Wir haben in der letzten Wahlperiode die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung mit dem damaligen Integrationsminister Emil Schmalfuß gemeinsam auf den Weg gebracht. Auch damals war ein konkreter Fall der Anlass. Wir haben uns dazu entschieden und gesagt: Wir können uns nicht nur in diesem einen Fall engagieren, denn es sind auch viele andere Menschen im Land von der Bleiberechtsregelung betroffen. Wir reden insgesamt über 87.000 Menschen in Deutschland, die im Moment geduldet sind. 67 % dieser Menschen sind länger als sechs Jahre hier. Wir reden hier über keinen Einzelfall, sondern wir brauchen eine Regelung. Dafür haben wir die Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Ich hoffe und wünsche - da will ich auch den Einsatz von Ihnen persönlich und Ihrer Bundespartei sehen -, dass wir das gemeinsam unterstützen, dass wir die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung bekommen, damit allen Familien in der Bundesrepublik geholfen wird.
Wir haben einen Kriterienkatalog aufgelegt, in dem wir gesagt haben: Es kann nicht sein, dass die Punkte von 1 bis 10 aufgelistet werden, und wenn ein Punkt nicht erfüllt ist, dass der Aufenthalt dann nicht genehmigt wird. Es muss vielmehr eine Gesamtschau vorgenommen und die gesamte Integrationsprognose mit aufgenommen werden. Die gesamten bisher erbrachten Integrationsleistungen sollen in die Entscheidung mit einfließen.
Das hilft dabei - hoffe ich zumindest -, wenn wir dann auch durch den Einsatz des Innenministers so weit sind, dass vielen Menschen geholfen wird. Denn es ist kein Zustand, dass in Deutschland jeden Tag 87.000 Menschen von Abschiebung bedroht sind. Das ist kein Zustand, und das wissen wir. Wir
Ich war, wie meine Kollegin Astrid Damerow auch, ein wenig ratlos über das Thema, weil es um das Thema Willkommenskultur gehen sollte. Ich habe mir noch einige andere Stichworte neben dem Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsrecht, das wir definitiv modernisieren müssen, mit aufgeschrieben. Wichtig ist, dass die Menschen, die hier leben, die gleichen Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft haben müssen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu gehört auch - das kann zum Beispiel die Landesregierung tun -, die Ministerien interkulturell zu öffnen, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Ministerien über die Bewerbungen ins Haus einzuladen und zu schauen, wer da hineinpasst, damit wir ein bunteres Bild auch in unseren Ministerien bekommen.
Ich habe einmal gegooglet, was Willkommenskultur heißt. Wir reden neuerdings auch von einer neuen Willkommenskultur. Ich kenne aber gar keine Willkommenskultur in der gesamten Integrationsund Ausländerpolitik, die wir bisher gehabt haben. Das Einzige, was wir bisher machen, ist eher eine Ausgrenzungspolitik. Bevor wir also über eine neue Willkommenskultur reden, sollten wir uns darauf einigen, überhaupt mit einer Willkommenskultur anzufangen.
Meine Zeit ist leider gleich schon fast abgelaufen. Zu diesem Thema gehört auch das kommunale Wahlrecht. Es kann nicht angehen, dass wir über 150.000 Menschen mit Migrationshintergrund haben, die bei Kommunalwahlen nicht mit entscheiden können. Wir werden in dieser Tagung - am Donnerstag - im Rahmen des Tagesordnungspunkts 22 über Bürgerrechte diskutieren. Es geht nämlich noch viel weiter. Wir werden in diesem Land die Bürgerrechte stärken. Hat sich irgendjemand einmal Gedanken darüber gemacht, dass bei Volksentscheiden genau diese Menschen, die teilweise hier geboren sind oder auch hier schon seit 30 oder 40 Jahren leben, nicht mit entscheiden dürfen, weil sie kein Wahlrecht haben? Es geht viel weiter. Wir dürfen nicht haltmachen bei den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Eine Willkommenskultur beinhaltet viel mehr.
Bürgermeisters Olaf Scholz in Hamburg. Er persönlich schreibt jeden Monat 4.000 Briefe an Menschen mit Migrationshintergrund, die noch keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, und lädt sie persönlich ein, sich einbürgern zu lassen.
Ich denke, das ist das erste Mal, bei dem jemand auf diejenigen mit Migrationshintergrund und ohne deutschen Pass zugeht und sie zu etwas einlädt. Sonst, wenn Migranten von einer Behörde einen Brief bekommen, sind da eher Aufforderungen, was sie alles machen müssen, was noch alles fehlt und welche Defizite sie noch haben, aufgelistet. Das ist wirklich einmal ein Ansatz, der relativ erfolgreich ist. Lieber Torsten Albig, vielleicht ist das etwas Nachahmenswertes. Ich würde mich sehr freuen.
Wie gesagt, wir haben noch viel zu tun in diesem Bereich. Ich lade Sie, liebe PIRATEN, herzlich ein - das war ein Angebot, das ich dem Kollegen König auch schon gemacht habe -, mit uns gemeinsam hier voranzuschreiten und sich für die Sache einzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und recht herzlich beim Landtagspräsidenten, der meine Zeit wirklich sehr großzügig gemessen hat. - Danke schön.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Eka von Kalben, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, zu der Angemessenheit der Aktuellen Stunde und dazu, ob das Thema aktuell ist, ist genug gesagt worden. Das erspare ich mir.
Das Thema Willkommenskultur und das Thema Bleiberecht ist ein grundsätzliches. Ich finde es schon wichtig und gut, das zu diskutieren. Insofern bin ich als migrationspolitische Sprecherin auch froh über das Thema. Aber ich hätte es mir eher in Form eines Antrags gewünscht als in Form einer Aktuellen Stunde, weil es - wie gesagt - nicht aktuell ist, sondern dauerhaft dringlich und wichtig.
Wir haben seit 2005 ein Zuwanderungsgesetz, aber das Signal, das davon ausgehen sollte, nämlich dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dieses Signal ist bisher in der Gesellschaft, zum Teil in der Verwaltung und auch in den gesetzlichen Regelungen, noch nicht genügend angekommen. Deshalb haben wir auch immer wieder Fälle, wie den der Familie Chafi, die heute hier ist, bei der die Rechtslage anscheinend anders ist als der Menschenverstand und die Menschen, die darum herum leben, es einschätzen würden, die sagen, das sei völlig unlogisch und könne so nicht funktionieren.
Aber völlig unabhängig davon - da hat Serpil Midyatli völlig recht - geht es nicht um einen Einzelfall, sondern es geht generell darum, dass wir etwas im Bereich des Bleiberechts tun müssen. Allein das Wort Duldung zum Beispiel steht für mich in diametralem Gegensatz zum Thema Willkommen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie seien irgendwo zu Gast und jemand sagt: Ja schön, ich habe dich jetzt hier geduldet oder ich dulde dich jetzt hier, und zwar auch über Jahre, und dann bist du immer noch Gast und immer noch kein Mitbewohner.
Viele Menschen können diesen Umgang mit hier voll integrierten Flüchtlingen nicht verstehen, und ich kann es auch nicht. Es ist ein gutes Zeichen,
dass eine Zivilgesellschaft immer wieder Solidarität mit Flüchtlingen zeigt, und insbesondere, wenn es Schülerinnen und Schüler sind, die sich aktiv einsetzen, finde ich das begrüßenswert, und ich freue mich sehr darüber. Ich danke denen auch. Das macht Mut. Das macht gerade jetzt Mut - wir haben den aktuellen Antrag zurückgenommen -, wo wir uns wieder der schlimmen Anschläge, die auch auf Flüchtlinge passiert sind, erinnern, wo sich jetzt aktuell im November 2012 die Brandanschläge in Mölln zum zwanzigsten Mal jähren. Da macht die Solidarität von euch Schülerinnen und Schülern in Elmshorn Mut.
Was muss passieren? - Wir brauchen dringend Bleiberechtsregelungen, die auch Menschen mit einbeziehen, die bei der Einreise ihre Identität verschwiegen oder falsch angegeben haben, weil es natürlich unterschiedliche Gründe gibt, warum man das tut. Entweder bekommt man Tipps, dass man so die Einreise besser realisieren kann, dass der Asylantrag durchgeht, es kann sein, dass man es macht, weil man Angst hat, dass die Familienangehörigen in den Heimatländern verfolgt werden, es kann auch sein, dass die Herkunftsländer die Identität falsch angeben oder es verhindern, dass man zurückreisen kann, weil die Flüchtlinge im Heimatland gar nicht gewünscht sind. Schlussendlich gibt es vielleicht auch Namensverwechselungen. Ich gebe meine Identität auch mit Eka von Kalben an, und viele wissen, dass ich einen anderen Vornamen habe.
Aber unabhängig davon, wie man die Fälle bewertet, unabhängig davon, ob ich die Identität bewusst schuldhaft oder nicht schuldhaft verschwiegen habe: Die Bleiberechtsregelungen sollen gerade den Menschen, die hier integriert sind, einen Schutz unabhängig von dem geben, was im Heimatland vorgefallen ist.
Insofern kommt es darauf nicht an. Insofern brauchen wir die Gesetzesänderungen, und wir bringen sie auch auf den Weg.
Das, liebe Angelika, ist etwas, was hier falsch rüberkommt, wenn es so aussieht, als sei das ganze Haus völlig desinteressiert und würde nichts tun. Wir tun etwas, und ich weiß, dass der Innenminister, mit dem wir viele Gespräche geführt haben, auch im Einzelfall sehr viel tut und uch schon getan hat, auch konkret. Deswegen entsteht hier der falsche Eindruck, wir wollten nichts machen. Wir
wollen, dass Menschen hierbleiben können, die sich hier integriert haben - trotz eingeschränkter Aufenthaltserlaubnis, trotz eingeschränkter Arbeitserlaubnis, obwohl sie keinen Zugang zu Deutschkursen haben. Viele haben Schwierigkeiten beim Schulbesuch oder bei der Berufsausbildung. Trotz Altersdiskriminierung und Angst vor Übergriffen integrieren sich Familien hier. Ich finde, sie müssen hierbleiben. Das ist eine Frage der Humanität, und ich hoffe, das ist nicht unparlamentarisch - es wäre auch dumm, wenn wir es anders täten. - Danke.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW, Wolfgang Kubicki [FDP] und Dr. Pa- trick Breyer [PIRATEN])
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Alterspräsident dieses Landtags lernt man doch immer wieder etwas Neues hinzu. Damit keine falschen Eindrücke entstehen, will ich kurz für die, die es noch nicht wissen - wahrscheinlich die PIRATEN ja auch nicht -, das Prinzip der Aktuellen Stunde erklären. Die Aktuelle Stunde dient dazu, dass wir uns mit Themen beschäftigen, die nach Ablauf der normalen Anmeldungsfrist von Anträgen für die Plenartagung das Licht der Öffentlichkeit erblicken und so wichtig sind, dass sich der Landtag damit zu beschäftigen gedenkt.
- Frau Beer, das Prinzip der Aktuellen Stunde besteht unter anderem auch darin, dass daraus nichts folgt: keine Anträge und keine Beschlüsse. Außer, dass wir miteinander geredet haben, folgt erst einmal gar nichts. Das, was ich von Ihnen hätte erwarten können - als zwar neue Parlamentarierin, aber lange genug dabei -, wäre, wenn es Ihnen denn um ein Einzelschicksal geht, was noch nie in einem Plenum so behandelt worden ist - das ist auch ein Novum, dass wir uns über Einzelschicksale in dieser Form öffentlich austauschen -, dass Sie dann wenigstens einen Antrag stellen, damit sich das Plenum dazu verhalten kann,
oder aber, was viel wichtiger gewesen wäre, dass Sie das wenigstens im Innen- und Rechtsausschuss als Tagesordnungspunkt angemeldet hätten. Denn das ist das Gremium, welches sich auch den Einzel