Protocol of the Session on November 14, 2012

Ich komme auch schon zum Schluss. - Vor wenigen Tagen, am 3. November 2012, hat hier eine Sitzung des Landesjugendparlaments und auch der Landesschülervertretung stattgefunden. Auch dort war Dania zu Gast. Sie ist gebeten worden, eine Rede zu halten. Genau an diesem Rednerpult hat sie gesprochen. Ich möchte Ihnen diese Rede hier gern zur Kenntnis geben.

Sie sagte:

„Guten Morgen, alle zusammen! Wie Laura bereits berichtet hat, soll meine Familie auseinandergerissen werden. Jeden Morgen, wenn ich in die Schule gehe, kann ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren, da ich in Gedanken bei meiner Familie bin. Ich habe große Angst und Sorge, besonders um die Kleinen, die nichts außer Deutschland kennen, für die ein Leben im Libanon unverstellbar ist. Eine Chance auf Bildung und hinreichende medizinische Versorgung für meine Schwester, die an Epilepsie erkrankt ist, werden dort nicht gewährleistet. Mir wird hier ermöglicht, mein Abitur zu machen. Ich frage mich: Mit welchen Begründungen wird dieses meinen Geschwistern verwehrt?

Auch für meine Eltern gibt es im Libanon keine Existenzgrundlage. Sie haben nichts und würden das, was sie in 18 Jahren in Deutschland aufgebaut haben, zurücklassen müssen, ihre Freunde und Nachbarn und vor allem ihre Kinder.

Genau wie ich stehen viele von euch kurz vor dem Abi. Könnt ihr euch vorstellen, jeden Tag von der Schule zu kommen und nicht zu wissen, ob die schwerwiegenden Entscheidungen getroffen wurden, die unser Leben beeinflussen? Könnt ihr euch auf Kafka und den „Prozess“ oder auf Analysis und Stochastik konzentrieren, wenn euch doch eigentlich andere Plagen beschäftigen? Das könnt ihr wohl kaum, und ich ebenso wenig. Deshalb bin ich froh, dass wir eine so breite Unterstützung erleben, und möchte diese Gelegenheit nutzen, jedem zu danken, der uns geholfen hat, uns unterstützt und auch weiter die Gelegenheit geben will, hier zusammen zu leben. Besonders die Bismarckschule und die KGSE, Frau Oster und vor allem Herr Fischer vom Diakonischen Verein stehen uns

bei. Für diese Solidarität bin ich und ist meine Familie sehr dankbar.“

(Beifall PIRATEN)

Das ist die Rede von Dania Chafi. Ich bitte Sie, diese Rede ernst zu nehmen und zuzustimmen, dass menschenwürdige Politik Einzug hält in diesen Landtag, in dieses Haus, in dieses Land und wir eine neue Willkommenskultur am Beispiel der Familie Chafi gemeinsam umsetzen.

(Beifall PIRATEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hatte mir fest vorgenommen, Reden nach Möglichkeit nicht zu kommentieren, aber ich bedaure es außerordentlich, im Interesse der Sache, aber vor allen Dingen im Interesse der Betroffenen, dass Sie sich nicht an die Absprache im Ältestenrat gehalten haben, Frau Abgeordnete.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Astrid Damerow das Wort.

(Serpil Midyatli [SPD]: Sie haben der Fami- lie einen Bärendienst erwiesen! - Weitere Zu- rufe)

- Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Damerow.

(Wortmeldung Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

- Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?

Ich habe ja noch nicht einmal angefangen.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage beziehungsweise Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Herr Präsident, ich gestatte eine Zwischenbemerkung. Eine Frage kann es schwerlich sein, denn ich habe ja noch gar nicht angefangen.

Herr Dr. Breyer!

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Ich wollte nur klarstellen, dass wir bezüglich der Aktuellen

Stunde zugesagt haben, dass wir den Fall Chafi als Beispiel für eine generelle Problematik nennen. Wir haben immer klargemacht, dass wir diesen Fall als aktuellen Aufhänger nutzen wollen. Deswegen entspricht das, was die Kollegin gesagt hat, durchaus der Intention der Aktuellen Stunde.

(Zurufe)

- Herr Abgeordneter Dr. Breyer, ich will es deutlich sagen: Das entspricht nicht dem, was wir im Ältestenrat besprochen haben. Wenn Ihr Erinnerungsvermögen Sie trügt, bin ich gern bereit, dass wir das noch einmal intensiv miteinander erörtern. Ich halte das langsam für einen Stil, der nicht in unser Haus einziehen sollte.

(Beifall CDU, SPD und FDP)

Wenn es solche Abmachungen gibt, von denen alle bis auf Sie die gleiche Wahrnehmung haben, dann gelten sie für alle, auch für Sie. Ich bin Ihnen gern behilflich, Ihre Wahrnehmung auf den gleichen Stand zu bringen, den alle anderen auch haben.

Frau Abgeordnete Damerow, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Ja, tue ich.

Das ist sehr freundlich. - Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns trotz formaler Bedenken entschlossen zuzulassen, dass zur Aktuellen Stunde geredet wird, weil wir nicht den Eindruck erwecken wollten, uns sei das Schicksal von Menschen egal. Aber der Stil, in dem das hier vorgetragen worden ist, der im Übrigen schon ein bisschen infrage stellt, dass alle im Parlament das Schicksal solcher Menschen im Auge haben, ist in der Form nicht akzeptabel. Ich kündige für meine Fraktion an, dass es eine Ausnahme gewesen ist, dem zuzustimmen, wenn das in dieser Weise im Parlament missbraucht wird.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der Fraktion der PIRATEN, ich habe mir viele Gedanken über den Titel der Aktuellen Stunde gemacht. Wir alle waren etwas ratlos. Uns allen ist natürlich klar, welche Intention Sie hatten, als Sie diese Aktuelle Stunde beantragt

(Angelika Beer)

haben. Allerdings sind wir davon ausgegangen, dass auch Sie sich, wie es Gepflogenheit in diesem Haus ist, an die Absprachen halten. Ich finde es ausgesprochen bedauerlich - ich kann meine Stichworte erst einmal zur Seite legen -, dass Sie so vorgegangen sind, wie Sie vorgegangen sind, verehrte Frau Kollegin Beer. Ich bedaure es vor allem auch für die Unterstützer und die Familie Chafi, dass Sie dies in dieser Form im Parlament thematisiert haben.

Häufig hilft man den Menschen nicht allein dadurch, dass man groß, öffentlichkeitswirksam ein Thema im Parlament hochzieht, wohl wissend, dass wir als Landesparlament gar nicht die Kompetenz haben, einen wirklich zielführenden Beschluss zu fassen. Sie machen Menschen Hoffnung - das wissen Sie als Parlamentarierin -, die Sie nicht erfüllen können. Das finde ich - ich halte mich sehr zurück - nicht in Ordnung.

Sie können es nicht wissen, weil Sie in der letzten Legislaturperiode noch nicht dabei waren: Wir haben über das Thema Integration in seinen vielfältigen Ausprägungen häufig diskutiert - wir waren uns nicht immer einig -, mitunter strittig. Aber - da dürften mir die anderen Kollegen zustimmen - wir haben in den vergangenen drei Jahren und auch in den Jahren davor in Schleswig-Holstein ordentliche Schritte nach vorn gemacht im Bereich der Integration, auch im Bereich des Aufenthaltsrechts.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zum Thema Integration, Willkommenskultur! Niemand streitet ab, dass wir sie brauchen. Aber Ihr Titel lautet: „Die neue Willkommenskultur der Landesregierung“. Das diskutieren wir sehr gern, aber in solchen Fällen ist ein Antrag, den man dann sachlich diskutieren kann, wesentlich zielführender. Das hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht. Ich bin davon überzeugt, dass uns die Landesregierung irgendwann ihre Vorstellungen vorlegen wird.

Wir haben gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode nach langen Diskussionen eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die sich mit dem Thema Bleiberecht beschäftigt. Sie wissen so gut wie wir, dass mehrere Bundesländer eine solche Initiative gestartet haben, mit unterschiedlichen Inhalten, aber alle mit dem gleichen Ziel - RheinlandPfalz, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein -, und sie sich noch in den Beratungen im Bundesrat befinden. Es ist sicherlich nicht einfach, über viele Länder hinweg hier zu einer gemeinsa

men Lösung zu kommen. Es ist Aufgabe der Landesregierung, das weiter zu verfolgen.

Ich wehre mich dagegen, dass Sie uns pauschal unterstellen, wir würden uns nicht gleichermaßen mit dem Schicksal dieser Menschen auseinandersetzen wie Sie. Das tun wir alle, jeder auf seine ureigenste Art. Sie haben recht: Es ist unsere Pflicht, uns als Parlamentarier mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Das werden wir auch in Zukunft tun, wie immer durchaus strittig, aber stets an der Sache und, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der PIRATEN, vor allem an den Interessen der Menschen orientiert.

Ich möchte jetzt aufhören. Ich kann bei Ihrem Titel der Aktuellen Stunde nach wie vor nicht erkennen, wo der aktuelle Bezug liegen soll.

(Angelika Beer [PIRATEN]: In der Abschie- bung!)

Sie haben das jetzt deutlich gemacht - entgegen sämtlicher Absprachen. Ich weiß nicht, ob Sie der Familie damit einen guten Dienst erwiesen haben. Zumindest haben Sie ihr nicht weitergeholfen. Das muss man an dieser Stelle sagen. Deshalb noch einmal: Ich bedaure es, dass Sie sich dafür auf den Weg nach Kiel gemacht haben. Denn dieser Landtag kann Ihnen heute keine Garantie geben. Auch das hätte zur Wahrheit gehört, wenn die Abgeordneten der PIRATEN das im Vorhinein gesagt und hier nicht nur populistisch agiert hätten.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Beer, das Einzige, das Sie hier heute befriedigt haben, ist Ihr Ego.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Sie haben der Familie damit überhaupt nicht geholfen. Ich bin gern bereit, mit der Familie noch einmal persönlich in Kontakt zu treten. Nicht nur Sie haben sich für die Familie eingesetzt, sondern auch die Kollegin Beate Raudies, die örtliche Abgeordnete; Lars Harms hat sich intensiv mit dem Fall beschäftigt, Eka von Kalben war dort; Astrid Damerow hat sich damit auseinandergesetzt. Wir alle ha

(Astrid Damerow)

ben uns mit dem Fall beschäftigt, wie wir das mit allen Fällen, die uns vorgetragen werden, tun. Dies machen wir aber nicht so wie Sie hier im Plenum. Das hat auch etwas mit datenschutzrechtlichen Gründen zu tun, aber auch mit dem, was im Vorwege zu besprechen ist, wo noch an Lösungen gearbeitet wird, um der Familie zu helfen.

Ich wollte meine Rede eigentlich ganz anders beginnen, weil es ja „Willkommenskultur“ heißt, ich wollte Sie eigentlich gern in neun verschiedenen Sprachen begrüßen und habe mir Hilfe von Lars Harms und Birte Pauls geholt, wie es denn auf Friesisch oder Dänisch heißt, aber nach Ihrem Einsatz ist mir das ehrlich gesagt vergangen. Es tut mir wirklich leid.

Wir haben in der letzten Wahlperiode die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung mit dem damaligen Integrationsminister Emil Schmalfuß gemeinsam auf den Weg gebracht. Auch damals war ein konkreter Fall der Anlass. Wir haben uns dazu entschieden und gesagt: Wir können uns nicht nur in diesem einen Fall engagieren, denn es sind auch viele andere Menschen im Land von der Bleiberechtsregelung betroffen. Wir reden insgesamt über 87.000 Menschen in Deutschland, die im Moment geduldet sind. 67 % dieser Menschen sind länger als sechs Jahre hier. Wir reden hier über keinen Einzelfall, sondern wir brauchen eine Regelung. Dafür haben wir die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Ich hoffe und wünsche - da will ich auch den Einsatz von Ihnen persönlich und Ihrer Bundespartei sehen -, dass wir das gemeinsam unterstützen, dass wir die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung bekommen, damit allen Familien in der Bundesrepublik geholfen wird.