Protocol of the Session on January 21, 2016

(Eka von Kalben)

sächlich genauso gedacht. Deswegen hat mich Ihr Beitrag wirklich irritiert.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Zweitens. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass wir nicht nur darüber diskutieren müssen, sondern das auch dringend brauchen, dann hat der Kollege Bernstein mit seinem Redebeitrag diesen Beweis geliefert.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Kollege Bernstein, ich habe mit einiger Verwunderung - das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin vernommen, die die geschätzte Öffentlichkeit in ihrer Neujahrsansprache wissen lässt, Einwanderung habe noch keinem Land geschadet. „Herzlich willkommen im Club“, möchte man der Frau Kanzlerin an dieser Stelle zurufen. Das ist dieselbe Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende, die noch bis vor Kurzem verneint hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Dieselbe Bundeskanzlerin und CDUVorsitzende, die sich vehement gegen ein modernes Einwanderungsrecht gewandt hat, belehrt uns jetzt, dass Einwanderung noch nie jemandem geschadet hat. „Herzlichen Glückwunsch“, sage ich dazu nur.

Bezüglich Kanada möchte ich auch mit einem Missverständnis aufräumen: Die Kanadier schaffen mitnichten das Punktesystem ab. Sie haben es nur vom Kopf auf die Füße gestellt und ihren Anforderungen angepasst. Das ist im Übrigen vollkommen legitim. Richtig ist, dass es derzeit fast ausgeschlossen ist, nach Kanada einzuwandern, wenn man vorher keinen Arbeitsvertrag hat, weil der entsprechende Highscore hochgesetzt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen, das bringt mich zu einem anderen Punkt. Ich bin ein bisschen enttäuscht darüber, dass Sie bezüglich Punkt 1 unseres Antrags nur etwas über Kanada gesagt haben. Dabei steht an der Stelle nichts von Kanada, sondern wir sagen nur, dass wir ein Punktesystem einführen wollen. Ich bin der Auffassung, dass ein Aspekt eines modernen Einwanderungsrechts sein muss - dabei geht es um ein modernes Einwanderungsgesetzeswerk; das muss vermutlich ein Artikelgesetz sein -, dass das Land, in das eingewandert werden soll, klare Kriterien setzen muss, nach denen eingewandert werden kann. Das lässt sich kein klassisches Einwanderungsland nehmen, weder Kanada noch die Vereinigten Staaten noch Neuseeland noch Australien.

Deswegen habe ich die Auseinandersetzung zu Punkt 1, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen können. Ich glaube, dass der Vorschlag, den wir hierzu gemacht haben, eine sehr sinnvolle Diskussionsgrundlage gewesen ist. Das ist auch der Grund, dass wir den Originalantrag zur Abstimmung stellen werden, also in der ursprünglichen Form. Ich glaube, dass erst im Gesamtpaket deutlich wird, dass klare Zuzugskriterien - die Kollegin von Kalben hat den Pflegebereich angesprochen - zu einem modernen Einwanderungsrecht gehören. Natürlich gehört zu einem modernen Einwanderungsrecht, dass das Land sich selbstverständlich diejenigen aussuchen kann, die einen vorhandenen Bedarf decken können. Das ist, Frau von Kalben, nicht Rosinenpickerei, sondern eine ganz legitime Wahrnehmung der Interessen des Landes, in das eingewandert werden soll.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das habe ich doch gesagt!)

- Na ja, Sie haben den ganzen Punkt 1 unseres Antrags in den Ausschussberatungen offensichtlich nicht mitgetragen, sonst hätte der Antrag ja eine Mehrheit gefunden.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben ja die Chance, in der Abstimmung dem Antrag doch noch zuzustimmen.

Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen: Ich finde es bemerkenswert, dass der Kollege Bernstein hier heute erzählt hat, dies sei überhaupt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit einem modernen Einwanderungsgesetz auseinanderzusetzen. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Hätten wir ein modernes Einwanderungsrecht mit entsprechenden Kontingentvereinbarungen, dann müssten wir jetzt nicht Menschen in Asylverfahren quetschen, die da gar nicht reingehören,

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

sondern dann hätten wir eine ganz andere, humanere und viel intelligentere Lösung. Wenn nicht jetzt und wenn nicht nach der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin, wann wollen Sie denn dann ein modernes Einwanderungsrecht in diesem Land verabschieden? Das, was Sie hier geboten haben, Herr Kollege Bernstein, ist doch wirklich peinlich.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Dr. Heiner Garg)

Ich finde es schade, dass wir an dieser Stelle nicht einer Meinung sind. Ich sage Ihnen: Wir Freien Demokraten werden uns auch weiterhin für ein modernes Einwanderungsrecht einsetzen.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir auch!)

Wir werden dafür kämpfen.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir meinen: Jetzt ist der späteste Zeitpunkt; denn wir brauchen so etwas jetzt und nicht irgendwann in einer der nächsten Legislaturperioden.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Fraktionsvorsitzende Torge Schmidt.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Bis auf die Christdemokraten sind wir uns einig, dass wir ein modernes Einwanderungsrecht brauchen. Von den rund 81 Millionen Bürgern in diesem Land haben fast 16 Millionen Bürger ausländische Wurzeln, und diese Menschen sind keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung für unsere Kultur und für unsere Gesellschaft. Deutschland war schon immer ein Einwanderungsland. Im 16. Jahrhundert kamen die Hugenotten, im 19. Jahrhundert kamen die Ruhrpolen und die Exilperser nach Deutschland, und in den 50er- und 60er-Jahren kamen die türkischen, italienischen, griechischen und jugoslawischen Gastarbeiter, in den 80er-Jahren die vietnamesischen Boatpeople und in den 90er-Jahren die Spätaussiedler, die Russlanddeutschen und die Kontingentflüchtlinge. Wir müssen uns endlich der Realität stellen und einsehen, dass Deutschland als Einwanderungsland im 21. Jahrhundert auch ein modernes Einwanderungsrecht braucht.

(Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Die Geschichte lehrt uns, dass wir die Menschen, die zu uns kommen, integrieren müssen. Bei vielen Gastarbeiterkindern hat die Integration versagt. Wir haben Arbeitskräfte gerufen, aber es sind Men

schen gekommen. Dies ist eine Altlast, die wir auch heute noch zu tragen haben. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Wir sind entsetzt darüber, dass die Reform des Einwanderungsrechts trotz der Entwicklung der Flüchtlingszahlen seit dem letzten Jahr bei den Parteien auf Bundesebene keine politische Priorität mehr hat. Dabei ist dieses Thema gerade in der jetzigen Situation wichtiger denn je. Einwanderung - das muss klar und deutlich gesagt werden - muss von der Aufnahme von Asyl- und Schutzsuchenden getrennt betrachtet werden. Einwanderer wollen dauerhaft Teil unserer Gesellschaft und Kultur werden, während Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz vor Verfolgung, Folter, Mord und Krieg suchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zurzeit haben in erster Linie diejenigen Menschen eine Chance, in Deutschland zu bleiben, die politisch verfolgt werden. Dabei gibt es gerade unter den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen Studenten sowie arbeitsfähige und -willige Fachkräfte, die in diesem Land einen wertvollen Beitrag leisten wollen und könnten, wenn sie dürften.

Trotzdem lehnen wir PIRATEN ein Punktesystem, wie die FDP es ursprünglich in ihrem Antrag forderte, ab; denn man kann und darf Menschen, nur weil sie vordergründig kaum oder gar keine berufliche Qualifikation aufweisen, um aktiv zur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts beitragen zu können, nicht aussortieren. Jeder Mensch, der einwandern will, kann und soll ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft werden.

Wir PIRATEN befürworten die Öffnung unseres Landes für Migranten und Flüchtlinge aus der ganzen Welt. Deren Auswahl darf sich nicht ausschließlich an dem volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess orientieren.

(Beifall PIRATEN)

Aus diesem Grund begrüße ich die Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses, mit der dieser unserem Antrag folgt, den ersten Punkt des Antrags der Fraktion der FDP zu streichen. Den Änderungsantrag der FDP-Fraktion, der darauf abzielt, die Beschlussempfehlung des Ausschusses zu revidieren und den Antrag in unveränderter Form anzunehmen, lehnen wir klar ab. Ein Einwanderungsrecht für Eliten, das sich an gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Zielvorgaben orientiert, wird es mit uns PIRATEN nicht geben. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN)

(Dr. Heiner Garg)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es wurde zwar lange Zeit nicht so genannt. Aber faktisch haben wir seit den 1950er-Jahren, also seit sechs Jahrzehnten eine Einwanderungswelle nach der anderen erlebt. Es musste allerdings mehr als eine Generation vergehen, bis diese Tatsache Eingang in die politischen Diskussionen fand. Deutschland tat sich schwer damit, sich dauerhaft zu öffnen. Immer wenn Not am Mann war, kamen ausländische Arbeitskräfte gerade recht - Portugiesen, Spanier, Italiener oder auch Türken. Aber deren Anerkennung ging nur schleppend voran. Die Neudeutschen sollten bitte schön superdeutsch sein und beispielsweise auch in den eigenen vier Wänden deutsch reden. Bereicherung und Vielfalt zu entdecken und zu nutzen, war zunächst nur eine Randerscheinung. Allerdings, meine Damen und Herren, hat sich inzwischen in dieser Richtung einiges getan. So gehört die Pizza in Deutschland inzwischen zu den Lieblingsgerichten.

Integration bedeutet eben nicht, dass sich die Dazukommenden widerspruchslos anpassen, sondern dass man sich gegenseitig annähert. Deutschland hat sich auch verändert, was nicht zuletzt durch das große Engagement vieler Ehrenamtlicher in der Flüchtlingskrise belegt wird. International wird Deutschland als Einwanderungsland mit großzügigen Einwanderungsregelungen geachtet.

Deutschland ist aber auch ein Auswandererland. Deutsche Staatsbürger stellen, global gesehen, im letzten Jahrzehnt eine nicht unerhebliche Gruppe dar, die auswandert. 2015 wanderten zum Beispiel fast 150.000 deutsche Bürger aus, weil sie in Deutschland nicht die gleichen Chancen erwarteten wie im Ausland. Deutschland ist längst nicht so attraktiv, wie wir uns das immer einreden. Niedriglohn und Karriereprobleme bewerten viele Menschen auch aus Schleswig-Holstein als Push-Faktoren und als Gründe, Deutschland zu verlassen. Sie suchen mit ihren Familien ihr Heil woanders. Damit wird der Braindrain verschärft und der demografisch bedingte Fachkräftemangel weiter verstärkt. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.

Das haben wir im Ausschuss auch vertieft beraten, auch und gerade vor dem Hintergrund der derzeiti

gen Flüchtlingskrise. Wir leisten uns den Luxus, gut ausgebildete und hoch motivierte Menschen im Land zu haben, diese aber zur Untätigkeit zu verpflichten. Die Asylverfahren erweisen sich als Hemmschuh. Dabei wissen wir genau, dass Integration durch Arbeit eigentlich der Königsweg ist. Tatsächlich betreiben wir eine Ausgrenzung, die langfristig enorme Kosten erwarten lässt.

Das ist zum Großteil der schieren Masse der Flüchtlinge geschuldet, aber eben auch den sehr komplizierten Antragsverfahren. Einheitliche Verfahren und Bestimmungen werden nicht vom Himmel fallen. Gut, dass wir anlässlich des Antrags der FDP-Fraktion über ein modernes Einwanderungsrecht diskutieren. Wir holen damit etwas nach, was schon im letzten Jahrhundert in Deutschland hätte stattfinden müssen. Wir dürfen das also - der Kollege Garg hat recht - auf gar keinen Fall weiter verschieben, sondern wir brauchen jetzt ein neues Einwanderungsrecht.

Bei den meisten Punkten besteht durchaus Einigkeit, vor allem was klare Zuständigkeiten und transparente Verfahren aus einer Hand angeht. Ich fürchte allerdings, dass es noch lange dauern wird, bis die Verfahren vereinfacht sind. Darüber hinaus ist vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus das Beschäftigungsverbot von Asylbewerbern eine pure Vergeudung von Ressourcen. Die zweifellos vorhandenen Qualifikationen vieler Flüchtlinge sind doch Ressourcenschätze, die es zu bergen gilt. Viele Flüchtlinge bringen sich bereits als Dolmetscher ein oder vermitteln zwischen Behörden und ihren Mitbewohnern. Doch der deutsche Arbeitsmarkt steht ihnen nicht offen. Deutschkurse werden zwar inzwischen flächendeckend angeboten. Aber darüber hinaus benötigen wir berufsspezifische Sprachkurse, die spezielle Fachvokabeln vermitteln. Besondere Nachqualifizierungsprogramme, die vorhandene Qualifikationen an den deutschen Arbeitsmarkt anpassen, sind überhaupt noch nicht in Sicht.

Darüber hinaus ist die Anerkennung vieler ausländischer Berufsqualifikationen nach wie vor für den Großteil der Berufe ein Hürdenlauf mit langen und komplizierten Verfahren. Dabei handelt es sich nicht immer nur um so extreme Fälle wie aus Syrien oder Bangladesch; vielmehr rede ich hier auch über England, Frankreich, Dänemark oder Schweden. Das ist mindestens genauso kompliziert.

Dazu kommen dann noch komplizierte Rechtsfragen, zum Beispiel für die Arbeitgeber, die sich fragen: Darf ich überhaupt einen Flüchtling einstellen?

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden? Wer kann mir dabei helfen?

In den letzten Jahren wurde vieles versäumt, nämlich dass wir eine Beratung aus einer Hand bekommen. Eine solche Beratung brauchen wir aber. Wir brauchen eine Beratung, die auch als solche daherkommt und nicht als Sanktion. Das ist gerade auf kommunaler Ebene glücklicherweise angekommen. So richtet die Stadt Flensburg beispielsweise analog zum Kreis Nordfriesland ein Willkommenszentrum ein, das das bisherige Ausländeramt ablösen wird. Das ist eine völlig andere Sichtweise auf die, die neu zu uns kommen. Es kommt also darauf an, dass wir ein neues Einwanderungsrecht bekommen.

Kommen Sie bitte zum Ende.

- Ja. Dabei geht es nicht nur um EU-Ausländer, sondern auch um andere. Bei Flüchtlingen und EUBürgern ist es sowieso nur bedingt möglich, die Einwanderung zu steuern. Wenn wir steuern wollten, dann könnten wir das nur bei Nicht-EU-Mitgliedern machen. Um das aber nachvollziehbar, vernünftig und vor allen Dingen unbürokratisch zu regeln, brauchen wir ein neues Einwanderungsrecht. - Vielen Dank.