. Das wissen Sie alles ganz genau. Deswegen kann man das so nicht stehen lassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sichere Drittstaaten führen zu einer innerlichen Auszehrung des Asylrechts.

Das andere betrifft den Arbeitsmarktzugang von Drittstaatlern. Da haben Sie behauptet, das sei doch völlig unproblematisch. Alle Menschen dieser Welt könnten sich für den Arbeitsmarkt ein Visum verschaffen. Das ist doch beileibe nicht so.

Das, was im Asylpaket I im Hinblick auf die Roma geregelt worden ist, ist in dieser Hinsicht eine eindeutige Privilegierung. Deswegen ist das ein Erfolg gewesen.

(Beifall SPD)

Auch diese Behauptung muss ich hier zurückweisen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist doch völliger Unsinn!)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil der Herr Kollege Kubicki hier etwas gesagt hat, das ich doch noch einmal ansprechen möchte.

Sie haben gesagt, Herr Kubicki, am Ende seien Nationallösungen erforderlich. Ich stimme Ihnen zu: Wir sollten im Ton gegenüber anderen europäischen Ländern zurückhaltend sein. Wir haben lange genug bei Lampedusa weggeguckt, und bei Griechenland war der Ton der Bundeskanzlerin nicht

besonders angemessen. Das macht es jetzt nicht leichter.

Ich füge aber hinzu: Die Europäische Union ist keine Zugewinngemeinschaft, in der man nur Fördermittel in Anspruch nimmt, sondern die Europäische Union kann nur funktionieren als Wertegemeinschaft, die auch die Lasten gemeinsam teilt. Anders funktioniert das nämlich nicht. Darum muss man auch kämpfen.

(Beifall SPD und SSW)

Denjenigen, die sich Binnengrenzen zurückwünschen, kann ich nur sagen: Das ist ein Massenjobvernichtungsprogramm in Deutschland, das sich gewaschen hat. Wir profitieren nämlich sehr stark von diesem offenen Europa. Dafür müssen wir kämpfen. Da ärgert und betrübt mich, wie wir hinnehmen, dass dieses Europa buchstäblich zerfällt, weil sich kaum noch einer einsetzt. Ich bete zwar nicht jeden Tag für die Bundeskanzlerin - wie Herr Kretschmann -, aber ich wünsche ihr allen Erfolg bei den europäischen Verhandlungen. Das ist nämlich nötig für Deutschland, dass das geschieht.

(Beifall SPD)

Übrigens hat die Europäische Union mit den Maghreb-Staaten Vereinbarungen geschlossen, Herr Kollege Kubicki, und hat denen sogar Geld dafür gegeben, dass sie ihre Südgrenzen sichern. So etwas macht die Europäische Union schon. Insofern ist das keine Neuerfindung.